Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.167/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_167/2009

Urteil vom 24. Juni 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Raselli,
Gerichtsschreiber Kappeler.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Valentin Isler,

gegen

Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich.

Gegenstand
Anordnung Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 30. Mai 2009
des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter.
Sachverhalt:

A.
X.________ wurde 1968 geboren und ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am
10. März 2009 verhaftet und am 13. März 2009 in Untersuchungshaft versetzt. Am
19. Mai 2009 hat die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat gegen ihn beim
Bezirksgericht Zürich Anklage wegen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz
(u.a. Handel mit grossen Mengen Heroin) erhoben. In der Folge wurde er vom
Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich mit Verfügung vom 30. Mai 2009 in
Sicherheitshaft versetzt.

B.
Gegen diesen Entscheid erhebt X.________ mit Eingabe vom 12. Juni 2009 beim
Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die Aufhebung des
angefochtenen Entscheids und die sofortige Haftentlassung. Eventuell verlangt
er die Anordnung von Ersatzmassnahmen. Für das bundesgerichtliche Verfahren
ersucht er um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
Er hält die Fortsetzung der Haft mangels Fluchtgefahr für ungerechtfertigt und
rügt eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2
i.V.m. Art. 31 Abs. 1 BV).

C.
Die Staatsanwaltschaft und der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich
verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Ein kantonales Rechtsmittel ist gegen den angefochtenen Entscheid nicht
gegeben, weshalb die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 80 i.V.m. Art. 130
Abs. 1 BGG zulässig ist. Die übrigen Eintretenserfordernisse nach Art. 78 ff.
BGG geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
2.1 Sicherheitshaft muss als schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht der
persönlichen Freiheit auf einer klaren gesetzlichen Grundlage in einem Gesetz
beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein (Art. 10
Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 1 und Art. 36 BV).
Im Kanton Zürich kann Sicherheitshaft (u.a.) angeordnet und fortgesetzt werden,
wenn gegen den Angeschuldigten Anklage erhoben worden ist, er dringend eines
Verbrechens oder Vergehens verdächtigt wird und ausserdem aufgrund bestimmter
Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, er werde sich der
Strafverfolgung oder der zu erwartenden Strafe durch Flucht entziehen oder er
werde Spuren oder Beweismittel beseitigen, Dritte zu falschen Aussagen zu
verleiten suchen oder die Abklärung des Sachverhaltes auf andere Weise
gefährden (§ 67 in Verbindung mit § 58 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 der
Strafprozessordnung [des Kantons Zürich] vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH; LS 321]).

Im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs prüft das Bundesgericht die Auslegung
und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch reine
Sachverhaltsfeststellungen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen
sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen
der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 132 I 21 E. 3.2.3 S. 24 mit
Hinweisen).

2.2 Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass gegen ihn der allgemeine
Haftgrund des dringenden Tatverdachts gegeben ist. Zu prüfen bleibt daher, ob
auch ein besonderer Haftgrund vorliegt.
2.3
2.3.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme von
Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die angeschuldigte
Person, wenn sie in Freiheit wäre, der Strafverfolgung oder dem zu erwartenden
Strafvollzug entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein
Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein
nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des
betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Lebensverhältnisse der
angeschuldigten Person, in Betracht gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62;
117 Ia 69 E. 4a S. 70; je mit Hinweisen). Zu berücksichtigen sind
beispielsweise die familiären und sozialen Bindungen des Häftlings, dessen
berufliche, finanzielle und gesundheitliche Situation sowie Kontakte ins
Ausland und Ähnliches.
2.3.2 Die Vorinstanz führt aus, dass gegen den Beschwerdeführer eine
Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren beantragt sei, wovon zwölf Monate
vollzogen werden sollen. Denkbar sei jedoch nur schon angesichts der
gehandelten Heroinmenge auch eine höhere Strafe. Der Beschwerdeführer sei
türkischer Staatsangehöriger und verfüge über eine Niederlassungsbewilligung C.
Er habe familiäre Bindungen in der Schweiz, aber auch zur Türkei, wo sein Vater
und seine Geschwister leben würden. In Anbetracht der beantragten
Freiheitsstrafe, der Art der ihm vorgeworfenen Delikte und der bisher erwirkten
Vorstrafen müsse er ernsthaft damit rechnen, dass er nach einer Verurteilung
die Niederlassungsbewilligung verliere und die Schweiz verlassen müsse. Es sei
daher nicht zu erwarten, dass er sich nach einer Haftentlassung weiterhin zur
Verfügung halten werde, nur um nach dem ihm bevorstehenden Teilvollzug der
Freiheitsstrafe das Land doch noch verlassen zu müssen.
2.3.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, seine familiären Bindungen zur
Schweiz seien wegen der hier geborenen und aufgewachsenen vier Kinder und einer
hier lebenden Cousine weitaus intensiver als jene zu seinem Vater und zu seinen
beiden Geschwister in der Türkei. Angesichts seines kooperativen Verhaltens
seit Beginn der Untersuchung sei denkbar, dass eine vollständig bedingte Strafe
von maximal zwei Jahren ausgefällt werde. Einschlägige Vorstrafen lägen nicht
vor; dem Strafbescheid der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen vom 4. Mai
2006 habe eine Beziehungsstreitigkeit zugrunde gelegen und beim Strafbefehl der
Bezirksanwaltschaft Horgen vom 19. September 2001 sei es um ein SVG-Delikt
gegangen. In beiden Fällen seien kurze, bedingte Freiheitsstrafen ausgefällt
worden. Da er seit 30 Jahren ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz
lebe, erscheine im Falle einer Verurteilung zu einer teilbedingten Strafe von
zweieinhalb Jahren ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung als
unverhältnismässig. Zudem habe er sich weder wegen eines Gewaltdelikts noch
wegen wiederholter schwerer Straffälligkeit vor Gericht zu verantworten.
2.3.4 Die Vorinstanz durfte die dem (bereits vorbestraften) Beschwerdeführer
drohende empfindliche Freiheitsstrafe als erhebliches Fluchtindiz
berücksichtigen. Er ist zudem türkischer Staatsangehöriger, wurde in seinem
Heimatland geboren und verfügt über familiäre Beziehungen in die Türkei, wo
sein Vater und seine Geschwister leben. In der Schweiz hat er zwar vier Kinder,
er ist aber geschieden und macht nicht geltend, dass ihm die elterliche Sorge
für die Kinder zustehe. Den eigenen Angaben zufolge ist er mittellos und
verfügt über kein Vermögen in der Schweiz. Unter Berücksichtigung der
Vorstrafen ist mit erheblicher Wahrscheinlichkeit (wenn auch nicht zwingend)
damit zu rechnen, dass eine Verurteilung zu einer teilbedingten Strafe von
zweieinhalb Jahren wegen Handels mit Heroin den Widerruf der
Niederlassungsbewilligung nach sich ziehen wird (vgl. Art. 63 i.V.m. Art. 62
des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer
[AuG; SR 142.20]). Die Annahme der Vorinstanz, dass unter diesen Umständen
Fluchtgefahr bestehe, ist demnach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

2.4 Da Sicherheitshaft bereits beim Vorliegen eines Haftgrunds zulässig ist,
muss nicht geprüft werden, ob vorliegend auch weitere besondere Haftgründe
(Kollusions- oder Wiederholungsgefahr) erfüllt sind.

2.5 Als verfassungskonform erweist sich auch die Einschätzung der Vorinstanz,
der dargelegten Fluchtneigung lasse sich mit blossen Ersatzmassnahmen für
Sicherheitshaft nicht ausreichend begegnen (vgl. BGE 135 I 71 E. 2.16 S. 78 f.;
133 I 270 E. 3.3.1 S. 279). Dabei durfte sie (sinngemäss) mitberücksichtigen,
dass eine Pass- und Schriftensperre oder eine regelmässige Meldepflicht den
Beschwerdeführer an einer Flucht kaum wirksam zu hindern vermöchten und eine
Kautionsleistung angesichts seiner prekären finanziellen Situation nicht in
Betracht fiele.

3.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da die
gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG), ist dem
Begehren stattzugeben. Es sind daher keine Gerichtskosten zu erheben und dem
Rechtsvertreter ist eine angemessene Entschädigung auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.

2.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2 Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Valentin Isler, wird aus
der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'000.-- ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. Juni 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Kappeler