Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 55/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_55/2008

Urteil vom 26. Mai 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.

Parteien
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Bohren,
Rämistrasse 3, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 21. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1949 geborene M.________ meldete sich im September 2003 bei der
Invalidenversicherung an und beantragte Umschulung und eine Rente. Nach
Abklärungen u.a. zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit aus
psychiatrischer Sicht lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom
7. März 2005 das Leistungsbegehren ab, was sie mit Einspracheentscheid vom 26.
April 2006 bestätigte.

B.
Die Beschwerde des M.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich nach zweifachem Schriftenwechsel und nach Einholung eines
rheumatologischen Berichts, wozu die Parteien Stellung nehmen konnten, mit
Entscheid vom 21. November 2007 ab.

C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit den Rechtsbegehren, der Entscheid vom 21. November 2007 sei aufzuheben und
es sei ihm aufgrund des Ergebnisses einer interdisziplinären Begutachtung eine
Rente zuzusprechen; eventuell sei die Sache zu weiteren Abklärungen im Sinne
der Erwägungen und zur neuen Entscheidung an das kantonale Gericht
zurückzuweisen.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes
wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
Das kantonale Gericht hat durch Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG und BGE 128 V
29 E. 1 S. 30 in Verbindung mit BGE 130 V 343) einen Invaliditätsgrad von 23 %
ermittelt, was keinen Anspruch auf eine Invalidenrente gibt (Art. 28 Abs. 1
IVG). Das Invalideneinkommen im Besonderen hat es auf der Grundlage der
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2002 des Bundesamtes für Statistik (vgl.
dazu BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 476 und BGE 124 V 321) bestimmt. Dabei ist die
Vorinstanz, entsprechend der Einschätzung des Regionalen Ärztlichen Dienstes
der IV-Stelle (Stellungnahmen vom 12. Januar und 6. Juni 2005), davon
ausgegangen, aus somatischer Sicht bestehe für leichte körperliche Tätigkeiten
mit Wechselbelastung keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit; die von Dr. med.
S.________ in seinem Gutachten vom 11. Dezember 2004 diagnostizierte psychische
Störung sei invalidenversicherungsrechtlich nicht von Bedeutung.

3.
In der Beschwerde wird eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung durch die
Vorinstanz gerügt. Insbesondere sei die funktionale Arbeitsfähigkeit aufgrund
der somatischen Beschwerden nicht hinreichend abgeklärt worden. Die Vorinstanz
ignoriere, dass die Universitätsklinik Y.________ im Bericht vom 11. Juli 2007
eine komplexe vielseitige Beeinflussung von physischen und psychischen
Beschwerden festgestellt und eine interdisziplinäre Begutachtung für
unabdingbar erachtet habe. Die Beurteilung des Regionalen Ärztlichen Dienstes
beruhe auf nicht ausreichenden Grundlagen, was objektiv Zweifel an deren
Unparteilichkeit und Zuverlässigkeit wecke.

4.
4.1 Bei den Stellungnahmen des Regionalen Ärztlichen Dienstes vom 12. Januar
und 6. Juni 2006 handelt es sich um Berichte im Sinne von Art. 49 Abs. 3 IVV.
Diese sind weder medizinische Gutachten im Sinne von Art. 44 ATSG noch
Untersuchungsberichte gemäss Art. 49 Abs. 2 IVV. Ihre Funktion besteht darin,
den medizinischen Sachverhalt zusammenzufassen und zu würdigen. Dazu gehört
auch, bei sich widersprechenden medizinischen Akten eine Wertung vorzunehmen
und zu beurteilen, ob auf die eine oder die andere Ansicht abzustellen oder
aber eine zusätzliche Untersuchung vorzunehmen sei. Berichten nach Art. 49 Abs.
3 IVV kann nicht jegliche Aussen- oder Beweiswirkung abgesprochen werden.
Vielmehr sind sie entscheidrelevante Aktenstücke (Urteil 9C_341/2007 vom 16.
November 2007 4.1 mit Hinweisen).

4.2 Einem ärztlichen Bericht ist (voller) Beweiswert zuzuerkennen, wenn er für
die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht,
auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt und in Kenntnis der Vorakten
(Anamnese) abgegeben worden ist, wenn die Beschreibung der medizinischen
Situation und Zusammenhänge einleuchtet und die Schlussfolgerungen des Arztes
begründet sind (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352; Urteil 9C_178/2007 vom 25. Oktober
2007 E. 3.1).

Nach der Rechtsprechung ist es dem Sozialversicherungsgericht nicht verwehrt,
gestützt auf im Wesentlichen oder sogar ausschliesslich vom am Recht stehenden
Versicherungsträger intern eingeholte medizinische Unterlagen zu entscheiden.
In solchen Fällen sind an die Beweiswürdigung jedoch strenge Anforderungen in
dem Sinne zu stellen, dass bei auch nur geringen Zweifeln an der
Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der ärztlichen Feststellungen ergänzende
Abklärungen vorzunehmen sind (BGE 122 V 157 E. 1d S. 162; Urteil 9C_341/2007
vom 16. November 2007 E. 4.1 mit Hinweisen).
4.3
4.3.1 Die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit aus somatischer Sicht (100 % für
leichte körperliche Arbeiten, nach Möglichkeit ohne Zeitdruck) des Regionalen
Ärztlichen Dienstes vom 12. Januar und 6. Juni 2005 beruhte auf den Berichten
des Spitals X.________ vom 24. Juni 1999 und des Hausarztes Dr. med.
K.________, Innere Medizin FMH, vom 26. Januar 2004. Im Bericht des Spitals
X.________ wurde nichts zur Arbeitsfähigkeit gesagt ebenso nicht im Bericht des
selben Spitals vom 24. März 1999. Gemäss Dr. med. K.________ bestand in der
zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Mitarbeiter in der Abteilung Mechanik/Bohrerei
eines Industriebetriebs keine Arbeitsfähigkeit. Behinderungsangepasste
Tätigkeiten erachtete der Hausarzt während acht Stunden wöchentlich für
zumutbar.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers spricht der Umstand allein, dass
der Bericht des Spitals X.________ vom 24. März 1999 dem Regionalen Ärztlichen
Dienst nicht vorgelegen hatte, nicht gegen die Zuverlässigkeit und
Schlüssigkeit der Beurteilung vom 12. Januar und 6. Juni 2005. Anderseits
bestand im damaligen Zeitpunkt lediglich eine aktuelle und zudem erheblich
abweichende Einschätzung der Arbeitsfähigkeit, nämlich diejenige des
Hausarztes. Bei dieser Aktenlage bildeten die ohnehin nicht auf eigenen
Untersuchungen beruhenden Stellungnahmen des Regionalen Ärztlichen Dienstes vom
12. Januar und 6. Juni 2005 keine hinreichende Beurteilungsgrundlage.
4.3.2 Im von der Vorinstanz eingeholten Bericht der Universitätsklinik
Y.________ vom 11. Juli 2007 wurde festgehalten, retrospektiv lasse sich die
Arbeitsfähigkeit für eine wechselbelastende körperlich leichte Tätigkeit nicht
exakt angeben. Sie dürfte aber mindestens 50 % betragen. Über ein Jahr nach der
letzten Konsultation seien auch keine Angaben zur aktuellen Arbeitsfähigkeit
möglich. Weiter führten die Ärzte der Universitätsklinik Y.________, wo der
Beschwerdeführer seit März 2006 rheumatologisch abgeklärt wurde, aus, am
geeignetsten wäre eine neutrale interdisziplinäre Begutachtung. Dabei käme
einer schmerzpsychiatrischen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit besonderes
Gewicht zu, wie bereits im Bericht vom 5. Juli 2006 über den stationären
Aufenthalt des Versicherten vom 3. bis 24. Mai 2006 empfohlen worden sei.

Aufgrund dieser Aussagen sind von weiteren Abklärungen zur Arbeitsfähigkeit aus
rheumatologischer Sicht bis zum Erlass des Einspracheentscheides vom 26. April
2006, welcher praxisgemäss die zeitliche Grenze der gerichtlichen Prüfung
bildet (BGE 131 V 353 E. 2 S. 354), keine verwertbaren neuen Erkenntnisse zu
erwarten, weshalb davon abzusehen ist.
4.3.3 Unter diesen Umständen kann die vorinstanzliche Annahme einer
Arbeitsfähigkeit von 100 % in wechselbelastenden körperlich leichten
Tätigkeiten aus somatischer Sicht , nicht als offensichtlich unrichtig
bezeichnet werden. Dies gilt umso mehr, als nach unbestrittener Feststellung
des kantonalen Gerichts sowohl die Ärzte des Spitals X.________ als auch der
Universitätsklinik Y.________ eine durch entsprechendes Training behebbare
Dekonditionierung der Rumpfmuskulatur als mitursächlich für die lumbalen
Beschwerden betrachteten.
4.4
4.4.1 In psychiatrischer Hinsicht hat die Vorinstanz festgestellt, die von Dr.
med. S.________ in seinem Gutachten vom 11. Dezember 2004 diagnostizierte
«Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10 F41.2)» sei leicht und schränke
die aus somatischer Sicht bestehende Arbeitsfähigkeit nicht ein. Mit Bezug auf
den «Verdacht auf eine Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.0)» seien die
massgeblichen Kriterien für die ausnahmsweise Unzumutbarkeit einer
willensmässigen Anstrengung zur Schmerzüberwindung im Hinblick auf die
Verwertung der Arbeitsfähigkeit nicht erfüllt (vgl. BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 50).
Es fehle an einer psychischen Komorbidität von erheblicher Schwere und
Ausprägung. Des Weitern habe der Versicherte in der Beschwerde ausdrücklich
darauf hingewiesen, er gehe Freizeitaktivitäten nach und habe seine Familie
sowie seine gut integrierten Kinder. Ein schwerwiegender sozialer Rückzug sei
somit nicht ausgewiesen.
4.4.2 Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die depressive Störung mit
Angst gemischt von der Art und Schwere her nicht geeignet ist, die aus
somatischer Sicht bestehende Arbeitsfähigkeit wesentlich einzuschränken. Dies
schliesst zwar nicht zum vornherein aus, dass vom Versicherten willensmässig
nicht verlangt werden kann zu arbeiten und einem Erwerb nachzugehen, wie in der
Beschwerde insoweit richtig festgehalten wird. Zu beachten ist indessen, dass
im Bericht der Universitätsklinik Y.________ vom 13. März 2006 das
Beschwerdebild als mechanisch bedingtes lumbospondylogenes Schmerzsyndrom mit
Begünstigung durch eine Dekonditionierung der Rumpfmuskulatur beurteilt wurde.
Im Bericht von 5. Juli 2006 über die Hospitalisation im Mai 2006 sodann wurde
die Ursache für das lumbospondylogene Schmerzsyndrom im Rahmen der
dekonditionierten Rumpfmuskulatur interpretiert. Eine solche kann aber nach für
das Bundesgericht verbindlicher Feststellung der Vorinstanz in der Regel durch
entsprechendes Training behoben werden (E. 4.3.3) und ist daher für die Frage
einer invalidenversicherungsrechtlich relevanten Arbeitsunfähigkeit ausser Acht
zu lassen. Somit kann aber das Kriterium einer chronischen körperlichen
Begleiterkrankung mit einem mehrjährigen Krankheitsverlauf bei unveränderter
oder progredienter Symptomatik nicht als gegeben erachtet werden.

Weiter kann nach der aufgrund der Akten nicht offensichtlich unrichtigen
Feststellung der Vorinstanz jedenfalls nicht von einem schwerwiegenden, alle
Belange des Lebens betreffenden sozialen Rückzug gesprochen werden.
Schliesslich trifft zwar zu, dass im Bericht der Universitätsklinik Y.________
vom 5. Juli 2006 erwähnt wurde, die Frage, ob eine fixierte Forderungshaltung
(Entschädigungs- und Zuwendungsmöglichkeiten) vorliege, durch eine ausführliche
psychiatrische Diagnostik zu klären wäre. Daraus ergibt sich aber nur, dass die
behandelnden Rheumatologen einen im Zusammenhang ohnehin grundsätzlich
unbeachtlichen sekundären Krankheitsgewinn (BGE 130 V 352 E. 3.3.2 S. 359)
nicht ausschlossen. Für einen allenfalls relevanten primären Krankheitsgewinn
im Sinne eines verfestigten, therapeutisch nicht mehr angehbaren
innerseelischen Verlaufs einer an sich missglückten, psychisch aber
entlastenden Konfliktbewältigung (BGE 130 V 352 E. 2.2.3 S. 355), ergeben sich
keine Anzeichen. Es ist somit nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz den
invalidisierenden Charakter einer allfälligen somatoformen Schmerzstörung oder
eines vergleichbaren pathogenetisch (ätiologisch) unklaren syndromalen
Zustandes (BGE 132 V 393 E. 3.2 in fine S. 399) verneint und weitere
Abklärungen als entbehrlich erachtet hat.

4.5 Gegen den Einkommensvergleich des kantonalen Gerichts wird nichts
vorgebracht. Es besteht kein Anlass zu einer näheren Prüfung.

Der vorinstanzliche Entscheid verletzt Bundesrecht nicht.

5.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die IV-Stelle habe den rechtserheblichen
Sachverhalt ungenügend abgeklärt. Die Vorinstanz habe daher ergänzende
Erhebungen (Einholung einer Stellungnahme der Universitätsklinik Y.________ zur
Arbeitsfähigkeit) vornehmen müssen. Es habe somit ausreichender Anlass zur
Anfechtung des Einspracheentscheides vom 26. April 2006 bestanden, was die
Zusprechung einer Parteientschädigung für das vorinstanzliche Verfahren
rechtfertige.

Der Vorwurf der ungenügenden Sachverhaltsabklärung durch die IV-Stelle trifft
zu (E. 4.3.1 und 4.3.2). Nach dem auch im Verfahren vor dem kantonalen
Versicherungsgericht anwendbaren Verursacherprinzip (RKUV 2006 Nr. U 583 [U 260
/05] S. 245 E. 3; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 718/05 vom 8.
November 2006 E. 5.2) können der obsiegenden IV-Stelle Parteikosten auferlegt
werden, wenn sie ihre Abklärungspflicht nach Art. 43 Abs. 1 ATSG schuldhaft
verletzt hat. Diese Durchbrechung des Unterliegerprinzips (Art. 61 lit. g ATSG)
rechtfertigt sich indessen nur, wenn die Verwaltung lediglich sehr rudimentäre
Abklärungen vorgenommen hat (Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts I 405/05
vom 13. März 2006 E. 5 und U 87/97 vom 20. November 1997 E. 3). Davon kann hier
nicht gesprochen werden.

6.
Der Beschwerdeführer hat als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 26. Mai 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Fessler