Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 67/2008
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_67/2008

Urteil vom 16. Februar 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Traub.

Parteien
Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft, Bundesgasse 35, 3011 Bern,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Franz Müller,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin,

F.________

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 30. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft richtete F.________ nach
einem Unfall Taggelder aus einer Kollektiv-Krankenversicherung gemäss
Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag
(Versicherungsvertragsgesetz; VVG) aus. Die IV-Stelle des Kantons Bern sprach
ihm mit Wirkung ab August 2004 bis März 2005 eine ganze und für April 2005 eine
halbe Invalidenrente zu. Die Schweizerische Mobiliar beantragte gegenüber der
Invalidenversicherung unter Berufung auf ein Rückforderungsrecht, es sei von
der Renten-Nachzahlung für den Zeitraum 1. August 2004 bis 5. Februar 2005 ein
Betrag von Fr. 18'192.10 an sie auszubezahlen. Die IV-Stelle lehnte die
Drittauszahlung mit der Begründung ab, es bestehe kein direktes
Rückforderungsrecht gegenüber der Invalidenversicherung; die mithin
erforderliche Zustimmung des Versicherten werde indessen verweigert (durch
Einspracheentscheid vom 27. April 2006 bestätigte Verfügung vom 7. Februar
2006).

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die gegen den Einspracheentscheid
vom 27. April 2006 eingereichte Beschwerde der Schweizerischen Mobiliar am 30.
November 2007 gut, hob den Verwaltungsakt auf und verpflichtete die IV-Stelle,
der Beschwerdeführerin den Betrag von Fr. 18'192.10 als Drittauszahlung zu
überweisen. Zur Begründung führte das kantonale Gericht aus, die
Beschwerdeführerin habe als privater Krankentaggeldversicherer Leistungen im
Sinne von Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV erbracht, welche - mit Blick auf die in
den Allgemeinen Vertragsbedingungen enthaltene Möglichkeit der "Verrechnung" -
Vorleistungen im Sinne des Gesetzes (Art. 22 Abs. 2 lit. b ATSG) darstellten
und für die daher ein vertraglich begründetes Rückforderungsrecht bestehe;
demgemäss könne sie eine Drittauszahlung der Invalidenversicherung
beanspruchen.

Im Rahmen des Kostenentscheids erhob das kantonale Gericht keine
Verfahrenskosten und sprach keine Parteientschädigung zu (Ziff. 2 des
Entscheiddispositivs).

C.
Die Schweizerische Mobiliar lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten führen mit den Rechtsbegehren, Ziff. 2 des vorinstanzlichen
Entscheiddispositivs sei aufzuheben und die Sache sei zur Festsetzung einer
angemessenen Parteientschädigung für das kantonale Beschwerdeverfahren an die
Vorinstanz zurückzuweisen; eventuell sei ihr eine Parteientschädigung für das
kantonale Beschwerdeverfahren von Fr. 3265.65 gemäss Kostennote zuzusprechen.

Das kantonale Gericht, die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichten auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
1.1 Streitig und zu prüfen ist, ob der vorinstanzliche Kostenentscheid, soweit
er der obsiegenden Beschwerdeführerin unter Hinweis auf deren Eigenschaft als
"Versicherungsträger" eine Parteientschädigung verweigert, bundesrechtskonform
ist (Art. 95 BGG).

Art. 61 ATSG nennt Mindestanforderungen, denen der kantonale
Sozialversicherungsprozess genügen muss. Nach Art. 61 lit. g ATSG hat die
obsiegende beschwerdeführende Person Anspruch auf Ersatz der Parteikosten (Satz
1). Diese werden vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf
den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit
des Prozesses bemessen (Satz 2).
1.2
1.2.1 Das kantonale Gericht erkannte, für das kantonale Beschwerdeverfahren sei
keine Parteientschädigung geschuldet, weil sich im Prozess Versicherungsträger
gegenüberstünden; dabei verwies es auf Art. 61 lit. g ATSG und BGE 127 V 205 E.
3a S. 206. Nach diesem Entscheid lag dem bis zum Inkrafttreten des ATSG
gültigen Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG, wonach der obsiegende Beschwerdeführer
Anspruch auf Ersatz der Kosten der Prozessführung und Vertretung nach
gerichtlicher Festsetzung hatte, die gesetzgeberische Absicht zugrunde, den
Sozialversicherern keinen Anspruch auf Parteientschädigung einzuräumen. Zur
Begründung führte das Eidgenössische Versicherungsgericht aus, der in allen
Sozialversicherungszweigen gesetzlich festgeschriebene Grundsatz der
Kostenfreiheit sei ein tragendes Prinzip des Sozialversicherungsprozesses, das
der oft sozial schwachen Partei die Möglichkeit einräumen wolle, ihre Rechte
oder Ansprüche auf Leistungen der Sozialversicherung gegen einen
öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmenden Sozialversicherer gerichtlich
durchzusetzen. Die Kostenfreiheit würde weitgehend ihres Gehaltes entleert,
wenn die versicherte Person im Unterliegensfall damit rechnen müsse, zwar keine
Gerichtskosten, hingegen eine hohe Parteientschädigung an den obsiegenden
Sozialversicherer zu bezahlen. Eine Ausnahme von diesem allgemeinen
Prozessgrundsatz für sämtliche Sozialversicherungszweige sei (unter der
Voraussetzung einer einschlägigen gesetzlichen Grundlage im kantonalen
Verfahrensrecht) für Fälle vorzusehen, in denen der versicherten Person
mutwillige oder leichtsinnige Prozessführung vorzuwerfen ist (dazu auch BGE 128
V 323 E. 1a; 127 V 205 E. 4b S. 207; 126 V 143 E. 4b S. 151).
1.2.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, Art. 61 lit. g ATSG begründe einen
Anspruch auf Ersatz ihrer Parteikosten. Dem Gesetzeswortlaut ("obsiegende
Beschwerde führende Person") liege die gesetzgeberische Absicht zugrunde, den
Sozialversicherungsträgern keinen Anspruch auf Parteientschädigung einzuräumen,
soweit ihnen die Parteirolle des Beschwerdegegners zukomme. Es sei nicht
ersichtlich, weshalb der Anspruch dem im kantonalen Prozess obsiegenden
beschwerdeführenden Versicherer abgesprochen werden sollte. Mit "Person" seien
natürliche und juristische gemeint. Dies gelte umso mehr, als die
Beschwerdeführerin als privater Taggeldversicherer im Zusammenhang mit einer
Rückforderung im Sinne von Art. 85bis IVV "ohne jeglichen hoheitlichen Bezug zu
einer Sozialversicherungsträgerschaft" aufgetreten sei. Eine
Parteikostenentschädigung sei auch dann zuzusprechen, wenn kantonales
Prozessrecht zur Anwendung gelangen sollte.

2.
Für das kantonale Beschwerdeverfahren zu prüfen ist zunächst, ob ein
Versicherer nach VVG "obsiegende Beschwerde führende Person" im Sinne von Art.
61 lit. g ATSG sein kann. Nur wenn diese Frage zu verneinen sein sollte, wäre
weiter zu beurteilen, ob die Anwendung einer allfälligen kantonalrechtlichen
Entschädigungsgrundlage mit Bundesrecht vereinbar sei.

2.1 Zunächst scheitert, was den Leistungsstreit in der Invalidenversicherung
anbelangt, der Rechtsstandpunkt der Beschwerdeführerin nicht von vornherein am
Leitgedanken der vorinstanzlich zitierten Rechtsprechung (BGE 127 V 205 E. 3a
S. 206), wonach der Grundsatz der Kostenfreiheit ein tragendes Prinzip des
Sozialversicherungsprozesses sei (oben E. 1.2.1). Zu bedenken ist, dass das
kantonale Beschwerdeverfahren abweichend von Art. 61 lit. a ATSG bei
Streitigkeiten um die Bewilligung oder die Verweigerung von Leistungen der
Invalidenversicherung nunmehr kostenpflichtig ist (Art. 69 Abs. 1bis IVG [in
der seit dem 1. Juli 2006 in Kraft stehenden Fassung]). Immerhin ist diese
Kostenpflicht aus sozialen Gründen auf einen relativ tief angesetzten Rahmen
begrenzt; diese Begrenzung würde faktisch zunichte gemacht, wenn zusätzlich zur
Verfahrenskostenpflicht noch Parteientschädigungen bezahlt werden müssten.

2.2 Einem Sozialversicherungsträger bleibt es im Rahmen seiner
Organisationsautonomie unbenommen, auch bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben
einen externen Rechtsbeistand mit der Prozessvertretung zu betrauen. Eine
solche "Auslagerung" darf aber im Lichte der vom Gesetz angestrebten nur sehr
begrenzten Kostenpflicht der Versicherten für die Gegenpartei keine
nachteiligen Konsequenzen haben. Dies bedeutet, dass das Prozess- respektive
Kostenrisiko der Gegenpartei nicht vom Entscheid eines Sozialversicherers
abhängen sollte, im gerichtlichen Verfahren nicht selber aufzutreten. Für das
bundesgerichtliche Verfahren sieht denn auch Art. 68 Abs. 3 BGG vor, dass Bund,
Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten
Organisationen in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen wird, wenn
sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen. Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung sind Ausnahmen vom grundsätzlichen ("in der Regel") Ausschluss
einer Parteientschädigung nur in einem engen Rahmen zuzulassen (vgl. BGE 134 II
117 E. 7 S. 119 [mit Bezug auf Gemeinden]; Urteil 2C_212/2007 vom 11. Dezember
2007 E. 5 [betreffend eine kantonale Gebäudeversicherung]). Sozialversicherer
wie die SUVA, die anderen UVG-Versicherer, die Krankenkassen und die
Pensionskassen gehören zu den im Sinne von Art. 68 Abs. 3 BGG mit
öffentlichrechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen (BGE 126 V 143 E. 4a S.
150; 123 V 290 E. 10 S. 309), nicht aber private Versicherer, soweit ihre
Rechtsposition auf einem rein privatrechtlich geregelten
Versicherungsverhältnis beruht.

2.3 Art. 61 lit. g ATSG ist mit Art. 68 Abs. 3 BGG übereinstimmend auszulegen.
Es besteht indessen kein Grund, darüber hinausgehend auch die
Beschwerdeführerin, welche im hier interessierenden Zusammenhang als privater
Taggeldversicherer keine öffentlichrechtliche Aufgabe wahrnimmt, einem
Sozialversicherer gleich von der Zusprechung einer Parteientschädigung
auszuschliessen. Die Wendung "obsiegende Beschwerde führende Person" in Art. 61
lit. g ATSG erfasst also auch die Beschwerdeführerin, welche vor Vorinstanz
nicht als Durchführungsorgan der Sozialversicherung, sondern zur Wahrung ihrer
privatrechtlichen geschäftlichen Interessen aufgetreten ist und somit Anspruch
auf Ersatz der Parteikosten hat. Es ist Sache der Vorinstanz, die Höhe der
Parteientschädigung nach Massgabe des kantonalen Verfahrensrechts festzulegen
(Art. 61 Ingress ATSG).

3.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten sind der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 BGG). Der Beschwerdeführerin steht
eine Parteientschädigung zu (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und Ziff. 2 des Dispositivs des Entscheids des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. November 2007 (soweit die
Parteientschädigung betreffend) aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz
zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über die
Parteientschädigung an die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft
befinde.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. Februar 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub