Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 739/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_739/2008

Urteil vom 26. März 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber Traub.

Parteien
V.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Dr. Matthias Schnyder,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 15.
Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1950 geborene V.________ war ab Herbst 1970 bis Ende Mai 2006 als
Therapiegehilfin im Universitätsspital X.________ tätig. Sie leidet seit
ungefähr 2002 an Schmerzen im Bereich der rechten Körperhälfte, vor allem der
rechten Schulter, des rechten Arms und der rechten Hand unter anderem aufgrund
des Folgezustandes eines Schultergürtelkompressions-Syndroms (Thoracic
Outlet-Syndrom), welches im Dezember 2004 operativ angegangen wurde; im April
2002 hatte eine beidseitige Karpaltunnelsyndrom-Operation stattgefunden. Am 9.
Dezember 2004 meldete sich V.________ bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Basel-Landschaft klärte den
Sachverhalt in erwerblicher und medizinischer Hinsicht ab, indem sie
insbesondere ein rheumatologisches Gutachten des Dr. J.________ vom 9. März
2006 und eine psychiatrische Expertise des Dr. S.________ vom 20. August 2006
einholte. Ersterer diagnostizierte unter anderem ein weichteilrheumatisches
Schmerzsyndrom der oberen rechten Extremität und bescheinigte der Versicherten
vollständige Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit; Dr.
S.________ hielt fest, aus Sicht seines Fachs lasse sich keine Diagnose mit
Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit stellen. Die Verwaltung sprach V.________
nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens unter Anerkennung eines
Invaliditätsgrades von 44 Prozent eine Viertelsrente mit Wirkung ab Februar
2005 zu (Verfügung vom 16. März 2007).

B.
Das Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft wies die dagegen erhobene
Beschwerde ab (Entscheid vom 15. Februar 2008).

C.
V.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, es sei ihr, nach Aufhebung von strittiger Verfügung und
angefochtenem Entscheid, mit Wirkung ab Februar 2005 eine ganze Invalidenrente
auszurichten. Eventuell sei die Sache zur Einholung eines medizinischen
Gutachtens an die Verwaltung zurückzuweisen. Ausserdem ersucht V.________ um
unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Verbeiständung).
Erwägungen:

1.
1.1 Strittig und aufgrund der Parteivorbringen zu prüfen ist, ob der Entscheid
der Vorinstanz, es bestehe Anspruch auf eine Viertelsrente, auf vollständigen
und beweistauglichen Grundlagen beruht.

1.2 Das kantonale Gericht hat die zur Beurteilung des Leistungsanspruchs
einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

1.3 Der Beurteilung von Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
(Art. 82 ff. BGG) liegt der Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesen kann das Bundesgericht von Amtes
wegen berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG;
vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG; ohne Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG und
Art. 105 Abs. 3 BGG). Zu den Rechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 lit. a BGG
gehört auch die unvollständige Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen
(Urteil 9C_40/2007 vom 31. Juli 2007 E. 1; Ulrich Meyer, in: Niggli/Uebersax/
Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2008, Rz. 25,
36 und 59 zu Art. 105; Seiler/von Werdt/Güngerich, Kommentar zum
Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, Rz. 24 zu Art. 97) und die Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Meyer,
a.a.O., Rz. 60 zu Art. 105; Urteil 8C_364/2007 vom 19. November 2007 E. 3.3).

2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Gutachten des Dr. J.________ vom 9.
März 2006 werde den beweisrechtlichen Vorgaben, wie sie sich aus der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) ergeben,
nicht gerecht; es sei weder schlüssig noch in sich widerspruchsfrei. Sie
beanstandet somit letztlich die Bundesrechtskonformität der vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellung (Art. 61 lit. c ATSG; vgl. oben E. 1.3).

2.1 Namentlich sei nicht nachvollziehbar, wie der rheumatologische
Sachverständige angesichts der von ihm selber attestierten Beeinträchtigungen -
auch nach erfolgter operativer Behandlung eines Karpaltunnelsyndroms anhaltende
Beschwerden im rechten Handgelenk einerseits, eingeschränkte Einsetzbarkeit der
rechten oberen Extremität (kein repetitives Stossen, Ziehen oder Heben von
Lasten über fünf Kilogramm, vereinzelt bis zehn Kilogramm; kein andauerndes
Arbeiten über Schulterhöhe mit dem rechten Arm) anderseits - zur Auffassung
gelange, es könne ihr eine leichte Sortier- oder Montagetätigkeit im Vollpensum
zugemutet werden; diese bedeute schliesslich erfahrungsgemäss vorwiegend
manuelle Arbeit.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin schliessen die gutachtlich
festgelegten Rahmenbedingungen für zumutbare Arbeiten nicht jedwelche manuelle
Tätigkeit aus; massgebend ist vielmehr, dass die vom diagnostizierten Leiden
betroffenen Körperteile geschont werden. Eine leichte Sortier- oder
Montagetätigkeit im Vollpensum führt nicht zu einer übermässigen Belastung der
rechten oberen Extremität (Schulter, Arm, Hand).

2.2 Des Weiteren nimmt die Versicherte den beweisrechtlichen Standpunkt ein,
das rheumatologische Gutachten sei nicht schlüssig, weil nicht ersichtlich sei,
worin der Unterschied zwischen der (nicht mehr als zumutbar geltenden)
angestammten Tätigkeit im Spital und den als Verweisungstätigkeiten angeführten
leichten Sortier- und Montagearbeiten liegen solle. In der Tat scheinen die im
Arbeitszeugnis des Universitätsspital X.________ vom 31. Mai 2006 aufgezählten
Verrichtungen (unter anderem Bewirtschaftung von Vorräten und Patientenakten,
Materialbestellung, Botengänge, Reinigung und Pflege von medizinischen
Apparaten und ähnlichem, Aufräumen, Bibliotheksarbeiten, Nähen und Bügeln) an
sich mit dem gutachtlich umschriebenen Anforderungsprofil (vgl. oben E. 2.1)
vereinbar zu sein. Die unterschiedliche Einschätzung der Zumutbarkeit von
angestammter Tätigkeit und - beispielgebend - erwähnten leidensangepassten
Arbeiten wäre aber selbst dann gerechtfertigt, wenn man die von der
Beschwerdeführerin postulierte Gleichsetzung der Tätigkeiten unter dem
Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit dem Gesundheitsschaden annehmen wollte: Aus
der Begründung des Sachverständigen geht nämlich hervor, dass er davon ausging,
die frühere Arbeit im Spital entspreche "grobmanueller Tätigkeit", welche die
aus medizinischer Sicht gesetzten Belastungslimiten überschreite (S. 17). Mit
Blick auf die Verwertbarkeit des Gutachtens zum Zwecke der
Invaliditätsbemessung ist unerheblich, ob es sich dabei allenfalls um eine
irrtümliche Annahme handelte. Aus beweisrechtlicher Sicht besteht demnach kein
Grund, die Schlussfolgerung zu beanstanden, (jedenfalls) Sortier- und
Montagetätigkeiten seien weiterhin zumutbar.

2.3 Beschwerdeweise beanstandet wird ferner die gutachtliche Unterscheidung der
Diagnosen in solche mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit und in solche
ohne entsprechende Auswirkungen. Danach falle lediglich das
"weichteilrheumatische Schmerzsyndrom der oberen Extremität rechts mit Tendenz
zur Fibromyalgie mit/bei Status nach Operation eines Thoracic outlet-Syndroms
rechts (...)" in die erstere Kategorie, nicht aber ein chronisches
Zervikalsyndrom bei degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule, eine
Fingerpolyarthrose sowie der Status nach einer im April 2002 beidseits
vorgenommenen operativen Behandlung eines Karpaltunnelsyndroms. Die
gutachtliche Beurteilung sei nicht nachvollziehbar, zumal eine nähere
Begründung, weshalb die letzteren Diagnosen keinen Einfluss auf die
Arbeitsfähigkeit zeitigten, fehle.

Dem ist entgegenzuhalten, dass sich im rheumatologischen Gutachten durchaus
einschlägige Ausführungen finden: So weist der Sachverständige auf den zwei
Jahre zuvor aktenkundig gewordenen krankheitsanamnestischen Umstand hin, dass
die Arthrosen im Handbereich erst bei repetitiver, schwerer manueller Tätigkeit
zum Tragen kämen (S. 14). Mit Blick auf die weichteilrheumatische Überlagerung
der Beschwerden (dazu sogleich E. 2.4) wiederum spiele die zervikale
Einschränkung heute "eigentlich" keine wesentliche Rolle; auch liege keine
radikuläre Reizsymptomatik mehr vor (S. 16). Im Übrigen tragen die gutachtlich
formulierten Anforderungen an eine geeignete Arbeit ohne Weiteres auch
denjenigen Gesundheitsbeeinträchtigungen Rechnung, die nach Einschätzung des
Sachverständigen keinen selbständigen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit
ausüben. Zudem hat die IV-Stelle die Kumulation verschiedenartiger
Einschränkungen offenkundig berücksichtigt, indem sie bei der Bemessung des
Invalideneinkommens den höchstmöglichen Abzug vom Tabellenlohn von 25 Prozent
(BGE 129 V 472 E. 4.2.3 S. 481; 126 V 75) vornahm.

2.4 Schliesslich wird in der Beschwerde vorgebracht, die Vorinstanz habe
explizit abweichende medizinische Einschätzungen (Berichte des Internisten Dr.
G.________ vom 15. November 2006 und der Frau Dr. R.________, Klinik
Y.________, vom 11. April 2007 [mit neurologischer Beurteilung durch Dr.
F.________ vom 30. März 2007]), die im Wesentlichen von einer höchstens bei 50
Prozent liegenden Arbeitsfähigkeit ausgehen, nicht gegen die gutachtlichen
Ergebnisse abgewogen.

Auch diesbezüglich liegt keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes oder des
Gebotes einer freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) vor. Der
Beschwerdeführerin ist zwar zuzugeben, dass Berichte behandelnder Ärzte - ihrer
Funktion entsprechend - für gewöhnlich keine ausführliche Stellungnahme zu
versicherungsmedizinischen Gutachten enthalten; insoweit verfängt die
vorinstanzliche Begründung ihrer beweisrechtlichen Nachrangigkeit nicht.
Indessen besteht zwischen ärztlichem Behandlungs- und Begutachtungsauftrag ein
massgebender Unterschied (so Urteil 9C_24/2008 vom 27. Mai 2008 E. 2.3.2 mit
Hinweisen), weshalb Rügen des Inhalts, die Angaben zur Zumutbarkeit im
Administrativgutachten vermöchten vor den Beurteilungen der behandelnden Ärzte
nicht zu bestehen, selten stichhaltig sind; vorbehalten bleiben allerdings
Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung aufdrängt, weil die
behandelnden Ärzte wichtige - und nicht rein subjektiver ärztlicher
Interpretation entspringende - Aspekte benennen, die im Rahmen der Begutachtung
unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (SVR 2008 IV Nr. 15 S. 43 E. 2.2.1
mit Hinweisen, I 514/06). So verhält es sich hier aber nicht. Vielmehr ist
anzunehmen, dass die Diskrepanz zwischen der versicherungsmedizinischen
Beurteilung des rheumatologischen Gutachters und den im therapeutischen Kontext
erfolgten Einschätzungen mit der im psychiatrischen Gutachten des Dr.
S.________ vom 20. August 2006 ausgewiesenen anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung (respektive einer an anderer Stelle diagnostizierten
Fibromyalgie) - und allenfalls weitergehend auch mit sog. invaliditätsfremden
(sozialen) Faktoren (vgl. SVR 2007 IV Nr. 33 S. 117 E. 5.3 [I 738/05]; Urteil I
704/03 vom 28. Dezember 2004 E. 4.1) - zu erklären ist. Das kantonale Gericht
hält diesbezüglich zutreffend fest, die Kriterien, nach welchen einer solchen
Störung ausnahmsweise invalidisierende Wirkung zuzuerkennen sei, könnten hier
klarerweise nicht als erfüllt gelten, denn es seien weder eine erhebliche
Komorbidität psychischer Natur noch andere qualifizierende Faktoren auszumachen
(E. 7.3.2 des vorinstanzlichen Entscheids; vgl. BGE 131 V 49 und 130 V 352; zur
analogen Anwendung dieser Rechtsprechung auf Fälle von Fibromyalgie: BGE 132 V
65).

3.
3.1 Insgesamt hat das kantonale Gericht zutreffend begründet, weshalb es das
rheumatologische Gutachten des Dr. J.________ vom 9. März 2006 als massgebliche
Entscheidgrundlage eingestuft und die dort festgelegte Leistungsfähigkeit als
den rechtlichen Anforderungen genügend betrachtet hat. Die auf diesem Gutachten
basierende vorinstanzliche Schlussfolgerung, die Beschwerdeführerin sei in
leidensangepasster Tätigkeit vollständig arbeitsfähig, ist nicht offensichtlich
unrichtig (vgl. oben E. 1.3).

3.2 Ist das bundesrechtskonforme Zustandekommen der umstrittenen
Tatsachenfeststellung nicht in Zweifel zu ziehen (vgl. Urteil 8C_364/2007 vom
19. November 2007 E. 3.2), hat das kantonale Gericht zu Recht, insbesondere
ohne das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin zu verletzen, in antizipierter
Beweiswürdigung von weiterer Beweiserhebung abgesehen (vgl. BGE 124 V 90 E. 4b
S. 94; 122 V 157 E. 1d S. 162).

3.3 Dass die Bemessung des Invaliditätsgrades anderweitig nicht korrekt sein
sollte, wird nicht geltend gemacht; entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich
auch nicht aus den Akten. Es besteht somit kein Anlass für eine Weiterung des
Prüfungsprogramms (vgl. BGE 110 V 48 E. 4a S. 53).

4.
Die unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Verbeiständung; Art. 64
BGG) kann gewährt werden, da die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind
(BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372). Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte
Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in
der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt,
zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege indes auf die Gerichtskasse
genommen.

3.
Rechtsanwalt Dr. Matthias Schnyder wird für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 2800.- entschädigt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. März 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub