Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Spezialdossiers, Aufsichtsanzeige 12T.1/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
12T_1/2009

Entscheid vom 29. September 2009
Verwaltungskommission

Besetzung
Bundesrichter Lorenz Meyer, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Kolly,
Generalsekretär Tschümperlin.

Anzeiger
X.________,
Anzeiger,
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Ebnöther,

gegen

Bundesverwaltungsgericht, 3000 Bern 14,
Angezeigte.

Gegenstand
Aufsichtsanzeige nach Art. 1 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 71 VwVG.

Sachverhalt:

A.
X.________ und Y.________, eigenen Angaben zufolge Cousins mit iranischer
Staatsangehörigkeit, stellten beide am 30. Dezember 2004 in der Schweiz ein
erstes Asylgesuch. Das Bundesamt für Migration (BFM) lehnte beide Gesuche am
19. Januar 2005 ab, die dagegen eingereichten Beschwerden wies das
Bundesverwaltungsgericht je mit Urteilen vom 24. August 2007 ab.
Am 21. Dezember 2007 liessen sowohl X.________ als auch Y.________ durch ihren
Rechtsanwalt je ein zweites Asylgesuch einreichen, auf welche das BFM mit
Verfügung vom 9. Februar 2009 (Y.________) bzw. vom 12. Februar 2009
(X.________) nicht eintrat. Mit Eingabe vom 17. Februar 2009 (Y.________) bzw.
vom 20. Februar 2009 (X.________) erhoben beide Beschwerde ans
Bundesverwaltungsgericht. Dieses hiess die Beschwerde von Y.________ mit Urteil
D-1009/2009 vom 25. Februar 2009 gut und wies die Sache zur Neubeurteilung an
die Vorinstanz zurück. Demgegenüber wies es die Beschwerde von X.________ mit
Urteil D-1159/2009 vom 2. März 2009 ab. Beide Fälle wurden in
einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters (Art.
111 lit. e AsylG) behandelt, im Verfahren D-1009/2009 weil die Beschwerde
"offensichtlich begründet" sei, im Fall D-1159/2009 weil die Beschwerde
"offensichtlich unbegründet" sei.

B.
Am 14. April 2009 liess X.________ beim Bundesgericht Aufsichtsanzeige
einreichen. Er macht im Wesentlichen geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe
das Gleichbehandlungsgebot verletzt, und beantragt die Aufhebung des Urteils
vom 2. März 2009. Das Bundesverwaltungsgericht schliesst auf Nichteintreten.

Erwägungen:

1.
Beim vorliegenden Verfahren handelt es sich um eine Aufsichtsanzeige im Sinne
von Art. 1 Abs. 2 Bundesgerichtsgesetz (BGG, SR 173.110), Art. 3 lit. f
Aufsichtsreglement des Bundesgerichts (AufRBGer, SR 173.110.132) und Art. 3
Abs. 1 Verwaltungsgerichtsgesetz (VGG, SR 173.32) i.V.m. Art. 71 Abs. 1
Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021). Das Verfahren
wird von Amtes wegen behördenintern durchgeführt und begründet keinen Anspruch
auf Parteirechte (Art. 71 Abs. 2 VwVG; Art. 9 Abs. 2 AufRBGer).
Die Aufsicht des Bundesgerichts über das Bundesstraf- und das
Bundesverwaltungsgericht ist administrativer Art; die Rechtsprechung ist von
der Aufsicht ausgenommen (Art. 2 Abs. 2 AufRBGer, Art. 3 Abs. 1 SGG, Art. 3
Abs. 1 VGG). Aufsichtsanzeigen, welche sich in rein appellatorischer Kritik am
beanstandeten Urteil erschöpfen, ist daher keine Folge zu geben. Der Aufsicht
unterstehen hingegen alle Bereiche der Geschäftsführung, insbesondere die
Gerichtsleitung, die Organisation, die Fallerledigung sowie das Personal- und
Finanzwesen (Art. 2 Abs. 1 AufRBGer).

2.
In der Anzeige wird geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe die
beiden Verfahren in völlig unterschiedlicher Weise behandelt, insbesondere die
Frage des rechtlichen Gehörs genau entgegengesetzt beurteilt. Dies obwohl in
sämtlichen wesentlichen Punkten ein nahezu identischer Sachverhalt vorgelegen
habe.
Das Bundesverwaltungsgericht beantragt, auf die Aufsichtsanzeige nicht
einzutreten, da sie sich in appellatorischer Kritik am von ihm gefällten Urteil
D-1159/2009 erschöpfe.

3.
Den angezeigten Fällen lagen weitgehend identische Sachverhalte zweier Cousins
zu Grunde. Das Bundesverwaltungsgericht wies die beiden Beschwerden zwei
unterschiedlich besetzten Spruchkörpern in verschiedenen Kammern der Abteilung
IV zu. Diese beantworteten die sich in beiden Fällen gleich stellende Frage, ob
bei mit exilpolitischen Tätigkeiten (subjektiven Nachfluchtgründen) begründeten
zweiten Asylgesuchen eine persönliche Anhörung stattfinden muss,
unterschiedlich: Während das Urteil D-1009/2009 vom 25. Februar 2009, Ziff.
5.4, auf die Rechtsprechung der ehemaligen Asylrekurskommission verweist,
"welcher sich das Bundesverwaltungsgericht anschliesst", geht das andere - eine
Woche später gefällte Urteil - auf diese Rechtsprechung nicht ein und
beantwortet die Frage genau umgekehrt (Urteil D-1159/2009 vom 2. März 2009 S. 7
f.).

Das Bundesverwaltungsgericht räumt in seiner Stellungnahme vom 12. August 2009
ein, die genannte Frage sei auch in mehreren weiteren Verfahren unterschiedlich
behandelt und beantwortet worden.

4.
4.1 In seiner Rolle als Aufsichtsinstanz ist es dem Bundesgericht verwehrt,
einen Einzelfall auf seine inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Insoweit sich
die vorliegende Aufsichtsbeschwerde ausschliesslich auf das Verfahren D-1159/
2009 bezieht und an diesem Kritik äussert, fällt sie in den Bereich der
Rechtsprechung und somit nicht in die aufsichtsrechtliche Kompetenz des
Bundesgerichts.

4.2 Vorliegend stellt sich indessen die über den Einzelfall hinausgehende
Frage, ob die uneinheitliche Behandlung der beiden Verfahren eine unzulängliche
Organisation oder Durchführung der Koordination der Rechtsprechung am
Bundesverwaltungsgericht offenbart. Diese Frage fällt in die
aufsichtsrechtliche Kompetenz des Bundesgerichts. Zwar liegt die
Einheitlichkeit der Rechtsprechung im Grenzbereich zwischen Rechtsprechung und
administrativer Aufsicht. Inwieweit die Einheitlichkeit der Rechtsprechung
Prüfungsgegenstand der Aufsichtsbeschwerde ans Bundesgericht sein kann, kann
vorliegend indessen offen bleiben (generell bejahend HEINRICH KOLLER, in:
Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 89 zu Art. 1 BGG; zustimmend
unter gewissen Voraussetzungen auch PAUL TSCHÜMPERLIN, Die Aufsicht des
Bundesgerichts, SJZ 105 (2009) Nr. 10, S. 233 ff., N. III. B.1 und IV. B). In
den der Aufsicht des Bundesgerichts unterstehenden Bereich der Organisation und
Geschäftsführung fällt nämlich jedenfalls die Frage, ob das
Bundesverwaltungsgericht vorliegend die Rechtsprechung entsprechend seinem
Geschäftsreglement (Art. 14 Abs. 2 lit. b des Geschäftsreglements für das
Bundesverwaltungsgericht vom 17. April 2008, VGR; SR 173.320.4) durchgeführt
und zweckmässig organisiert hat.
In seiner Stellungnahme vom 12. August 2009 führt das Bundesverwaltungsgericht
dazu aus, es habe bereits vor Kenntnisnahme der vorliegenden
Aufsichtsbeschwerde beim Bundesgericht erkannt, dass in der genannten Frage ein
Koordinationsproblem bestehen könnte. Es habe daher unverzüglich Massnahmen zur
Eruierung des allfälligen Koordinationsbedarfs getroffen und die zu
koordinierenden Fragen mittels eines am 30. Juni 2009 von den beiden
betroffenen Abteilungen verabschiedeten Arbeitspapiers gelöst. Zu beachten sei
allerdings, dass die entsprechenden Fälle stets aufgrund der individuellen
Umstände des Einzelfalles zu beurteilen seien.
Aus den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts geht somit hervor, dass es
die Frage mittels des Art. 14 Abs. 2 lit. b VGR entsprechenden
Koordinationsverfahrens in der Zwischenzeit ausführlich behandelt und offenbar
einer Lösung zugeführt hat, soweit dies möglich ist. Das Aufsichtsverfahren ist
insoweit gegenstandslos geworden. Ob in den beiden vorliegend angezeigten
Fällen im Übrigen eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt war, ist eine
Ermessensfrage, welche das Bundesgericht in seiner Rolle als Aufsichtsbehörde
nicht zu überprüfen hat.

5.
Zusammenfassend ist der Aufsichtsbeschwerde keine Folge zu geben, soweit sie
nicht gegenstandslos geworden ist.

6.
Die Aufsichtsbeschwerden sind grundsätzlich kostenlos. Die Voraussetzungen für
eine Ausnahme gemäss Art. 10 der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im
Verwaltungsverfahren (SR 172.041.0) sind vorliegend nicht gegeben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Der Aufsichtsanzeige wird keine Folge geleistet, soweit sie nicht
gegenstandslos geworden ist.

2.
Es werden weder Kosten erhoben noch Entschädigungen zugesprochen.

3.
Dieser Entscheid wird dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt. Dem
Anzeiger wird eine Orientierungskopie zugestellt.

Lausanne, 29. September 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Verwaltungskommission
Der Präsident: Der Generalsekretär:

Lorenz Meyer Paul Tschümperlin