Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 764/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_764/2008

Urteil vom 9. Januar 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
C.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Peter Beck, Via Tegiatscha 24, 7500 St.
Moritz,

gegen

IV-Stelle des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 8. April 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1963 geborene C.________ ist gelernter Heizungsmonteur und technischer
Zeichner. Seit 1990 arbeitet er als Geschäftsführer im Heizungs- und
Sanitärgeschäft seiner Eltern. Im Jahr 1992 hatte er einen cerebrovaskulären
Insult erlitten. Ab 1994 stand er wegen einer polytoxikomanen Störung in
Behandlung. Ab Sommer 2001 wurde er wegen einer Depression mit psychotischen
Symptomen psychiatrisch behandelt.
Am 23. Dezember 2002 meldete sich C.________ bei der Invalidenversicherung zum
Rentenbezug an. Gestützt auf die beigezogenen medizinischen und erwerblichen
Unterlagen sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Graubünden mit Verfügung vom 6.
September 2004 rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2002 bei
einem Invaliditätsgrad von 70 % eine ganze Invalidenrente zu; ab 1. August 2002
richtete sie bei einem Invaliditätsgrad von 50 % eine halbe Invalidenrente aus
(Verfügung vom 22. November 2004). Im Rahmen eines im Juli 2006 von Amtes wegen
eingeleiteten Revisionsverfahrens holte die IV-Stelle wiederum Arztberichte
sowie eine Auskunft des Arbeitgebers (vom 6. Oktober 2006) ein. Mit Schreiben
vom 27. März 2007 erläuterte der Arbeitgeber die Aussagen zum erzielten sowie
zum hypothetischen Lohn des Versicherten. Die IV-Stelle gelangte nunmehr zur
Auffassung, dass lediglich noch ein Invaliditätsgrad von 27 % vorliege.
Dementsprechend hob sie die halbe Invalidenrente nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren am 2. November 2007 verfügungsweise auf den 1. Januar 2008
auf, weil der Invaliditätsgrad bereits seit dem 1. Januar 2005 unter 40 %
liege.

B.
Die von C.________ hiegegen mit dem Antrag auf Weitergewährung der halben
Invalidenrente über den 1. Januar 2008 hinaus eingereichte Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden ab (Entscheid vom 8. April 2008).

C.
C.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten das
vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Die Vorinstanz hat die Gesetzesbestimmung über die Revision einer
Invalidenrente (Art. 17 Abs. 1 ATSG) und die Rechtsprechung zu den
Voraussetzungen, unter denen eine Rente zu revidieren ist, sowie die dabei zu
vergleichenden Sachverhalte (BGE 112 V 371 E. 2b S. 372; siehe auch BGE 130 V
343 E. 3.5 S. 349, 133 V 108 und 133 V 545) zutreffend dargelegt. Darauf kann
verwiesen werden.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob im Zeitraum zwischen 22. November 2004
(Zusprechung einer halben Invalidenrente ab 1. August 2002) und 2. November
2007 (revisionsweise Aufhebung der halben Rente) eine Änderung in den
tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, welche die Rentenaufhebung
rechtfertigt.

3.1 Aufgrund des angefochtenen Entscheides steht fest, dass im
Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im massgeblichen Vergleichszeitraum
keine Änderung eingetreten ist, dieser demnach in seiner angestammten Tätigkeit
weiterhin hälftig arbeitsunfähig ist. Die Aufhebung der laufenden halben
Invalidenrente ist daher nur begründet, wenn sich die erwerblichen Auswirkungen
des im Wesentlichen gleich gebliebenen Gesundheitsschadens in rentenrelevanter
Weise geändert haben.

3.2 Das kantonale Gericht gelangte gestützt auf einen Einkommensvergleich - ein
solcher lag der ursprünglichen Rentenzusprechung nicht zugrunde - zum Schluss,
der Invaliditätsgrad betrage lediglich noch 27 %, wie dies die IV-Stelle
angenommen hatte. Es setzte das hypothetische Einkommen ohne Invalidität
(Valideneinkommen) ausgehend von der Arbeitgeberauskunft vom 8. Mai 2003 und
angepasst an die Nominallohnentwicklung auf Fr. 62'220.- im Jahr fest und
stellte diesem Betrag ein Invalideneinkommen in der Höhe von Fr. 45'240.-
gegenüber, entsprechend dem Lohn, den der Versicherte im Jahr 2006 tatsächlich
verdient hatte.

3.3 Ob und allenfalls inwiefern die Kritik des Beschwerdeführers am
Einkommensvergleich der Vorinstanz berechtigt ist, bedarf keiner eingehenden
Prüfung. Denn eine revisionserhebliche Verbesserung der finanziellen
Auswirkungen des gleich gebliebenen Gesundheitszustandes ist jedenfalls nicht
mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erstellt. Der Beschwerdeführer
arbeitete während des ganzen Vergleichszeitraums von November 2004 bis November
2007 in einem Teilpensum von 50 % als Geschäftsführer im elterlichen Betrieb.
Zwar trifft es zu, dass das Einkommen, das er im Jahr 2006 verdient hat (Fr.
45'240.-), wesentlich höher ist als der Lohn, den die IV-Stelle bei Erlass der
ursprünglichen Verfügung vom 22. November 2004 als massgebend erachtete (Fr.
30'225.-). Dies ist indessen lediglich dem Umstand zuzuschreiben, dass die
IV-Stelle damals keinen korrekten Einkommensvergleich durchführte, sondern die
Hälfte des tatsächlichen Lohnes des Versicherten (Fr. 60'450.- im Jahr) als
Invalideneinkommen heranzog. Aus diesen Zahlen auf eine Einkommensentwicklung
zu schliessen, die nach Art. 17 Abs. 1 ATSG als revisionsrechtlich massgebende
Änderung der Verhältnisse bedeutsam ist, erscheint nicht zulässig, zumal
seitens der Verwaltung und der Vorinstanz keine weiteren Anhaltspunkte namhaft
gemacht werden, die eine Rentenrevision bewirken würden, wie dies
beispielsweise bei einem Berufs- oder Stellenwechsel mit wesentlich höherer
Entlöhnung trotz gleich gebliebenem Gesundheitszustand der Fall sein könnte.
Mangels eines Revisionsgrundes kann der Beschwerdeführer somit ab 1. Januar
2008 entgegen dem vorinstanzlichen Entscheid, der in diesem Punkt Bundesrecht
(Art. 17 Abs. 1 ATSG) verletzt, nach wie vor eine halbe Invalidenrente
beanspruchen.

4.
4.1 Der Revisionsordnung nach Art. 17 ATSG geht der Grundsatz vor, dass die
Verwaltung befugt ist, jederzeit von Amtes wegen auf eine formell
rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher
Beurteilung gebildet hatte, zurückzukommen, wenn sich diese als zweifellos
unrichtig erweist und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Unter
diesen Voraussetzungen kann die Verwaltung eine Rentenverfügung auch dann
abändern, wenn die Revisionsvoraussetzungen des Art. 17 ATSG nicht erfüllt
sind. Wird die zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Rentenverfügung
erst vom Gericht festgestellt, so kann es die auf Art. 17 ATSG gestützte
Revisionsverfügung der Verwaltung mit dieser substituierten Begründung schützen
(BGE 125 V 369 E. 2 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 112 V 373 E. 2c und 390 E.
1b).
Eine voraussetzungslose Neubeurteilung der invaliditätsmässigen Voraussetzungen
genügt nach ständiger Rechtsprechung nicht für eine wiedererwägungsweise
Herabsetzung der Invalidenrente. Die Aufhebung der Rente mit der substituierten
Begründung der Wiedererwägung kann nur bei Unvertretbarkeit der ursprünglichen
Rentenzusprechung erfolgen (vgl. statt vieler Urteil 9C_114/2008 vom 30. April
2008 mit Hinweisen).

4.2 Die Verfügung vom 22. November 2004, mit welcher die IV-Stelle dem
Versicherten rückwirkend ab 1. August 2002 bei einem Invaliditätsgrad von 50 %
eine halbe Invalidenrente zusprach, beruhte, wie erwähnt, nicht auf einem
Einkommensvergleich, sondern lediglich auf den ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Damit liegt zwar eine fehlerhafte, Art. 16
ATSG widersprechende Invaliditätsbemessung vor; angesichts der von Dr. med.
K.________, Psychiatrische Klinik X.________, am 17. März 2003 und 5. Januar
2004 attestierten Arbeitsunfähigkeit von 50 % lässt sich die Zusprechung der
halben Invalidenrente jedoch nicht als unvertretbar und damit nicht als
zweifellos unrichtig bezeichnen. Die Rentenaufhebung kann somit entgegen den
Ausführungen der IV-Stelle in ihrer Vernehmlassung auch nicht mit der
substituierten Begründung der Wiedererwägung bestätigt werden.

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat dem Beschwerdeführer
überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden vom 8. April 2008 und die Verfügung der IV-Stelle des
Kantons Graubünden vom 2. November 2007 werden aufgehoben. Es wird
festgestellt, dass der Beschwerdeführer über den 1. Januar 2008 hinaus Anspruch
auf eine halbe Invalidenrente hat.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons Graubünden
auferlegt.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Graubünden hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorausgegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden,
der Ausgleichskasse SPIDA und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Januar 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer