Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 868/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_868/2008

Urteil vom 24. Juli 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.

Parteien
D.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch W.________, Amtsvormundschaft,

gegen

BVG-Sammelstiftung Swiss Life,
General Guisan-Quai 40, 8002 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 16. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1977 geborene D.________, angelernte Bäckerin/Konditorin, arbeitete nach
verschiedenen Anstellungen als Bäckerin und Verkäuferin sowie dem Bezug von
Arbeitslosenttaggeldern vom 8. April 2002 bis 31. Mai 2003 als Hausangestellte
und Kinderbetreuerin bei der Familie F.________ und war in dieser Eigenschaft
bei der BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt berufsvorsorgeversichert. Am 22.
Juni 2004 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Mit Verfügungen vom 5. Dezember 2005 und 5. Januar 2006 sprach die IV-Stelle
Luzern D.________ mit Wirkung ab 1. Juni 2004 eine ganze Invalidenrente
gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 89 % zu.

B.
Mit Eingabe vom 10. April 2007 ans Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
verlangte D.________, vertreten durch ihre Beiständin W.________, von der
BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt die Ausrichtung einer BVG-Invalidenrente
ab 1. Juni 2004 und ersuchte gleichzeitig um unentgeltliche Rechtspflege. Das
Verwaltungsgericht wies die Klage mit Entscheid vom 16. September 2008 ab und
trat auf das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht ein.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt D.________
beantragen, die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, "im Rahmen der
Vorleistungspflicht gemäss Art. 26 Abs. 4 BVG eine Rente zuzusprechen, die
Mitgliedschaft wieder einzurichten und der Versicherten die Sicherung der
Altersguthaben gemäss Art. 14 BVV zu gewähren". Zudem ersucht sie um Gewährung
der unentgeltlichen Prozessführung.
Die BVG-Sammelstiftung Swiss Life (Namensänderung der Beschwerdegegnerin am 30.
April 2009) schliesst auf Nichteintreten, eventualiter auf Abweisung der
Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes
wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an
die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem
anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III
136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu
begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b
BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es
ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden
rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr
vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem
und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der
Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Streitig ist der Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Invalidenrente
der beruflichen Vorsorge. Dabei steht in Frage, ob bei ihr während des
Arbeitsverhältnisses mit der Familie F.________ bis 31. Mai 2003 oder innerhalb
der einmonatigen Nachdeckungsfrist eine relevante Arbeitsunfähigkeit
eingetreten ist.

2.2 Im angefochtenen Entscheid werden die gesetzlichen Bestimmungen und
Grundsätze zu Beginn und Ende der Versicherungspflicht (Art. 10 Abs. 1 und 2
lit. b BVG), zur Nachdeckungsfrist (Art. 10 Abs. 3 BVG) und zum Anspruch auf
Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge (Art. 23 BVG in der Fassung
geltend bis 31. Dezember 2004) zutreffend dargelegt. Ebenfalls richtig
festgehalten hat das kantonale Gericht, dass die Versicherteneigenschaft als
Leistungsvoraussetzung nicht erst im Zeitpunkt des Eintritts der Invalidität,
sondern bereits beim Auftreten der für die Entstehung der Invalidität
relevanten Arbeitsunfähigkeit im Sinne einer Einbusse an funktionellem
Leistungsvermögen im bisherigen Beruf gegeben sein muss (BGE 130 V 97 E. 3.3 S.
101) und dabei im Falle, da eine Person trotz Lohnzahlung tatsächlich erheblich
arbeitsunfähig ist, arbeitsrechtlich in Erscheinung zu treten hat, dass die
Versicherte Leistungsvermögen eingebüsst hat, so etwa durch einen Abfall der
Leistungen mit entsprechender Feststellung oder gar Ermahnung des Arbeitgebers
oder durch gehäufte, aus dem Rahmen fallende gesundheitlich bedingte
Arbeitsausfälle, wobei eine erst nach Jahren rückwirkend festgelegte
medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit allein nicht genügt (BGE 134 V 20
E. 5.3 S. 27). Darauf wird verwiesen.

2.3 Die IV-Stelle hatte der Versicherten ab 1. Juni 2004 eine ganze
Invalidenrente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 89 % zugesprochen und
ging damit vom spätesten Beginn der Wartezeit im Juni 2003 aus. Während die
Beschwerdegegnerin noch vor Vorinstanz die Auffassung vertreten hatte, die
massgebliche Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin sei noch vor dem
Anstellungsverhältnis bei der Familie F.________ eingetreten, stellt sie sich
nunmehr auf den Standpunkt, für die Anstellungsdauer bei der Familie F.________
sei keine Arbeitsunfähigkeit in den Akten vermerkt und auch nach Beendigung
dieses Arbeitsverhältnisses eine Einschränkung in der Leistungsfähigkeit nicht
ausgewiesen, weshalb der von der IV-Stelle festgesetzte Beginn der Wartefrist
auf Juni 2003 nicht nachvollziehbar sei. Demgegenüber macht die
Beschwerdeführerin nunmehr geltend, eine Leistungspflicht der
Beschwerdegegnerin bestehe auf Grund der Vorleistungspflicht gemäss Art. 26
Abs. 4 BVG.

2.4 Richtig ist zunächst, dass die Beschwerdegegnerin nicht an die in der
Verfügung der IV-Stelle enthaltene Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit ab
Juni 2003 gebunden war, nachdem ihr diese nicht ordnungsgemäss eröffnet wurde,
und deshalb die Frage des Eintritts einer funktionellen Leistungseinbusse
während des Arbeitsverhältnisses bei der Familie F.________ unabhängig von der
Invalidenversicherung zu prüfen ist.

2.5 Dazu hat das kantonale Gericht mit einlässlicher Begründung zutreffend
erwogen, dass die nach Jahren rückwirkend festgelegte medizinisch-theoretische
Arbeitsunfähigkeit durch Dr. med. P._______ in seinem Bericht vom 30. Dezember
2004 für den echtzeitlichen Nachweis einer erheblichen Arbeitsunfähigkeit nicht
genügt, nachdem die Beschwerdeführerin bei Familie F.________ den vollen Lohn
bezog und auch aus dem Arbeitszeugnis eine Einbusse an Leistungsvermögen nicht
hervorgeht. Sie führt richtig aus, dass die Beschwerdeführerin aktenkundig ab
Juni 2003 bis zumindest Juli 2004 bei intakter Vermittlungsfähigkeit
Arbeitslosentaggelder bezog und gemäss Arbeitszeugnis der Betriebsleiterin des
Projekts A.________ (Programm zur vorübergehenden Beschäftigung), bei welchem
sie vom 8. September 2003 bis 7. März 2004 zu 100 % tätig war, als sehr gute
und kooperative Mitarbeiterin bezeichnet wurde, die es verstehe zuzupacken und
stets Freude an der Arbeit habe, weshalb nicht mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin während
der Nachdeckungsfrist in ihrem funktionellen Leistungsvermögen in erheblichem
Masse eingeschränkt war. Entsprechend hat die Beschwerdegegnerin einen
Rentenanspruch zu Recht abgelehnt.

2.6 Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Vorbringen erschöpfen sich
neben dem Verweis auf Art. 26 Abs. 4 BVG (in Kraft seit 1. Januar 2005) in
Ausführungen zur Bindungswirkung des IV-Entscheides mit der Schlussfolgerung,
der angefochtene Entscheid halte diesbezüglich im Ergebnis stand. Die
Beschwerdeführerin setzt sich mit den Erwägungen der Vorinstanz nicht
auseinander und legt in keiner Weise dar, inwiefern die entscheidwesentlichen
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruhen. Die
Beschwerdebegründung erfüllt daher die Rügeerfordernisse gemäss Art. 97 Abs. 1
BGG nicht, weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist. Der Verweis auf Art. 26
Abs. 4 BVG ist schon deshalb unbehelflich, weil diese Bestimmung im
massgebenden Zeitraum (Juni 2003) noch nicht in Kraft stand, sodass auf die
Voraussetzungen für dessen Anwendbarkeit nicht weiter einzugehen ist.

3.
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt grundsätzlich die Kosten (Art. 66
Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um Erlass der Gerichtskosten ist stattzugeben, da der
Prozess nicht aussichtslos erscheint und die Partei bedürftig ist (Art. 64 BGG;
vgl. BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372). Es wird indes
ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach die Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später dazu in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 24. Juli 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Helfenstein Franke