Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.122/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_122/2009

Urteil vom 10. Juni 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Dold.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Caterina
Nägeli,

gegen

Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 7. Mai 2009
des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter.
Sachverhalt:

A.
X.________ wurde mit Verfügung des Haftrichters des Bezirksgerichts Zürich vom
7. Mai 2008 in Untersuchungshaft gesetzt. Mittlerweile befindet er sich in
Sicherheitshaft. Das Bezirksgericht Zürich verurteilte ihn am 25. März 2009
wegen gewerbsmässigen Betrugs und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 24
Monaten, wobei 12 Monate als unbedingt und 12 Monate als bedingt vollziehbar
ausgesprochen wurden. Vom Vorwurf der mehrfachen Urkundenfälschung wurde er
freigesprochen. Gleichentags wurde mit Präsidialverfügung die Fortführung der
Sicherheitshaft bis zum möglichen Strafantritt, längstens jedoch bis zum 5. Mai
2009 angeordnet. Am 26. März 2009 legte die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts ein. Am 5. Mai 2009 verfügte sie,
dass der Angeschuldigte vorläufig festgenommen bleibe und beantragte dem
Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich die Fortführung der Sicherheitshaft. Mit
Verfügung vom 7. Mai 2009 leistete der Haftrichter dem Antrag der
Staatsanwaltschaft Folge.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 14. Mai 2009 beantragt
die Rechtsvertreterin von X.________ im Wesentlichen, die Verfügung des
Haftrichters vom 7. Mai 2009 sei aufzuheben und X.________ sei aus der Haft zu
entlassen. Eventualiter seien Ersatzmassnahmen anzuordnen. Mit Schreiben vom
13. Mai 2009 hatte X.________ selbst Beschwerde erhoben, diese jedoch für den
Fall, dass seine Rechtsvertreterin in seinem Namen ein Rechtsmittel einlegen
würde, als unbeachtlich bezeichnet.

Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Mit Schreiben vom 21. und 27. Mai 2009 nahmen der Beschwerdeführer und in
seinem Namen seine Rechtsvertreterin erneut Stellung.

Erwägungen:

1.
Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den angefochtenen
Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 i.V.m.
Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am
Verfahren teil und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des
angefochtenen Entscheids. Er ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde
berechtigt. Das Bundesgericht kann nach Art. 107 Abs. 2 BGG bei Gutheissung der
Beschwerde in der Sache selbst entscheiden. Deshalb ist der Antrag auf
Haftentlassung zulässig. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt
sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer macht Überhaft und damit eine Verletzung seines
verfassungsmässigen Rechts auf persönliche Freiheit geltend.

2.2 Die Sicherheitshaft schränkt die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers
ein (Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 BV, Art. 5 EMRK). Eine Einschränkung dieses
Grundrechts ist zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im
öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist. Zudem darf sie den
Kerngehalt des Grundrechts nicht beeinträchtigen (Art. 36 BV).
Unverhältnismässig ist die Einschränkung der persönlichen Freiheit unter
anderem dann, wenn die Haft in grosse zeitliche Nähe der (im Falle einer
rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der
freiheitsentziehenden Sanktion rückt. Der grossen zeitlichen Nähe ist auch
deshalb besondere Beachtung zu schenken, weil der Strafrichter dazu neigen
könnte, die Dauer der nach Art. 51 StGB anrechenbaren Untersuchungshaft bei der
Strafzumessung mitzuberücksichtigen (BGE 133 I 270 E. 3.4.2 S. 281 f. mit
Hinweisen).

2.3 Nach der Rechtsprechung ist bei der Prüfung der zulässigen Haftdauer der
Umstand, dass die in Aussicht stehende Freiheitsstrafe bedingt ausgesprochen
werden kann, wie auch die Möglichkeit einer bedingten Entlassung aus dem
Strafvollzug im Grundsatz nicht zu berücksichtigen (BGE 125 I 60 E. 3d S. 64;
Urteile 1B_234/2008 vom 8. September 2008 E. 3; 1B_6/2007 vom 20. Februar 2007
E. 2.5; je mit Hinweisen). Dem Entscheid des Sachrichters soll insofern nicht
vorgegriffen werden. Vom Grundsatz der Nichtberücksichtigung der Möglichkeit
einer bedingten Entlassung ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dann
eine Ausnahme zu machen, wenn bereits vor dem Strafvollzug absehbar ist, dass
eine bedingte Entlassung mit grosser Wahrscheinlichkeit erfolgen dürfte (Urteil
1B_234/2008 vom 8. September 2008 E. 3 mit Hinweis). Mit der Frage der
Verhältnismässigkeit der Sicherheitshaft nach Ergehen eines erstinstanzlichen
Urteils, wenn eine bedingte bzw. teilbedingte Strafe im Raum steht, hat sich
das Bundesgericht ebenfalls schon befasst:
Im Fall, der dem Urteil 1P.62/1997 vom 27. Februar 1997 zugrunde lag, war der
Beschwerdeführer erstinstanzlich zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Er
legte Berufung ein und stellte sodann ein Gesuch um Entlassung aus der
Sicherheitshaft, welche ihm jedoch nicht gewährt wurde. Auf seine Beschwerde
hin erwog das Bundesgericht, es sei grundsätzlich nicht auszuschliessen, dass
die Berufungsinstanz der ersten Instanz folgend erneut eine unbedingt zu
vollziehende Strafe ausspreche. Insoweit bilde der Umstand, dass das
Obergericht den Beschwerdeführer möglicherweise nur zu einer bedingten Strafe
verurteile, für sich allein keinen Grund, den Beschwerdeführer aus der
Sicherheitshaft zu entlassen (a.a.O., E. 4b).

In einem jüngeren Fall war die Beschwerdeführerin erstinstanzlich zu einer
unbedingten Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt worden. Im Zeitpunkt der
Verfügung des Haftrichters befand sie sich seit gut 6 ½ Monaten in Haft. Das
Bundesgericht hielt fest, es sei nicht gänzlich ausgeschlossen, dass ihr das
Obergericht auf ihre Berufung hin eine ungünstige Prognose stellen würde. Die
Behauptung, es sei mit der Gewährung des bedingten Vollzugs zu rechnen, sei
reine Spekulation (Urteil 1B_6/2007 vom 20. Februar 2007 E. 2.5).

2.4 Auch im vorliegenden Fall ist als Ausgangspunkt das erstinstanzliche Urteil
zu nehmen. Im Unterschied zu den beiden erwähnten Entscheiden lautet dieses
indessen nicht auf eine unbedingte, sondern auf eine teilbedingte Strafe. Zudem
müsste der Beschwerdeführer bei einer Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils
durch das Obergericht keinen weiteren Freiheitsentzug erdulden, zumal bereits
jetzt die erstandene Haft die erstinstanzlich ausgesprochene unbedingte
Freiheitsstrafe übersteigt.

Vor dem Hintergrund der dargelegten Rechtsprechung entscheidet sich die
Verhältnismässigkeit der Sicherheitshaft deshalb danach, ob Anhaltspunkte dafür
bestehen, dass das Obergericht eine schärfere Strafe aussprechen könnte. Dies
wäre zum einen dann der Fall, wenn trotz Freispruchs durch das Bezirksgericht
ein dringender Tatverdacht auf mehrfache Urkundenfälschung bejaht werden
könnte, zum anderen dann, wenn mit einer Erhöhung der erstinstanzlich
ausgefällten Strafe wegen gewerbsmässigen Betrugs und Nötigung zu rechnen wäre.

Die Staatsanwaltschaft geht in ihrem Antrag auf Anordnung der Sicherheitshaft
weder auf den einen noch den anderen Aspekt ein. Sie lässt es beim Hinweis
bewenden, dass sie uneingeschränkte Berufung eingelegt habe und dass dem
Angeklagten eine mehrjährige unbedingte Freiheitsstrafe drohe. Der Haftrichter
seinerseits erwog, es bestehe eine "gewisse Wahrscheinlichkeit" dafür, dass
sich der Angeklagte für die eingeklagte Urkundenfälschung ebenfalls zu
verantworten haben werde. Er begnügte sich mit dem weiteren Hinweis, dass der
von der Verteidigung behauptete Deliktsbetrag von bloss Fr. 65'000.-- gemäss
Anklageschrift deutlich zu tief sei und aufgrund des von der Staatsanwaltschaft
im Berufungsverfahren zu erwartenden Strafantrags eine mehrjährige Strafe zur
Diskussion stehe. Auch die Vernehmlassungen enthalten keine substanzielle
Auseinandersetzung mit dem ergangenen bzw. mit dem zu erwartenden Urteil. Es
wurden mit anderen Worten keinerlei Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass im
obergerichtlichen Verfahren mit einer schwereren Strafe zu rechnen ist. Zudem
ist auch aufgrund der Akten nicht darauf zu schliessen, dass unter dem
Blickwinkel der noch streitigen Fragen die Weiterdauer der Sicherheitshaft
zulässig ist. Es rechtfertigt sich unter den gegebenen Umständen, dem
erstinstanzlichen Urteil für die Beurteilung der Frage der Überhaft
entscheidende Bedeutung beizumessen.

2.5 Die Fortdauer der Sicherheitshaft stellt demnach eine Verletzung des
Grundrechts der persönlichen Freiheit dar. Der Beschwerdeführer ist daher
antragsgemäss aus der Haft zu entlassen und es erübrigt sich, auf seine
weiteren Rügen einzugehen.

3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und der
Beschwerdeführer aus der Sicherheitshaft zu entlassen. Diesem Ausgang des
Verfahrens entsprechend sind im bundesgerichtlichen Verfahren keine Kosten zu
erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer
eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
Damit erweist sich das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege als
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Haftrichters des
Bezirksgerichts Zürich vom 7. Mai 2009 aufgehoben.

Der Beschwerdeführer wird unverzüglich aus der Sicherheitshaft entlassen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Juni 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Dold