Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 872/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_872/2008

Urteil vom 30. Dezember 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, nebenamtlicher Bundesrichter Bühler,
Gerichtsschreiberin Amstutz.

Parteien
Pensionskasse der Berner Versicherungs-Gruppe, Gesellschaft für
Vorsorgeberatung, Effingerstrasse 34, 3008 Bern,
Beschwerdeführerin,

gegen

W.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Urs P. Keller, Schweizer
Neuenschwander & Partner, Rotfluhstrasse 91, 8702 Zollikon.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 18. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1970 geborene W.________ war vom 1. Juli 2001 bis 30. April 2004 bei der
Lebensversicherung X.________ angestellt und gestützt auf dieses
Arbeitsverhältnis bei der Pensionskasse Berner Versicherungs-Gruppe (im
Folgenden: Pensionskasse) berufsvorsorgeversichert. Mit Austrittsabrechnung vom
16. Juni 2004 bezifferte die Pensionskasse die Austrittsleistung auf Fr.
83'484.05, und am 21. Juni 2004 überwies sie diesen Betrag zuzüglich Zins von
Fr. 295.65 an die "Zürich" Versicherungs-Gesellschaft als Vorsorgeeinrichtung
der neuen Arbeitgeberfirma. Mit Schreiben vom 14. April 2005 teilte die
Pensionskasse der "Zürich" mit, die Freizügigkeitsleistung belaufe sich
lediglich auf Fr. 30'128.15; gleichzeitig ersuchte sie um Rückerstattung des zu
viel überwiesenen Betrags von Fr. 53'355.70. Die "Zürich" teilte am 27. Februar
2006 mit, dass der Kollektivversicherungsvertrag mit der neuen Arbeitgeberin
von W.________ auf die National Versicherung übergegangen sei, worauf die
Pensionskasse in ihrer weiteren Korrespondenz sowohl diese Versicherung als
auch W.________ persönlich zur Rückerstattung von Fr. 53'355.70 aufforderte.
Mit Schreiben vom 26. Februar 2007 erhob der Rechtsvertreter von W.________ die
Einrede der Verjährung.

B.
Am 23. Mai 2007 erhob die Pensionskasse Klage mit dem Rechtsbegehren,
W.________ sei zu verpflichten, ihr Fr. 53'543.40 nebst Zins von 3.25 % ab 1.
Juni 2004 und von 3.5 % ab 1. Januar 2005 zu bezahlen. Das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich führte einen doppelten
Schriftenwechsel durch und wies die Klage mit Entscheid vom 18. September 2008
ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt die
Pensionskasse ihr vorinstanzlich gestelltes Rechtsbegehren erneuern.
W.________ lässt Abweisung der Beschwerde beantragen. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Bundesrechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 lit. a BGG überprüft das
Bundesgericht frei. Der grundsätzlich freien Überprüfung unterliegt - im Rahmen
der Rechtsanwendung von Amtes wegen und der den Parteien obliegenden
Rügepflicht (Art. 106 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) - auch das
von einer Vorsorgeeinrichtung reglementarisch oder statutarisch (unter
Einschluss der Stiftungsurkunde) erlassene Berufsvorsorgerecht (vgl. BGE 134 V
199 E. 1.2 S. 200; BGE 116 V 333 E. 2b S. 334; Ulrich Meyer, Basler Kommentar
zum Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N. 10 zu Art. 106; Markus Schott, Basler
Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N. 46 zu Art. 95; Hansjörg
Seiler, in: Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007,
N. 16 zu Art. 95). In tatsächlicher Hinsicht ist die Überprüfungsbefugnis des
Bundesgerichts dahingehend eingeschränkt, dass es die
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz von Amtes wegen nur berichtigen oder
ergänzen kann, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Streitig ist, ob die Rückerstattungsforderung von Fr. 53'543.40 nebst Zins seit
21. Juni 2004 verjährt ist.

2.1 Das kantonale Gericht hat zutreffend festgehalten, dass das Bundesgesetz
über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) vom
25. Juni 1982 in der hier intertemporalrechtlich massgebenden, bis zum
Inkrafttreten der ersten BVG-Revision am 1. Januar 2005 gültig gewesenen
Fassung keine Normen über die Rückerstattung von zu Unrecht bezogenen
Leistungen enthielt. Die Rückerstattung von unrechtmässig ausgerichteten
Leistungen aus der obligatorischen und überobligatorischen beruflichen Vorsorge
richtete sich daher bis zum 1. Januar 2005 in erster Linie nach dem anwendbaren
Reglement, subsidiär nach den Vorschriften von Art. 62 ff. über die
ungerechtfertigte Bereicherung (BGE 130 V 414 E. 2 S. 417, 128 V 50 E. 3a S.
52, 128 V 236 E. 2a S. 239). Ebenso war für die Verjährung von vor dem 1.
Januar 2005 entstandenen berufsvorsorgerechtlichen Rückerstattungsforderungen
die Verjährungsregelung von Art. 67 OR anwendbar, soweit das Reglement oder die
Statuten der Vorsorgeeinrichtung hiefür keine Regelung enthielten (BGE 130 V
414 E. 3.2 S. 418, 128 V 236 E. 3a S. 241).

2.2 Die Vorinstanz hat ferner richtig dargelegt, dass das Reglement der
Pensionskasse in Ziffer 4.1 lit. l zwar eine reglementarische Bestimmung über
die Rückerstattungspflicht für zu Unrecht bezogene Leistungen samt Zinsen
unabhängig von der beim Versicherten noch vorhandenen Bereicherung enthält,
hingegen eine reglementarische Regelung der Verjährung fehlt. Demgemäss
erachtete das kantonale Gericht die Verjährungsregelung von Art. 67 Abs. 1 OR
als massgebend, wonach Rückerstattungsforderungen mit Ablauf eines Jahres
verjähren, nachdem die Vorsorgeeinrichtung von ihrem Anspruch Kenntnis erhalten
hat.

2.3 Die Pensionskasse hatte spätestens am 14. April 2005 Kenntnis von ihrem
Rückerstattungsanspruch, als sie die "Zürich" um Rückzahlung des Betrages von
Fr. 53'355.70 ersuchte. In der Folge hat sie bis zur Klageeinreichung vom 23.
Mai 2007 keine verjährungsunterbrechende Handlung im Sinne von Art. 135 OR
vorgenommen, weshalb die Verjährung gemäss Art. 67 Abs. 1 OR in diesem
Zeitpunkt bereits eingetreten war.

3.
3.1 Die Pensionskasse macht geltend, wenn eine Vorsorgeeinrichtung von der
Möglichkeit Gebrauch mache, die Rückerstattung unrechtmässig ausgerichteter
Leistungen in ihrem Reglement zu regeln, so liege ein (vorsorge-)vertraglicher
Anspruch und nicht ein Bereicherungsanspruch vor. Die Verjährungsbestimmung von
Art. 67 Abs. 1 OR stelle im Verhältnis zur ordentlichen Verjährungsfrist von
zehn Jahren gemäss Art. 127 OR eine lex specialis dar. Sie sei ausschliesslich
auf diejenigen Rückerstattungsobligationen anwendbar, welche ihre
Anspruchsgrundlage in Art. 62 Abs. 1 OR finden. Da der klageweise geltend
gemachte Rückforderungsanspruch auf dem Reglement der Pensionskasse und nicht
auf Art. 62 OR beruhe, könne er auch nicht nach Art. 67 Abs. 1 OR verjähren.
3.2
3.2.1 Die Rückerstattung von unrechtmässig ausgerichteten Vorsorgeleistungen
beruht darauf, dass dem Versicherten Leistungen zugeflossen sind, für die es an
einer gesetzlichen oder vertraglichen Rechtsgrundlage fehlt. Rechtsgrund des
Rückerstattungsanspruches ist, dass dem Versicherten kein vertragliches oder
gesetzliches Recht zusteht, die empfangene Leistung behalten zu dürfen. Auch
dann, wenn die Rückerstattungspflicht des Versicherten ausdrücklich
reglementarisch - wie hier in Ziff. 4 lit. l des Reglementes der Pensionskasse
- vorgesehen ist, hat der Rückerstattungsanspruch die Rückführung einer
rechtsgrundlos und damit nicht vorsorgevertragskonform ausgerichteten Leistung
zum Gegenstand. Auch in diesem Fall bildet Rechtsgrund der
Rückerstattungsforderung die unrechtmässige Leistungsausrichtung und nicht der
Vorsorgevertrag.
3.2.2 Vor der am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen gesetzlichen Regelung der
Rückerstattung von zu Unrecht bezogenen Berufsvorsorgeleistungen in Art. 35a in
Verbindung mit Art. 49 Abs. 2 Ziff. 4 BVG hätten Rückerstattungsforderungen von
Vorsorgeeinrichtungen beim Fehlen einer reglementarischen Verjährungsregelung
zumindest im Bereich der überobligatorischen Vorsorge als Forderungsrechte des
Bundeszivilrechts eingestuft und dem ordentlichen Verjährungsregime von Art.
127 in Verbindung mit Art. 130 Abs. 1 OR mit einer zehnjährigen
Verjährungsfrist ab Fälligkeit der Rückerstattungsforderung unterstellt werden
können. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat aber diese Lösung nie in
Erwägung gezogen, sondern jeweils abgewogen, ob im Berufsvorsorgerecht die
analoge Anwendung der Regeln von Art. 47 aAHVG oder die Anwendung der
bereicherungsrechtlichen Normen von Art. 62 ff. OR die sachgerechte Lösung
darstellt (BGE 128 V 50 E. 2 S. 51 f., 236 E. 2a und b S. 239 f., 115 V 115 E.
3 S. 117 f.: Frage offen gelassen). Dabei hat es sowohl für die Rückerstattung
obligatorischer (BGE 128 V 236 E. 3 S. 240 f.) als auch überobligatorischer
(BGE 128 V 50 E. 3 S. 52) Berufsvorsorgeleistungen der Anwendung der
bereicherungsrechtlichen Verjährungsordnung des Art. 67 Abs. 1 OR den Vorzug
gegeben. Diese ist für berufsvorsorgerechtliche Rückerstattungsansprüche im
Vergleich zum ordentlichen Verjährungsregime von Art. 127 in Verbindung mit
Art. 130 Abs. 1 OR deshalb sachgerechter, weil sie die Verjährung nicht schon
mit der Entstehung und Fälligkeit der Rückerstattungsforderung beginnen lässt,
sondern den Beginn der relativen Verjährungsfrist hinausschiebt bis zum
Zeitpunkt, in dem die Vorsorgeeinrichtung von ihrem Rückerstattungsanspruch
hinreichende Kenntnis erlangt hat. Dem Interesse der Vorsorgeeinrichtung, dass
die Verjährung erst mit der Entdeckung der rechtsgrundlosen
Leistungsausrichtung beginnt, steht aber das Schutzbedürfnis des Versicherten
gegenüber. Dieses verlangt, dass die Vorsorgeeinrichtung die
Rückerstattungsforderung relativ rasch innerhalb einer einjährigen relativen
Verjährungsfrist auf dem Rechtsweg geltend macht, sobald sie davon Kenntnis
erlangt hat. Der in Art. 67 Abs. 1 OR in dieser Weise ausgestaltete
Interessenausgleich ist für die Rückerstattung unrechtmässiger
Vorsorgeleistungen sachgerechter als die allgemeine Verjährungsordnung, welche
einen Schwebezustand während zehn Jahren ab dem Zeitpunkt zur Folge hätte, in
dem eine rechtsgrundlose Vorsorgeleistung ausgerichtet worden ist. Für das
übrige Sozialversicherungsrecht hat der Gesetzgeber in Art. 25 Abs. 2 Satz 1
ATSG die Abwägung der Interessen von Sozialversicherungsträger und Versichertem
im Zusammenhang mit der Rückerstattung von unrechtmässig ausgerichteten
Leistungen in derselben Weise vorgenommen und ebenfalls eine einjährige
relative Verjährungsfrist vorgesehen.
3.2.3 Es sprechen demgemäss keine triftigen Gründe für eine Änderung der
dargelegten Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes
dahingehend, dass vor dem 1. Januar 2005 entstandene Rückerstattungsforderungen
von Vorsorgeeinrichtungen beim Fehlen einer reglementarischen
Verjährungsregelung nicht der Verjährungsordnung von Art. 67 Abs. 1 OR, sondern
derjenigen von Art. 127 in Verbindung mit Art. 130 Abs. 1 OR unterliegen
sollen.

4.
Dem Prozessausgang entsprechend gehen die zu erhebenden Gerichtskosten (Art. 65
Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) zu Lasten der Beschwerdeführerin (Art. 66 Abs. 1
BGG). Diese ist zudem gegenüber dem Beschwerdegegner entschädigungspflichtig
(Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2000.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. Dezember 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Amstutz