Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 678/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_678/2008

Urteil vom 29. Januar 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdeführerin,

gegen

K.________, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Advokatin Kathrin Bichsel,
Blumenrain 3, 4001 Basel.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
vom 7. März 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1960 geborene K.________ meldete sich im September 2004 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und Durchführung
des Vorbescheidverfahrens sprach ihr die IV-Stelle Basel-Landschaft mit
Verfügung vom 7. Juni 2007 bei einem Invaliditätsgrad von 50 % ab 1. Juli 2004
eine halbe Invalidenrente zu.

B.
In Gutheissung der Beschwerde der K.________ stellte das Kantonsgericht
Basel-Landschaft mit Entscheid vom 7. März 2008, eröffnet am 7. Juli 2008,
fest, dass sie ab dem 1. Juli 2004 Anspruch auf eine Dreiviertelrente der
Invalidenversicherung habe. Die IV-Stelle wurde verpflichtet, ihr eine
Parteientschädigung in Höhe von Fr. 5'097.95 (inkl. Auslagen und 7,6 %
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

C.
Die IV-Stelle Basel-Landschaft führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit den Rechtsbegehren, es sei der angefochtene Entscheid
aufzuheben.
K.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen und um unentgeltliche
Rechtspflege ersuchen. Das kantonale Gericht beantragt die teilweise
Gutheissung des Eventualbegehrens. Das Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze zum
Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 ATSG), zum
Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember
2007 geltenden Fassung) und zur Bestimmung des Invaliditätsgrades bei
erwerbstätigen Personen nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs
(Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die Ausführungen über
die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE
115 V 133 E. 2 S. 134; vgl. auch BGE 125 V 256 E. 4 S. 261) sowie über den
Beweiswert und die Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE
125 V 351 E. 3 S. 352 ff.). Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Nach unbestrittener und nicht offensichtlich unrichtiger Feststellung der
Vorinstanz (E. 1) ist die Versicherte seit 1. Juli 2003 in ihrem angestammten
Beruf als Sozialberaterin sowie in sämtlichen leichten Tätigkeiten zu 50 %
arbeitsfähig. Unbestritten ist auch, dass sie als Gesunde zu 100 % erwerbstätig
wäre. Streitig und zu prüfen sind die Höhe des hypothetischen Einkommens ohne
Invalidität (Valideneinkommen) sowie des Invalideneinkommens und der daraus
resultierende Invaliditätsgrad.

3.2 Auf der nicht medizinischen beruflich-erwerblichen Stufe der
Invaliditätsbemessung charakterisieren sich als Rechtsfragen die gesetzlichen
und rechtsprechungsgemässen Regeln über die Durchführung des
Einkommensvergleichs (BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348, 128 V 29 E. 1 S. 30, 104 V
135 E. 2a und b S. 136 f.). In dieser Sicht stellt sich die Feststellung der
beiden hypothetischen Vergleichseinkommen als Tatfrage dar, soweit sie auf
konkreter Beweiswürdigung beruht, hingegen als Rechtsfrage, soweit sich der
Entscheid nach der allgemeinen Lebenserfahrung richtet. Letzteres betrifft etwa
die Fragen, ob Tabellenlöhne anwendbar sind und welches die massgebliche
Tabelle ist (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; Urteil 8C_255/2007 vom 12. Juni 2008
E. 1.2, nicht publ. in: BGE 134 V 322) sowie die Wahl der zutreffenden Stufe
(Anforderungsniveau 1, 2, 3 oder 4; Urteile I 860/06 vom 7. November 2007 E.
3.2; I 732/06 vom 2. Mai 2007 E. 4.2.2) und des zu berücksichtigenden
Wirtschaftszweigs oder Totalwertes (vgl. Urteil 9C_395/2008 vom 9. Oktober 2008
E. 5.3). Demgegenüber beschlägt der Umgang mit den Zahlen in der massgeblichen
LSE-Tabelle eine Tatfrage. Schliesslich ist die Frage, ob ein
(behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Leidensabzug vorzunehmen
sei, eine Rechtsfrage, während jene nach der Höhe des Abzuges eine typische
Ermessensfrage darstellt, deren Beantwortung letztinstanzlicher Korrektur nur
mehr dort zugänglich ist, wo das kantonale Gericht das Ermessen
rechtsfehlerhaft ausgeübt hat (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399).

4.
4.1 Die Vorinstanz hat das Valideneinkommen auf Fr. 84'857.- festgesetzt. Die
Versicherte habe vom 1. September 1999 bis 30. Juni 2003 als Sozialarbeiterin
und Sozialpädagogin gearbeitet. Gestützt auf den dabei erzielten Verdienst
lasse sich das hypothetische Valideneinkommen zuverlässig ermitteln. Die
IV-Stelle macht geltend, der Arbeitsvertrag für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit
sei befristet gewesen und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit habe kein
Arbeitsverhältnis mehr bestanden. Daher sei nicht auf den früher erzielten
Lohn, sondern auf die Tabellenlöhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung
(LSE) des Bundesamtes für Statistik abzustellen und ein Valideneinkommen von
Fr. 78'647.- zu veranschlagen.

4.2 Ausschlaggebend für die Höhe des Valideneinkommens ist nicht der
statistisch ermittelte, durchschnittlich erzielbare Lohn, sondern das
Einkommen, das die Versicherte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erzielen
würde, wenn sie nicht invalid geworden wäre. Das vor dem Eintritt des
Gesundheitsschadens erzielte Einkommen ist dafür in der Regel der
Anknüpfungspunkt; doch ist davon abzuweichen, wenn mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit etwas anderes erstellt ist (BGE 129 V 222 E. 4.3.1 S. 224;
Urteil 9C_432/2008 vom 18. September 2008 E. 3.2).
Das Bundesgericht war im Urteil I 197/06 vom 15. März 2007 der Auffassung, es
fehle an einer verlässlichen tatsächlichen Grundlage für die Berechnung des
hypothetischen Valideneinkommens, weil ein bei Eintritt des Gesundheitsschadens
bestehendes sowie ein späteres Arbeitsverhältnis nicht aus gesundheitlichen
Gründen aufgelöst worden seien und der Versicherte in den Jahren davor im
Rahmen relativ kurzer Anstellungen bei verschiedenen Arbeitgebern schwankende
Einkommen erzielt habe; es zog daher die Tabellenlöhne der LSE bei. Im
vorliegenden Fall ist jedoch nicht auszuschliessen, dass die Befristung des
letzten Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen erfolgte, zumal die
Beschwerdeführerin seit einem am 23. Dezember 2000 erlittenen Myokardinfarkt an
gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet. Ausserdem dauerte das dem
befristeten unmittelbar vorangehende Arbeitsverhältnis drei Jahre, was nicht
als kurz bezeichnet werden kann. Schliesslich verfügt die Versicherte über eine
spezifische Ausbildung für die während knapp vier Jahren bis zum Eintritt der
invalidisierenden Arbeitsunfähigkeit ausgeübten Tätigkeiten (vgl. E. 4.4). Dass
die Vorinstanz für die Ermittlung des Valideneinkommens auf die konkreten
Arbeitsverhältnisse statt auf die Tabellenlöhne der LSE abgestellt hat,
verletzt Bundesrecht nicht.

4.3 Das kantonale Gericht hat ein Invalideneinkommen von Fr. 28'939.-
angenommen, was zu einem Invaliditätsgrad von 66 % führte. Ausgehend vom
monatlichen Bruttolohn von Frauen in allen Wirtschaftszweigen des privaten
Sektors (Tabelle TA1) für Berufs- und Fachkenntnisse voraussetzende Tätigkeiten
(Anforderungsniveau 3 des Arbeitsplatzes) gemäss LSE 2004 hat es eine
betriebsübliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 41,7 Stunden, die
gesundheitlich bedingte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 50 % sowie einen
leidensbedingten Abzug von 5 % berücksichtigt. Nach Auffassung der Verwaltung
ist das Invalideneinkommen auf der Grundlage der Anforderungsniveaus 1 und 2
(Verrichtung höchst anspruchsvoller und schwierigster resp. selbstständiger und
qualifizierter Arbeiten) und für Tätigkeiten im Gesundheits- und Sozialwesen zu
bestimmen.

4.4 Nach vorinstanzlicher Feststellung kann die Beschwerdeführerin ihre
angestammte Tätigkeit (in reduziertem Pensum) nur noch insoweit ausüben, als
diese sitzend zu verrichten und körperlich nicht belastend ist. Das kantonale
Gericht hat die Arbeit als Sozialpädagogin als körperlich zu belastend
erachtet, jene als Sozialberaterin in körperlich angepassten Tätigkeiten jedoch
für zumutbar gehalten. Die Versicherte sei in der Lage, ihre Berufs- und
Fachkenntnisse als diplomierte Sozialpädagogin und -beraterin weiterhin
einzusetzen. Daraus hat es in rechtlicher Hinsicht den Schluss gezogen, für die
Berechnung des Invalideneinkommens sei auf das Anforderungsniveau 3
abzustellen, während es die Wahl des Totalwertes für alle Tätigkeiten nicht
begründet hat. In Bezug auf die Vornahme eines Abzuges vom Tabellenlohn hat es
erwogen, der krankheitsbedingten Behinderung sei bereits durch die Annahme
eines deutlich reduzierten Arbeitspensums Rechnung getragen worden; es komme
lediglich ein Abzug von 5 % in Frage, da die Versicherte nur in geringem Masse
körperlich bedingt in der Umsetzung ihrer beruflichen Fähigkeiten eingeschränkt
sei.
Die Feststellungen der Vorinstanz als solche sind weder offensichtlich
unrichtig, noch beruhen sie auf einer Rechtsverletzung, weshalb sie für das
Bundesgericht verbindlich sind (E. 1). Die Versicherte hat sich an der
Fachhochschule zur "dipl. Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin HFS" ausbilden
lassen und in der Folge ihrer Ausbildung entsprechende Tätigkeiten ausgeübt.
Dabei hat sie zumindest selbstständige und qualifizierte Arbeiten verrichtet
und ein höheres Einkommen (vgl. E. 4.1 und 4.2) erzielt, als Frauen im
Gesundheits- und Sozialwesen bei den Anforderungsniveaus 1 und 2 gemäss LSE
2004 durchschnittlich verdienten (Fr. 6'317.- x 12 : 40 x 41,5). Inwiefern ihre
Arbeitsfähigkeit (oder deren Verwertbarkeit) in Bezug auf den Wirtschaftszweig
und das Anforderungsniveau eingeschränkt sein soll, ist - gerade im Lichte der
vorinstanzlichen Feststellungen - nicht ersichtlich. Bei der Festsetzung des
Invalideneinkommens ist daher auf den Tabellenlohn abzustellen, welcher den
bisherigen Tätigkeiten entspricht (LSE 2004, TA1 Frauen im Gesundheits- und
Sozialwesen, Anforderungsniveau 1+2). Soweit der vorinstanzliche Entscheid
davon abweicht, verletzt er Bundesrecht.

4.5 Gestützt auf den massgeblichen Tabellenlohn und unter Berücksichtigung der
gesundheitlich bedingten Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 50 % sowie des
nicht zu beanstandenden (vgl. BGE 129 V 472 E. 4.3.2. S. 481; 126 V 75; Urteil
9C_382/2007 vom 13. November 2007 E. 6) Abzuges vom Tabellenlohn von 5 % ergibt
sich ein Invalideneinkommen von Fr. 37'357.-. Daraus resultiert bei einem
Invaliditätsgrad von 56 % ein Anspruch auf eine halbe Rente der
Invalidenversicherung. Die Beschwerde ist begründet.

5.
5.1 Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

5.2 Dem Begehren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und
Verbeiständung (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG) kann entsprochen werden, weil die
Bedürftigkeit auf Grund der eingereichten Unterlagen als ausgewiesen gelten
kann, die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin als
geboten erscheint und die Rechtsbegehren nicht als aussichtslos bezeichnet
werden können (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135, 128 I 225 E. 2.5.3 S. 235). Die
Beschwerdegegnerin wird der Gerichtskasse jedoch Ersatz zu leisten haben, wenn
sie später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 7. März 2008
aufgehoben.

2.
Der Beschwerdegegnerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Advokatin Kathrin Bichsel, Basel, wird als unentgeltliche Anwältin der
Beschwerdegegnerin bestellt, und es wird ihr für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-
ausgerichtet.

5.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht,
zurückgewiesen.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. Januar 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann