Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 721/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_721/2008

Urteil vom 14. Oktober 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Traub.

Parteien
IV-Stelle des Kantons Solothurn, 4501 Solothurn, Beschwerdeführerin,

gegen

S.________, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Advokat Dr. Jgnaz Jermann, Röschenzstrasse 23, 4242 Laufen.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 19. Juni 2008.

Sachverhalt:

Mit Einspracheentscheid vom 18. Dezember 2006 sprach die IV-Stelle des Kantons
Solothurn der 1953 geborenen S.________ eine Viertelsrente bei einem
Invaliditätsgrad von 47 Prozent zu.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hiess die dagegen erhobene
Beschwerde teilweise gut und änderte den Einspracheentscheid insofern ab, als
es der Versicherten mit Wirkung ab März 2004 eine halbe Invalidenrente
(aufgrund eines Invaliditätsgrades von 50 Prozent) zusprach (Entscheid vom 19.
Juni 2008).
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Rechtsbegehren, der kantonale Beschwerdeentscheid sei aufzuheben.

Erwägungen:

1.
Umstritten ist einzig die Höhe des "leidensbedingten Abzugs" vom
Invalideneinkommen (BGE 129 V 472 E. 4.2.3 S. 481; 126 V 75), wie es die
IV-Stelle anhand der Tabellenlöhne in der Lohnstrukturerhebung des Bundesamts
für Statistik (LSE) ermittelt hat.

1.1 Das kantonale Gericht hat die zur Beurteilung des Leistungsanspruchs
einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

1.2 Die Frage, ob eine Kürzung statistisch ermittelter Lohnansätze vorzunehmen
ist, ist rechtlicher Natur. Das Ausmass eines solchen Abzugs betrifft dagegen
eine Ermessensfrage, die nicht zu überprüfen ist (Art. 95 BGG). Von der
bundesgerichtlichen Kognition erfasst wird die Höhe des Abzuges einzig im
Hinblick auf Ermessensüberschreitung, -unterschreitung oder -missbrauch, alles
Formen rechtsfehlerhafter Ermessensbetätigung (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399;
Urteil 9C_382/2007 vom 13. November 2007, E. 4.1).

1.3
1.3.1 Die IV-Stelle hatte festgehalten, die Versicherte könne wegen eines
Gesundheitsschadens nur noch angepasste wechselbelastende Tätigkeiten ausüben.
Ein leidensbedingter Abzug in Höhe von 10 Prozent sei daher gerechtfertigt.
Hingegen spielten weitere Umstände (Nationalität, Teilzeitarbeit, Alter) keine
Rolle. Auch dürfe der Umstand, dass neben der um 20 Prozent eingeschränkten
zeitlichen Verfügbarkeit eine zusätzliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit
um 20 Prozent bestehe, nicht doppelt (das heisst bei der Einschätzung der
Arbeitsunfähigkeit und bei der Bemessung des Abzugs) berücksichtigt werden
(Einspracheentscheid vom 18. Dezember 2006).

Das kantonale Gericht vertrat demgegenüber die Auffassung, die der - vor
Eintritt der Invalidität in einem körperlich relativ belastenden Beruf
(Maschinenführerin) tätig und bei Rentenbeginn 51-jährig gewesenen -
Versicherten zumutbaren Verweisungstätigkeiten seien durch verschiedene
Einschränkungen gekennzeichnet (nur noch leichte, wechselbelastende Arbeit).
Ausserdem falle ins Gewicht, dass sie nur noch ein zeitliches Pensum von 80
Prozent wahrnehmen könne; hinzu komme eine Leistungsreduktion um 20 Prozent.
Eine solche "doppelte Einschränkung" wirke sich im ausgeglichenen Arbeitsmarkt
potentiell überproportional verdienstmindernd aus. Angemessen sei ein Abzug von
insgesamt 15 Prozent.
1.3.2 Bei der gerichtlichen Überprüfung des Abzuges soll die kontrollierende
Instanz ihr Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der
Verwaltung setzen. Sie muss sich vielmehr auf Gegebenheiten abstützen können,
welche ihre abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen
(BGE 126 V 75 E. 6 S. 81; Urteil 8C_728/2007 vom 17. März 2008, E. 1.2). Ist
streitig, ob ein kantonales Gericht mit hinreichendem Grund in das Ermessen der
Verwaltung eingegriffen hat, kann das Bundesgericht die vorinstanzliche
Ermessensausübung nur korrigieren, wenn die entsprechende Festlegung einer
rechtsfehlerhaften Betätigung des Ermessens (oben E. 1.2) gleichkommt.
1.3.3 Dies ist hier nicht der Fall: Die Vorinstanz hat zu Recht erkannt, dass
das gutachtlich definierte Anforderungsprofil einer Verweisungsstelle nicht nur
eine zeitliche Einschränkung des Arbeitspensums (20 Prozent) umfasst; hinzu
tritt eine - ebenfalls pensenwirksame - Reduktion des Leistungsgrades in
gleichem Umfang. Beides führt zur Annahme einer Arbeitsunfähigkeit von 36
Prozent als leistungsumfangmässiger Grundlage der anrechenbaren Entlöhnung. Es
ist keine rechtsfehlerhafte Ermessensausübung, wenn die Vorinstanz davon
ausgeht, eine derartige doppelte Einschränkung wirke sich potentiell
überpropotional verdienstmindernd aus. Entgegen den Ausführungen in der
Beschwerde kann somit nicht gesagt werden, es würde derselbe Aspekt zweifach
berücksichtigt. Nicht von der Hand zu weisen ist hingegen das vorinstanzliche
Argument, die - unter den gegebenen Umständen im Zusammenhang mit dem
"leidensbedingten Abzug" für sich allein kaum ins Gewicht fallende - zeitliche
Pensenreduktion verstärke die lohnmässigen Nachteile, die wegen des um ein
Fünftel verminderten Rendements zu erwarten sind. Die Rechtsprechung verlangt
auch nicht, dass die (vorinstanzlich berücksichtigte) überproportionale
Verdienstminderung "anhand von Statistiken oder anderen Tatsachen erwiesen
sein" müsste, um für den Abzug bedeutsam zu sein. Immer geht es dabei eine
Schätzung, mit welcher verschiedenartige individuelle Faktoren erfasst und
miteinander in Beziehung gesetzt werden (vgl. BGE 126 V 75 E. 5b/bb S. 80),
also um die Ausübung von Tatbestandsermessen.

1.4 Das kantonale Gericht nennt nach dem Gesagten triftige Gründe, die nicht
schon in die Schätzung der Verwaltung eingeflossen sind, sondern neben die
"Grundkonstellation" eines gesundheitsschadenbedingten Anforderungsprofils für
Stellen treten, welche der Versicherten - relativ fortgeschrittenen Alters -
zumutbar sind. Damit durfte die Vorinstanz davon ausgehen, die Festsetzung des
Korrektivs auf 15 Prozent stelle die näherliegende Lösung dar (vgl. oben E.
1.3.2), ohne dass darin eine Überschreitung oder ein Missbrauch des Ermessens
läge. Die Vorinstanz hat kein Bundesrecht verletzt.

2.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. Oktober 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Borella Traub