Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.170/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_170/2009

Urteil vom 16. November 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Forster.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Neese,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zug,
II. Abteilung, An der Aa 4, Postfach 1356, 6301 Zug.

Gegenstand
Haftkaution, Freies Geleit,

Beschwerde gegen das Urteil vom 13. Mai 2009
des Obergerichtes des Kantons Zug, Justizkommission, Strafrechtliche Kammer.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug führt mehrere Strafuntersuchungen gegen
X.________ und weitere Beteiligte wegen gewerbsmässigen Betruges,
qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung, Veruntreuung, Urkundenfälschung
und Misswirtschaft. Am 12. November 2008 teilte der Angeschuldigte der
Staatsanwaltschaft mit, dass er seinen Wohnsitz im September 2008 nach England
verlegt habe; gleichzeitig ersuchte er um Zusicherung des Freien Geleites zur
Teilnahme an Prozesshandlungen in der Schweiz.

B.
Am 17. Februar 2009 verfügte die Staatsanwaltschaft gegenüber dem
Angeschuldigten als Ersatzmassnahme für Untersuchungshaft (bzw. als
Voraussetzung für Freies Geleit) eine Sicherheitsleistung in der Höhe von Fr.
300'000.--. Eine vom Angeschuldigten am 2. März 2009 dagegen erhobene
Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zug, Justizkommission,
Strafrechtliche Kammer, mit Urteil vom 13. Mai 2009 ab.

C.
Gegen das Urteil des Obergerichtes gelangte X.________ mit Beschwerde vom 15.
Juni 2009 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen
Entscheides.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft beantragen mit Eingaben vom 22. bzw.
24. Juni 2009 je die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer replizierte
am 6. Juli 2009.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG geben zu keinen Bemerkungen
Anlass.

2.
Nach Zuger Strafprozessordnung kann Untersuchungshaft gegen den Angeschuldigten
angeordnet werden, wenn er eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig
ist und zudem aufgrund bestimmter Anhaltspunkte befürchtet werden muss, er
werde sich durch Flucht der Strafverfolgung oder dem zu erwartenden
Strafvollzug entziehen (§ 17 Abs. 1 Ziff. 1 StPO/ZG). Als mildere
Ersatzmassnahme kann unter anderem eine Sicherheitsleistung angeordnet werden
(§ 18quater Abs. 1 Ziff. 1 StPO/ZG). Die Auferlegung einer Kaution als
Voraussetzung für die Zusicherung des Freien Geleites (bzw. der Nichtfestnahme)
stellt eine Ersatzmassnahme für strafprozessuale Haft dar. Als solche setzt die
Sicherheitsleistung hinreichende Haftgründe voraus und muss sie
verhältnismässig sein (vgl. BGE 135 I 63 E. 4.1 S. 68; 133 I 27 E. 3.2 S. 29
f., E. 3.3 S. 30, E. 3.4 S. 31 f., E. 3.5 S. 32; 130 I 234 E. 2.2 S. 236; je
mit Hinweisen).

3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe den dringenden
Tatverdacht nicht geprüft. Er habe die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft
bestritten, aber zu deren einschlägigen Eingaben nicht Stellung nehmen können.
Er rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Willkürverbotes.
Die Vorbringen des Beschwerdeführers finden in den Akten keine Stütze. Der
Tatverdacht des gewerbsmässigen Betruges, mehrfacher qualifizierter ungetreuer
Geschäftsbesorgung, mehrfacher Veruntreuung, der Urkundenfälschung und weiterer
Delikte wurde bereits in der erstinstanzlichen Verfügung der Staatsanwaltschaft
vom 17. Februar 2009 (Seiten 2-10) rechtsgenüglich dargelegt. Im angefochtenen
Entscheid wird zutreffend festgestellt, dass der Beschwerdeführer die Vorwürfe
nur pauschal bestritten und sich nicht konkreter dazu geäussert habe (vgl.
angefochtener Entscheid, S. 3 E. 1, S. 4 E. 4.1). Auch in der vorliegenden
Beschwerde setzt er sich mit den betreffenden Verdachtsgründen inhaltlich nicht
auseinander.
Der Beschwerdeführer behauptet nicht, dass ihm die Verfügung vom 17. Februar
2009 nicht ordnungsgemäss zugestellt worden wäre. Er hat sie denn auch mit
Beschwerde vom 2. März 2009 bei der Vorinstanz angefochten. Zwar macht er
geltend, die Staatsanwaltschaft habe im kantonalen Beschwerdeverfahren noch
Stellungnahmen vom 3. April bzw. 16. Mai 2009 eingereicht; diese seien ihm von
der Vorinstanz "lediglich zur Kenntnisnahme zugestellt worden", die zugehörigen
Akten überhaupt nicht. Dies vermag jedoch keinen Vorwurf der Verletzung des
rechtlichen Gehörs zu begründen:
Was die Eingabe vom 3. April 2009 betrifft, stand es dem anwaltlich vertretenen
Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren ohne Weiteres frei, nötigenfalls
Einsicht in die ihm angezeigten Begleitakten zu verlangen oder zur Eingabe
Stellung zu nehmen, bevor am 13. Mai 2009 das angefochtene Urteil erging. Die
Eingabe vom 16. Mai 2009 hat sich mit dem angefochtenen Urteil zeitlich
gekreuzt und konnte darin gar keine Berücksichtigung mehr finden. Der
Beschwerdeführer macht denn auch mit Recht nicht geltend, die Vorinstanz habe
ihren Entscheid auf die Eingabe vom 16. Mai 2009 gestützt. Im Übrigen hat er am
23. Juni 2009 auch auf den schriftlichen Schlussvorhalt vom 26. Mai 2009 (im
Strafuntersuchungsverfahren Nr. Y.________) ausführlich Stellung nehmen können.
Die Rügen der Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Willkürverbotes
erweisen sich als unbegründet.

4.
Weiter bestreitet der Beschwerdeführer das Vorliegen von Fluchtgefahr. Er habe
sich während vier Jahren für alle Einvernahmen zur Verfügung gehalten. Über
seine Abreise nach England habe er die Staatsanwaltschaft informiert und bei
gleicher Gelegenheit um Freies Geleit ersucht. Zuvor habe er 19 Jahre lang in
der Schweiz gelebt, wo seine Ehefrau wohne und einer seiner Söhne studiere. Der
angefochtene Entscheid verletze insofern das verfassungsmässige Individualrecht
der persönlichen Freiheit.

4.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes braucht es für die Annahme von
Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte bei
Verzicht auf die streitige Zwangsmassnahme der Strafverfolgung und dem Vollzug
der Strafe durch Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf
als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Zumindest bei Haftfällen genügt
sie jedoch für sich allein nicht zur Rechtfertigung der Zwangsmassnahme. Es
müssen vielmehr die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere
die gesamten Lebensverhältnisse des Angeschuldigten, in Betracht gezogen werden
(vgl. BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia 69 E. 4a S. 70; je mit Hinweisen). In
diesem Zusammenhang ist es zulässig, die familiären und sozialen Bindungen des
Angeschuldigten, dessen berufliche Situation sowie Kontakte ins Ausland und
Ähnliches mitzuberücksichtigen. Auch bei einer befürchteten Ausreise in ein
Land, das ihn grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend
verfolgen könnte, ist die Annahme von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen (BGE
123 I 31 E. 3d S. 36 f.). Bei blossen Ersatzmassnahmen für Haft sind an den
Nachweis einer hinreichenden Fluchtneigung grundsätzlich weniger hohe
Anforderungen zu stellen (BGE 133 I 27 E. 3.3 S. 31 mit Hinweisen; Urteile
1B_162/2009 vom 10. November 2009 E. 4-5; 1B_139/2007 vom 17. Dezember 2007 E.
5.1; 1P.704/2004 vom 29. Dezember 2004 E. 4.1).

4.2 Was der Beschwerdeführer vorbringt, lässt ausreichende Indizien für
Fluchtgefahr im Sinne der dargelegten Praxis nicht dahinfallen. Die Vorinstanz
erwägt, er sei bereits am 31. Juli 2008 nach England weggezogen. Der
Wohnsitzwechsel sei auffälligerweise zu einem Zeitpunkt erfolgt, als der
Beschwerdeführer Kenntnis von seiner staatsanwaltschaftlichen Vorladung vom 1.
Juli 2008 zu einer Einvernahme am 8. September 2008 gehabt habe. In der Folge
sei die Einvernahme verschoben und am 2. September 2008 neu auf den 5. November
2008 angesetzt worden. Am 8. September 2008 habe sich der Beschwerdeführer bei
der Einwohnerkontrolle von Zug schriftlich abgemeldet. Die Staatsanwaltschaft
habe vom Wohnsitzwechsel jedoch erst Mitte November 2008 (durch ein Schreiben
des Rechtsvertreters des Angeschuldigten) Kenntnis erhalten. Der
Beschwerdeführer bestreitet auch die Darstellung der kantonalen Instanzen
nicht, dass ihm im Falle einer Verurteilung wegen gewerbsmässigen Betruges und
weiteren Delikten eine empfindliche Freiheitsstrafe drohe, seine vier ältesten
Kinder ihren Wohnsitz in Deutschland hätten und er in der Schweiz (nach eigenen
Angaben) keine Berufstätigkeit mehr ausübe bzw. in London über geschäftliche
Kontakte verfüge.
Die Annahme von Fluchtgefahr hält vor der Verfassung stand. Diesbezüglich kann
ergänzend auf die ausführlichen Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden
(vgl. angefochtener Entscheid, E. 4.1-4.2).

5.
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer die Höhe der Kaution von Fr. 300'000.--
als willkürlich. Er macht geltend, er habe "alle Steuererklärungen offen
gelegt". Aus diesen sei "ohne weiteres ersichtlich, dass nicht irgendwelche
Vermögenswerte ins Ausland verschoben" worden seien.
Der Beschwerdeführer setzt sich mit den ausführlichen Erwägungen der Vorinstanz
zur Höhe der Kaution bzw. zur Frage seiner finanziellen Verhältnisse nur
kursorisch auseinander. Nach eigenen Angaben hat er (spätestens) im September
2008 seinen Wohnsitz und seine Geschäftstätigkeit nach England verlegt. Zu den
Einkommensquellen, mit denen er dort seinen Lebensunterhalt bestreitet, macht
er keine überprüfbaren Angaben. Insbesondere legt er weder aktuelle (britische)
Fiskalunterlagen vor, noch andere amtliche Bescheinigungen. Seine früheren
schweizerischen Steuerdeklarationen widerlegen den begründeten Verdacht der
kantonalen Instanzen nicht, dass er Vermögenswerte von mehreren Millionen
Franken ins Ausland transferiert haben könnte. Diesbezüglich (und hinsichtlich
des mutmasslichen Deliktsbetrages in Millionenhöhe) kann auf die willkürfreien
Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (vgl. angefochtener Entscheid, S.
6-7, E. 5).

6.
Die Beschwerde ist abzuweisen.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung
ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG). Soweit die Ausführungen in der
Beschwerdeschrift (S. 3, Ziff. 9 in fine) als Gesuch um aufschiebende Wirkung
der Beschwerde zu interpretieren sind, wird der Antrag mit dem vorliegenden
Entscheid in der Sache hinfällig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zug, II. Abteilung, und dem Obergericht des Kantons Zug, Justizkommission,
Strafrechtliche Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. November 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster