Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 894/2008
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_894/2008

Urteil vom 18. Dezember 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Attinger.

Parteien
M.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Egloff,
Bahnhofplatz 1, 5400 Baden,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
9. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1971 geborene M.________ kündigte im Februar 2005 ihre Stelle als
Medizinische Masseurin wegen gesundheitlicher Beschwerden auf Ende Mai 2005 und
beantragte im März 2005 bei der IV-Stelle des Kantons Aargau eine
Umschulungsmassnahme ("einjährige Vollzeit-Handelsschule"). Im daraufhin
zugestellten Fragebogen gab sie am 15. März 2005 an, dass sie ab 8. August 2005
während eines Jahres an der Schule X.________ die Handelsausbildung mit
Wahlfächern (Vollzeit) absolvieren werde. Am 9. Juni 2005 stellte die genannte
Schule der IV-Berufsberaterin einen entsprechenden Kostenvoranschlag zu. Mit
Verfügung vom 4. August 2005 und Einspracheentscheid vom 24. November 2005
lehnte die IV-Stelle das Begehren um Übernahme der Umschulung auf eine neue
Erwerbstätigkeit mangels eines leistungsbegründenden Invaliditätsgrades ab. Die
gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde wurde vom
Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 27. Juni 2006
abgewiesen. Die daraufhin eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das
Bundesgericht mit Urteil vom 30. Januar 2007 ab, soweit es darauf eintrat.

M.________ kam für die Umschulungskosten selber auf. Nachdem sie die
zweisemestrige Ausbildung mit der Erlangung des Handelsdiploms VSH am 8. Juli
2006 erfolgreich abgeschlossen hatte, beantragte sie bei der
SYNA-Arbeitslosenkasse mit Wirkung ab 17. Juli 2006 Taggelder der
Arbeitslosenversicherung. Die Arbeitslosenkasse verneinte mit Verfügung vom 21.
August 2006 und Einspracheentscheid vom 5. Oktober 2006 einen Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung, weil die Versicherte innerhalb der massgebenden
Rahmenfrist weder die zwölfmonatige Mindestbeitragszeit erfüllt hatte, noch
sich für insgesamt mehr als zwölf Monate über einen Beitragsbefreiungsgrund
ausweisen konnte.

M.________ verlangte daraufhin am 2. Februar 2007 von der IV-Stelle des Kantons
Aargau Schadenersatz in der Höhe von Fr. 53'483.- für entgangene
Arbeitslosentaggelder. Sie machte geltend, dass die Mitarbeiter der IV-Stelle
sie im Rahmen der seinerzeitigen Behandlung des IV-Gesuchs nicht auf den
bestehenden Anspruch gegenüber der Arbeitslosenversicherung aufmerksam gemacht
hätten, weshalb eine diesbezügliche Anmeldung unterblieben sei. Mit Verfügung
vom 29. August 2007 verneinte die IV-Stelle einen Schadenersatzanspruch von
M.________.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 9. September 2008 ab.

C.
M.________ führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, die IV-Stelle sei
zu verpflichten, ihr einen Schadenersatz in der Höhe von Fr. 53'483.- zuzüglich
Zins zu 5 % ab 2. Februar 2007 zu entrichten.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Eintretensvoraussetzungen
von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 134 V 138 E.
1 Ingress S. 140 mit Hinweisen).

1.1 Der angefochtene Entscheid dreht sich um eine auf Art. 78 ATSG (SR 830.1)
gestützte Schadenersatzforderung gegen eine IV-Stelle und betrifft damit eine
in die Zuständigkeit des Bundesgerichts fallende Angelegenheit des öffentlichen
Rechts im Sinne von Art. 82 lit. a BGG (BGE 134 V 138 E. 1.1 S. 140).

1.2 Es liegt eine vermögensrechtliche Angelegenheit auf dem Gebiet der
Staatshaftung im Sinne von Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG im Streit (BGE 134 V 138
E. 1.2 S. 141), weshalb die Beschwerde nur zulässig ist, wenn der Streitwert
mindestens Fr. 30'000.- beträgt. Aus der vorinstanzlichen Beschwerde und dem
angefochtenen Entscheid (vgl. Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG) lässt sich ohne
weiteres entnehmen, dass dieses Erfordernis erfüllt ist. Auf die Beschwerde ist
demnach einzutreten.

2.
Nach Art. 78 Abs. 1 ATSG haften für Schäden, die von Durchführungsorganen oder
einzelnen Funktionären von Versicherungsträgern einer versicherten Person oder
Dritten widerrechtlich zugefügt wurden, die öffentlichen Körperschaften,
privaten Trägerorganisationen oder Versicherungsträger, die für diese Organe
verantwortlich sind. Die Haftung setzt somit u.a. eine Widerrechtlichkeit
voraus. Da im hier zu beurteilenden Fall einzig ein reiner Vermögensschaden
geltend gemacht wird, setzt Widerrechtlichkeit ein Verhaltensunrecht voraus
(BGE 133 V 14 E. 8.1 S. 19). Dieses kann in einer Unterlassung bestehen, sofern
eine Pflicht zum Handeln bestanden hat. Die Beschwerdeführerin erblickt eine
solche Widerrechtlichkeit darin, dass die IV-Stelle sie in Verletzung von Art.
27 Abs. 3 ATSG nicht darüber in Kenntnis gesetzt habe, dass sie einen Anspruch
auf Arbeitslosenentschädigung gehabt hätte.

3.
3.1 Gemäss Art. 27 Abs. 2 ATSG hat jede Person Anspruch auf grundsätzlich
unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten; dafür zuständig sind
die Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die
Pflichten zu erfüllen sind; für Beratungen, die aufwendige Nachforschungen
erfordern, kann der Bundesrat die Erhebung von Gebühren vorsehen und den
Gebührentarif festlegen. Stellt ein Versicherungsträger fest, dass eine
versicherte Person oder ihre Angehörigen Leistungen anderer
Sozialversicherungen beanspruchen können, gibt er ihnen nach Abs. 3 der
genannten Gesetzesbestimmung unverzüglich davon Kenntnis. Abs. 2 von Art. 27
ATSG räumt dem Einzelnen einen individuellen Rechtsanspruch ein auf Beratung
durch den zuständigen Versicherungsträger über Rechte und Pflichten der um Rat
nachsuchenden Person. Sinn und Zweck der Beratungspflicht ist, die betreffende
Person in die Lage zu versetzen, sich so zu verhalten, dass eine den
gesetzgeberischen Zielen des jeweiligen Erlasses entsprechende Rechtsfolge
eintritt (BGE 131 V 472 E. 4.3 S. 478; SVR 2008 IV Nr. 10 S. 30, I 714/06 E.
4.1; Ulrich Meyer, Grundlagen, Begriff und Grenzen der Beratungspflicht der
Sozialversicherungsträger nach Art. 27 Abs. 2 ATSG, in: René Schaffhauser/Franz
Schlauri [Hrsg.], Sozialversicherungsrechtstagung 2006, S. 9 ff., insbes. S. 14
und 25 f.). Wie aus Abs. 3 von Art. 27 ATSG hervorgeht, hat der
Versicherungsträger den versicherten Personen oder ihren Angehörigen über
versicherungsfremde Leistungen lediglich unverzüglich Kenntnis zu geben, sobald
er eine in Betracht fallende Leistungsberechtigung eines weiteren
Versicherungsträgers erkennt. Für diese blosse Hinweispflicht genügt, dass eine
Leistungspflicht eines anderen Versicherungsträgers nach Lage der Akten und bei
objektiver Betrachtungsweise vernünftigerweise in Betracht fallen könnte
(Ulrich Meyer, a.a.O., S. 23 f.).

3.2 Beratungs- und Hinweispflicht nach Art. 27 Abs. 2 und 3 ATSG bestehen also
nicht voraussetzungslos, sondern nur dann, wenn ein hinreichender Anlass zur
Information besteht. Es kann vom Versicherungsträger nicht verlangt werden,
dass er die Versicherten über alle auch nur theoretisch denkbaren Ansprüche
informiert. Fehlen Anhaltspunkte dafür, dass jemand überhaupt in den von einer
anderen Versicherung erfassten Personenkreis fällt, stellt die unterbliebene
Information über diese Form der Versicherungsdeckung keine Verletzung gemäss
Art. 27 ATSG dar (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 187/06 vom
13. November 2006 E. 3.1). Schliesslich kann nicht erwartet werden, dass
Informationen abgegeben werden, die als allgemein bekannt vorausgesetzt werden
dürfen, würde dies doch dazu führen, dass die Verwaltung die Versicherten
vorsorglicherweise in jedem Fall mit Informationen überhäuft, die von diesen
weder benötigt noch gewünscht werden. Ein solches Vorgehen würde jedem Bemühen
um eine rationelle und bürgerfreundliche Verwaltungstätigkeit zuwiderlaufen.

4.
Es kann als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass arbeitslose Personen
(bei Erfüllung weiterer Erfordernisse) Anspruch auf Leistungen der
Arbeitslosenversicherung haben. Über diese Selbstverständlichkeit brauchte die
IV-Stelle die Beschwerdeführerin nicht zu informieren. Eine Informationspflicht
hätte höchstens dann bestanden, wenn für die IV-Organe konkrete Anhaltspunkte
erkennbar gewesen wären, dass die Beschwerdeführerin einen Anspruch gegenüber
der Arbeitslosenversicherung hatte, aus irgendwelchen Gründen aber davon
ausging, keinen solchen zu besitzen.

5.
Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat nur, wer u.a. in keinem
Anstellungsverhältnis steht und eine Beschäftigung sucht (Art. 10 AVIG) und
überdies vermittlungsfähig ist (Art. 15 AVIG). Nach den verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin der IV-Stelle
gegenüber mitgeteilt, sie werde die Handelsschule in jedem Fall, d.h.
unabhängig vom Entscheid der Invalidenversicherung besuchen und mache nach der
Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses (Lohnzahlung bis Ende Mai 2005) bis zum
Schulbeginn vom 8. August 2005 Ferien. Gemäss dem eingangs angeführten
Kostenvoranschlag, den die Schule X.________ den IV-Organen unterbreitet hatte,
mussten diese sodann davon ausgehen, dass es sich bei der ins Auge gefassten
Handelsschule um eine Vollzeitschule handelte. Unter diesen Umständen bestand
für die IV-Stelle kein Anlass anzunehmen, dass die Beschwerdeführerin Anspruch
auf Arbeitslosenentschädigung haben könnte; denn es gab keine Anzeichen dafür,
dass sie eine Stelle gesucht hätte und vermittlungsfähig gewesen wäre. Dass sie
allenfalls einen solchen Anspruch gehabt hätte, wenn sie - anstatt Ferien zu
machen und anschliessend die Schule zu besuchen - eine Arbeitsstelle gesucht,
aber nicht gefunden hätte, gehört zum Allgemeinwissen, auf welches die
Invalidenversicherung nicht hinzuweisen brauchte.

6.
Soweit die Beschwerdeführerin eine Schadenersatzpflicht daraus ableiten möchte,
dass die IV-Stelle nicht auf den Umstand hingewiesen habe, wonach der für die
Absolvierung der Handelsschule benötigte Zeitraum bei einem allfälligen
späteren Gesuch um Arbeitslosenentschädigung dazu führen könnte, dass die
erforderliche Mindestbeitragszeit (Art. 13 AVIG) nicht erreicht werde, fehlt es
an der Widerrechtlichkeit schon deshalb, weil sich die Hinweispflicht nach Art.
27 Abs. 3 ATSG nur auf Leistungen anderer Sozialversicherungen bezieht, welche
die versicherte Person oder ihre Angehörigen beanspruchen "können" (Präsens),
d.h. nur auf solche, die aktuell in Frage kommen, und nicht auch auf solche,
die allenfalls in Zukunft in Frage kommen könnten. Es darf vom
Versicherungsträger vernünftigerweise nicht erwartet oder gar verlangt werden,
dass er im Zusammenhang mit jedem ihm unterbreiteten Leistungsgesuch eine
umfassende Lebensplanung für die versicherte Person vornimmt und ihr darlegt,
inwiefern sich heutige Entscheidungen auf allfällige spätere Ansprüche auf
(hier sogar fremde) Sozialversicherungsleistungen auswirken könnten.

7.
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet und daher im vereinfachten
Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG abzuweisen.

8.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 65 Abs. 2 und 3 lit. b BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. Dezember 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Attinger