Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 567/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_567/2008

Urteil vom 30. Oktober 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.

Parteien
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

K.________, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch das Sozialamt X.________,
Abteilung Sozialhilfe,

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, 9016 St. Gallen.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 23. Mai 2008.

Sachverhalt:

A.
K.________ meldete sich im Juli 2006 zum Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung an. Nach Abklärungen und nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens sprach ihr die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit
Verfügungen vom 22. November und 5. Dezember 2007 rückwirkend ab 1. Juli 2005
eine halbe Rente zu.

B.
In teilweiser Gutheissung der vom Sozialamt X.________ für K.________
eingereichten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
mit Entscheid vom 23. Mai 2008 die Verfügungen vom 22. November und 5. Dezember
2007 auf, wies die Sache zur Vornahme ergänzender Abklärungen im Sinne der
Erwägungen an die IV-Stelle zurück (Dispositiv-Ziff. 1) und verpflichtete diese
zur Bezahlung einer Parteientschädigung von Fr. 3'500.- (Dispositiv-Ziff. 3).

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen erhebt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid
vom 23. Mai 2008 sei aufzuheben.
K.________, vertreten durch das Sozialamt X.________, beantragt die Abweisung
der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, und die Zusprechung einer
Parteientschädigung von Fr. 3'500.- gemäss Dispositiv-Ziff. 3 des Entscheids
vom 23. Mai 2008. Die IV-Stelle beantragt die Aufhebung von Dispositiv-Ziff. 3
des vorinstanzlichen Entscheids.
Der Instruktionsrichter des Bundesgerichts hat der Beschwerde in Bezug auf die
von der Vorinstanz zugesprochene Parteientschädigung aufschiebende Wirkung
zuerkannt.

Erwägungen:

1.
Im Rechtsbegehren der Beschwerde wird die vollumfängliche Aufhebung des
angefochtenen Entscheids beantragt. In der Begründung wird indessen
ausdrücklich festgehalten, die Beschwerde richte sich gegen die Zusprechung der
Parteientschädigung an die Versicherte, und einzig auf diesen Punkt beziehen
sich die Vorbringen der Aufsichtsbehörde. In diesem Sinne haben die anderen
Verfahrensbeteiligten das Rechtsmittel denn auch verstanden. Streitgegenstand
ist somit entgegen dem offensichtlich aus Versehen zu weit gefassten
Rechtsbegehren in der Beschwerde lediglich der vorinstanzliche
Parteikostenentscheid.

2.
Der angefochtene Entscheid weist die Sache zur Vornahme ergänzender Abklärungen
und neuer Beurteilung an die IV-Stelle zurück. Dabei handelt es sich um einen
Zwischenentscheid, welcher nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG
beim Bundesgericht angefochten werden kann (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481). Nach
lit. a dieser Bestimmung muss der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken können.

2.1 Der nicht wieder gutzumachende Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a
BGG ist rechtlicher Natur und auch mit einem für die Beschwerde führende Partei
günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behebbar (BGE 134 III 188
E. 2.1 S. 190, 133 V 645 E. 2.1 S. 647). Die Rückweisung der Sache an die
Verwaltung zu ergänzender oder weiterer Abklärung und neuer Entscheidung
bewirkt in der Regel keinen solchen Nachteil (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.).

2.2 In BGE 133 V 645 E. 2.1 S. 647 hat die II. sozialrechtliche Abteilung des
Bundesgerichts erkannt, dass die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolge
in einem Rückweisungsentscheid ebenfalls einen Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 93 BGG darstellt, auch insofern der nicht wieder gutzumachende Nachteil zu
verneinen und daher auf entsprechende Beschwerden nicht einzutreten ist (ebenso
weitere Urteile der beiden sozialrechtlichen Abteilungen [9C_834/2007 vom 18.
Dezember 2007, 9C_748/2007 vom 19. Februar 2008 E. 2, 9C_551/2007 vom 19. Juni
2008 E. 1.2, 8C_59/2008 vom 3. September 2008 E. 2.2 und E. 3] und anderer
Abteilungen des Bundesgerichts [1B_69/2008 vom 26. März 2008 E. 2, 1C_324/2007
vom 18. Dezember 2007 E. 2.3, 2C_571/2007 vom 30. Oktober 2007 E. 2, 2C_222/
2007 vom 15. Oktober 2007 E. 2, 6B_309/2007 vom 11. Oktober 2007 E. 1.2).
Dasselbe galt bei der staatsrechtlichen Beschwerde unter der Herrschaft des
früheren OG (BGE 131 III 404 E. 3.3 S. 407, 122 I 39, 117 Ia 251).

3.
Das Beschwerde führende Bundesamt stellt die Rechtsprechung gemäss BGE 133 V
645 E. 2.1 S. 647 in Frage, weil sie weder der Prozessökonomie noch dem
Rechtsschutzinteresse Rechnung trage und allen Verfahrensbeteiligten zum
Nachteil gereiche. Würde jetzt auf die Beschwerde nicht eingetreten, wäre eine
spätere Anfechtung der zugesprochenen Parteientschädigung nicht mehr möglich.
Falle der neue Entscheid zu Ungunsten der Versicherten aus, wäre
Streitgegenstand einer allfälligen neuen Beschwerde nur die Rente, nicht aber
die Parteientschädigung für das erste kantonale Beschwerdeverfahren. Darüber
könne die Verwaltung nicht mehr befinden und ausserdem wäre sie zur Anfechtung
ihrer eigenen diesbezüglichen Verfügung nicht befugt. Zudem wäre auch die in
Art. 93 Abs. 3 BGG enthaltene Voraussetzung nicht erfüllt, wonach der
Zwischenentscheid im Rahmen des Endentscheids nur anfechtbar sei, wenn er sich
auf dessen Inhalt ausgewirkt habe. Die Möglichkeit, nach der neuen Verfügung
direkt den kantonalen Rückweisungsentscheid beim Bundesgericht anzufechten,
würde daran scheitern, dass die Beschwerde nur nach Eintritt der Rechtskraft
des Verwaltungsaktes erhoben werden könne, was zu verneinen wäre. Die IV-Stelle
könnte mangels Rechtsschutzinteresses auch keine Rechtsmittel gegen den neuen
kantonalen Entscheid ergreifen. Die Mitanfechtung des strittigen
Rückweisungsentscheids werde dadurch verunmöglicht. Auch wenn die neue
Verfügung zu Gunsten der Versicherten lautete und dagegen nicht Beschwerde
geführt würde, wäre die Voraussetzung nach Art. 93 Abs. 3 BGG für die
Anfechtung der Kostenauferlegung für das erste kantonale Beschwerdeverfahren
nicht erfüllt. Die vom Bundesgericht angeführten prozessökonomischen Gründe
vermöchten nicht zu überzeugen, da es sich so oder anders im Endeffekt im
Rahmen einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dieser
Frage zu befassen habe. Bis dahin könnten aber unter Umständen Monate, wenn
nicht sogar Jahre vergehen. Das Bundesgericht hätte sich die unterdessen
abhanden gekommenen Dossierkenntnisse wieder anzueignen, was sehr zeitaufwändig
sei. Die betroffene Partei müsste die Anfechtungsmöglichkeit ständig in
Erinnerung behalten und den geeigneten Moment zur Beschwerdeerhebung abwarten.
Zudem wäre eine allfällige Rückforderung der zu Unrecht ausgerichteten
Entschädigung nach mehreren Jahren unter Umständen als aussichtslos zu
betrachten. Im Übrigen müsse vorliegend die Eintretensvoraussetzung schon
deshalb bejaht werden, weil die Zusprechung einer Parteientschädigung an die
durch eine Institution der öffentlichen Sozialhilfe vertretene Versicherte
offensichtlich gegen die Rechtsprechung gemäss BGE 126 V 11 verstosse.

4.
4.1 Die Qualifizierung des Kostenspruchs eines Rückweisungsentscheides als
Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 BGG wird zu Recht nicht in Frage
gestellt. Die Regelung der Kosten ist immer ein Nebenpunkt zur Hauptsache (vgl.
Art. 51 Abs. 3 BGG) und kann daher nicht als selbständig anfechtbarer
Teilentscheid über ein unabhängig von der Hauptsache gestelltes Begehren nach
Art. 91 lit. a BGG betrachtet werden. Fragen kann sich einzig, ob der
Kostenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93
Abs. 1 lit. a BGG verursachen kann, wenn er nicht selbständig vor dem
Endentscheid angefochten werden kann. Dies wäre zu bejahen, wenn die
Kostenauferlegung für das (erste) kantonale Beschwerdeverfahren später nicht
mehr anfechtbar wäre, was die Aufsichtsbehörde geltend macht.

4.2 Die in der Beschwerde vorgebrachten prozessualen Bedenken sind bei formaler
Betrachtung insofern verständlich, als die Kostenregelung im
Rückweisungsentscheid weder Gegenstand der neuen Verfügung der IV-Stelle noch
Streitgegenstand in einem allfälligen weiteren Beschwerdeverfahren ist.
Indessen konnte bereits nach der Rechtsprechung zur staatsrechtlichen
Beschwerde (Art. 84 ff. aOG) der Kostenspruch in einem Rückweisungsentscheid
später noch beim Bundesgericht angefochten werden, entweder selbständig
innerhalb der normalen Rechtsmittelfrist ab Rechtskraft des Endentscheids oder
zusammen mit dem neuen Entscheid der Vorinstanz. Einer formellen Beschwer der
vom Kostenentscheid betroffenen Partei im neuen Verfahren bedurfte es nicht
(BGE 122 I 39 E. 1a/bb S. 42 f., 117 Ia 251 E. 1b S. 255). Dies gilt auch unter
der Herrschaft des BGG (BGE 133 V 645 E. 2.2 S. 648; YVES DONZALLAZ,
Commentaire de la Loi sur le Tribunal fédéral, Bern 2008, N 3363 zu Art. 92 und
93 BGG). Dem steht Art. 93 Abs. 3 BGG nicht entgegen. Die Kostenregelung im
Rückweisungsentscheid wird mit dem Endentscheid zum materiellen Inhalt dieses
Erkenntnisses.
Entgegen der Auffassung des Bundesamtes sodann kann die Rechtmässigkeit der
Kostenregelung nicht isoliert von der Hauptsache beurteilt werden. Dass die
Rückweisung als solche nicht angefochten ist, bedeutet nicht zwangsläufig, dass
sie als zu Recht erfolgt anerkannt wird. Dies kann auch darin begründet sein,
dass eine solche Anfechtung nur unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt
möglich ist (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.). Es ist nicht ausgeschlossen,
dass die Rechtmässigkeit der Rückweisung in einem späteren Zeitpunkt zur
Diskussion gestellt wird (Art. 93 Abs. 3 BGG). Würde alsdann die Rückweisung
vom Bundesgericht als rechtswidrig beurteilt, fiele damit die Basis der
Kostenregelung weg.
Schliesslich kann ein nicht wieder gutzumachender Nachteil auch nicht dadurch
entstehen, dass die Rückforderung einer allenfalls zu Unrecht zugesprochenen
Parteientschädigung unter Umständen aussichtslos sein könnte. Die
Kostenregelung im Rückweisungsentscheid ist nicht vollstreckbar und stellt
keinen definitiven Rechtsöffnungstitel nach Art. 80 Abs. 1 SchKG dar, solange
sie noch zusammen mit dem Endentscheid im dargelegten Sinne wird angefochten
werden können (BGE 131 III 404 E. 3.3 S. 407; Urteil 6B_309/2007 vom 11.
Oktober 2007 E. 1.2; DONZALLAZ a.a.O.). Die Parteientschädigung muss somit -
auch vorliegend - vorderhand nicht bezahlt werden, so dass sich die Frage einer
allfälligen späteren Rückerstattung nicht stellt.

4.3 Es besteht kein Anlass zu einer Änderung der Rechtsprechung gemäss BGE 133
V 645 E. 2.1 S. 647.

5.
Die Beschwerde ist somit unzulässig, ebenso der Antrag in der Vernehmlassung
der Beschwerdegegnerin, der vorinstanzliche Parteikostenentscheid sei zu
bestätigen.

6.
Das Beschwerde führende Bundesamt trägt keine Kosten (Art. 66 Abs. 4 BGG).
Die durch eine Institution der öffentlichen Sozialhilfe vertretene
Beschwerdegegnerin hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung für das
Verfahren vor dem Bundesgericht (Art. 68 BGG; BGE 126 V 11; Urteil I 1040/06
vom 20. März 2007 E. 6).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. Oktober 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Fessler