Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 729/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_729/2008 {T 0/2}

Urteil vom 17. April 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Ursprung, Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Ettlin.

Parteien
Bundesamt für Sozialversicherungen,
Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer,

gegen

1. H.________, vertreten durch Herr U._________,

2. SWICA Krankenversicherung AG,
SWICA Gesundheitsorganisation,
lic. iur. Catherine Descombaz,
Beschwerdegegnerinnen,

IV-Stelle des Kantons Zürich, 8087 Zürich.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 30. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1989 geborene H.________ liess am 5. September 2006 bei der IV-Stelle des
Kantons Zürich ein Gesuch u.a. um medizinische Massnahmen zur Behandlung einer
Anorexia nervosa stellen. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren wies die
IV-Stelle das Leistungsgesuch mit Verfügung vom 15. Februar 2007 ab.

B.
Die hiegegen eingereichten Beschwerden der Versicherten (vertreten durch ihren
Vater) sowie der obligatorischen Krankenpflegeversicherung Swica hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. Juni 2008
gut, nachdem es zuvor die beiden Verfahren vereinigt hat. Das Gericht stellte
auf während der Hängigkeit der Beschwerde seitens der Swica eingereichte
Stellungnahmen behandelnder Ärzte ab.

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sowie die Bestätigung der Verfügung der IV-Stelle
vom 15. Februar 2007. Ferner ersucht das BSV um Gewährung der aufschiebenden
Wirkung.

Die Swica und sinngemäss die Versicherte (ausserhalb der Frist) schliessen auf
Abweisung der Beschwerde. Die IV-Stelle unterstützt das Rechtsbegehren des BSV.

D.
Mit Verfügung vom 29. Oktober 2008 erteilte der Instruktionsrichter der
Beschwerde die aufschiebende Wirkung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es
kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung zum Anspruch auf
medizinische Massnahmen der Invalidenversicherung (Art. 12 Abs. 1 IVG in der
bis Ende 2007 gültig gewesenen Fassung) und die hiezu ergangene Rechtsprechung
richtig dargelegt (BGE 120 V 277 E. 3a S. 279 mit Hinweisen). Korrekt erwähnt
der angefochtene Entscheid die zur Behandlung psychischer Leiden erlassenen
Verwaltungsweisungen (Rz. 645-647 / 845-847 des Kreisschreibens des BSV über
die medizinischen Eingliederungsmassnahmen [KSME]). Darauf wird verwiesen. Zu
ergänzen ist, dass sich bei nichterwerbstätigen Minderjährigen die Invalidität
nach Art. 8 Abs. 2 ATSG bestimmt, gemäss welcher Regelung dieselben als invalid
gelten, wenn die Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder
psychischen Gesundheit voraussichtlich eine ganze oder teilweise
Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben wird. Daraus ergeben sich spezifische
Anspruchsvoraussetzungen für medizinische Vorkehren bei Jugendlichen (AHI 2003
S. 103 E. 2).

2.2 Die Rechtsprechung zu den medizinischen Massnahmen stützt sich auf Art. 12
IVG, wonach nur solche Vorkehren von der Invalidenversicherung zu übernehmen
sind, die "nicht auf die Behandlung des Leidens an sich", also nicht auf die
Heilung oder Linderung labilen pathologischen Geschehens gerichtet sind.
Während dies bei Erwachsenen ohne weiteres gilt, sind bei Jugendlichen - ihrer
körperlichen und geistigen Entwicklungsphase Rechnung tragend - medizinische
Vorkehren trotz des einstweilen noch labilen Leidenscharakters von der
Invalidenversicherung zu übernehmen, wenn ohne diese in absehbarer Zeit eine
Heilung mit Defekt oder ein sonst wie stabilisierter Zustand einträte, wodurch
die Berufsbildung oder die Erwerbsfähigkeit oder beide beeinträchtigt würden
(BGE 98 V 214 E. 2; 105 V 19 S. 20). Die Invalidenversicherung hat daher bei
Jugendlichen - die Erfüllung der übrigen Voraussetzungen vorbehalten - nicht
nur unmittelbar auf die Beseitigung oder Korrektur stabiler Defektzustände oder
Funktionsausfälle gerichtete Vorkehren zu übernehmen, sondern auch dann
Leistungen zu erbringen, wenn es darum geht, mittels geeigneter Massnahmen
einem die berufliche Ausbildung oder die künftige Erwerbsfähigkeit
beeinträchtigenden Defektzustand vorzubeugen. Diese Rechtsprechung wurde
wiederholt bestätigt (vgl. beispielsweise BGE 105 V 19 S. 20; AHI 2000 S. 63 E.
1, AHI 2003 S. 103 E. 2; Urteil I 23/04 vom 23. September 2004 E. 4.1).

2.3 Sodann ist festzuhalten, dass Art. 12 IVG namentlich bezweckt, die
Aufgabenbereiche der Invalidenversicherung einerseits und der sozialen Kranken-
und Unfallversicherung anderseits gegeneinander abzugrenzen. Diese Abgrenzung
beruht auf dem Grundsatz, dass die Behandlung einer Krankheit oder einer
Verletzung ohne Rücksicht auf die Dauer des Leidens primär in den
Aufgabenbereich der Kranken- und Unfallversicherung gehört (BGE 104 V 79 E. 1
S. 81; 102 V 40 E. 1 S. 41; Urteil I 390/04 vom 13. Dezember 2004 E. 1.2).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die 1989 geborene Versicherte mit Blick auf die
im Jahr 2003 ausgebrochene Anorexia nervosa Anspruch auf medizinische
Massnahmen nach Art. 12 IVG hat.

3.1 Die Vorinstanz stellte fest, nach einhelliger Auffassung der behandelnden
Ärzte könne mit grösster Wahrscheinlichkeit mit einer vollständigen Remission
der Anorexia nervosa gerechnet werden. Gleiches ergebe sich aus der Überprüfung
der Prognosefaktoren nach Steinhausen, weshalb bis auf weiteres eine
Kostengutsprache der Invalidenversicherung für die entsprechenden
psychotherapeutischen Behandlungen zu erfolgen habe.

3.2 Das BSV entgegnet, bei der Anorexia nervosa lasse sich von einer Heilung
des Leidens, welche allein eine individuelle IV-Abklärung mit Bezug auf die
Prognose rechtfertige, nicht sprechen. Klinisch oder wissenschaftlich sei keine
zuverlässige Prognosestellung möglich, weshalb deren Prüfung im Einzelfall,
entgegen dem kantonalen Gericht, nicht sinnvoll sei. Falls jedoch eine
Einzelfallprüfung als notwendig erachtet werde, so sei von einer offensichtlich
unrichtigen Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz auszugehen. Denn die
Aussage des Dr. med. M.________, Leitender Arzt des Spitals X.________, vom 28.
März 2007, lasse keinerlei Rückschlüsse auf die Prognose zu und Dr. med.
B.________, Stationsarzt des Spitals Z.________, halte lediglich eine
konfliktfreie Eltern-Kind-Beziehung und einen guten Bildungs- sowie
Sozialstatus fest (Bericht vom 16. April 2007). Sodann sei die Stellungnahme
der Frau Dr. med. O.________, Allgemeinmedizin, vom 11. Oktober 2007, nicht
klar, erachte sie doch aufgrund ihrer Erfahrung die Leistungspflicht der
Invalidenversicherung für nicht gegeben, obwohl sie letztlich keine ungünstigen
Prognosefaktoren nach Steinhausen erkenne.

4.
4.1 Soweit das BSV geltend macht, die Beurteilung des künftigen Heilverlaufs
der Anorexia nervosa sei klinisch oder wissenschaftlich nicht einzuschätzen,
weshalb eine Prüfung im Einzelfall entfalle, hält es der vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellung die medizinische Empirie entgegen. Dabei geht es um
Rechtsfragen, die ohne Einschränkung der Kognition durch das Bundesgericht frei
geprüft werden (BGE 132 V 393 E 3.2 S. 398 f.).

4.2 In Fällen der Anorexia nervosa verlangt die Rechtsprechung zur Beurteilung
des Leistungsanspruches auf medizinische Massnahmen der Invalidenversicherung
bei Versicherten vor vollendetem 20. Altersjahr zwar eine Einzelfallprüfung
(Urteil I 256/05 vom 10. Oktober 2005 E. 2.4; Urteil I 23/04 vom 23. September
2004 E. 4.3), wobei aber der Anspruch auf medizinische Massnahmen nach Art. 12
IVG bei Anorexien dennoch verneint worden ist (vgl. die beiden soeben erwähnten
Urteile). Im Urteil I 181/99 vom 2. November 1999 (AHI 2000 S. 63) sodann stand
eine schwere Form der Anorexie zur Beurteilung, welche bereits über einen
längeren Zeitraum hin eine Behandlung notwendig gemacht hatte. Das Begehren auf
medizinische Massnahmen wurde mit der Begründung abgelehnt, diese stellten
zeitlich unbegrenzte Vorkehren dar, welche der Behandlung des Leidens an sich
dienten, weshalb ihnen kein überwiegender Eingliederungscharakter im Sinne des
IVG zukomme (E. 4b). Weiter entschied das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil
I 670/03 vom 27. August 2004, in der zu beurteilenden Sache trete ohne
psychotherapeutische Behandlung in absehbarer Zeit kein stabilisierter, die
spätere Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Defektzustand ein, sondern es liege
ein auf längere Sicht labiles pathologisches Geschehen vor, weshalb die
Psychotherapie vorwiegend die Behebung eines labilen Krankheitsgeschehens
bezwecke. Der Massnahme mangle es am Eingliederungszweck (E. 5.2). Ebenso
schloss das Eidg. Versicherungsgericht im zitierten Urteil I 23/04 vor dem
Hintergrund einer schweren familiären Krisensituation und einer Essstörung mit
anorektisch bulimischen Zügen auf eine labile Krankheit; die Folgen des Leidens
seien derzeit nicht abschätzbar (E. 8), welcher Umstand schliesslich auch im
erwähnten Urteil I 256/05 für die Ablehnung den Ausschlag gab. Zudem war dort
in naher Zukunft kein Defektzustand zu erwarten, dies bei einem zeitlichen
Behandlungshorizont bis 2005/2008 mit einem Leidensbeginn im Jahr 2001 (E. 2.5
und 2.6).

4.3 Die angeführten Urteile haben die Leistungsabweisung wegen langdauernder
Behandlungen mit auf lange Sicht bestehender labiler Geschehen gemein, ohne
dass eine zuverlässige Prognose über den Eintritt eines stabilen
Defektzustandes möglich war, welcher mit den jeweils in Frage stehenden
Therapien hätte vermieden oder zumindest angegangen werden können. Auf dieser
Basis mangelte es am Eingliederungscharakter der medizinischen Massnahme (vgl.
E. 2.2 hievor). Zudem erwähnt das beschwerdeführende BSV eine stete
Rückfallgefahr der Anorexia nervosa als das Krankheitsbild bestimmend. Es fragt
sich, ob diesen Umständen in dem Sinn allgemeingültiger Charakter zukommt, als
sie Eigenheiten beschreiben, welche der Anorexia nervosa inhärent sind und für
die gesamte Dauer der Behandlung Bestand haben. Bejahendenfalls entfiele die
Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung und der Anspruch auf medizinische
Massnahmen nach Art. 12 Abs. 1 IVG wäre ungeachtet der konkreten Verhältnisse
nicht gegeben, liessen sich doch die erwähnten Eigenschaften mit dem
Erfordernis eines in absehbarer Zeit ohne Behandlung eintretenden stabilen
Defektzustandes mit Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit oder Ausbildung nicht in
Einklang bringen.
4.3.1 Die Anorexia nervosa gilt nach wie vor als eine schwerwiegende und nicht
leicht therapierbare psychische Erkrankung. Die mittlere Dauer der Behandlung
bis zur Vollremission beträgt sechs Jahre. Darüber hinaus muss mit Rückfällen
und chronischen Verläufen gerechnet werden. Die Therapie gestaltet sich
anspruchsvoll und der Kern der Behandlung beinhaltet eine langfristige
Psychotherapie (HERZOG, FRIEDERICH, WILD, LÖWE, ZIPFEL, Magersucht, in:
Therapeutische Umschau, 63/2006, S. 541 f.; LYON-PAGÈS, CARRARD, GEBHARD,
STIEFEL, Pourquoi l'anorexie mentale est-elle considérée comme une maladie
difficile à soigner, in: Revue Médicale Suisse, 2007, S. 398 ff.). Zudem wird
die Behandlung oft mehrdimensional angegangen mit Einbezug des familiären
Umfeldes sowie psychiatrischen und medikamentösen Vorkehren (MANUEL MACIAS,
Wirksamkeit und Komplexität der Behandlung in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie, in: Schweizerisches Medizin-Forum, 2006, S. 505; LYON-PAGÈS
ET AL., a.a.O., S. 400; HANS-CHRISTOPH STEINHAUSEN, Psychische Störungen bei
Kindern und Jugendlichen, Lehrbuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie, 2002, S.
168 f.). Von einer Heilung lässt sich nur bei 45 % der Fälle sprechen. Eine
partielle Besserung tritt bei etwa 33 % der Patienten ein, und 20 % zeigen
einen chronifizierten Krankheitsverlauf, wobei chronisch-persistierende und
chronisch-rezidivierende Varianten auftreten. Als positive Prognosefaktoren
können Erkrankungen in der Adoleszenz, hysterische Persönlichkeitsanteile,
konfliktfreie Eltern-Kind-Beziehungen, kurze und wenige stationäre
Behandlungen, kurze Krankheitsdauer vor der stationären Therapie und höherer
Bildungs- und Sozialstatus betrachtet werden. Ungünstige Prognosefaktoren sind
hingegen Erbrechen, Bulimie, hoher Gewichtsverlust, Chronizität, prämorbide
Auffälligkeiten im Sinne von Entwicklungsabweichungen und Verhaltensprobleme
sowie männliches Geschlecht (Urteil I 256/05 vom 10. Oktober 2005 E. 2.4;
HANS-CHRISTOPH STEINHAUSEN, a.a.O., S. 169).
4.3.2 Die erwähnten medizinischen Forschungsergebnisse und epidemiologischen
Zahlen zeigen die Vielschichtigkeit und Langwierigkeit der Behandlung und den
ungewissen Ausgang der Erkrankung auf. Entsprechend ist es schwierig, jeweils
Aussagen über die künftige Entwicklung der Krankheit zu machen, woran der
Kriterienkatalog nach Steinhausen nichts ändert, können daraus naturgemäss
bloss Anhaltspunkte für prognostische Aussagen gewonnen werden. Auch im
vorliegenden Fall hat das Spital X.________ in seinem Bericht vom 28. März 2007
ausgeführt, bei einer Erkrankung wie einer Anorexia nervosa lasse sich nach dem
jetzigen Stand des Wissens keine zuverlässige Prognose machen. Wie das BSV zu
Recht vorträgt, stellt die stete Gefahr eines Rückfalles und die damit
einhergehende Instabilität ein zusätzliches Kennzeichen des Krankheitsbildes
dar. Gerade das Erreichen eines stabilen Zustandes in absehbarer Zeit hat die
Rechtsprechung regelmässig verneint (E. 4.2 hievor). Ins Gewicht fällt vorab,
dass die dem Leiden eigene Instabilität und Rückfallgefahr der Annahme eines
stabilen Defektzustandes entgegensteht: ist für die Zeit der Behandlung von
einem instabilen Geschehen auszugehen, so auch und erst recht bei Einstellung
der medizinischen Vorkehren. Dementsprechend kann selbst für den Fall der nicht
vollständigen Remission kein stabiler Defekt erwartet werden. In dieser
Hinsicht verzeichnet die Empirie neben der gänzlichen Heilung der Symptomatik
chronisch-rezidivierende und chronisch-persistierende Varianten (E. 4.3.1
hievor). Chronische Leiden stehen der Annahme eines stabilen Zustandes
entgegen, handelt es sich doch hiebei um langsame und schleichende
Krankheitsverläufe. Die chronifizierten Verläufe fallen mithin in die Kategorie
der Beschwerdebilder, welche sich ohne kontinuierliche Behandlung nicht bessern
(BGE 105 V 19). In Fällen partieller Besserung werden eine Restsymptomatik der
Essstörung, bisweilen auch Syndromshifts zu andern psychischen Erkrankungen
beobachtet (HERZOG ET. AL., a.a.O., S. 541), was einen ohne Behandlung
bestehenden stabilen Zustand ausschliesst. Kann hingegen mit der gänzlichen
Remission gerechnet werden, so ist ein Leistungsanspruch ebenfalls nicht
gegeben, weil die Behandlung nicht den Eintritt eines stabilen Defekts
verhindert, sondern mit Blick auf die vollständige Genesung erfolgt und eine
gesundheitsbedingte Beeinträchtigung des Erwerbslebens nicht eintritt. Die
Behandlung des Leidens an sich steht dabei ganz im Vordergrund. Selbst wenn
mithin zuverlässige Aussagen über den zu erwartenden Zustand ohne medizinische
Vorkehren möglich wären, so stünden - wie gezeigt - die jeweiligen
Behandlungsergebnisse iv-rechtlich einer Leistungsgewährung entgegen.

4.4 Bei dieser Sachlage kann im Zusammenhang mit Anorexia nervosa am
Erfordernis der Einzelfallprüfung nicht festgehalten werden (Urteil I 256/05
vom 10. Oktober 2005 E. 2.4; Urteil I 23/04 vom 23. September 2004 E. 4.3; zur
Praxisänderung vgl. BGE 132 V 257 E. 2.4 S. 262). Die medizinischen Vorkehren
zielen nach dem Gesagten insgesamt nicht auf die Vermeidung eines ohne
Behandlung in absehbarer Zeit drohenden Defekt- oder sonst wie stabilisierten
Zustandes mit Auswirkung auf Beruf und Ausbildung ab, weshalb ihnen der
iv-rechtliche Eingliederungscharakter fehlt. Es handelt sich ausschliesslich um
die Therapie eines labilen Geschehens und damit um Behandlung des Leidens an
sich. Leistungen nach Art. 12 Abs. 1 IVG können daher bei Anorexia nervosa
juvenalis nicht beansprucht werden. Die I. sozialrechtliche Abteilung hat
dieser Rechtsprechung im Verfahren nach Art. 23 Abs. 1 BGG zugestimmt.

5.
Da eine Praxisänderung erfolgt, ist auf die Erhebung von Gerichtskosten zu
verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG), auch für das vorinstanzliche Verfahren (Art.
67 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 30. Juni 2008 wird aufgehoben und die Verfügung der
IV-Stelle Zürich vom 15. Februar 2007 bestätigt.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. April 2009

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Ettlin