Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 939/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_939/2008

Urteil vom 4. Februar 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiberin Amstutz.

Parteien
K.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Peter Bolzli,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 30. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 17. März 2008 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich der
1955 geborenen, zuletzt vom 23. Oktober 1996 bis zu einem Unfall am 16. Oktober
2002 (letzter Arbeitstag; Auflösung des Arbeitsverhältnisses: 30. Juni 2003)
als Hilfsarbeiterin in der Firma X.________ AG tätig gewesenen K.________ eine
vom 1. Oktober bis 30. November 2003 (Datum der Einstellung der
Taggeldleistungen des Unfallversicherers in Höhe von 50 %) befristete halbe
Invalidenrente zu; ab 1. Dezember 2003 verneinte sie den Rentenanspruch
aufgrund eines Invaliditätsgrades von lediglich 27 %.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde der K.________ mit dem Antrag auf Aufhebung der
Verfügung vom 17. März 2008 und Zusprechung einer ganzen Invalidenrente,
eventualiter Rückweisung der Streitsache zwecks weiterer medizinischer
Abklärung und erneutem Entscheid und subeventualiter Zusprechung einer
Viertelsrente, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit
Entscheid vom 30. September 2008 ab.

C.
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihr
mindestens eine Viertelsrente zuzusprechen. Des Weitern ersucht sie um
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Dabei legt das
Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG
beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG; Ausnahme:
Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG [Art. 105 Abs. 3 BGG]).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch ab 1. Dezember 2003.

2.1 Unter dem Blickwinkel von Art. 105 Abs. 2 BGG zu Recht nicht gerügt wird
die vorinstanzliche (Tatsachen-)Feststellung, wonach die gesundheitlich
beeinträchtigte Beschwerdeführerin (Diagnosen: Mittelgradige depressive Episode
[ICD-10: F32.10]; histrionische Verarbeitung eines Bagatelltraumas mit
sekundärem Krankheitsgewinn [ICD-10: F44.4]; Heberden-Bouchard-Arthrose;
Arterielle Hypertonie) im fraglichen Zeitraum sowohl in ihrer zuletzt
ausgeübten Tätigkeit als Packerin als auch in jeder andern körperlich leichten
Tätigkeit zu mindestens 70 % arbeitsfähig ist.

2.2 Bezüglich der konkreten Invaliditätsbemessung für die Zeit ab Dezember 2003
hat die Vorinstanz erwogen, die ab jenem Zeitpunkt bestehende
Restarbeitsfähigkeit von mindestens 70 % - ob 70 %, 80 % oder 100 %, wurde
ausdrücklich offengelassen - gelte auch für die angestammte Arbeit, sodass aus
dem "demzufolge vorzunehmenden Prozentvergleich" jedenfalls ein
rentenausschliessender Invaliditätsgrad von (maximal) 30 % resultiere.
2.3
2.3.1 Die Beschwerdeführerin rügt vorab eine Verletzung der aus dem
verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; BGE
134 I 83 E. 4.1 S. 88, mit Hinweisen) fliessenden Begründungspflicht: Die
Gehörsverletzung erblickt sie im Umstand, dass sich das kantonale Gericht in
keiner Weise geäussert habe zu den in der vorinstanzlichen Beschwerde konkret
erhobenen Einwänden gegen die in der Verfügung vom 17. März 2008 nach der
allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG, ab 1. Januar bis
Ende 2007 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348 f.,
128 V 29 E. 1 S. 30 f.) erfolgte Invaliditätsbemessung, in deren Rahmen das
trotz Gesundheitsschadens zumutbarerweise erzielbare Einkommen
(Invalideneinkommen) gestützt auf einen statistischen Ausgangswert (Bundesamt
für Statistik [Hrsg.]; Lohnstrukturerhebungen [LSE]) auf Fr. 34'350.- beziffert
und einem ohne Gesundheitsschaden erzielbaren Einkommen (Valideneinkommen) von
Fr. 47'353.- (letztes effektiv erzieltes, aufgerechnetes Einkommen)
gegenübergestellt worden war. Nicht auseinandergesetzt habe sich die Vorinstanz
insbesondere mit dem Vorwurf, die Verwaltung habe es rechtsfehlerhaft
unterlassen, das Invalideneinkommen um einen (leidensbedingten) Abzug zu kürzen
(s. dazu BGE 134 V 322 E. 5.2 S. 327 f., 129 V 472 4.2.1 S. 475 f. und E. 4.2.3
S. 481, 126 V 75 E. 3b S. 76 f., mit Hinweisen; AHI 2002 S. 67 ff., E. 4 [I 82/
02]).
2.3.2 Die Begründungspflicht verlangt nicht, dass sich die Behörde mit jeder
tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand einlässlich
auseinandersetzt (BGE 133 III 439 E. 3.3. S. 445, mit Hinweisen). Wie es sich
hier mit der behaupteten Gehörsverletzung - insbesondere hinsichtlich des
vorinstanzlich beantragten leidensbedingten Abzugs von mindestens 15 % auf
Seiten des Invalideneinkommens - verhält, braucht nicht abschliessend geprüft
zu werden. Auch wenn der unbehandelt gebliebene Einwand als
entscheidwesentlicher Gesichtspunkt zu gelten hätte, dessen völlige
Ausserachtlassung durch das kantonale Gericht die Begründungspflicht verletzt
(Art. 29 Abs. 2 BV; vgl. auch Art. 61 lit. h ATSG), führte dies zu keiner
formellrechtlich begründeten Rückweisung der Streitsache an die Vorinstanz:
Nach der Rechtsprechung kann eine nicht besonders schwerwiegende Verletzung des
rechtlichen Gehörs ausnahmsweise als geheilt gelten, wenn die betroffene Person
die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl
den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Unter dieser
Voraussetzung ist darüber hinaus - im Sinne einer Heilung des Mangels - selbst
bei einer schwerwiegenden Verletzung des Gehörs von einer Rückweisung der Sache
an die Vorinstanz abzusehen, wenn und soweit die Rückweisung zu einem
formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die
mit dem (der Anhörung gleichgestellten) Interesse der betroffenen Partei an
einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (BGE 133
I 201 E. 2.2 S. 204, 132 V 387 E. 5.1 S. 390 mit Hinweis).

Die angefochtene Nichtgewährung eines leidensbedingten Abzugs als solche
betrifft eine Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399), die letztinstanzlich
frei überprüfbar ist (Art. 95 lit. a BGG); sodann fehlt es mit Bezug auf die
für die ermessensweise festzusetzende Höhe eines allfälligen leidensbedingten
Abzugs relevanten Tatsachen an jeglichen Feststellungen des kantonalen Gerichts
und damit an einer letztinstanzlichen Sachverhaltsbindung (Art. 105 Abs. 2
BGG). Vor diesem Hintergrund und weil eine Rückweisung jedenfalls einem der
Verfahrensökonomie zuwiderlaufenden formalistischen Leerlauf gleichkäme (siehe
E. 2.4 hernach), rechtfertigt sich hier ein abschliessender Entscheid in der
Sache ungeachtet des Schweregrades einer allfälligen Gehörsverletzung.

2.4 Die Beschwerdeführerin bestreitet zu Recht nicht, dass selbst dann, wenn -
wie von ihr beantragt - sowohl das Invaliden- als auch das Valideneinkommen
aufgrund statistischer Durchschnittslöhne gemäss LSE ermittelt würden, der
Invaliditätsgrad vor einem leidensbedingten Abzug in jedem Fall nur höchstens
30 % betragen würde, da bei beiden Vergleichseinkommen derselbe statistische
Ausgangslohn von Frauen in Hilfstätigkeiten (gesamter privater Sektor) zu
Grunde zu legen wäre und die maximale Erwerbseinbusse - auch bei
Berücksichtigung der (beidseits gleichen) Lohnentwicklungen bis zum
Verfügungszeitpunkt - stets dem Arbeitsunfähigkeitsgrad von (maximal) 30 %
entsprechen würde. Weiter anerkennt die Beschwerdeführerin, dass ein
rentenbegründender Invaliditätsgrad folgerichtig nur bei Gewährung eines
leidensbedingten Abzugs von mindestens 15 % auf Seiten des Invalideneinkommens
resultieren könnte. Für einen Abzug in dieser Höhe sind jedoch entgegen dem
vor- wie letztinstanzlich vertretenen Standpunkt keine genügenden Gründe
ersichtlich. Unzutreffend ist zum einen die Auffassung der Beschwerdeführerin,
dass ein leidensbedingter Abzug bei Personen in Hilfstätigkeiten "in der Regel"
bei 25 % liege; das lässt sich namentlich nicht der von der Versicherten
zitierten Literatur (Ulrich Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich/Basel/Genf 2003, S.
159; Ulrich Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zürich
1997, S. 210) entnehmen. Nach konstanter Rechtsprechung soll ein Abzug nicht
automatisch - geschweige denn generell in der maximal zugelassenen Höhe von 25
% - erfolgen, sondern stets nur dann, wenn im Einzelfall Anhaltspunkte dafür
bestehen, dass die versicherte Person wegen eines oder mehrerer der
rechtsprechungsgemäss relevanten Merkmale (wie Alter, Dauer der
Betriebszugehörigkeit, Nationalität oder Aufenthaltskategorie sowie
Beschäftigungsgrad) ihre gesundheitlich bedingte (Rest-)Arbeitsfähigkeit auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem Einkommen
verwerten kann. Bei der Bestimmung der Höhe des Abzuges ist der Einfluss aller
in Betracht fallenden Merkmale auf das Invalideneinkommen unter Würdigung der
Umstände im Einzelfall gesamthaft zu schätzen und insgesamt auf höchstens 25 %
des Tabellenlohnes zu begrenzen (zum Ganzen BGE 134 V 322 E. 5.2 S. 327 f., mit
Hinweisen).

Im hier in Betracht fallenden Arbeitssegment wirken sich weder der
Ausländerstatus (Niederlassungsbewilligung C) noch der allenfalls bloss
teilzeitliche Einsatz (70 % statt eine nach Lage der Akten zumutbare 100%ige
Präsenz mit 30 % Leistungsreduktion) signifikant lohnmindernd aus (betreffend
Ausländerstatus vgl. LSE 2002, 2004 und 2006, je TA12 [Anforderungsniveau 4/
Niederlassungsbewilligung C/Frauen/Median]; betreffend Teilzeitarbeit: LSE
2002, T8*, S. 28 LSE 2004, T6*, S. 25; LSE 2006, T2*, S. 16). Entsprechendes
gilt bezüglich des Alters der Versicherten (Jahrgang 1955; vgl. LSE 2002 und
2004, je TA 9, Anforderungsniveau 4/Frauen/Median). Ein spezifisch
behinderungsbedingter Abzug zusätzlich zur anerkannten Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit von 30 % fällt ausser Betracht, nachdem die Beschwerdeführerin
bereits früher keine schwerere Arbeit verrichtet hat, sie aus rein körperlicher
Sicht in Rücken und periphere Gelenke schonenden Tätigkeiten ohne Tragen von
Lasten über 20 kg während acht Stunden täglich voll einsetzbar wäre und die aus
psychischen Gründen anerkannte Arbeitsunfähigkeit von 30 % nach den
unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz den diversen Einschränkungen
bereits maximal Rechnung trägt (vgl. E. 2.1 hievor); davon ist im Übrigen auch
die Verwaltung in ihrer Verfügung vom 17. März 2008 implizit ausgegangen. Damit
bliebe allenfalls noch das Kriterium der Anzahl Dienstjahre zu berücksichtigen;
dieses allein aber vermöchte - auch angesichts der bereits sechsjährigen
Erfahrung der Versicherten in einer Hilfstätigkeit - einen leidensbedingten
Abzug von 15 % oder mehr nicht zu rechtfertigen (vgl. auch LSE 2004, TA1 [TOTAL
Anforderungsniveau 4/Frauen] in Verbindung mit TA9 und TA10 [Anforderungsniveau
4/Frauen/Median]). Nicht abzugsrelevant sind schliesslich - invaliditätsfremde
- Sprachschwierigkeiten, die sich hier gleichermassen auf das Validen- und
Invalideneinkommen auswirken.

2.5 Nach dem Gesagten bleibt für den beantragten leidensbedingten Abzug von
mindestens 15 % kein Raum, sodass die vorinstanzliche Rentenaufhebung aufgrund
eines festgestellten Invaliditätsgrades von 30 % zu bestätigen ist.

3.
Dem Prozessausgang entsprechend ist die Beschwerdeführerin kostenpflichtig
(Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG).
Antragsgemäss wird ihr jedoch - mit ausdrücklichem Hinweis auf die spätere
Ersatzleistungspflicht gegenüber dem Gericht gemäss Art. 64 Abs. 4 BGG - die
unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der vorläufigen Befreiung von den
Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung gewährt, da die
derzeitige Bedürftigkeit ausgewiesen ist, das Rechtsmittel namentlich mit Blick
auf die gerügte Gehörsverletzung nicht als von vornherein aussichtslos gelten
kann und die anwaltliche Vertretung notwendig war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt Peter Bolzli, Zürich, wird als unentgeltlicher Anwalt der
Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.-
ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse Verom und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. Februar 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Amstutz