Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 738/2008
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_738/2008

Urteil vom 30. Januar 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Parteien
K.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Hans Spillmann, Stapferstrasse
28, 5201 Brugg AG,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
12. August 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a K.________, geboren 1975, ist Mutter zweier 1994 und 1998 geborener Kinder
(ein aus der ersten Ehe ihres Mannes stammender Knabe mit Jahrgang 1992 lebt
ebenfalls bei der Familie). Ab 23. Oktober 1995 war sie als
Wäschereimitarbeitern bei der Firma A.________ AG tätig. Auf 31. März 1998
wurde ihr das Arbeitsverhältnis aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt. Am 18.
Februar 1999 meldete sie sich erstmals unter Hinweis auf Rückenschmerzen,
bestehend seit 7. August 1997, bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug
an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau holte einen Bericht ein des Dr. med.
P.________, FMH für Innere Medizin, vom 29. März 1999 (dem eine Einschätzung
der Rheuma- und Rehabilitationsklinik S.________ vom 5. Mai 1998 beilag), und
veranlasste einen "Bericht über die berufliche Abklärung" vom 7. Juni 1999
sowie eine Begutachtung in der Klinik B.________ vom 10. April 2000. Nach
durchgeführtem Vorbescheidverfahren verfügte die IV-Stelle am 12. Juni 2000 die
Abweisung des Leistungsbegehrens. Hiegegen erhob K.________ keine Beschwerde
(liess aber durch Dr. med. H.________, FMH für Physikalische Medizin und
Rehabilitation, Rheuma- und Rehabilitationsklinik S.________, am 9. Oktober
2000 Einwände erheben und eine mindestens hälftige Arbeitsunfähigkeit auch für
leichte Tätigkeiten geltend machen).
A.b Am 8. Januar 2001 reichte K.________ eine Neuanmeldung bei der IV-Stelle
ein. Dr. med. H.________ gab mit Eingabe vom 12. Februar 2001 ergänzende
Auskünfte zur gesundheitlichen Situation. In der Folge liess die nunmehr
anwaltlich vertretene K.________ ein "Gesuch um Neubeurteilung der IV-Rente"
vom 11. April 2002 einreichen und eine erneute Beurteilung des Dr. med.
H.________ vom 27. November 2001 sowie einen Bericht des Externen
Psychiatrischen Dienstes, X.________ (EPD; Dr. med. A.________), vom 18.
Oktober 2001, zu den Akten reichen. Die IV-Stelle tätigte eine Anfrage bei
ihrem medizinischen Dienst (Frau Dr. med. R.________) und holte einen Bericht
des EPD vom 12. Juli 2002 ein. Sie liess K.________ überdies einen Fragebogen
zur Rentenabklärung betreffend Erwerbstätigkeit/Haushalt (eingegangen am 11.
Oktober 2002) ausfüllen. Nach Durchführung der jeweiligen Vorbescheidverfahren
verneinte die IV-Stelle am 24. Dezember 2002 einen Anspruch auf berufliche
Massnahmen und am 18. Februar 2003 einen solchen auf Abgabe einer am 20. Januar
2003 beantragten Spezialmatratze. Am 4. März 2003 sprach sie K.________ eine
ganze Invalidenrente nebst Kinderrenten (bei einem Invaliditätsgrad von 100 %)
ab 1. September 2002 zu.
A.c Im Rahmen einer Revision von Amtes wegen gab K.________ am 22. Dezember
2005 an, ihr Gesundheitszustand habe sich verschlimmert oder sei gleich
geblieben. Die IV-Stelle führte erwerbliche Abklärungen durch und holte einen
Verlaufsbericht ein bei Dr. med. A.________ vom 27. Januar 2006. Zudem ersuchte
sie ihren medizinischen Dienst (Dr. med. U.________) um eine Einschätzung vom
21. September 2006. Auf dessen Anraten holte sie ergänzende Auskünfte bei Dr.
med. A.________ vom 30. Oktober 2006 ein. Nach erneuter Anfrage bei Dr. med.
U.________ vom 23. November 2006 gewährte die IV-Stelle K.________ Beratung und
Unterstützung bei der Stellensuche (Verfügung vom 12. Dezember 2006). Am 15.
März 2007 schloss sie die Arbeitsvermittlung ab und verfügte am 12. April 2007
die Herabsetzung der bisherigen ganzen auf eine halbe Rente.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde der K.________ wies das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau mit Entscheid vom 12. August 2008 ab.

C.
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, die Zusprechung einer ganzen
Invalidenrente auch nach dem 1. Juni 2007, eventualiter die vorgängige
Einholung eines Gutachtens über die Arbeitsfähigkeit, beantragen. Gleichzeitig
ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Vorinstanz und Bundesamt
für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393 zur auch unter der Herrschaft des BGG gültigen
Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen im Bereich der Invaliditätsbemessung [Art.
16 ATSG] für die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach Art. 28 Abs. 1 IVG).

2.
Das kantonale Gericht legt die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der
Invalidität (Art. 4 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 ATSG), den Anspruch auf
eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG), die Bestimmung des Invaliditätsgrades
nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG), die Änderung des Anspruchs
wegen einer Verbesserung der Erwerbsfähigkeit (Art. 88a Abs. 1 IVV), die
Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG) sowie die Aufgabe des Arztes oder der
Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261 mit
Hinweisen) zutreffend dar. Darauf wird verwiesen.

3.
Streitig ist die Herabsetzung der seit September 2002 ausgerichteten ganzen
Invalidenrente. Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, ihr
Gesundheitszustand habe sich nicht erheblich verbessert.

3.1 Die Zusprechung einer ganzen Rente mit Verfügung vom 4. März 2003 basierte
nach den verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid hauptsächlich
auf dem Bericht des EPD vom 12. Juli 2002. Darin diagnostizierte Dr. med.
A.________ nebst einer somatoformen Schmerzstörung mit Symptomausweitung
(ICD-10 F45.4) eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion
gemischt (ICD-10 F43.22) sowie "aktuell eine schwere depressive Episode mit
psychotischen Symptomen (ICD-10 F32.3)". Er führte aus, die Situation habe sich
eher verschlechtert, da die Versicherte seit September 2001 an akustischen
Halluzinationen leide (sie höre Kinderstimmen, die ständig um Hilfe riefen). Es
bestehe eine vollständige Arbeitsunfähigkeit.

3.2 Aus der im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren ins Recht gelegten Auskunft
des Dr. med. H.________ vom 14. Februar 2007 geht hervor, dass sich seit dem
Jahre 2003 an den somatischen Befunden kaum etwas verändert hat und die
Arbeitsfähigkeit in einer adaptierten Tätigkeit weiterhin 50 % beträgt.
Demgegenüber ist nach Einschätzungen des Dr. med. A.________ vom 27. Januar
2006 aus psychiatrischer Sicht insoweit eine Verbesserung zu verzeichnen, als
die Beschwerdeführerin ruhiger geworden sei und sich weniger Hinweise auf
psychotische Symptome und eine akute Suizidalität fänden. Dr. med. A.________
erachtet nunmehr wenig anspruchsvolle, eher einfache und klar strukturierte
Tätigkeiten mit Wechselbelastung für zumutbar bei einer Arbeitsfähigkeit aus
psychiatrischer Sicht von 50 % und langsamem Einstieg von zwei bis drei Stunden
täglich (Bericht vom 30. Oktober 2006).

3.3 Das kantonale Gericht ist in pflichtgemässer Würdigung der medizinischen
Akten (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400) zum nachvollziehbar
begründeten Schluss gelangt, gestützt auf die Einschätzungen des Dr. med.
A.________ vom 27. Januar und 30. Oktober 2006 sei aus psychiatrischer Sicht
eine revisionsrechtlich erhebliche Verbesserung eingetreten. Diese tatsächliche
Feststellung ist letztinstanzlich bindend (E. 1 hievor). Die Vorbringen der
Beschwerdeführerin vermögen hieran nichts zu ändern. Mit Blick auf die sich
widersprechenden Einschätzungen des Dr. med. A.________ und des Hausarztes Dr.
med. C.________, FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, der am 22. April 2007
eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hatte, durfte die Vorinstanz
ohne Verletzung von Bundesrecht dem Umstand Rechnung tragen, dass die Angaben
des behandelnden Arztes in Berücksichtigung der auftragsrechtlichen
Vertrauensstellung mit Vorbehalt zu würdigen sind (z.B. Urteil I 655/05 vom 20.
März 2006 E. 5.4). Entgegen den Vorbringen der Versicherten, wonach sie bei Dr.
med. A.________ (lediglich) eine Gruppentherapie besucht habe - weshalb dieser
ihre Gesundheitsprobleme nicht ausreichend kenne - war sie nach Lage der Akten
bei diesem Arzt auch in Einzelbehandlung; so fanden zwischen 12. Juli 2002 und
27. Januar 2006 (unter anderem) 11 Konsultationen statt. Weiter übersieht die
Beschwerdeführerin, dass selbst eine geringfügige Änderung des Sachverhaltes
Anlass zu einer Revision geben kann (BGE 133 V 545 E. 7 S. 548). Entgegen den
Vorbringen in der Beschwerde steht auch eine (nur) "leicht verbesserte"
gesundheitliche Situation, wie sie Dr. med. A.________ mit Verlaufsbericht vom
27. Januar 2006 attestiert hatte, einer Herabsetzung der Rente nicht entgegen.
Den Ausführungen des Dr. med. A.________ kann im Übrigen sehr wohl entnommen
werden, inwiefern sich der (psychische) Gesundheitszustand verbessert hat. Der
Psychiater weist im Einzelnen auf die Veränderungen hin (die Versicherte sei
ruhiger geworden; es fänden sich weniger Hinweise auf psychotische Symptome und
es bestehe keine akute Suizidalität [mehr]; vgl. E. 3.2 hievor), so dass die
Diagnose eines nunmehr noch mittelschweren depressiven Zustandsbildes (ICD-10
F32.11) durchaus einleuchtet. Die letztinstanzlich ins Recht gelegten Auskünfte
des Dr. med. C.________ vom 23. August 2008 und des Dr. med. H.________ vom 8.
September 2008 können nicht berücksichtigt werden (Art. 99 Abs. 1 BGG; im
Übrigen enthalten sie nichts, was den vorinstanzlichen Entscheid als
bundesrechtswidrig erscheinen liesse). Schliesslich durfte die Vorinstanz in
zulässiger antizipierter Beweiswürdigung (vgl. BGE 124 V 90 E. 4b S. 94) von
weiteren Abklärungen absehen.

4.
Dem Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung kann entsprochen
werden, da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2
BGG). Die Beschwerdeführerin wird jedoch auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen.
Danach hat die Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später dazu
in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Fürsprecher Hans Spillmann, Brugg AG, wird als unentgeltlicher Anwalt der
Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. Januar 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Bollinger Hammerle