Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.130/2009
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2009
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2009


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_130/2009

Urteil vom 15. Juli 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
Firma X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter
Gessler,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, An der Aa 4, Postfach 1356, 6301 Zug.

Gegenstand
Herausgabe von Unterlagen und Entsiegelung,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 16. April 2009 des Obergerichts des Kantons
Zug, Justizkommission, Strafrechtliche Kammer.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) führt
eine Strafuntersuchung gegen Unbekannt wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung zum
Nachteil der Firma X.________.
Gestützt auf Erkenntnisse aus diesem Verfahren eröffnete die Staatsanwaltschaft
je eine Strafuntersuchung gegen Y.________ und Z.________ wegen des Verdachts
der Veruntreuung und ungetreuen Geschäftsbesorgung zum Nachteil der Firma
X.________. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden vor, Provisionen, die ihnen
als hochrangige Funktionäre der Firma X.________ zugekommen seien, dieser
treuwidrig nicht abgeliefert und sich dadurch unrechtmässig bereichert zu
haben.
Mit Verfügung vom 8. Oktober 2008 forderte die Staatsanwaltschaft die Firma
X.________ im Verfahren gegen Y.________ auf, ihr verschiedene Unterlagen
herauszugeben.
Mit Verfügung vom 15. Oktober 2008 forderte die Staatsanwaltschaft die Firma
X.________ im Verfahren gegen Z.________ auf, ihr weitere Dokumente
herauszugeben.
Gegen diese beiden Verfügungen erhob die Firma X.________ je Beschwerde bei der
Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug (Verfahren Nrn. JS 2008 82
und JS 2008 83).
Mit Präsidialverfügung vom 24. bzw. 28. Oktober 2008 wies der Vorsitzende der
Justizkommission die Gesuche der Firma X.________ um aufschiebende Wirkung ab.
Er wies diese darauf hin, sie könne die Versiegelung der herauszugebenden
Schriftstücke beantragen.
Am 28. und 30. Oktober 2008 reichte die Firma X.________ der Staatsanwaltschaft
die verlangten Unterlagen in verschlossenen Umschlägen ein und beantragte deren
Versiegelung.
Mit zwei Verfügungen vom 10. November 2008 ordnete die Staatsanwaltschaft die
Entsiegelung dieser Unterlagen an.
Dagegen erhob die Firma X.________ je Beschwerde bei der Justizkommission
(Verfahren Nrn. JS 2008 87 und JS 2008 88).

Am 11. und 13. November 2008 reichte die Firma X.________ der
Staatsanwaltschaft weitere Schriftstücke in verschlossenen Umschlägen ein und
beantragte deren Versiegelung.

Mit separaten Verfügungen vom 21. November 2008 ordnete die Staatsanwaltschaft
die Entsiegelung auch dieser Unterlagen an.
Dagegen erhob die Firma X.________ ebenfalls je Beschwerde bei der
Justizkommission (Verfahren Nrn. JS 2008 92 und JS 2008 93).

B.
Mit Entscheid vom 16. April 2009 trat die Justizkommission auf die gegen die
Herausgabeverfügungen erhobenen Beschwerden nicht ein. Die gegen die
Entsiegelungsverfügungen erhobenen Beschwerden wies sie ab.

C.
Die Firma X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der
Entscheid der Justizkommmission sei aufzuheben; die Akten seien an diese
zurückzuweisen, damit sie der Firma X.________ Akteneinsicht gewähre, ihr
darauf Gelegenheit zur Stellungnahme gebe und neu entscheide.

D.
Die Justizkommission beantragt unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid
die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Die Staatsanwaltschaft hat Bemerkungen eingereicht mit dem Antrag, die
Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde
in Strafsachen gegeben.
Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach
Art. 80 BGG zulässig.
Die Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ein
rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids
(vgl. Urteile 1B_208/2007 vom 23. Januar 2008 E. 1.4, in: Pra 2008 Nr. 61 S.
409; 1P.418/1998 vom 3. November 1998 E. 1c). Sie ist damit gemäss Art. 81 Abs.
1 BGG zur Beschwerde befugt.
Der angefochtene Entscheid schliesst die Strafverfahren - auch in Bezug auf die
Beschwerdeführerin, welcher Geschädigtenstellung zukommt - nicht ab. Es handelt
sich um einen Zwischenentscheid nach Art. 93 BGG. Die Entsiegelung der
Unterlagen führte zu einer Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen der
Beschwerdeführerin. Damit bestünde für diese die Möglichkeit eines nicht wieder
gutzumachenden Nachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (vgl. Urteile
1B_208/2007 vom 23. Januar 2008 E. 1.1 ff., in: Pra 2008 Nr. 61 S. 409; 1P.501/
2002 vom 17. Dezember 2002 E. 1.1; 1P.418/1998 vom 3. November 1998 E. 1c). Die
Beschwerde ist auch insoweit zulässig.

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe bisher keine Akteneinsicht
erhalten, was Art. 29 Abs. 2 BV verletze. Wenn sie Akteneinsicht gehabt haben
werde, werde sie darlegen können, dass die Vorinstanz den Sachverhalt
offensichtlich unrichtig und damit willkürlich festgestellt habe. Die
Verweigerung der Akteneinsicht führe im Ergebnis dazu, dass die
Beschwerdeführerin gegen eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung faktisch
keine Beschwerde erheben könne, so dass Art. 9 BV und Art. 95 bzw. Art. 97 BGG
ausser Kraft gesetzt würden, was nicht rechtens sein könne.

2.2 Bei der Rüge der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung stellt die
Rechtsprechung strenge Anforderungen an die Begründungspflicht (BGE 133 II 249
E. 1.4.3 S. 255).
Soweit die Beschwerdeführerin eine offensichtlich unrichtige und damit
willkürliche Sachverhaltsfeststellung geltend macht, räumt sie selber ein, dass
sie - ohne Akteneinsicht - nicht in der Lage ist, das Vorbringen zu
substantiieren. Fehlt es aber nach den eigenen - zutreffenden - Darlegungen der
Beschwerdeführerin an einer Substantiierung der Rüge, genügt die Beschwerde
insoweit den Begründungsanforderungen nicht und kann darauf nicht eingetreten
werden. Die Beschwerdeführerin kann eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung
nicht gewissermassen auf Vorrat rügen. In der Sache macht sie einen
Beweisnotstand geltend, weil sie in Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV keine
Akteneinsicht erhalten habe. Zu prüfen ist, wie es sich damit verhält.

2.3 Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, bei der Vorinstanz Akteneinsicht
verlangt zu haben. Der angefochtene Entscheid geht hierauf denn auch nicht ein.
Die Beschwerdeführerin bringt die Frage des Akteneinsichtsrechts im
bundesgerichtlichen Verfahren erstmals zur Sprache:
In den Beschwerdeverfahren Nrn. JS 2008 82 und JS 2008 83 (gegen die
Herausgabeverfügungen) bestritt die Beschwerdeführerin die örtliche
Zuständigkeit der Zuger Behörden. In den Beschwerdeverfahren Nrn. JS 2008 87
und JS 2008 88 (gegen die ersten Entsiegelungsverfügungen) äusserte sie sich
wiederum zur Zuständigkeitsfrage und berief sich auf den Geheimnisschutz. In
den Beschwerdeverfahren Nrn. JS 2008 92 und JS 2008/93 (gegen die zweiten
Entsiegelungsverfügungen) machte sie erneut Ausführungen zur
Zuständigkeitsfrage und verwies auf die Interessen an der Wahrung der Privat-
und Geschäftssphäre. Weder beschwerte sich die Beschwerdeführerin je über eine
Gehörsverletzung durch die Staatsanwaltschaft, noch verlangte sie je
Akteneinsicht in den Beschwerdeverfahren.
War die Beschwerdeführerin der Auffassung, die Staatsanwaltschaft habe ihren
Anspruch auf rechtliches Gehör bzw. Akteneinsicht verletzt, hätte sie das in
ihren Eingaben an die Vorinstanz rügen müssen, was sie aber nicht getan hat. Es
wäre ihr sodann unbenommen gewesen, im Rahmen der verschiedenen
Beschwerdeverfahren bei der Vorinstanz Akteneinsicht zu verlangen. Auch das hat
sie nicht getan.
Soweit die Beschwerdeführerin der Staatsanwaltschaft eine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör vorwerfen sollte, wäre danach auf die Rüge
mangels Erschöpfung des Instanzenzuges nicht einzutreten. Letztinstanzlichkeit
im Sinne von Art. 80 Abs. 1 BGG bedeutet, dass der kantonale Instanzenzug für
Rügen, die dem Bundesgericht vorgetragen werden, ausgeschöpft sein muss (vgl.
BGE 5A_34/2009 vom 26. Mai 2009 E. 4.3; Urteil 6B_32/2008 vom 13. Mai 2008 E.
3.2).
Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die Vorinstanz habe ihr die
Akteneinsicht verweigert, ist die Beschwerde deshalb unbegründet, weil die
Beschwerdeführerin keine Akteneinsicht verlangt hat. Die Vorinstanz konnte
daher die gerügte Gehörsverletzung nicht begehen. Dass die Vorinstanz
bundesrechtlich verpflichtet gewesen wäre, der Beschwerdeführerin ohne
entsprechenden Antrag die Akten zur Einsichtnahme zuzustellen, macht diese
nicht geltend und ist nicht ersichtlich.
Die Rüge der Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV erweist sich danach, soweit
darauf überhaupt eingetreten werden kann, als unbegründet.

2.4 Die Beschwerdeführerin umschreibt einleitend (Beschwerde S. 5 f. Ziff. 6)
die Beschwerdegründe. Dabei beschränkt sie sich auf die Rügen der willkürlichen
Sachverhaltsfeststellung und der Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht (vgl.
ebenso Beschwerde S. 2 oben). Weitere Rügen nennt sie nicht. Mit Blick darauf
sowie den Beschwerdeantrag ist davon auszugehen, dass ihre Vorbringen zur
behaupteten fehlenden Zuständigkeit der Zuger Behörden und zum angeblich
mangelnden Tatverdacht gegen Y.________ und Z.________ nicht als eigenständige
Rügen zu betrachten sind, sondern lediglich der Untermauerung des geltend
gemachten Interesses an der Akteneinsicht dienen. Wären diese Vorbringen als
selbständige Rügen anzusehen, genügten sie den Begründungsanforderungen (Art.
42 Abs. 2 BGG) jedenfalls nicht, so dass darauf ohnehin nicht eingetreten
werden könnte. Dasselbe gilt, soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die
vorinstanzliche Annahme richtet, ihr Geheimhaltungsinteresse werde hinreichend
gewahrt.

3.
Die Beschwerde ist danach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Kosten (Art.
66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Zug, Justizkommission, Strafrechtliche Kammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Juli 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri