Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 903/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_903/2008

Urteil vom 21. Januar 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Parteien
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

H.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Ueli Kieser, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 29. August 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a Am ... November 2003 wurde über die Firma X.________ der Konkurs eröffnet.
In diesem Verfahren (welches vorerst am ... April 2004 mangels Aktiven
eingestellt, aber dann im Sinne von Art. 230 Abs. 2 SchKG fortgesetzt worden
war) kam die Ausgleichskasse des Kantons Zürich mit einer Forderung aus bundes-
und kantonalrechtlichen Sozialversicherungsbeiträgen und Nebenkosten in der
Höhe von Fr. 136'934.40 zu Verlust. Mit Verfügungen vom 18. August 2004
forderte sie von H.________, L.________ und S.________, ehemalige
Verwaltungsräte der konkursiten Firma, in solidarischer Haftung Schadenersatz
in der Höhe von Fr. 136'934.30. Die von denselben erhobenen Einsprachen hiess
die Kasse teilweise gut; dabei setzte sie die Schadenersatzforderung gegenüber
H.________ auf Fr. 135'492.25, gegenüber L.________ auf Fr. 121'965.55 und
gegenüber S.________ auf Fr. 130'990.15 herab (Einspracheentscheide vom 25.
Oktober 2004). Die dagegen erhobenen Beschwerden hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich am 28. Februar 2005 in dem Sinne
gut, dass es die angefochtenen Einspracheentscheide aufhob und die Sache zur
Abklärung im Sinne der Erwägungen sowie neuer Verfügung an die Kasse
zurückwies.
A.b In Nachachtung dieses kantonalen Entscheides liess die Kasse am 13. Juni
2007 eine Arbeitgeberkontrolle (für die Zeit von Januar 2000 bis November 2003)
durchführen. Gestützt darauf forderte sie mit Verfügungen vom 6. Dezember 2007
von H.________, L.________ und S.________ in solidarischer Haftung erneut
Schadenersatz von Fr. 136'934.30. Betreffend L.________ und S.________
erwuchsen die Verfügungen in Rechtskraft. Die von H.________ erhobene
Einsprache hiess die Kasse in dem Sinne teilweise gut, als sie die
Schadenersatzforderung auf Fr. 135'492.25 reduzierte (Einspracheentscheid vom
25. April 2008).

B.
Beschwerdeweise liess H.________ das Rechtsbegehren stellen, der
Einspracheentscheid sei ersatzlos aufzuheben. In prozessualer Hinsicht
beantragte er, es sei vorerst über die geltend gemachte Einrede der Verjährung
zu befinden. Mit Entscheid vom 29. August 2008 hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde gut, hob den
angefochtenen Einspracheentscheid vom 25. April 2008 auf und sprach H.________
eine Parteientschädigung zu Lasten der Ausgleichskasse zu.

C.
Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich lässt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der
kantonale Entscheid sei aufzuheben. Eventualiter sei die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese die Begründetheit des
Schadenersatzanspruchs, wie er mit Einspracheentscheid vom 25. April 2008
festgestellt wurde, in seinen Voraussetzungen prüfe.

H.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts ist zuständig zum
Entscheid über die streitige Schadenersatzpflicht und zwar auch, soweit die
Forderung entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse betrifft
(Urteil 9C_901/2007 vom 8. Oktober 2008 E. 1, nicht publ. in: BGE 134 V 401;
9C_704/2007 vom 17. März 2008 E. 1, nicht publ. in: BGE 134 I 179, aber in SVR
2008 FL Nr. 1 S. 1).

2.
Gemäss Art. 52 AHVG macht die zuständige Ausgleichskasse den
Schadenersatzanspruch durch Verfügung geltend (Abs. 2). Der
Schadenersatzanspruch verjährt zwei Jahre, nachdem die zuständige
Ausgleichskasse vom Schaden Kenntnis erhalten hat, jedenfalls fünf Jahre nach
Eintritt des Schadens. Diese Fristen können unterbrochen werden (Abs. 3 Satz 1
und 2). Wird der Schadenersatzanspruch aus einer strafbaren Handlung
hergeleitet, für die das Strafrecht eine längere Verjährung vorschreibt, so
gilt diese Frist (Abs. 4).

Bei den Fristen nach Art. 52 Abs. 3 und 4 AHVG handelt es sich um
Verjährungsfristen, die unterbrochen werden können (BGE 131 V 425 E. 3.1 S. 427
mit Hinweis; BGE 9C_473/2008 vom 19. Dezember 2008 E. 4.1; Ueli Kieser, Alters-
und Hinterlassenenversicherung, in: Ulrich Meyer [Hrsg.], SBVR/Soziale
Sicherheit, 2. Aufl. 2007, S. 1308 Rz. 322; Marco Reichmuth, Die Haftung des
Arbeitgebers und seiner Organe nach Art. 52 AHVG, 2008, S. 194 Rz. 813).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, dass die
Schadenersatzforderung gegenüber dem Beschwerdegegner verjährt sei. Dabei steht
fest und ist unbestritten, dass die Verjährungsfristen des Art. 52 Abs. 3 AHVG
und nicht etwa längere strafrechtliche im Sinne von Abs. 4 derselben Bestimmung
zur Anwendung gelangen, nachdem die gegen den Beschwerdegegner im Zusammenhang
mit der konkursiten Firma unter anderem wegen Betrugs eingeleiteten
Strafuntersuchungen am 15. Dezember 2006 eingestellt worden sind (Auskunft der
Staatsanwaltschaft Y.________ vom 13. August 2008).

3.1 Die Vorinstanz erwog, mit der Verfügung vom 18. August 2004 habe die Kasse
die Verjährungsfrist vorerst gewahrt. Als einzigen den Lauf der Verjährung
unterbrechenden Akt erwähnte sie den kantonalen Entscheid vom 28. Februar 2005
(der Kasse am 30. März zugestellt); hinsichtlich der Arbeitgeberkontrolle vom
13. Juni 2007 verneinte sie eine derartige Wirkung mit der Begründung, es
handle sich nicht um eine "gerichtliche Handlung der Parteien" nach Art. 138
Abs. 1 OR. Da die Kasse die Verfügung vom 2. (recte 6.) Dezember 2007 mehr als
zwei Jahre nach der Eröffnung des kantonalen Entscheides erlassen habe, sei die
Verjährungsfrist abgelaufen und die Schadenersatzforderung mithin verjährt.

3.2 Nach Auffassung der Ausgleichskasse ist die Verjährungsfrist auf jeden Fall
eingehalten. Sie stellt sich auf den Standpunkt, diese sei mit der
verfügungsweisen Geltendmachung des Schadenersatzbetrages am 18. August 2004
ein für allemal gewahrt worden. Ohnehin fände nicht die zweijährige
Verjährungsfrist Anwendung, weil der Schaden zu den Zeitpunkten, welche die
Vorinstanz als für die Auslösung bzw. Unterbrechung der Verjährungsfrist als
massgebend betrachtet habe, nicht bekannt gewesen sei, habe doch das kantonale
Gericht mit Entscheid vom 28. Februar 2005 die Sache zur Klärung der
Schadenshöhe an die Kasse zurückgewiesen; massgebend sei die fünfjährige Frist,
welche mit Eintritt des Schadens am 24. November 2003 (Ausstellung der
Verlustscheine) zu laufen begonnen habe und in der Folge immer wieder
rechtzeitig unterbrochen worden sei. Selbst wenn von der zweijährigen
Verjährungsfrist auszugehen wäre, fände nach einer Unterbrechung einheitlich
analog Art. 120 Abs. 1 DBG eine fünfjährige Frist Anwendung. In Bezug auf die
möglichen Unterbrechungshandlungen sei zu berücksichtigen, dass über die in
Art. 135 OR genannten Handlungen hinaus weitere Akte in Frage kämen. Auf jeden
Fall hätten die Bemühungen der Kasse um Akteneinsicht und die Mitteilung der
Einstellung des Strafverfahrens die Verjährungsfrist jeweils rechtzeitig
unterbrochen. Mit Blick auf das Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sei
das fehlende Bemühen des Beschwerdegegners, bei der Schadensermittlung
mitzuwirken, als Verjährungsverzicht zu werten.

3.3 Der Beschwerdegegner schliesst sich der Auffassung des kantonalen Gerichts
an, wonach die Forderung verjährt sei. Er weist darauf hin, dass die
Verwirkungsfristen des alten Rechts auf den 1. Januar 2003 in
Verjährungsfristen umgewandelt worden seien. Die Ausführungen der Kasse, wonach
die fünfjährige Verjährungsfrist Anwendung finde, seien konstruiert. Weshalb
nach Unterbruch der zweijährigen Verjährungsfrist stets eine fünfjährige laufen
solle, sei nicht nachvollziehbar. Unbehelflich seien auch die von der
Beschwerdeführerin vorgebrachten Unterbrechungsgründe. Was schliesslich ihre
Billigkeitsüberlegungen anbelange, übergehe die Kasse, dass er nie versucht
habe, den Erlass der Schadenersatzverfügung hinauszuzögern, und sich nie
geweigert habe, Unterlagen einzureichen oder Auskunft zu geben.

4.
Geht es um die Haftung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 AHVG, stellt die
Schadenersatzverfügung eine, in der Regel die erste verjährungsunterbrechende
Handlung dar. Ergeht sie rechtzeitig innert der relativen zweijährigen
Verjährungsfrist seit Kenntnis des Schadens, beginnt mit Erhebung einer
Einsprache eine neue zweijährige Verjährungsfrist zu laufen (BGE 9C_473/2008
vom 19. Dezember 2008 E. 4.2.2). Entgegen der Auffassung der Ausgleichskasse
wird mit der Schadenersatzverfügung die Verjährungsfrist indessen nicht "ein
für allemal gewahrt", so dass "der seitherige Zeitverlauf [...] keinen Einfluss
auf den Schadenersatzanspruch" mehr hätte. Dies entspräche der Rechtslage bei
einer Verwirkungsfrist, wie sie vor der (auf den 1. Januar 2003 in Kraft
gesetzten) Änderung des Art. 52 AHVG bestanden hat (vgl. dazu Urteil H 99/06
vom 11. September 2007 E. 5 mit Hinweis; ZAK 1991 S. 125, H 116/85 E. 2c;
Thomas Nussbaumer, Das Schadenersatzverfahren nach Art. 52 AHVG, in:
Schaffhauser/Kieser [Hrsg.], Aktuelle Fragen aus dem Beitragsrecht der AHV,
1998, S. 115).

Nach dem klaren Wortlaut von Art. 52 Abs. 3 AHVG können aber die relative
zweijährige und die absolute fünfjährige Verjährungsfrist unterbrochen werden.
Dabei ist für die Beantwortung der damit zusammenhängenden Fragen, insbesondere
welchen Handlungen der Ausgleichskasse und der Beschwerdeinstanzen
verjährungsunterbrechende Wirkung zukommt, sinngemäss die Regelung für
Forderungen aus unerlaubter Handlung (Art. 60 OR und Art. 135 ff. OR)
anwendbar. Der Schadenersatzanspruch nach Art. 52 Abs. 1 AHVG kann somit auch
während des Einspracheverfahrens oder verwaltungsgerichtlichen
Beschwerdeverfahrens verjähren (BGE 9C_473/2008 vom 19. Dezember 2008 E. 4.2.2;
Reichmuth, a.a.O., S. 214 Rz. 894f.).

Wird die Verjährung durch eine Klage oder Einrede unterbrochen, so beginnt im
Verlaufe des Rechtsstreites mit jeder gerichtlichen Handlung der Parteien und
mit jeder Verfügung oder Entscheidung des Richters die Verjährung von neuem
(Art. 138 Abs. 1 OR). Dabei entspricht die neue Verjährungsfrist der Dauer der
unterbrochenen Frist (vgl. Ivo Schwander, in: Kren Kostkiewicz und andere,
Handkommentar OR, 2002, N. 1 zu Art. 137 OR; Reichmuth, a.a.O., S. 213 Rz.
891). Für die von der Ausgleichskasse für richtig gehaltene Anwendung einer
einheitlichen fünfjährigen Frist analog der die Veranlagungsverjährung
regelnden Bestimmung des Art. 120 Abs. 1 DBG besteht mithin keine Handhabe.

5.
5.1 Die Beschwerdeführerin macht zu Unrecht geltend, weder zur Zeit der
Zustellung der Pfändungsverlustscheine vom 24. November 2003 noch der
ursprünglichen Schadenersatzverfügung am 18. August 2004 noch bei Zustellung
des kantonalen Rückweisungsentscheides am 30. März 2005 - wie sich aus
demselben ergebe - sei ihr der durch Beitragsverluste entstandene Schaden
hinreichend bekannt gewesen; anwendbar sei deshalb nicht die zweijährige, ab
Kenntnis des Schadens laufende, sondern die fünfjährige, mit Eintritt des
Schadens in Gang gesetzte Verjährungsfrist. Denn nach der Rechtsprechung
erlangt die Ausgleichskasse in dem Zeitpunkt Kenntnis vom Schaden, in welchem
sie unter Beachtung der ihr zumutbaren Aufmerksamkeit erkennen muss, dass die
tatsächlichen Gegebenheiten nicht mehr erlauben, die Beiträge einzufordern,
wohl aber eine Schadenersatzpflicht begründen können (BGE 129 V 193 E. 2.1 S.
195, 128 V 15 E. 2a S. 17). Unabhängig davon, ob man mit der Vorinstanz als
massgebenden Zeitpunkt die Zustellung der Pfändungsverlustscheine am 24.
November 2003 bzw. hinsichtlich der Lohnsumme von Fr. 8'607.80 den Frühsommer
2004 oder mit dem Beschwerdegegner die Einstellung des Konkursverfahrens
mangels Aktiven (im April 2004) betrachtet, ist die Schadenersatzverfügung
rechtzeitig ergangen. Entgegen der Auffassung der Kasse kann jedenfalls aus dem
Entscheid vom 28. Februar 2005, mit welchem die Sache an sie zurückgewiesen
wurde zur Prüfung des von L.________ vorgebrachten Einwandes, wonach dem
Schadensbetrag zu hohe Lohnsummen zugrunde lägen, nicht abgeleitet werden, der
Schaden sei ihr vor Durchführung der erforderlichen Abklärungen
(Arbeitgeberschlusskontrolle etc.) noch gar nicht bekannt gewesen, reicht es
doch rechtsprechungsgemäss, dass der Kasse die wesentlichen Merkmale des
Schadens bekannt sind (vgl. BGE 128 V 10 E. 5a S. 12), was mit der
Schadensermittlung aufgrund der Lohndeklarationen der Arbeitgeberin
gewährleistet war.

5.2 Mit Erlass der Schadenersatzverfügung am 18. August 2004 hat die Kasse die
laufende zweijährige Verjährungsfrist vorerst gewahrt. Im Verlaufe des
Verfahrens folgten weitere die Verjährungsfrist unterbrechende Handlungen (Art.
138 Abs. 1 OR), namentlich erging am 28. Februar 2005 der kantonale
Rückweisungsentscheid, welcher der Kasse am 30. März 2005 zugestellt wurde. Mit
Blick darauf, dass die von der Kasse gemäss diesem Entscheid zu erlassende
Verfügung erst am 6. Dezember 2007 ergangen ist, stellt sich die Frage, ob der
Fristenlauf in der Zwischenzeit erneut unterbrochen worden ist.

5.3 Aus den Akten ist ersichtlich, dass die Ausgleichskasse nach dem
Rückweisungsentscheid vom 28. Februar 2005 mit Schreiben vom 11. März 2005 an
den Mitverpflichteten L.________ gelangt ist, um mit ihm eine
Arbeitgeberkontrolle für den 3. Mai 2005 zu vereinbaren. Deren Durchführung
scheiterte daran, dass die Akten nicht erhältlich gemacht werden konnten. Um an
die dafür erforderlichen, von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten
Buchhaltungsunterlagen der Firma X.________ zu gelangen, hat die Kasse sich
vorerst beim Konkursamt A.________ (e-mail-Anfragen vom 11. und 29. September
2006), sodann bei der Kantonspolizei Zürich (Schreiben vom 6. Oktober 2006) und
schliesslich bei der Abteilung Wirtschaftsdelikte der Staatsanwaltschaft des
Kantons Zürich (Schreiben vom 25. Oktober 2006) nach denselben erkundigt und
die angefragten Stellen darum ersucht, ihr Akteneinsicht zu gewähren.
Anschliessend - am 13. Juni 2007 - hat sie eine Arbeitgeberkontrolle für die
Zeit von Januar 2000 bis November 2003 durchgeführt.

5.4 Unter den Begriff "Verfügung oder Entscheidung des Richters" im Sinne von
Art. 138 Abs. 1 OR fallen (unter anderem) sowohl prozesserledigende Entscheide
(Sach- oder Prozessentscheide) als auch prozessleitende Entscheide, sofern
diese der Fortsetzung des Verfahrens dienen. Zu denken ist neben dem Erlass des
Entscheides (vgl. auch BGE 24 II 205 E. 4 S. 211) etwa an Fristansetzungen an
die Parteien (z.B. eine Editionsverfügung: BGE 21 246 E. 4 S. 251), Vorladungen
zu gerichtlichen Verhandlungen oder die Durchführung von Beweis- und
Hauptverhandlungen, die Sistierung des Prozesses (BGE 131 III 430 E. 1 S. 433,
123 III 213 E. 3 S. 216), die Gewährung der aufschiebenden Wirkung (BGE 111 II
59 E. 4b S. 61 f.). Nicht erforderlich ist, dass die Verfügungen oder
Entscheidungen formell in Verfügungs- oder Entscheidform gekleidet sind (Urteil
B 87/00 vom 10. Februar 2004 E. 1.4.2; Stephen V. Berti, Zürcher Kommentar, 3.
Aufl., N. 24 zu Art. 138 OR; Robert K. Däppen, Basler Kommentar, 4. Aufl., N. 3
zu Art. 138 OR). In diesem Sinne hat das Bundesgericht Erkundigungen des
kantonalen Instruktionsrichters nach dem Stand der dort hängigen
staatsrechtlichen Beschwerde betreffend Ablehnung der unentgeltlichen
Rechtspflege im kantonalen Verfahren (BGE 111 II 59 E. 4 und 4b S. 61 f.), den
Abschluss des Schriftenwechsels durch Zustellung der Berufungsantwort und der
Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde (BGE 123 III 213 E. 6b S. 220)
und der Aufforderung an die Pensionskasse, ihr Reglement einzureichen (Urteil B
87/00 vom 10. Februar 2004 E. 1.5), verjährungsunterbrechende Wirkung
beigemessen. Demgegenüber unterbrechen rein interne Handlungen eines Gerichts,
selbst wenn sie Verfügungscharakter haben (wie beispielsweise die Ernennung des
Referenten, die Anordnung der Aktenzirkulation, das Erstellen von Auszügen aus
den Akten), die Verjährung nicht, ausser sie würden den Parteien eröffnet (BGE
123 III 213 E. 6b S. 220; vgl. auch Pascal Pichonnaz, Commentaire romand, N. 6
zu Art. 138 OR; Spiro, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-,
Verwirkungs- und Fatalfristen, 1975, Bd. I, S. 348 Fn. 28). Ebenfalls nicht als
Verfügung des Richters im Sinne von Art. 138 OR anerkannt wurden die
Erkundigungen des Zivilrichters nach dem Stand eines Strafverfahrens (BGE 75 II
227 E. 3a S. 232). Keine verjährungsunterbrechende Wirkung kommt sodann den
gerichtlichen Handlungen zu, die aus Anlass des Verfahrens vorgenommen werden,
jedoch nicht unmittelbar auf dessen Fortgang bzw. Erledigung gerichtet sind,
wie etwa die Ausfällung einer Ordnungsstrafe und ein darauf bezogenes
Beschwerdeverfahren (BGE 21 246 E. 4 S. 251).

5.5 Bei den (mittels e-mail und mittels per Post versandten Schreiben
erfolgten) Erkundigungen der Ausgleichskasse nach dem Verbleib der
beschlagnahmten Akten handelt es sich, da die Kasse dabei an andere
Verwaltungsstellen (das Konkursamt, die Polizei und die Staatsanwaltschaft)
gelangt ist, nicht um rein interne Handlungen, welchen praxisgemäss -
jedenfalls soweit sie den Parteien nicht eröffnet wurden - keine
verjährungsunterbrechende Wirkung zukommt. Allerdings hat die Kasse die Akten -
anders als das Gericht im Verfahren B 87/00 (Urteil vom 10. Februar 2004) -
auch nicht bei einer am Recht stehenden Partei erhältlich zu machen versucht,
weshalb parteiseits von den entsprechenden Handlungen gar keine Kenntnis
erlangt wurde. Gerade dies wäre aber - auch im Sinne der ratio legis - für die
Zuerkennung verjährungsunterbrechender Wirkung entscheidend (vgl. BGE 133 III
675 E. 2.3.1 S. 679, 130 III 202 E. 3.2 S. 207, 106 II 32 E. 4 S. 35 f.
[betreffend gerichtliche Handlungen der Parteien]). Die Bemühungen der Kasse
sind hinsichtlich der Bestimmung des Art. 138 Abs. 1 OR gleich zu qualifizieren
wie die in BGE 75 II 227 E. 3a S. 232 beurteilte Nachfrage des Zivilrichters
nach dem Stand eines Strafverfahrens; auch sie unterbrechen den Lauf der
Verjährungsfrist mithin nicht. Da die Verjährungsfrist somit bereits bei
Durchführung der Arbeitgeberschlusskontrolle am 13. Juni 2007 abgelaufen war,
braucht deren Wirkung auf den Fristenlauf nicht erörtert zu werden.

5.6 Nicht gefolgt werden kann der Ausgleichskasse schliesslich auch, soweit sie
unter Bezugnahme auf das Rechtsmissbrauchsverbot geltend macht, der
Beschwerdegegner habe seine Mitwirkungspflicht bei der Erhebung der
Lohngrundlagen nicht wahrgenommen, welches Verhalten ihm als
Verjährungsverzicht anzurechnen sei. Denn als rechtsmissbräuchlich im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 ZGB nicht zu schützen wäre die Einrede der Verjährung nur, wenn
sie gegen erwecktes Vertrauen verstossen würde, der Schuldner insbesondere ein
Verhalten gezeigt hätte, das den Gläubiger bewogen hätte, während der
Verjährungsfrist rechtliche Schritte zu unterlassen, und das seine Säumnis auch
bei objektiver Betrachtungsweise als verständlich erscheinen liesse (BGE 131
III 430 E. 2 S. 437). Indessen ist nicht ersichtlich und wird auch von der
Kasse nicht dargetan, mit welchem Verhalten der Beschwerdegegner bei ihr
berechtigtes Vertrauen erweckt haben könnte. Dass die Verwaltung nicht
rechtzeitig rechtliche Schritte gegenüber dem Beschwerdegegner unternommen hat,
kann diesem nicht angelastet werden.

5.7 Bei dieser Sachlage ist der Schadenersatzanspruch gegenüber dem
Beschwerdegegner verjährt, wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Ausgleichskasse hat als unterliegende
Partei die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdegegner
steht bei diesem Prozessausgang eine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3000.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherungen, Marcel Lustenberger und Marc
Stöckli schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. Januar 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Keel Baumann