Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 502/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_502/2008

Urteil vom 23. Juli 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber Ettlin.

Parteien
K.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch lic. iur. Max S. Merkli, Praxis für Sozialversicherungsrecht,
Friedheimstrasse 17, 8057 Zürich,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Speichergasse 12, 3011 Bern,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Rechtsverzögerung.

Sachverhalt:

A.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies in Aufhebung des
Einspracheentscheides vom 7. August 2006 die IV-Stelle Bern mit Entscheid vom
2. Mai 2007 an, betreffend den Invalidenrentenanspruch des 1951 geborenen
K.________ eine Begutachtung durchführen zu lassen. Die IV-Stelle gab dem
Versicherten hierauf bekannt, das Ärztliche Begutachtungsinstitut GmbH (ABI)
mit dem Erstellen der Expertise zu beauftragen. K.________ liess gegen das ABI
Ausstandsgründe geltend machen und am 9. August 2007 beantragen, es sei im
Hinblick auf das Ausstandsgesuch bis spätestens 27. August 2007 eine
anfechtbare Verfügung zu erlassen. Dies lehnte die IV-Stelle ab (Schreiben vom
21. August 2007).

B.
K.________ reichte am 24. September 2007 (Poststempel) beim Verwaltungsgericht
des Kantons Bern Rechtsverweigerungsbeschwerde ein und beantragte, die
IV-Stelle sei anzuweisen, mittels Zwischenverfügung über das gegen das ABI
gestellte Ablehnungsbegehren zu entscheiden.

Auf Anfrage des Rechtsvertreters des Versicherten hin erklärte die
Instruktionsrichterin, die Rechtsverweigerungsbeschwerde werde in der
Reihenfolge des Eingangs behandelt. Im Regelfall dauere ein
invalidenversicherungsrechtliches Verfahren ein Jahr (Schreiben vom 30.
November 2007). Der Rechtsvertreter kündigte hernach mit Eingabe vom 8. Mai
2008 an, es werde eine Rechtsverzögerungsbeschwerde beim Bundesgericht in
Betracht gezogen, falls das Verwaltungsgericht nicht bis 9. Juni 2008 über die
Rechtsverweigerungsbeschwerde einen Entscheid gefällt habe.

C.
K.________ macht am 16. Juni 2008 eine Rechtsverzögerungsbeschwerde anhängig
und beantragt, das Verwaltungsgericht des Kantons Bern sei zu verhalten,
unverzüglich über die Rechtsverweigerungsbeschwerde vom 21. September 2007 zu
entscheiden.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:

1.
Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern eines anfechtbaren
Entscheids kann Beschwerde geführt werden (Art. 94 BGG). Eine Gerichts- oder
Verwaltungsbehörde muss jeden Entscheid binnen einer Frist fassen, die nach der
Natur der Sache und nach den gesamten übrigen Umständen angemessen erscheint
(BGE 131 V 407 E. 1.1 S. 409; 119 Ib 311 E. 5 S. 323; SVR 1997 ALV Nr. 105 S.
324 E. 4b; Rüedi, Die Bedeutung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts für
die Verwirklichung des Sozialversicherungsrechts des Bundes, in: ZBJV 1994 S.
74 ff.; Schmuckli, Die Fairness in der Verwaltungsrechtspflege, Diss. Freiburg
1990, S. 100 ff.), ansonsten sie dem Rechtsverweigerungs- und
Rechtsverzögerungsverbot zuwiderhandelt (Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1
BV; vgl. dazu Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern
1999, S. 495 ff.).

2.
Art. 61 lit. a ATSG verschafft dem Rechtssuchenden unter anderem den Anspruch
auf ein einfaches und rasches kantonales Beschwerdeverfahren. Der
Beschwerdeführer rügt den Umstand, dass die Vorinstanz die
Rechtsverweigerungsbeschwerde nicht ausserhalb der Reihenfolge, sondern gemäss
derjenigen ihres Eingangs behandelt. Für die vorgezogene Beurteilung spreche
die Natur des Verfahrens, in welchem die Frage der Rechtsverzögerung und
-verweigerung zu prüfen sei. Demgegenüber stellt sich das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern auf den Standpunkt, aus Gründen der Gleichbehandlung würden
die Beschwerden grundsätzlich in der Reihenfolge des Eingangs bearbeitet. Davon
werde bei Rechtsverzögerungsbeschwerden (recte: Rechtsverweigerungsbeschwerden)
keine Ausnahme gemacht. Aufgrund der gestiegenen Geschäftslast sei derzeit mit
einer längeren Verfahrensdauer zu rechnen.

3.
3.1 Der von der Vorinstanz angerufene Grundsatz der Rechtsgleichheit nach Art.
8 Abs. 1 BV verlangt auch für die öffentliche Rechtspflege, dass Gleiches
gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt
wird. Demgemäss ist die unterschiedliche Behandlung eines Sachverhaltes mit
gleichen relevanten Tatsachen durch eine Behörde zulässig, falls ein sachlicher
Grund dies rechtfertigt (BGE 131 I 105 E. 3.1 S. 107, 131 I 313 E. 3.2 S. 316).
Das Rechtsgleichheitsgebot ist verletzt, wenn Unterscheidungen unterlassen
werden, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen (Urteil 1C_430/2007 vom
21. April 2008 E. 4.3). Daher geht es nicht an, Beschwerden unbesehen ihres
Gegenstandes und der von Fall zu Fall unterschiedlichen zeitlichen
Dringlichkeit ausschliesslich nach der chronologischen Reihenfolge ihres
Eingangs an die Hand zu nehmen. Vielmehr sind für die Frist, binnen welcher der
Entscheid ergehen muss, die Natur der Sache und die gesamten übrigen Umstände
des Einzelfalles massgeblich (E.1 hievor; Felix Uhlmann, N 6 zu Art. 94, in:
Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz,
Basel 2008).

3.2 Die Rechtsverweigerungsbeschwerde unterscheidet sich von der Beschwerde,
welche eine Verfügung angreift, dadurch, dass es bei ihr überhaupt um die
Erstreitung eines anfechtbaren Beschwerdeobjekts geht. Die
Rechtsverweigerungsbeschwerde zielt im Fall ihrer Begründetheit auf die
Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes ab, welcher in der Weigerung, eine
Verfügung zu erlassen, besteht. Es wird dadurch der Zugang zum Rechtsschutz
mittels Erlass einer Verfügung erst ermöglicht. Dieses qualifizierte
Rechtsschutzbedürfnis erheischt eine Erledigung ausserhalb der ordentlichen
Reihenfolge. Gegen dieses rechtlich gebotene Vorziehen der
Rechtsverweigerungsbeschwerde können keine organisatorischen Gründe ins Feld
geführt werden, zumal das Prozessthema eng begrenzt und liquid ist, so auch
hier: Es geht einzig um die Frage, ob die Invalidenversicherung zu verfügen
hat, was diese mit dem Hinweis verweigert, die geltend gemachten
Ablehnungsgründe richteten sich allesamt gegen die Person des ABI-Chefarztes
Dr. med. L.________, der indes bei der angeordneten Begutachtung nicht
mitwirken werde; gegen das ABI als Abklärungsinstitution selber könne sodann
keine Ablehnung verlangt werden.

Unter diesen Umständen ist die seit dem 25. September 2007 am
Verwaltungsgericht des Kantons Bern anhängige Rechtsverweigerungsbeschwerde
ohne Verzug zu behandeln.

4.
Anzumerken bleibt, dass Gleiches - selbstverständlich - auch für das
bundesgerichtliche Verfahren gelten muss. Die Spruchpraxis der II.
sozialrechtlichen Abteilung trägt der unterschiedlichen zeitlichen
Dringlichkeit nach Möglichkeit Rechnung. Dazu zählt das Vorziehen von Fällen
der hier vorliegenden Art.

5.
Dem unterliegenden Kanton Bern als Beschwerdegegner sind keine Gerichtskosten
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Jedoch hat der obsiegende Beschwerdeführer
Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, wird angewiesen, über die
Rechtsverweigerungsbeschwerde vom 24. September 2007 unverzüglich zu
entscheiden.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Beschwerdegegner hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle Bern und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 23. Juli 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Ettlin