Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 880/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_880/2008

Urteil vom 12. Mai 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen, Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.

Parteien
M.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Firma X.________,

gegen

Ausgleichskasse Hotela, Rue de la Gare 18, 1820 Montreux,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 15.
September 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1943 geborene M.________ war 2004 und 2005 Gesellschafter der
Kommanditgesellschaften H.________ und C.________ sowie der
Kollektivgesellschaft (mit der damaligen Firma) K.________. In dieser
Eigenschaft war er der Ausgleichskasse Hotela als Selbständigerwerbender
angeschlossen. Am 7. November 2007 meldete die zuständige kantonale
Steuerbehörde aufgrund der Veranlagung für die direkte Bundessteuer für 2004
und 2005 Einkommen aus «Handel, Gewerbe, Industrie oder freie Berufe» von Fr.
1'376'553.- und Fr. 1'263'720.-, «Persönliche AHV/IV/EO-Beiträge» von Fr.
246'749.- und Fr. 104'308.- sowie ein «Im Betrieb arbeitendes Eigenkapital» von
Fr. 1'635'882.- und Fr. 1'627'753.-. Gestützt auf diese Angaben ermittelte die
Ausgleichskasse bei einem Zins auf dem Eigenkapital von 2,5 % resp. 2 %
beitragspflichtige Einkommen von Fr. 1'582'402.- (2004) und Fr. 1'335'468.-
(2005). Mit definitiven Rektifikationsverfügungen vom 15. November 2007 setzte
sie die Beiträge auf Fr. 150'327.60 für 2004 und Fr. 126'862.80 für 2005 fest.
Mit Einspracheentscheiden vom 20. Dezember 2007 bestätigte die Ausgleichskasse
die Beitragsverfügungen, wobei sie den geltend gemachten Abzug der
Einkaufssummen in die zweite Säule im Kalenderjahr 2005 vom beitragspflichtigen
Einkommen verweigerte.

B.
M.________ liess beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Beschwerde einreichen
und beantragen, die Einspracheentscheide vom 20. Dezember 2007 seien aufzuheben
und das beitragspflichtige Erwerbseinkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit
(vor Zinsabzug) sei auf Fr. 1'375'553.- (2004) und Fr. 1'043'820.- (2005)
festzusetzen.

Die Ausgleichskasse Hotela schloss in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der
Beschwerde. In ihrer Duplik anerkannte sie für das Jahr 2005 eine Differenz von
Fr. 30'000.- zu Gunsten des Beitragspflichtigen, hielt im Übrigen aber an ihren
Anträgen fest.

Mit Entscheid vom 15. September 2008 hiess die Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung des kantonalen Verwaltungsgerichts die Beschwerde insofern teilweise
gut, als es den Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2007 betreffend die
Beiträge für 2005 aufhob und die Sache an die Ausgleichskasse zurückwies, damit
sie im Sinne der Erwägungen verfahre und die Beiträge für dieses Jahr neu
festlege. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 15. September 2008 sei aufzuheben und
die Sache an das kantonale Verwaltungsgericht zurückzuweisen, damit es im Sinne
der Erwägungen verfahre (Ermittlung der durchschnittlichen Erwerbseinkommen für
2004 und 2005 ohne Aufrechnung der aus dem Privatvermögen bezahlten AHV/IV/
EO-Beiträge).

Die Ausgleichskasse Hotela beantragt die Abweisung der Beschwerde. Kantonales
Gericht und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung.

D.
Der Instruktionsrichter hat bei der Steuerverwaltung des Kantons Bern eine
Beweisauskunft zu den Steuermeldungen vom 7. November 2007 eingeholt.

Erwägungen:

1.
Der vorinstanzliche Entscheid stellt einen Zwischenentscheid im Sinne von Art.
93 BGG dar, soweit er die Sache an die Ausgleichskasse zurückweist, damit sie
die Beiträge für 2005 im Sinne der Erwägungen neu festlege. Die Verwaltung hat
dagegen nicht Beschwerde erhoben. Somit ist das Rechtsbegehren, das
beitragspflichtige Erwerbseinkommen für 2005 sei ohne Aufrechnung der aus dem
Privatvermögen bezahlten AHV/IV/EO-Beiträge zu ermitteln, unzulässig und darauf
nicht einzutreten (BGE 133 V 477).

2.
Materiell streitig ist, ob die in der Steuermeldung vom 7. November 2007
betreffend das Beitragsjahr 2004 angegebenen «Persönliche AHV/IV/EO-Beiträge»
von Fr. 246'749.- zum Einkommen aus «Handel, Gewerbe, Industrie oder freie
Berufe» von Fr. 1'376'553.- hinzuzurechnen sind. Diese Frage ist frei zu
prüfen. Wie die Vorinstanz richtig erkannt hat, beschränkt sich die absolute
Verbindlichkeit der Angaben der Steuerbehörden für die Ausgleichskassen und die
daraus abgeleitete relative Bindung des Sozialversicherungsgerichts an die
rechtskräftigen Steuerentscheide grundsätzlich auf die Bemessung des für die
Belange der AHV massgebenden Einkommens und des betrieblichen Eigenkapitals.
Sie betrifft somit weder die Qualifikation von Einkünften als
beitragspflichtiges Erwerbseinkommen und gegebenenfalls solches aus
selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit noch die Frage, ob die betreffende
Person überhaupt der Beitragspflicht untersteht (Art. 23 Abs. 1 und 4 AHVV; BGE
121 V 80 E. 2c S. 83; Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 189/04 vom 15.
Februar 2005 E. 2.3.2 und H 175/03 vom 8. Juni 2004 E. 2.3, je mit Hinweisen).
Bei der Aufrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen zum Einkommen aus
selbständiger Erwerbstätigkeit geht es nicht um eine Frage der Bemessung des
beitragspflichtigen Einkommens.

3.
3.1 Nach Art. 9 Abs. 2 Ingress und lit. d Satz 2 AHVG dürfen - im Gegensatz zur
direkten Bundessteuer (Art. 33 Abs. 1 lit. d und f DBG) - bei der Ermittlung
des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit die AHV/IV/EO-Beiträge nicht
vom hierdurch erzielten rohen Einkommen abgezogen werden. Die unterschiedliche
Behandlung der persönlichen Beiträge im Bundessteuerrecht einerseits und im
AHV-Recht anderseits hat zur Folge, dass das von der Steuerbehörde gemeldete
Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit gemäss Veranlagung für die direkte
Bundessteuer um die in der Steuererklärung deklarierten und zum Abzug
zugelassenen Beiträge zu erhöhen ist (Art. 27 Abs. 1 AHVV). In diesem Sinne
aufzurechnen sind die im entsprechenden Jahr tatsächlich bezahlten oder
allenfalls verfügten resp. in Rechnung gestellten Beiträge. Diese Aufrechnung
kann die Ausgleichskasse gestützt auf die bei ihr vorhandenen Unterlagen
vornehmen, ohne dass es zusätzlicher Angaben der Steuerbehörden bedürfte (BGE
111 V 289 E. 4 S. 295 ff.; AHI 2004 S. 46, H 243/01 E. 4.3; Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts H 316/98 vom 19. Oktober 1999 E. 2b).
3.2
3.2.1 Bei der Veranlagung der direkten Bundessteuer für 2004 waren
unbestrittenermassen (aus dem Privatvermögen bezahlte)
Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von Fr. 246'749.- anerkannt und zum
Abzug gebracht worden. Diese Summe war unter «Aufwendungen und allgemeine
Abzüge, Mann: AHV/IV/EO als nicht Erwerbstätiger» deklariert worden. Dabei
handelte es sich jedoch um Beiträge aus selbständiger Erwerbstätigkeit. Der
Beschwerdeführer galt aufgrund seiner Stellung als Gesellschafter der
Kommanditgesellschaften H.________ und C.________ sowie der
Kollektivgesellschaft (mit der damaligen Firma) K.________ als
Selbständigerwerbender im steuer- und AHV-rechtlichen Sinne, worauf er selber
ausdrücklich hinweist. Dies schliesst den Status als Nichterwerbstätiger und
die Bezahlung entsprechender Beiträge aus. Die kantonale Steuerverwaltung hat
in ihrer Beweisauskunft vom 29. April 2009 die - im Veranlagungsverfahren nicht
korrigierte - Deklaration der fraglichen Beiträge als
Nichterwerbstätigenbeiträge zwar als nicht üblich und grundsätzlich auch nicht
korrekt bezeichnet. Sie weist indessen darauf hin, dass der Beschwerdeführer
diese Beiträge nicht als geschäftsmässig begründeten Aufwand der
Kollektivgesellschaft belastet und somit nur einmal vom steuerbaren (rohen)
Einkommen in Abzug gebracht habe.
3.2.2 Die Bezahlung der Beiträge aus selbständiger Erwerbstätigkeit aus dem
Privatvermögen und deren Deklaration als Beiträge als Nichterwerbstätiger
führen steuerlich zum selben Ergebnis, wie wenn sie - korrekt - der
Erfolgsrechnung des Geschäfts belastet und auf diesem Weg vom (rohen) Einkommen
als Selbständigerwerbender abgezogen werden. Die direkte Bundessteuer kennt
keine unterschiedlichen Steuersätze je nachdem, ob es sich um Einkommen aus
unselbständiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit oder um Wertschriftenertrag
handelt. Daraus folgt nun aber sofort, dass eine Aufrechnung der - nicht als
Betriebsaufwand in den Erfolgsrechnungen der drei Personengesellschaften
verbuchten - AHV/IV/EO-Beiträge von Fr. 246'749.- beim Einkommen aus
selbständiger Erwerbstätigkeit zu einer Erweiterung des Beitragssubstrats oder
damit gleichbedeutend zu einem höheren als dem gesetzlich festgeschriebenen
Beitragssatz von 10,4 % (9,5 % von 109,5 %) führt, wie in der Beschwerde zu
Recht gerügt wird.

Dies hat die Vorinstanz bei ihrer - nicht unbedingt klaren - Begründung,
weshalb die in der Steuermeldung vom 7. November 2007 betreffend das
Beitragsjahr 2004 angegebenen «Persönliche AHV/IV/ EO-Beiträge» von Fr.
246'749.- zum Einkommen aus «Handel, Gewerbe, Industrie oder freie Berufe» von
Fr. 1'376'553.- hinzuzurechnen seien, zu wenig bedacht. Beiträge aus
selbständiger Erwerbstätigkeit stellen - systemimmanent - zwar immer
Geschäftsaufwand dar, auch wenn sie in der Erfolgsrechnung nicht als solcher
verbucht und aus dem Privatvermögen bezahlt werden. Umgekehrt ist die
Aufrechnung von Beiträgen gleichbedeutend mit deren Qualifikation als
persönliche Beiträge aus selbständiger Erwerbstätigkeit. Daraus folgt indessen
nicht, dass im entsprechenden Jahr tatsächlich bezahlte, allenfalls verfügte
oder in Rechnung gestellte Beiträge aus selbständiger Erwerbstätigkeit immer
dann aufzurechnen sind, wenn sie im Rahmen der Veranlagung der direkten
Bundessteuer bei der Ermittlung des (gesamten) steuerbaren Einkommens
berücksichtigt wurden. Erfolgte der Abzug nicht in Form von in der
Erfolgsrechnung verbuchtem Betriebsaufwand, dürfen die betreffenden Beiträge
nicht zum Einkommen hinzugerechnet werden. Die gegenteilige Auffassung
bedeutete, die privaten Mittel, mit welchen die Beiträge bezahlt wurden,
gleichsam als zusätzlichen (ausserordentlichen) Geschäftsgewinn zu betrachten,
was zumindest bei natürlichen Personen nicht angehen kann. Die Beschwerde ist
insoweit begründet.

3.3 Nach Abzug des Zinses des im Betrieb investierten Eigenkapitals von Fr.
40'900.- gemäss Verfügung vom 15. November 2007 ergibt sich für 2004 ein
beitragspflichtiges Einkommen von Fr. 1'335'653.-.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend haben die Parteien je die Hälfte der
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat nach
Massgabe seine Obsiegens Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2
BGG). Die Ausgleichskasse hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68
Abs. 3 BGG; Urteil 2P.270/2002 vom 31. März 2003 E. 3).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung, vom 15. September 2008 wird mit Bezug auf das Beitragsjahr 2004
aufgehoben und es wird festgestellt, dass das beitragspflichtige Einkommen aus
selbständiger Erwerbstätigkeit Fr. 1'335'653.- beträgt.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3500.- werden je zur Hälfte dem Beschwerdeführer
(Fr. 1750.-) und der Beschwerdegegnerin (Fr. 1750.-) auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1400.- zu entschädigen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung, hat die Parteientschädigung für das erstinstanzliche
Beschwerdeverfahren neu festzusetzen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. Mai 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Fessler