Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 881/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_881/2008

Urteil vom 14. August 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.

Parteien
J.________, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 3. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Nachdem ein erstes Leistungsbegehren mit Verfügung vom 28. August 2003
abgewiesen worden war, meldete sich der 1950 geborene, seit 1972 in der Schweiz
im Baugewerbe und in der holzverarbeitenden Industrie tätig gewesene J.________
unter Hinweis auf Rückenschmerzen im Juni 2004 erneut bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen in medizinischer
und erwerblicher Hinsicht, insbesondere einem Gutachten der ärztlichen
Begutachtungsstelle X.________ vom 24. Januar 2006, wies die IV-Stelle des
Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 13. April 2006 den Rentenanspruch gestützt
auf einen Invaliditätsgrad von 0 % ab und hielt mit Einspracheentscheid vom 17.
Januar 2007 daran fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen mit Entscheid vom 3. September 2008 ab.

C.
J.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihm
ab Mai 2005 mindestens eine halbe IV-Rente zuzusprechen. Eventualiter sei die
Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG; ohne Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG
und Art. 105 Abs. 3 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund
der Vorbringen in der Beschwerde an das Bundesgericht (Art. 107 Abs. 1 BGG) nur
zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der massgeblichen
materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (unter anderem) Bundesrecht
verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen
rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
Hiezu gehört insbesondere auch die unvollständige (gerichtliche) Feststellung
der rechtserheblichen Tatsachen und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes
als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteile 9C_534/2007 vom 27. Mai
2008, E. 1 mit Hinweis auf Ulrich Meyer, N 58-61 zu Art. 105, in: Niggli/
Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, Basel
2008; Seiler/von Werdt/ Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern
2007, N. 24 zu Art. 97).

2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die
Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der
bis 31. Dezember 2007 gültig gewesenen Fassung; vgl. jetzt Art. 28 Abs. 2 IVG)
sowie die Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG, ab 1. Januar 2004 bis Ende 2007 in
Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348 f., 128 V 29 E.
1 S. 30 f.) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die Ausführungen zum
Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten und zur Beweiswürdigung (BGE 125 V
351 E. 3 S. 352 ff.; 122 V 157 E. 1c S. 160 ff., je mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400). Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch. Dabei steht insbesondere in
Frage, ob zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit auf das Gutachten der ärztlichen
Begutachtungsstelle X.________ vom 24. Januar 2006 abzustellen ist. Während das
kantonale Gericht diese Expertise im Lichte der bundesgerichtlichen
Beweisgrundsätze (BGE 125 V 352 E. 3a) als massgebliche Entscheidgrundlage
einstuft und entsprechend von einer Arbeitsfähigkeit in einer körperlich
schweren Tätigkeiten von 0 %, jedoch in einer leidensangepassten Beschäftigung
(körperlich leicht bis mittelschwer in wechselnder Position) von 100 % ausgeht,
rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und des
rechtlichen Gehörs. Zum einen sei das Gutachten nicht umfassend. Es beruhe auf
veralteten Röntgenberichten. Neue bildgebende Untersuchungen seien nicht
durchgeführt worden und nicht einmal die veralteten Bilder hätten den
Gutachtern vorgelegen. Zudem habe das kantonale Gericht den am 21. Juni 2007
ins Recht gelegten Radiologiebericht des Spitals G.________ vom 16. April 2007
weder gewürdigt noch erwähnt, aus welchem sich ein grosser Unterschied zu den
Befunden vom 11. März 2002 ergebe, was schon im Zeitpunkt der Begutachtung
durch die ärztlichen Begutachtungsstelle X.________ hätte erkannt werden
müssen.

3.2 Die vorinstanzlichen Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit betreffen
grundsätzlich eine Tatfrage, welche bloss unter dem eingeschränkten Blickwinkel
von Art. 97 Abs. 1 BGG zu prüfen ist (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Dagegen
beschlägt die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der
Beweiswürdigungsregeln eine Rechtsfrage (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 132 V 393 E.
3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil 8C_74/2008 vom 22. August 2008, E. 2.3).

3.3 Das Gutachten der ärztlichen Begutachtungsstelle X.________ vom 24. Januar
2006 stützte sich auf den radiologischen Bericht der MR-Tomographie der
Halswirbelsäule (HWS) des Spitals Y.________ vom 4. Februar 2004, wobei erwähnt
wurde, leider lägen die Bilder zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht vor. Gemäss
diesem Bericht ergebe sich folgender Befund: Geringgradige mehrsegmentale
zervikale Diskopathie im Sinne von Chondrose ohne Nachweis einer Diskushernie.
Regelrecht weiter Spinalkanal ohne Spinalkanalstenose. Regelrechtes
Signalverhalten im zervikalen und mitabgebildeten thorakalen Myelon ohne
Nachweis einer Myelopathie. Die Vorinstanz erwog dazu, ein Verzicht auf die
Erstellung weiterer Röntgenbilder sei nicht zu beanstanden, da offenbar keine
klinischen Hinweise auf eine relevante bildgebend darstellbare Pathologie
vorlagen und die bereits vorhandenen Röntgenbilder bzw. die Berichte dazu
offenbar eine zuverlässige Beurteilung der Arbeitsfähigkeit ermöglichten.
Im vom Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren ins Recht gelegten
Radiologiebericht des Spitals G.________ vom 16. April 2007 wurde als
zusammenfassende Beurteilung aufgeführt: "L4/5: Links mediolateral nach
intraforaminär reichender Diskusprolaps mit Verdacht auf Kompression der
L5-Wurzel links. Rechtsseitig liegt eine in das Foramen reichende Protrusion
vor. In diesem Segment auch hypertrophe Spondylarthrose sowie Hypertrophie der
Ligamenta flava. Durch die genannten Veränderungen kommt es zu einer
höhergradigen Spinalkanalstenose in diesem Segment. L3/4: Spondylarthrose und
Hypertrophie der Ligamenta flava mit geringer Einengung des Recessus lateralis
beidseits. L5/S1: Konzentrische Diskusprotrusion sowie geringe Spondylarthrose
beidseits. Erheblich eingeschränkte Bildqualität durch zum Teil ausgeprägte
Bewegungsartefakte. Falls von therapeutischer Konsequenz gegebenenfalls
ergänzende Computertomographie der LWS empfohlen, da die Computertomographie
weniger empfindlich für Bewegungsartefakte ist."

3.4 Diesen Radiologiebericht hat die Vorinstanz weder gewürdigt noch überhaupt
erwähnt. Dazu wäre sie aber im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes gerade
deshalb verpflichtet gewesen, weil sich zum einen aus diesem Bericht
objektivierbare Befunde betreffend die Rückenbeschwerden ergeben, welche auf
eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes hinweisen, und zum anderen der
Beschwerdeführer bereits vor Vorinstanz geltend gemacht hatte, zur umfassenden
Abklärung des Gesundheitszustandes genügten die von der ärztlichen
Begutachtungsstelle X.________ berücksichtigten veralteten Röntgenbilder nicht
und es seien neue bildgebende Untersuchungen durchzuführen. Dass der Bericht
nach Erlass des Einspracheentscheides vom 17. Januar 2007 datiert, ändert daran
nichts, ist doch nicht davon auszugehen, dass sich die dort erhobenen Befunde
erst in den knapp drei Monaten vor der Befunderhebung gebildet haben. Unter
diesen Umständen vermag das Gutachten der ärztlichen Begutachtungsstelle
X.________ kein umfassendes Bild über den Gesundheitszustand des Versicherten
zu geben, zumal die zeitliche Distanz zu den dort berücksichtigten (nicht
einmal im Original, sondern nur im Rahmen eines Befundberichts vorliegenden)
Röntgenbildern vom 4. Februar 2004 rund zwei Jahre beträgt (vgl. Urteil 9C_561/
2007 vom 11. März 2008, E. 5.2.2 mit Hinweisen) und seit der Begutachtung bis
zum Erlass des Einspracheentscheides ein weiteres Jahr verstrichen ist. Indem
die Vorinstanz unter diesen Umständen abschliessend auf das Gutachten der
ärztlichen Begutachtungsstelle X.________ abgestellt hat, ohne weitere
Abklärungen durchzuführen oder zu veranlassen, hat sie den Sachverhalt
unvollständig festgestellt und den Untersuchungsgrundsatz verletzt (Art. 69
Abs. 2 IVV, Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG; BGE 130 V 6 E. 5.2.5 S. 68
f.), was vom Bundesgericht als Rechtsverletzung zu berücksichtigen ist. Die
Sache ist daher an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie den
Gesundheitszustand des Versicherten erneut abkläre und anschliessend über den
Rentenanspruch neu entscheide.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons St. Gallen vom 3. September 2008 und der Einspracheentscheid der
IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 17. Januar 2007 werden aufgehoben. Die
Sache wird an die IV-Stelle des Kantons St. Gallen zurückgewiesen, damit sie,
nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf eine
Invalidenrente neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, der Ausgleichskasse des Schreiner-, Möbel- und Holzgewerbes, und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. August 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Helfenstein Franke