Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 645/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_645/2008

Urteil vom 21. November 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Ettlin.

Parteien
H.________,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 8. April 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1967 geborene H.________ meldete sich am 5. August 2005 bei der IV-Stelle
des Kantons Graubünden zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung. Die
IV-Stelle liess zur Abklärung der medizinischen Verhältnisse unter anderem
durch Dr. med. G.________, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, ein
Gutachten erstellen (Expertise vom 4. Mai 2006). Nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren sprach die Verwaltung rückwirkend ab dem 1. August 2004
eine Viertelsrente und ab 1. September 2004 eine halbe Rente der
Invalidenversicherung zu (Verfügungen vom 17. Januar 2008).

B.
Die von H.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden mit Entscheid vom 8. April 2008 ab, soweit es darauf
eintrat.

C.
H.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, das Wartejahr sei nicht ab 22. Juni 2003, sondern ab 10. November
2003 zu eröffnen; sodann sei der Invaliditätsgrad von 50% auf 100% anzuheben.

Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde und das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es
kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
Das kantonale Gericht ist auf das Rechtsmittel mit Bezug auf die beantragte
Neufestsetzung des Beginns der Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG auf
den 10. November 2003 statt 22. Juni 2003 nicht eingetreten, da der Versicherte
im Urteilszeitpunkt durch die angefochtenen Verfügungen insoweit nicht
beschwert sei. Der Beschwerdeführer ficht diesen teilweisen
Nichteintretensentscheid an.

2.1 Die Legitimation zur Anfechtung einer Verfügung oder eines
Einspracheentscheids durch Beschwerde an das kantonale Gericht richtet sich
nach Art. 59 ATSG. Gemäss dieser Bestimmung ist zur Beschwerde berechtigt, wer
durch die angefochtene Verfügung oder den Einspracheentscheid berührt ist und
ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (Urteil
8C_606/2007 vom 27. August 2008 E. 5.1). Nach der zu Art. 103 lit. a OG
ergangenen - im Anwendungsbereich von Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG weiterhin
gültigen (BGE 134 I 204 E. 2.3 S. 206 f.) - und auch für die Auslegung von Art.
59 ATSG massgebenden Rechtsprechung gilt als schutzwürdiges Interesse im
legitimationsrechtlichen Sinne jedes praktische oder rechtliche Interesse,
welches eine von einer Verfügung betroffene Person an deren Änderung oder
Aufhebung geltend machen kann (BGE 133 V 188 E. 4.1 und E. 4.3.1 S. 190 ff.).

2.2 Der Beschwerdeführer leitet sein schutzwürdiges Interesse in der Beschwerde
daraus ab, dass die Pensionskasse die Leistungen verweigern könnte, falls diese
mit der Invalidenversicherung von einer seit jeher bestehenden
Arbeitsunfähigkeit von 20% ausgehe. Folglich habe er ein zentrales Interesse an
einer Änderung der angefochtenen Verfügung. Die Auswirkungen eines Entscheides
der Invalidenversicherung auf die berufsvorsorgerechtliche Beurteilung können
durchaus ein schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 59 ATSG begründen (vgl.
BGE 134 V 20 E. 3.1.2 S. 21 mit Hinweisen), dies selbst dann, wenn zur Wahrung
allfälliger Ansprüche im Bereich der beruflichen Vorsorge mit der im
invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren beantragten Abänderung eine
Verschlechterung des dort Verfügten angestrebt wird, um damit insgesamt eine
Verbesserung der Rechtsposition der versicherten Person herbeizuführen.
Indessen ist bei der hier zu beurteilenden Sachlage eine Auswirkung der
beanstandeten Aussage einer seit je gegebenen Arbeitsunfähigkeit von 20% auf
die Belange der beruflichen Vorsorge nicht erkennbar: Zwar hat die
Invalidenversicherung ihren Rentenentscheid damit begründet, das Wartejahr
gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG habe am 22. Juni 2003 zu laufen begonnen,
wobei sie von einer ab 10. November 2003 bestehenden vollen Arbeitsunfähigkeit
und einer solchen von 50% ab 23. November 2003 ausging und sodann eine bereits
vor dem 10. November 2003 gegebene Arbeitsunfähigkeit von 20% in die Berechnung
einbezog. Hingegen hat die Begründung einer Verfügung nicht Anteil an der
Rechtskraft des Entscheides, sondern nur das Dispositiv. Die Bindungswirkung
erstreckt sich auf die Urteilsformel und beschlägt weder die tatsächlichen
Feststellungen noch die rechtlichen Erwägungen (BGE 121 III 474 E. 4a S. 478).
Aus dem Dispositiv der Verfügungen vom 17. Januar 2008 ergibt sich einzig, dass
der Beschwerdeführer ab 1. August 2004 Anspruch auf eine Viertelsrente und ab
dem 1. September 2004 auf eine halbe Rente der Invalidenversicherung hat. Damit
ist in keiner Weise rechtsverbindlich eine seit jeher bestehende
Arbeitsunfähigkeit von 20% festgehalten und ein schutzwürdiges Interesse an der
Festsetzung eines späteren Zeitpunktes für den Rentenbeginn besteht nicht. Das
kantonale Gericht hat die Eintretensvoraussetzungen zu Recht verneint.

3.
3.1 Streitig und zu prüfen ist im Weiteren die Höhe des Invaliditätsgrades.

3.2 Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über die Begriffe der
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG) und Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) sowie den
Umfang des Rentenanspruches (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis zum 31. Dezember
2007 gültigen Fassung) und die Bemessung des Invaliditätsgrades bei
erwerbstätigen Versicherte nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG)
richtig wiedergegeben. Zutreffend dargelegt hat sie zudem die Anforderungen an
den Beweiswert von Arztberichten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352; 122 V 157 E. 1c
S. 160). Darauf wird verwiesen.

4.
4.1 Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), was auch
mit Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung gilt. Dagegen ist die Beachtung des
Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c
ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 399 f.; Urteil 9C_270/2008 vom 12.
August 2008 E. 2.2; vgl. E. 1 hievor).

4.2 Das kantonale Gericht befand das spezialärztliche Gutachten des Dr. med.
G.________ vom 4. Mai 2006 als ausführlich und für die strittigen Belange
umfassend sowie in Kenntnis der Vorakten ergangen, weshalb ihm voller
Beweiswert zukomme. Vorallem wegen der seit dem Jahr 2003 erfolglos gebliebenen
Suche nach einer Arbeitsstelle bestreitet der Beschwerdeführer die
Beweistauglichkeit der Expertise. Als Folge der Persönlichkeitsstörung könne er
nachgewiesenermassen auf dem freien Arbeitsmarkt keine Stelle finden, weshalb
die Annahme einer Restarbeitsfähigkeit von 50% willkürlich sei. Er erachtet die
vorinstanzliche Beweiswürdigung somit sinngemäss als rechtsfehlerhaft (Art. 105
Abs. 2 in Verbindung mit Art. 95 BGG). Indes wird der Beweiswert des Gutachtens
nicht dadurch beeinträchtigt, dass darin die konkreten Erfahrungen des
Versicherten bei der Stellensuche für die Einschätzung der verbliebenen
Leistungsfähigkeit lediglich neben anderen Aspekten Berücksichtigung fanden.
Dem Beschwerdeführer ist zwar darin zu folgen, dass die von Dr. med. G.________
diskutierten und aus dem beruflichen Werdegang ersichtlichen Schwierigkeiten
bei der Arbeitssuche als Auswirkungen der schizoiden Persönlichkeitsstörung in
die Beweiswürdigung mit einzubeziehen sind. Er lässt aber die in der Expertise
erfolgte gesamtheitliche - auch die genannten Gegebenheiten einschliessende -
Würdigung ausser Acht, die aufzeigt, unter welchen Umständen er trotzdem
nutzbringend arbeiten könnte, was insbesondere der Fall ist, wenn ihm genügend
Freiraum belassen und die Möglichkeit selbständigen Arbeitens eingeräumt wird
(so auch die Beurteilung vom 23. Oktober 2005 von Prof. Dr. phil. R.________,
Fachpsychologe). Ferner hat Dr. med. G.________ überzeugend aufgezeigt, dass
zur Verwertung der Arbeitsfähigkeit vorbereitend und begleitend eine
therapeutische Hilfestellung indiziert ist. Darin ist nicht eine
widersprüchliche oder gar willkürliche Einschätzung zu sehen, sondern ein
Abwägen der konkreten medizinischen und beruflichen Verhältnisse. Die
vorinstanzliche Beweiswürdigung der Expertise vom 4. Mai 2006 im gesamten
Kontext ist bundesrechtskonform (Art. 105 Abs. 2 und Art. 95 BGG). In für das
Bundesgericht verbindlicher Weise hat das kantonale Gericht auf der Grundlage
der gutachterlichen Einschätzung des Dr. med. G.________ eine 50%ige
Leistungsfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit des HWV-Ökonomen festgestellt,
und es hat davon ausgehend das massgebliche Validen- sowie Invalideneinkommen
festgelegt. Diese Invaliditätsbemessung ist rechtlich korrekt. Gegenteilige
Rügen bringt der Beschwerdeführer denn auch nicht vor (Urteil 9C_719/2008 vom
31. Oktober 2008 E. 4.1). Die vorinstanzlich bestätigte Invalidität von 50%
verletzt Bundesrecht nicht.

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 65 Abs. 4 lit. a und Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden,
Kammer 2 als Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. November 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Ettlin