Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.162/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_162/2009

Urteil vom 10. November 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Forster.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Raess,

gegen

Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt, Taubenstrasse 16, 3003 Bern,
Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern.

Gegenstand
Ersatzmassnahmen für Haft,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 11. Mai 2009
des Bundesstrafgerichtes, I. Beschwerdekammer.
Sachverhalt:

A.
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft (BA) führt seit Oktober 2004 ein
gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen X.________ und Mitbeschuldigte
wegen des Verdachtes des gewerbsmässigen Anlagebetruges und weiterer Delikte.
Im Verlauf des Ermittlungsverfahrens wurde er zweimal verhaftet, letztmals am
6. März 2007. Schon anlässlich seiner ersten Entlassung aus der
Untersuchungshaft wurde ihm als Ersatzmassnahme eine Fluchtkaution in der Höhe
von Fr. 1 Mio. auferlegt. Bei seiner letzten Haftentlassung am 19. März 2007
wurde zusätzlich eine Sperre des Reisepasses gegen ihn verfügt. Gleichzeitig
wurde der Beschuldigte verpflichtet, sich alle drei Wochen auf der Polizeiwache
der Kantonspolizei in Frick (AG) zu melden.

B.
Mit Eingaben vom 30. Januar 2009 beantragte der Beschuldigte die Reduktion der
Kaution sowie die Aufhebung der Reisepasssperre und der polizeilichen
Meldepflicht. Am 11. März 2009 wies das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt
(Eidg. URA) die Anträge ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde hiess das
Bundesstrafgericht, I. Beschwerdekammer, mit Entscheid vom 11. Mai 2009
teilweise gut, indem es die polizeiliche Meldepflicht aufhob.

C.
Gegen den Entscheid des Bundesstrafgerichtes vom 11. Mai 2009 gelangte
X.________ mit Beschwerde vom 8. Juni 2009 an das Bundesgericht. Er beantragt
die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, soweit die ihm auferlegten
Ersatzmassnahmen darin bestätigt wurden.
Die BA beantragt mit Stellungnahme vom 16. Juni 2009 die Abweisung der
Beschwerde. Das Bundesstrafgericht hat auf Vernehmlassung ausdrücklich
verzichtet, während vom Eidg. URA innert angesetzter Frist keine Stellungnahme
einging. Der Beschwerdeführer replizierte am 23. Juni 2009.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 79 ff. BGG geben zu keinen Bemerkungen
Anlass.

2.
Im angefochtenen Entscheid wird zunächst auf die Darstellung der BA verwiesen,
wonach der Beschwerdeführer seit Jahren und auch während des
Ermittlungsverfahrens enge Beziehungen nach Mauritius gepflegt habe. Die BA
habe Kenntnis, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau dort
Bankverbindungen eröffnet hätten. Auch nach seiner Haftentlassung habe der
Beschuldigte Instruktionen an in diesem Land wohnhafte Personen erteilt (vgl.
angefochtener Entscheid, S. 8 f., E. 5.2). Die Vorinstanz setzt sich mit den
Vorbringen der BA kritisch auseinander. Zwar ergebe sich aus den Akten, dass
der Beschwerdeführer zwischen 1997 und 2004 13-mal nach Mauritius gereist sei
und dass er dort dauernd ein Hotelzimmer (bzw. ein Haus) gemietet habe. Die in
einem Schreiben des Beschwerdeführers vom 20. Februar 2006 an die
Hoteldirektion enthaltene Aufforderung, alle seine persönlichen Gegenstände und
diejenigen seiner Ehefrau seien an eine Drittperson herauszugeben, spreche
jedoch dafür, dass "diese Bleibe dem Beschwerdeführer nicht mehr zur Verfügung"
stehe. Hinsichtlich der von der BA erwähnten Bankkonten lägen der Vorinstanz
"keine Unterlagen vor, welche Rückschlüsse auf einen engen persönlichen Bezug
des Beschwerdeführers zu Mauritius belegen würden" (angefochtener Entscheid, S.
9, E. 5.3 zweiter Absatz).
Weiter erwägt das Bundesstrafgericht Folgendes: Das bisherige Wohlverhalten des
Beschwerdeführers im Ermittlungsverfahren schliesse Fluchtgefahr nicht aus,
sondern könne auch als Indiz für die Wirksamkeit der streitigen
Ersatzmassnahmen interpretiert werden. Angesichts der untersuchten Straftaten
und der Deliktssumme im dreistelligen Millionenbereich mit einer grossen Zahl
von mutmasslichen Geschädigten drohten dem Beschwerdeführer eine mehrjährige
Freiheitsstrafe sowie hohe Schadenersatzforderungen. Zwar würde "dies alleine
kaum zur Rechtfertigung einer Inhaftierung" genügen. "Nachdem jedoch bei
blossen Ersatzmassnahmen für Untersuchungshaft die Anforderungen an den
Nachweis des Bestehens einer Fluchtneigung weniger weiter gehen", sei die
Annahme ausreichender Fluchtindizien durch die Strafverfolgungsbehörden nicht
zu beanstanden (angefochtener Entscheid, S. 9, E. 5.3 erster Absatz). Die Höhe
der Kaution sowie die Weiterdauer der Reisepasssperre seien verhältnismässig
(vgl. angefochtener Entscheid, S. 10 f., E. 6.1-6.3).

3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, es sei keine Fluchtgefahr mehr gegeben,
weshalb auch die noch verbliebenen Ersatzmassnahmen (Kaution und
Reisepasssperre) aufzuheben seien. Die Auffassung des Bundesstrafgerichtes, für
deren Aufrechterhaltung genüge eine blosse Fluchtneigung, sei mit Art. 53 BStP
nicht vereinbar. Zur Begründung verweise die Vorinstanz lediglich auf die
drohende Freiheitsstrafe bzw. die drohenden Schadenersatzforderungen. Weitere
Indizien für Fluchtgefahr würden im angefochtenen Entscheid nicht genannt. Er,
der Beschwerdeführer, sei Schweizer Bürger, habe immer in der Schweiz gelebt
und sei hier verheiratet. Seit seiner Haftentlassung habe er alle behördlichen
Auflagen beachtet und sämtlichen Vorladungen Folge geleistet. Mit der ihm vor
gut zwei Jahren ausgehändigten Identitätskarte habe er die Schweiz nie
verlassen. Engere Beziehungen ins Ausland pflege er nicht. Die
Strafuntersuchung habe er mit einer polizeilichen Anzeige im September 2004
selber ausgelöst. Seine sämtlichen Vermögenswerte seien beschlagnahmt worden.

4.
Der Beschuldigte, der wegen Fluchtverdachtes verhaftet ist oder in Haft zu
setzen wäre, kann in Freiheit gelassen werden gegen Bestellung einer Sicherheit
dafür, dass er sich jederzeit vor der zuständigen Behörde oder zur Erstehung
einer Strafe stellen werde (Art. 53 BStP). Bei Pass- und Schriftensperren sowie
polizeilichen Meldepflichten handelt es sich um weitere mildere
Ersatzmassnahmen anstelle von strafprozessualer Haft, mit denen (im Rahmen der
Verhältnismässigkeit) einer gewissen Fluchtneigung des Beschuldigten vorgebeugt
werden soll (BGE 130 I 234 E. 2.2 S. 236 mit Hinweisen). Die betreffenden
Zwangsmassnahmen werden zwar im BStP nicht ausdrücklich erwähnt. Da sie die
persönliche Freiheit weniger stark einschränken als die im Gesetz geregelte
Freiheitsentziehung, besteht für die fraglichen Ersatzmassnahmen jedoch (im
Sinne von Art. 36 Abs. 1 BV) eine genügende gesetzliche Grundlage. Sie setzen
hinreichende Haftgründe voraus, müssen verhältnismässig sein und können einzeln
oder (soweit sachlich geboten) auch kumuliert angeordnet werden (BGE 133 I 27
E. 3.2 S. 29 f., E. 3.3 S. 30, E. 3.4 S. 31 f., E. 3.5 S. 32, je mit
Hinweisen).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes braucht es für die Annahme von
"Fluchtverdacht" (im Sinne von Art. 44 Ziff. 1 BStP) eine gewisse
Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte bei Verzicht auf die
streitigen Zwangsmassnahmen der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe
durch Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein
Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Zumindest bei Haftfällen genügt sie
jedoch für sich allein nicht zur Rechtfertigung der Zwangsmassnahme. Es müssen
vielmehr die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die
gesamten Lebensverhältnisse des Beschuldigten, in Betracht gezogen werden (vgl.
BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia 69 E. 4a S. 70; je mit Hinweisen). In diesem
Zusammenhang ist es zulässig, die familiären und sozialen Bindungen des
Beschuldigten, dessen berufliche Situation sowie Kontakte ins Ausland und
Ähnliches mitzuberücksichtigen. Auch bei einer befürchteten Ausreise in ein
Land, das ihn grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend
verfolgen könnte, ist die Annahme von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen (BGE
123 I 31 E. 3d S. 36 f.). Bei blossen Ersatzmassnahmen für Haft sind an den
Nachweis einer hinreichenden Fluchtneigung grundsätzlich weniger hohe
Anforderungen zu stellen (BGE 133 I 27 E. 3.3 S. 31 mit Hinweisen; Urteile
1B_139/2007 vom 17. Dezember 2007 E. 5.1; 1P.704/2004 vom 29. Dezember 2004 E.
4.1).

5.
Im angefochtenen Entscheid werden ausreichende Anhaltspunkte für eine gewisse
Fluchtneigung dargelegt (vgl. oben, E. 2). Unter dem Gesichtspunkt der
Verhältnismässigkeit hat die Vorinstanz auch zutreffend mitberücksichtigt,
welche Arten von Ersatzmassnahmen für strafprozessuale Haft gestützt auf die
erwähnten Fluchtindizien aufrechterhalten werden sollen. Falls die
Eingriffsintensität sinkt, ist an den Nachweis von "Fluchtverdacht" im Sinne
von Art. 44 Ziff. 1 und Art. 53 BStP in der Regel ein weniger strenger Massstab
anzulegen. Untersuchungshaft stellt jedenfalls eine deutlich schärfere
Zwangsmassnahme dar als blosse Ersatzmassnahmen für Haft wie Pass- und
Schriftensperren oder Meldepflichten. Insofern haben für den strafprozessualen
Freiheitsentzug auch unter dem Gesichtspunkt der Haftgründe qualifizierte
Anforderungen zu gelten. Die Ansicht des Beschwerdeführers, die Anordnung von
blossen Ersatzmassnahmen für Haft verlange stets die gleich hohe Intensität der
Fluchtneigung wie die Anordnung von Haft, liesse sich mit dem Grundsatz der
Verhältnismässigkeit (Art. 36 Abs. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 BV) kaum
vereinbaren; sie liefe praktisch darauf hinaus, dass bei Fluchtgefahr keine
milderen Ersatzmassnahmen anstelle von Haft mehr verfügt werden könnten. An
anderer Stelle wird in der Beschwerdeschrift denn auch eingeräumt, dass, "je
akuter die Fluchtgefahr ist, desto weniger Ersatzmassnahmen in Betracht"
kommen.
An der nach der konkreten Eingriffsintensität differenzierenden dargelegten
Praxis (vgl. oben, E. 4) ist nach dem Gesagten festzuhalten. Im vorliegenden
Fall ist auch noch zu beachten, dass die ursprünglich verfügten
Ersatzmassnahmen unterdessen stufenweise reduziert worden sind: Die
Identitätskarte wurde dem Beschwerdeführer bereits vor ca. zwei Jahren wieder
ausgehändigt, die polizeiliche Meldepflicht im angefochtenen Entscheid
aufgehoben. Dass die Vorinstanz die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung
der noch streitigen Ersatzmassnahmen als erfüllt ansah, hält vor dem
Bundesrecht stand.

6.
Die Beschwerde ist abzuweisen.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung
ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Eidgenössischen
Untersuchungsrichteramt, der Bundesanwaltschaft und dem Bundesstrafgericht, I.
Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. November 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster