Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 56/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_56/2008

Urteil vom 6. Oktober 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Attinger.

Parteien
Visana, Weltpoststrasse 19, 3015 Bern,
Beschwerdeführerin,

gegen

Erben der V.________, nämlich:
1. A.________,
2. B.________,
3. C.________,
Beschwerdegegner, alle drei vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas
Eichenberger, Kapellenstrasse 14, 3011 Bern.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 23. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Bei V.________, geboren am 23. September 1932, wurden im Jahre 1997 ein
multifokales Mammakarzinom links und im Jahre 2005 ein Mammakarzinom rechts
diagnostiziert. Nach einer Ablatio mammae rechts am 28. April 2005 und sechs
adjuvanten Chemotherapiezyklen beantragte sie über ihren behandelnden Arzt, Dr.
J.M. L.________, Spital X.________, mit Kostengutsprachegesuch vom 23.
September 2005 und Wiedererwägungsgesuch vom 7. Oktober 2005 sowie über ihren
Anwalt mit Schreiben vom 16. Dezember 2005 von der Visana, bei der sie
obligatorisch krankenpflegeversichert war, eine Kostengutsprache für eine
einjährige adjuvante Therapie mit dem Medikament Herceptin. Mit Verfügung vom
13. Januar 2006 und Einspracheentscheid vom 4. April 2006 lehnte die Visana die
Kostenübernahme ab.

B.
V.________ erhob dagegen am 8. Mai 2006 Beschwerde an das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern. Am 18. Juli 2007 verstarb sie. Ihre Erben traten in das
Verfahren ein. Mit Entscheid vom 23. November 2007 hiess das Verwaltungsgericht
die Beschwerde gut und verpflichtete die Visana, für die Kosten der beantragten
Therapie mit Herceptin aufzukommen.

C.
Die Visana führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben.
Die Erben von V.________ beantragen, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten,
eventuell sei diese abzuweisen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichtet
auf eine Vernehmlassung.

D.
Der Instruktionsrichter holte mit Verfügung vom 29. April 2008 Auskünfte der
Parteien und des Bundesamtes für Gesundheit ein.

Erwägungen:

1.
Die versicherte Person ist verstorben. Aus den Akten geht jedoch hervor, dass
trotz der Ablehnung des Kostengutsprachegesuchs die streitige Therapie im
Herbst 2005 begonnen worden war, so dass Kosten entstanden sind. Das
Rechtsschutzinteresse besteht daher trotz dem Tod der Versicherten weiter. Da
auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
Beschwerde einzutreten. Namentlich enthält die Beschwerdeschrift entgegen der
Auffassung der Beschwerdegegnerschaft eine hinreichende Begründung (Art. 42
Abs. 1 BGG). Ob die Begründung auch in denjenigen Punkten genügt, wo eine
erhöhte Rügepflicht gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG), ist bei der materiellen
Beurteilung der entsprechenden Fragen zu prüfen.

2.
2.1 Sachverhaltlich steht fest und ist unbestritten: Bei der Versicherten
bestand im Zeitpunkt des Therapiebeginns kein metastasierendes Mammakarzinom,
aber bei Status nach Ablatio mammae und einer starken Überexpression von HER-2
ein Rezidivrisiko. Das Medikament Herceptin war damals zur Behandlung eines
metastasierenden Mammakarzinoms zugelassen, nicht jedoch für die hier zur
Diskussion stehende adjuvante Behandlung im Sinne einer Rückfallprophylaxe.
Noch während das vorinstanzliche Verfahren andauerte, wurde das Medikament
Herceptin vom Schweizerischen Heilmittelinstitut (Swissmedic) per 1. September
2006 im beschleunigten Zulassungsverfahren (Art. 5 VAM) für die Behandlung
eines Mammakarzinoms im Frühstadium im Anschluss an eine Operation, eine
Chemotherapie und allenfalls eine Strahlentherapie zugelassen und vom BAG in
die Spezialitätenliste aufgenommen.

2.2 Die gesetzliche Ordnung (Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG; Art. 34 und 64 ff. KVV;
Art. 30 ff. KLV) schliesst die Übernahme der Kosten von nicht auf der -
abschliessenden und verbindlichen - Spezialitätenliste aufgeführten
Arzneimitteln durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung grundsätzlich
aus (BGE 134 V 83 E. 4.1, 131 V 349 E. 2.2 S. 351 mit Hinweis). Die Kosten für
ein in der Spezialitätenliste enthaltenes Medikament werden nur übernommen,
wenn das Arzneimittel für von Swissmedic gemäss Art. 9 ff. HMG zugelassene
medizinische Indikationen verschrieben wird (BGE 130 V 532 E. 3.2.2 S. 538 und
E. 3.4 S. 540). Diese Regelung bezweckt einerseits, dass nur Arzneimittel über
die obligatorische Krankenpflegeversicherung abgerechnet werden, welche nach
heilmittelrechtlichen Grundsätzen sicher und wirksam sind. Andererseits wird
damit im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots (Art. 32 KVG) eine
Kostenbegrenzung erreicht, indem die auf der Spezialitätenliste enthaltenen
Arzneimittel höchstens nach den darin festgelegten Preisen verrechnet werden
dürfen (Art. 52 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 KVG; Art. 67 KVV; Art. 34 ff. KLV).
Dementsprechend ist auch bei einer Indikationserweiterung eine
Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen (Urteil K 148/06 vom 3. April 2007, E.
6.1).

2.3 Nach der Rechtsprechung sind ausnahmsweise die Kosten für ein Arzneimittel
auch zu übernehmen, wenn es für eine Indikation abgegeben wird, für welche es
keine Zulassung besitzt (sog. off-label-use); Voraussetzung ist, dass ein
sogenannter Behandlungskomplex vorliegt oder dass für eine Krankheit, die für
die versicherte Person tödlich verlaufen oder schwere und chronische
gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann, wegen fehlender therapeutischer
Alternativen keine andere wirksame Behandlungsmethode verfügbar ist; diesfalls
muss das Arzneimittel einen hohen therapeutischen (kurativen oder palliativen)
Nutzen haben (BGE 131 V 349 E. 2.3 S. 351, 130 V 532 E. 6.1 S. 544). Zur
Beurteilung, ob ein hoher therapeutischer Nutzen in diesem Sinne vorliegt, kann
man sich an den Voraussetzungen orientieren, unter denen eine befristete
heilmittelrechtliche Bewilligung für die Abgabe nicht zugelassener Arzneimittel
gegen lebensbedrohende Krankheiten erteilt werden kann (Art. 9 Abs. 4 HMG; BGE
130 V 532 E. 6.1 S. 544 f). Voraussetzung ist dafür eine Risikoabwägung im
Einzelfall (Peter Mosimann/Markus Schott, Basler Kommentar, Heilmittelgesetz,
N. 49 und 53 zu Art. 9 HMG). Für die Zulassung eines off-label-use kann jedoch
nicht jeglicher therapeutische Nutzen genügen, könnte doch sonst in jedem
Einzelfall die Beurteilung des Nutzens an die Stelle der heilmittelrechtlichen
Zulassung treten; dadurch würde das gesetzliche System der Spezialitätenliste
unterwandert (vgl. RKUV 2003 Nr. KV 260 S. 305 E. 4.2.1 [K 63/02]; vgl. Urteil
2A.469/2003 vom 6. September 2004, E. 3.3). Einen wichtigen Anwendungsbereich
haben die Ausnahmen von der Listenpflicht für Medikamente gegen Krankheiten,
die so selten sind, dass sich für die Hersteller das Zulassungsverfahren nicht
lohnt (sog. orphan use bzw. orphan diseases; vgl. Frank Th. Petermann,
Rechtliche Betrachtungen zum Off-Label Use von Pharmazeutika, in: Health
Insurance Liability Law [Hill], 2007, Fachartikel Nr. 2, Rz. 14). Hingegen kann
es nicht angehen, für die Behandlung nicht seltener Krankheiten im Rahmen einer
Einzelfallbetrachtung zu Lasten der Grundversicherung Medikamente zu vergüten,
welche aus ganz bestimmten Gründen gerade nicht in die Spezialitätenliste
aufgenommen worden sind. Da das gesetzliche System auch der Wirtschaftlichkeit
dient (vorne E. 2.2), muss insbesondere vermieden werden, dass durch eine
extensive Praxis der ordentliche Weg der Listenaufnahme durch
Einzelfallbeurteilungen ersetzt und dadurch die mit der Spezialitätenliste
verbundene Wirtschaftlichkeitskontrolle umgangen wird (vgl. zu dieser
Befürchtung Peter Braunhofer, Arzneimittel im Spannungsfeld zwischen HMG und
KVG aus der Sicht des Krankenversicherers, in: THOMAS EICHENBERGER/TOMAS
POLEDNA, Das neue Heilmittelgesetz, Zürich 2004, S. 103 ff., S. 110 f.;
Petermann, a.a.O., Rz. 59). Im Rahmen der Beurteilung eines off-label-use ist
daher nicht nur die therapeutische Wirksamkeit, sondern auch die
Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen (Petermann, a.a.O., Rz. 58).

2.4 Im Urteil BGE 130 V 532 wurde der hohe therapeutische Nutzen bejaht in
einem Fall, in welchem die verschriebene Therapie dazu geführt hatte, dass das
Leben des Patienten um fast ein Jahr verlängert wurde und während rund einem
halben Jahr eine praktisch vollständige Remission bestand (E. 6.2 S. 545). In
BGE 131 V 349 wurde entschieden, dass ein off-label-use auch vorliegt, wenn
eine höhere als die der Zulassung zugrunde liegende Dosierung verschrieben wird
(E. 3.2 S. 352). Ob dafür im konkreten Fall ein therapeutischer Nutzen im Sinne
der Rechtsprechung vorlag, liess sich anhand der Akten nicht beurteilen,
weshalb die Sache zur näheren Abklärung an die Krankenkasse zurückgewiesen
wurde (in der Amtlichen Sammlung nicht publizierte, hingegen in SVR 2006 KV Nr.
17 S. 58 [K 100/04] veröffentlichte E. 4). Im Urteil K 83/04 des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 2. Mai 2005 wurde ein nicht auf der
Liste enthaltenes Medikament als wirksam beurteilt, weil es die psychischen
Leiden des Versicherten zu lindern vermochte, während ein Listenpräparat bei
gleicher Wirkung erheblich höhere Nebenwirkungen hatte; indessen wurde die
Sache zurückgewiesen zur Beurteilung, ob es nicht doch eine geeignete, in der
Liste aufgeführte Medikation gäbe, welche auch mit Blick auf die Nebenwirkungen
befriedigende Resultate zu erzielen vermöchte. Schliesslich bleibe, sofern die
vorangehenden Abklärungen zu keinem überzeugenden Schluss führen sollten, zu
beurteilen, aus welchen Gründen das verwendete Mittel bisher nicht registriert
sei; nur wenn dessen medizinische Wirksam- und Zweckmässigkeit zweifelsfrei
feststehe, komme eine Übernahme der entsprechenden Kosten überhaupt in Frage
(E. 4.2.2).

3.
3.1 Die Vorinstanz hat erwogen, bei der Versicherten habe ein substanzielles
Rezidivrisiko bestanden, was als lebensbedrohliche Krankheit zu betrachten sei.
Gemäss Gutachten der Prof. E.________ (Chefarzt Onkologie/Hämatologie) und
T.________ (Leitender Arzt Gynäkologische Onkologie) vom Spital Y.________ vom
5. August 2005 werde Herceptin zusätzlich zu anderen Therapieoptionen
(vorliegend der Chemotherapie) verabreicht; dadurch könne das Rückfallrisiko
nach einer Entfernung des Mammakarzinoms um rund 50 % reduziert werden. In
Fachkreisen herrsche ein breiter Konsens, dass die beantragte 12-monatige
Therapiedauer am vielversprechendsten sei. Von einem hohen therapeutischen
Nutzen könne ausgegangen werden, wenn die Erweiterung der Zulassung bereits
beantragt sei und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung
veröffentlicht seien und eine relevante Wirksamkeit bei vertretbaren Risiken
belegen. Auch sei der therapeutische Nutzen zu bejahen, wenn ausserhalb eines
Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die
zuverlässige und nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in
Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen bestehe. Aufgrund der
Berichte über die bisher durchgeführten Studien sowie das Gutachten des Spitals
Y.________ sei der therapeutische Nutzen zu bejahen; durch eine Behandlung mit
Herceptin werde die Rezidivrate und das Mortalitätsrisiko gesenkt. Daran
vermöge auch das erhöhte Risiko einer Herzinsuffizienz als Nebenwirkung des
Medikaments nichts zu ändern: Dieses Risiko sei gering (in weniger als 0,5 %
der Fälle Auftreten einer schweren kardialen Insuffizienz; kein Todesfall; nur
reversible Funktionseinschränkungen) und werde durch die Chancen auf Senkung
des Rezidivrisikos bei weitem aufgewogen.

3.2 Soweit es sich bei diesen vorinstanzlichen Erwägungen um
Sachverhaltsfeststellungen handelt, sind diese für das Bundesgericht
verbindlich, soweit sie nicht offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung beruhen (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

3.3 Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass die Versicherte an einer
lebensbedrohlichen Krankheit litt. Ebenso wenig macht sie substanziiert
geltend, es bestünden wirksame Behandlungsalternativen, abgesehen von einer
kürzeren Therapiedauer mit Herceptin (vgl. dazu unten E. 3.6). Hingegen
bestreitet sie den hohen therapeutischen Nutzen. Sie macht geltend, aus der
Tatsache, dass das Medikament zum beschleunigten Verfahren zugelassen und
nachträglich die Zulassung erteilt worden sei, könne noch nicht für den
massgebenden Beurteilungszeitpunkt auf eine hohe therapeutische Wirksamkeit
geschlossen werden. Unter Berufung auf die sogenannte FinHer-Studie (Heikki
Joensuu et al., Adjuvant Docetaxel or Vinorelbine with or without Trastuzumab
for Breast Cancer, The New England Journal of Medicine 2006 S. 809-820) bringt
sie vor, auch bei einer Therapiedauer von neun Wochen und einem Fünftel der
Medikamentenmenge ergäben sich gute Ergebnisse, zudem ohne kardiale
Nebenwirkungen, wie diese bei der einjährigen Therapie aufträten. Zumindest sei
die optimale Therapiedauer unklar. Nach den vorliegenden Studien sei keine
Aussage über das Gesamtüberleben möglich, da Langzeitstudien fehlten. Das
experimentelle Stadium sei nicht abgeschlossen. Die Beschwerdeführerin verweist
zudem auf beigelegte Publikationen, namentlich eine neuere Studie (Ian Smith et
al., 2-year follow-up of trastuzumab after adjuvant chemotherapy in
HER2-positive breast cancer: a randomised controlled trial, The Lancet 2007,
Vol. 369, S. 29-36), wonach durch die einjährige Herceptin-Therapie das
Rezidivrisiko nicht um 50 %, sondern nur um 37 % gesenkt werde und der
"Überlebensvorteil" 33 % betrage. Dabei entwickle eine von 51 behandelten
Frauen eine erhebliche Herzinsuffizienz, während 55 Frauen ein Jahr lang
behandelt werden müssten, um einer von ihnen das Leben zu retten. Jedenfalls
bestünden nach wie vor Unsicherheiten, weshalb der hohe therapeutische Nutzen
der Behandlung nicht nachgewiesen sei.

3.4 Die Beschwerdegegnerschaft macht geltend, bei den von der
Beschwerdeführerin eingereichten Unterlagen handle es sich um unzulässige (Art.
99 Abs. 1 BGG) neue Tatsachen oder Beweismittel. Zu Unrecht: Es handelt sich
dabei um allgemein zugängliche Fachliteratur, welche als allgemein- und
gerichtsnotorisch nicht unter das Novenverbot fällt (Ulrich Meyer, Basler
Kommentar, N. 53 zu Art. 99 BGG; vgl. BGE 133 III 342 E. 4.3 S. 348; ZBl 2005/
106 S. 37 E. 2.3).

3.5 Der Beschwerdeführerin ist insoweit zu folgen, als allein aus der Tatsache,
dass ein Antrag auf Zulassung der Indikationserweiterung gestellt worden ist,
nicht ohne weiteres auf einen hohen therapeutischen Nutzen geschlossen werden
kann. Indessen hat die Vorinstanz den hohen therapeutischen Nutzen nicht allein
aus dieser Tatsache abgeleitet; sie hat vielmehr darauf abgestellt, dass im
konkreten Fall die im Rahmen des Zulassungsverfahrens wie auch ausserhalb davon
erstellten Studien auf einen hohen therapeutischen Nutzen hinwiesen. Zudem
schliesst der Grundsatz, wonach die Beschwerdeinstanz den Sachverhalt zu
beurteilen hat, wie er im Zeitpunkt des Einspracheentscheids vorliegt, nicht
aus, dass für die Beurteilung dieses Sachverhalts auch Umstände berücksichtigt
werden, die erst nachher eingetreten sind, aber Rückschlüsse auf den
Beurteilungszeitpunkt zulassen. In diesem Sinne ist die nachträglich, per 1.
September 2006 erfolgte heilmittelrechtliche Zulassung des Medikaments
Herceptin für die hier streitige Indikation nicht belanglos: Die Zulassung
hätte nicht erfolgen dürfen, wenn nicht ein therapeutischer Nutzen vorläge, der
höher ist als die Risiken (Art. 10 Abs. 1 lit. a HMG). Dass - wie bei jedem
Medikament - auch bei der Herceptin-Therapie gewisse Nebenwirkungen auftreten,
ist unbestritten und wurde auch von der Vorinstanz gewürdigt. Die von der
Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen beweisen nicht, dass die
Nebenwirkungen gravierender wären als der therapeutische Nutzen. Solches ist
namentlich auch für den konkreten Einzelfall nicht behauptet worden oder
sonstwie aktenkundig. Die vorinstanzliche Feststellung, die Chance auf Senkung
des Rezidivrisikos wiege das Risiko kardialer Nebenwirkungen bei weitem auf,
ist demnach nicht offensichtlich unrichtig und somit für das Bundesgericht
verbindlich.

3.6 Was die von der Beschwerdeführerin gestützt auf die FinHer-Studie
vorgebrachte Kritik betrifft, ein vergleichbarer therapeutischer Erfolg liesse
sich auch mit einer bloss neunwöchigen Therapie erreichen, hat die Vorinstanz
erwogen, diese Studie vermöge am breiten Konsens der Fachleute, wonach eine
einjährige Therapie angebracht sei, nichts zu ändern, da lediglich 116
Herceptin-Patientinnen einbezogen worden seien. Die Einwendungen der
Beschwerdeführerin bestätigen bloss die noch bestehenden Unsicherheiten, lassen
aber die vorinstanzliche Feststellung nicht als offensichtlich unrichtig
erscheinen. Die Autoren der FinHer-Studie weisen selber darauf hin, dass die
kleine Zahl der Probandinnen und die kurze Dauer der Beobachtungsphase eine
Limitierung der Studie darstelle; zwar sei die Zahl der Probandinnen gross
genug, um einen statistisch signifikanten Erfolg der Behandlung aufzuzeigen,
doch sei die optimale Dauer der Behandlung nicht bekannt und müsse in weiteren
Studien geklärt werden (a.a.O., S. 819).

3.7 Ein therapeutischer Nutzen liegt vor, wenn das Rückfallrisiko durch die
streitige Therapie reduziert wird. Das ist im vorliegenden Fall auch dann zu
bejahen, wenn mit der Beschwerdeführerin davon ausgegangen wird, die
Risikoreduktion betrage nicht rund die Hälfte (wie die Vorinstanz angenommen
hat), sondern bloss rund ein Drittel. Fraglich ist hingegen, ob dieser
therapeutische Nutzen "hoch" im Sinne der dargelegten Rechtsprechung ist. Die
relative Risikoreduktion ist für sich allein dafür nicht aussagekräftig: Ist
nämlich der therapeutische Nutzen einer Behandlung absolut sehr tief, führt
auch seine Verdoppelung noch nicht unbedingt dazu, dass der Nutzen als hoch zu
bezeichnen wäre. Oder anders formuliert: Der therapeutische Nutzen einer
Behandlung ist - auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der Behandlung
(Art. 32 Abs. 1 KVG) - klein, wenn ein ohnehin schon kleines Risiko um die
Hälfte reduziert wird, gleichermassen aber auch, wenn bei hohem Risiko eine
sehr geringe Reduktion dieses Risikos verdoppelt wird. Über die Höhe und die
Reduktion des absoluten Risikos enthält das vorinstanzliche Urteil keine
ausdrücklichen Feststellungen, ebenso wenig über die Wirtschaftlichkeit. Die
vorliegenden Akten enthalten jedoch dazu Angaben, die dem Bundesgericht
erlauben, darüber selber Feststellungen zu treffen (Art. 105 Abs. 2 BGG).

3.8 Gemäss den auf die zitierte Studie von Smith et al. gestützten Angaben der
Beschwerdeführerin beträgt die NNT (Number Needed to Treat) der einjährigen
adjuvanten Herceptin-Therapie in Bezug auf das Überleben 55 (d.h. 55
Patientinnen müssen ein Jahr behandelt werden, um einer von ihnen das Leben zu
retten, oder anders ausgedrückt: Von hundert behandelten Patientinnen werden
1,8 durch die Herceptin-Therapie gerettet). Die Beschwerdegegner lesen aus der
Studie eine NNT von 37, was einen Überlebensvorteil von 2,7 % (anstatt 1,8 %)
ergibt. Dies ist kein Widerspruch, sondern erklärt sich daraus, dass sich die
Zahlen der Beschwerdeführerin nach Beobachtung über zwei Jahre ergeben haben,
diejenigen der Beschwerdegegner nach drei Jahren. So oder so ist diese Rate
nicht hoch, zumal wenn sie in Relation zu den Medikamentenkosten von rund
50'000-70'000 Franken gesetzt wird. Um einer Patientin das Leben zu retten,
müssten somit je nach Beobachtungszeitraum zwischen 1,85 und 3,85 Mio. Franken
ausgegeben werden. Dieser Betrag erscheint bei durchschnittlich kurzer
Lebenserwartung als hoch, zumal wenn man ihn vergleicht mit den Beträgen für
andere Massnahmen der Krebsprävention oder -therapie, welche aus Kostengründen
umstritten sind. So kosten etwa Brustkrebsscreenings zwischen ca. 22'000 und
50'000 Franken pro gerettetes Lebensjahr (Doris Schopper/Chris de Wolf,
Krebsliga und Oncosuisse fordern Brustkrebsscreeningprogramme, Schweizerische
Ärztezeitung 2007, S. 1486 f.). Auch in anderen Studien wird die
Kostenwirksamkeit der adjuvanten Herceptin-Therapie als sehr schlecht
betrachtet und angestrebt, sie durch Erhöhung der Wirksamkeit oder Verbilligung
der Medikamente auf 50'000 Euro pro gerettetes Lebensjahr zu verbessern (vgl.
M. Neyt et al., An economic evaluation of Herceptin® in adjuvant setting: The
Breast Cancer International Research Group 006 trial, Annals of Oncology 2006,
S. 381-390). Dieser Betrag liegt in einer Grössenordnung, die auch für andere
medizinische Behandlungen noch als angemessen betrachtet wird (Georg Marckmann,
Kosteneffektivität als Allokationskriterium aus gesundheitsethischer Sicht, in:
Markus Zimmermann-Acklin/Hans Halter [Hrsg.], Rationierung und Gerechtigkeit im
Gesundheitswesen, Basel 2007, S. 213 ff., S. 217 und 220 f.).

3.9 Höher ist die absolute Wirksamkeit der Therapie, wenn als Kriterium nicht
das Gesamtüberleben, sondern das krankheitsfreie Überleben oder die Zeit bis
zur ersten Fernmetastasierung betrachtet wird: Für das krankheitsfreie
Überleben betragen gemäss den verschiedenen vorliegenden Studien (Übersicht
über die Ergebnisse der Studien in Angelika B. Riemer/Christoph C. Zielinski,
Der Einsatz von Trastuzumab in der adjuvanten und palliativen Therapie des
Mammakarzinoms, Therapeutische Umschau 2008, S. 217 ff., S. 219) die Zahlen für
die Behandlung ohne Trastuzumab (Herceptin) 67-78 %, mit der Therapie 80-89 %.
Gemäss einer Studie von EDWARD H. ROMOND ET AL. (Trastuzumab plus Adjuvant
Chemotherapy for Operable HER2-Positive Breast Cancer, The New England Journal
of Medicine 2005 S. 1673-1684, S. 1680) beträgt das Überleben ohne
Fernmetastasen mit Trastuzumab nach drei bzw. vier Jahren rund 90 %, ohne
Trastuzumab jedoch nur 81,5 % bzw. 73,7 %. Der absolute Unterschied beträgt
damit nach vier Jahren rund 16 Prozentpunkte. Da Fernmetastasen in der Regel
letal verlaufen, muss davon ausgegangen werden, dass bei längerem
Beobachtungshorizont auch die absolute Zahl der durch die Herceptin-Therapie
vermiedenen Todesfälle entsprechend zunehmen, mithin die NNT abnehmen wird.
Entsprechend verbessert sich auch die Kostenwirksamkeit der Therapie.

3.10 Insgesamt erscheint es zwar als fraglich, ob bei isolierter Betrachtung
der streitigen Therapie im konkreten Einzelfall namentlich angesichts des
fortgeschrittenen Alters der Versicherten ein hoher therapeutischer Nutzen
bejaht werden könnte. Im vorliegenden Fall kann jedoch nicht von der Tatsache
abstrahiert werden, dass das Medikament für die streitige Indikation nur
relativ kurze Zeit nach dem hier erfolgten Therapiebeginn in die
Spezialitätenliste aufgenommen worden ist. Die Kosten wären daher von der
Grundversicherung ohne weiteres übernommen worden, wäre die Versicherte nur
einige Monate später behandelt worden. Unter diesen Umständen erscheint es als
unbillig, ihr die Kostenübernahme zu verwehren. Um dem Wirtschaftlichkeitsgebot
Nachachtung zu verschaffen und keine Anreize zu schaffen, die Listenaufnahme
mit der damit verbundenen Preiskontrolle durch verzögerte Zulassungsverfahren
zu umgehen, wäre zu verlangen, dass im Rahmen des off-label-use Kosten nur in
dem Umfange übernommen werden, wie sie auch gemäss einer Preisfestsetzung in
der Spezialitätenliste zu übernehmen wären. Vorliegend spielt dies jedoch keine
Rolle, da nach den im bundesgerichtlichen Verfahren eingeholten Auskünften der
verrechnete Medikamentenpreis nicht höher liegt als der Listenpreis, der durch
die Zulassungserweiterung nicht verändert wurde.

4.
Die Beschwerde ist damit unbegründet. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten
des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG) und hat den Beschwerdegegnern eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 4000.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsgrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Oktober 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Attinger