Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 858/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_858/2008

Urteil vom 17. Februar 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
S.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Sven Marguth,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 10. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene S.________ ist von Beruf Koch. Seit 1976 gehört er als
Berufsunteroffizier dem Instruktionskorps der Schweizerischen Armee an. Am 21.
April 2006 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an.
Die IV-Stelle, die u.a. die Akten der Militärversicherung beizog, stützte sich
im Wesentlichen auf die Einschätzung von deren Kreisarzt Dr. med. R.________
aufgrund der Untersuchung vom 31. März 2006. Mit Verfügung vom 5. Dezember 2006
sprach die Militärversicherung S.________ ab 1. Januar 2007 bei einem
Invaliditätsgrad von 63 % eine Invalidenrente von Fr. 5126.- im Monat zu. Am 2.
Juli 2007 gewährte die IV-Stelle Bern S.________ ab 1. August 2007 bei einem
Invaliditätsgrad von 56 % verfügungsweise eine halbe Invalidenrente. Mit einer
weiteren Verfügung vom 29. August 2007 sprach sie dem Versicherten rückwirkend
für die Zeit vom 1. September 2005 bis 31. Juli 2007 ebenfalls eine halbe
Invalidenrente zu.

B.
Die gegen die Verfügungen der IV-Stelle eingereichten Beschwerden, mit welchen
S.________ deren Aufhebung und die Zusprechung einer Dreiviertelsrente der
Invalidenversicherung hatte beantragen lassen, wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern nach Vereinigung der beiden Verfahren ab (Entscheid vom 10.
September 2008).

C.
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei
ihm ab 1. August 2007 eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung
auszurichten.
Während die IV-Stelle unter Verzicht auf eine Vernehmlassung auf Abweisung der
Beschwerde schliesst, sieht das Bundesamt für Sozialversicherungen von einer
Stellungnahme ab.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
In BGE 126 V 288 E. 2d S. 293 f. hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in
Bestätigung seiner früheren Rechtsprechung an der hinsichtlich der
Invaliditätsbemessung koordinierenden Funktion des einheitlichen
Invaliditätsbegriffs in den verschiedenen Sozialversicherungszweigen
festgehalten. Zwar dürfen sich Sozialversicherungsträger nicht ohne weitere
eigene Prüfung mit der blossen Übernahme des von einem anderen Versicherer
festgelegten Invaliditätsgrades begnügen. Indessen geht es auch nicht an, dass
die Invalidität in den einzelnen Sozialversicherungszweigen völlig unabhängig
von allenfalls schon getroffenen Entscheiden anderer Versicherer festgelegt
wird. Zumindest rechtskräftig abgeschlossene Invaliditätsschätzungen dürfen
nicht einfach unbeachtet bleiben. Vielmehr müssen sie als Indiz für eine
zuverlässige Beurteilung gewertet und als solches in den Entscheidungsprozess
erst später verfügender Versicherungsträger miteinbezogen werden. Unter
bestimmten Umständen (siehe die Aufzählung der Gründe in BGE 126 V 288 E. 2b S.
292 und E. 2d S. 294) kann auch von einer rechtskräftigen Invaliditätsschätzung
eines anderen Versicherers abgewichen werden. In BGE 133 V 549 E. 6.2-6.4 S.
554 ff. hat das Bundesgericht alsdann eine solche Bindungswirkung der
Invaliditätsschätzung der Unfallversicherung für die Invalidenversicherung
insbesondere mit der Begründung verneint, dass die Bemessung der
Unfallversicherung im Gegensatz zur Invalidenversicherung lediglich die
natürlich und adäquat kausalen gesundheitlichen und erwerblichen Unfallfolgen
berücksichtigt.

Diese Begründung gilt im Verhältnis zwischen Militärversicherung und
Invalidenversicherung nicht. Es besteht daher kein Anlass, soweit es um die
Invaliditätsbemessung von Militärversicherung und Invaliditätsversicherung
geht, ebenfalls von der in BGE 126 V 288 im Ergebnis weitgehend bestätigten
Bindungswirkung der Invaliditätsschätzung des einen Sozialversicheres für den
anderen abzuweichen, soweit allein Gesundheitsschäden in Frage stehen, für
welche die Militärversicherung die Bundeshaftung anerkennt. Dies bedeutet, dass
eine rechtskräftige Invaliditätsschätzung der Militärversicherung als Indiz für
eine zuverlässige Beurteilung zu werten und als solches in den
Entscheidungsprozess der später verfügenden Invalidenversicherung
miteinzubeziehen ist, wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 126 V
288 E. 2d S. 293 f. mit Bezug auf das Verhältnis zwischen Unfall- und
Invalidenversicherung dargelegt hat. Eine in Rechtskraft erwachsene
Rentenverfügung der Militärversicherung als massgeblich zu erachten hat die
IV-Stelle namentlich in Konstellationen wie der vorliegenden, in welchen
sämtliche Gesundheitsschäden mit Auswirkungen auf die Arbeits- und
Erwerbsfähigkeit auch in der Militärversicherung für die Ermittlung des
Invaliditätsgrades zu berücksichtigen sind.

3.
Die Vorinstanz ist an sich ebenfalls von einer solchen Bindungswirkung
ausgegangen. Im Ergebnis hat sie indessen den Invaliditätsgrad frei geprüft.
Ausschlaggebend ist die Frage, ob der Beschwerdeführer in angepasster Tätigkeit
einer Arbeitsfähigkeit von 100 % hat (wie die Vorinstanz angenommen hat) oder
aber bloss 80 %, wovon der Kreisarzt der Militärversicherung und in der Folge
dann auch die Militärversicherung ausgegangen sind. Der Unterschied in der
Betrachtungsweise liegt darin begründet, dass der Kreisarzt einen Tag pro Woche
für Therapie und Erholung zugestanden hat, wogegen die Vorinstanz erwogen hat,
eine besondere Therapie- und Erholungsbedürftigkeit sei nicht ausgewiesen.
Diese Beurteilung wäre kaum zu beanstanden, wenn sie im Rahmen einer freien
Prüfung erfolgte. Doch ist auch die Annahme der Militärversicherung eine
vertretbare Ermessensausübung, so dass sich angesichts der dargelegten
Rechtsprechung eine abweichende Beurteilung für die Invalidenversicherung nicht
rechtfertigt.
Da somit im vorliegenden Fall keine Gründe zu erkennen sind, die ausnahmsweise
ein Abweichen von der rechtskräftigen Invaliditätsschätzung der
Militärversicherung gemäss Verfügung vom 5. Dezember 2006 nahe legen, ist auch
für die Belange der Invalidenversicherung von einem Invaliditätsgrad von 63 %
auszugehen. Der Beschwerdeführer hat damit Anspruch auf eine Dreiviertelsrente
der Invalidenversicherung, die ihm antragsgemäss erst ab 1. August 2007
auszurichten ist, weil das Bundesgericht nicht über die Begehren der Parteien
hinausgehen darf (Art. 107 Abs. 1 BGG).

4.
Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der IV-Stelle
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat dem obsiegenden Beschwerdeführer
überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern vom 10. September 2008 und die Verfügung der IV-Stelle vom 2. Juli
2007 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab 1. August
2007 Anspruch auf eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung hat.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle Bern auferlegt.

3.
Die IV-Stelle Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Eidgenössischen Ausgleichskasse
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Februar 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer