Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 496/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_496/2008

Urteil vom 26. November 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Parteien
D.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller, Engelgasse 214, 9053 Teufen,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 22. April 2008.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügungen vom 23. November 2006 und 25. Januar 2007 sprach die IV-Stelle
des Kantons St. Gallen dem 1949 geborenen D.________ bei einem Invaliditätsgrad
von 40 % ab 1. Februar 2002 bis 31. Dezember 2003 eine halbe Härtefallrente und
ab 1. Januar 2004 eine Viertelsrente zu.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen bei einem auf 46 % bemessenen Invaliditätsgrad mit Entscheid vom 22.
April 2008 ab.

C.
D.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben
und beantragt Zusprechung einer halben Rente ab 1. Februar 2002.
Vorinstanz und Verwaltung schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 130 III 136
E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG),
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel
nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine unvollständige
Sachverhaltsfeststellung stellt eine vom Bundesgericht ebenfalls zu
korrigierende Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG dar (SEILER/VON
WERDT/GÜNGERICH, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, N 24 zu Art.
97).

2.
Zu beurteilen ist der Anspruch auf eine halbe Invalidenrente, wobei
unbestritten ist, dass in einer angepassten Tätigkeit eine Arbeitsfähigkeit von
60 % besteht. Vorinstanz und Beschwerdeführer stimmen ferner darin überein,
dass das Invalideneinkommen auf der Grundlage der Lohnstrukturerhebung des
Bundesamtes für Statistik (LSE) festzusetzen ist.

3.
Hingegen wird bezüglich des Valideneinkommens gerügt, die Vorinstanz sei von
den Lohnangaben der letzten Arbeitgeberin für das Jahr 2002 ausgegangen, statt
auf das zwei Jahre vorher - vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit - erzielte
Einkommen abzustellen und es auf das Jahr 2002 aufzurechen. Dieses Vorgehen ist
indes nicht zu beanstanden; denn für die Ermittlung des Valideneinkommens sind
konkrete Lohnauskünfte des bisherigen oder früheren Arbeitgebers
beweistauglich, wenn angenommen werden kann, dass die versicherte Person, wäre
sie nicht invalid geworden, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weiterhin dort
tätig wäre (RKUV 2005 Nr. U 538 S. 112 [U 66/02 vom 2. November 2004, E.
4.1.1]). Davon kann hier ausgegangen werden, arbeitete der Beschwerdeführer
doch seit 1982 in der genannten Firma. Das Valideneinkommen ist folglich mit
der Vorinstanz auf Fr. 57'070.- (13 mal Fr. 4390.-) zu veranschlagen.

4.
Zum anderen wird die Höhe des Abzugs vom Tabellenlohn beanstandet. Es wird
gerügt, mit dem vorinstanzlich gewährten "Teilzeitabzug" von 10 % werde den
nach der Rechtsprechung zu berücksichtigenden Einschränkungen (BGE 126 V 75 E.
5b/aa-cc S. 79 f.) ungenügend Rechnung getragen.

4.1 Die Festlegung der Höhe des Abzuges vom hypothetischen Invalidenlohn
beschlägt eine typische Ermessensfrage und ist als Schätzungsfrage im Lichte
der Art. 95 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG letztinstanzlicher Korrektur nur
dort zugänglich, wo das kantonale Gericht das Rechtsermessen rechtsfehlerhaft
ausgeübt hat, also bei Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder
-unterschreitung (Art. 95 lit. a BGG; BGE 132 V 393 E. 2.2 und 3.3 S. 396 und
399). Ermessensmissbrauch im Besonderen ist gegeben, wenn die Behörde zwar im
Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen, dem
Zweck der massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt oder
allgemeine Rechtsprinzipien, wie das Verbot von Willkür und von
rechtsungleicher Behandlung, das Gebot von Treu und Glauben sowie den Grundsatz
der Verhältnismässigkeit verletzt (BGE 130 III 611 E. 1.2 S. 615 und 123 V 150
E. 2 S. 152, je mit Hinweisen).

4.2 Bei der Bestimmung der Höhe des Abzugs vom Tabellenlohn sodann ist nicht in
der Weise vorzugehen, dass für jedes in Betracht fallende Merkmal separat eine
Reduktion vorgenommen wird, weil damit Wechselwirkungen ausgeblendet würden.
Vielmehr ist der Einfluss aller Merkmale auf das Invalideneinkommen
(leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Nationalität/
Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad) unter Würdigung der Umstände im
Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen. Dabei ist der
Abzug auf insgesamt höchstens 25 % zu begrenzen (126 V 75 E. 5b/aa-cc S. 79
f.).

4.3 Die Vorinstanz hat anhand der LSE 2002 (Tabelle T8*) mit Recht
festgestellt, dass der Beschwerdeführer bei einem Beschäftigungsgrad von 60 %
im Jahr 2002 im Vergleich zu einer 100-prozentigen Tätigkeit statistisch einen
Lohnnachteil von 10 % hätte in Kauf nehmen müssen. Zu der Forderung des
Beschwerdeführers, es rechtfertige sich ein höherer Abzug, da zusätzliche
Nachteile bestünden, hat sie erwogen, der Wechsel von einer körperlich
schwereren in eine leichte Tätigkeit habe keinen Lohnnachteil zur Folge; denn
es gebe keinen Hinweis darauf, dass körperlich leichte Tätigkeiten
durchschnittlich schlechter entlöhnt würden als körperlich schwere Tätigkeiten.
Jene leichten Hilfsarbeiten, die hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit, die
Zuverlässigkeit und die Konstanz stellten, würden wohl sogar höher entlöhnt als
Hilfsarbeiten, die körperliche Schwerarbeiten beinhalten.

4.4 Nach der allgemeinen Lebenserfahrung weckt eine solche Aussage Bedenken.
Wie der Beschwerdeführer an sich mit Recht einwendet, trifft dies allenfalls
für gesunde Personen zu, aber nicht für Teilarbeitsfähige mit krankheitsbedingt
eingeschränkten körperlichen und geistigen Fertigkeiten. Insgesamt betrachtet
ist es jedoch nicht ermessensmissbräuchlich, geschweige denn willkürlich, dem
im Zeitpunkt des Verfügungserlasses über 57-jährigen Beschwerdeführer keinen
höheren als den 10-prozentigen Abzug zu gewähren.

5.
5.1 Nach der im Rahmen der 4. IVG-Revision statuierten Übergangsregelung in
lit. d Abs. 2 der Schlussbestimmungen zur Änderung des IVG vom 21. März 2003
wird, was die Vorinstanz übersehen hat und im Rahmen der Rechtsanwendung von
Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG) zu korrigieren ist, der rentenberechtigten
Person, die im Monat vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung (am 1. Januar
2004) keinen Anspruch auf eine jährliche Ergänzungsleistung hat, die halbe
Rente der Invalidenversicherung weiterhin ausgerichtet, solange sich ihr
Wohnsitz und der gewöhnliche Aufenthalt in der Schweiz befinden (Bst. a), der
Invaliditätsgrad mindestens 40 %, aber weniger als 50 % beträgt (Bst. b), die
wirtschaftliche Voraussetzung des Härtefalles nach bisherigem Recht erfüllt ist
(Bst. c) und die Viertelsrente und die jährliche Ergänzungsleistung zusammen
niedriger als die halbe Rente sind (Bst. d).

5.2 In der Botschaft über die 4. IV-Revision vom 21. Februar 2001 (BBl 2001 S.
3205 ff.) führte der Bundesrat unter dem Titel "Übergangsbestimmungen zur
Änderung des IVG; c. Besitzstandswahrung bei der Aufhebung der Härtefallrenten"
zu der später im gleichen Wortlaut in die Schlussbestimmungen zur Änderung des
IVG vom 21. März 2003 übernommenen Regelung (BBl 2001 S. 3297 f.) aus:
"Um finanzielle Verschlechterungen bei laufenden, d.h. nach altem Recht
zugesprochenen, Härtefallrenten zu vermeiden, braucht es die
Übergangsbestimmung.
Bei Personen, welche bereits Ergänzungsleistungen beziehen, führt die kleinere
Rente (Viertelsrente) zu einer höheren Ergänzungsleistung. Die
Ergänzungsleistungen decken bekanntlich den Ausgabenüberschuss (Ausgaben minus
Einnahmen). Die Verminderung auf der Einnahmenseite führt zu einer
entsprechenden Erhöhung des Ausgabenüberschusses.

Absatz 2 regelt die Situation von rentenberechtigten Personen, welche vor
Inkrafttreten der Gesetzesänderung - sei es auf Grund der unterschiedlichen
Berechnungsvorschriften, sei es wegen Nichterfüllung der Karenzfrist - keinen
Anspruch auf eine jährliche Ergänzungsleistung haben. Bei diesen Personen wird
der Einnahmenrückgang (Viertelsrente an Stelle der halben Rente) nicht durch
eine im gleichen Umfang höhere Ergänzungsleistung ausgeglichen. In diesen
Fällen wird daher eine Vergleichsrechnung gemacht und bei einer finanziellen
Verschlechterung ein Besitzstand (d.h. die halbe Härtefallrente) gewährt.
Wichtig für die Anwendung von Absatz 2 ist der fehlende Anspruch auf eine
jährliche Ergänzungsleistung und nicht etwa der fehlende Bezug. Dies ist nötig,
damit auch bei rückwirkend zugesprochenen IV-Renten der Besitzstand gewährt
werden kann (Hervorhebung nicht im Original).
Der Besitzstand wird solange gewährt, als vier Voraussetzungen erfüllt sind:
Bereits heute gibt es eine Härtefallrente nur, solange der Wohnsitz und
gewöhnliche Aufenthalt in der Schweiz gegeben ist. Diese Voraussetzung muss
weiterhin erfüllt sein (Bst. a).
Bei einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent und mehr besteht Anspruch auf eine
halbe IV-Rente. Eine Besitzstandsgarantie für die Härtefallrente (halbe Rente
an Stelle der Viertelsrente) ist in diesen Fällen nicht mehr nötig. Sobald der
Invaliditätsgrad tiefer als 40 Prozent fällt, hört der Besitzstand auf. Im
geltenden Recht würde in einem solchen Fall auch keine Härtefallrente mehr
gewährt werden. Der Besitzstand soll nicht zu einer Ausdehnung gegenüber heute
führen (Bst. b).
Beim Härtefall handelt es sich um einen wirtschaftlichen Härtefall. Solange die
wirtschaftliche Voraussetzung nach bisherigem Recht gegeben ist, wird der
Besitzstand gewährt. Die Berechnungsvorschriften für die Ergänzungsleistungen
und den Härtefall sind nicht völlig identisch. Daher können nicht einfach die
Regeln der Ergänzungsleistungen angewendet werden (Bst. c).
Sobald die Viertelsrente und die jährliche Ergänzungsleistung, welche monatlich
ausgerichtet wird, zusammen höher sind als die halbe Rente, braucht es den
Besitzstand nicht mehr. Die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten
nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b ELG (SR 831.30) wird dabei nicht
berücksichtigt, weil es sich hierbei um einmalige Leistungen handelt (Bst. d)."

5.3 Die Rentenverfügungen und der kantonale Entscheid enthalten in dispositiv-
und begründungsmässiger Hinsicht keinerlei Ausführungen über die Frage der
Härtefallrente und insbesondere zu den Voraussetzungen für die
Weiterausrichtung. Die dem Beschwerdeführer bis Ende 2003 bei einem
Invaliditätsgrad von 40 % (Vorinstanz 46 %) zugesprochene halbe Rente in Form
einer altrechtlichen Härtefallrente ist auf den 1. Januar 2004 - bei offenbar
unveränderten Anspruchsvoraussetzungen - durch eine Viertelsrente abgelöst
worden, ohne dass sich in den angefochtenen Entscheiden dazu Ausführungen
finden. Aus den Akten ergeben sich keinerlei Indizien, dass der
Beschwerdeführer im Dezember 2003 eine Ergänzungsleistung beanspruchte. Sein
Wohnsitz befand sich am 1. Januar 2004 unverändert in der Schweiz und der
Invaliditätsgrad betrug 40 % (oder 46 %). Unbestritten ist endlich, dass die
Voraussetzungen zur Gewährung einer Härtefallrente nach früherem Recht bis Ende
2003 erfüllt waren, ansonsten diese nicht rückwirkend zugesprochen worden wäre.
Nicht aktenkundig und durch die Beschwerdegegnerin abzuklären bleibt, ob diese
Voraussetzungen weiterhin erfüllt sind. Unklar bleibt sodann die letzte
Voraussetzung gemäss zitierter Schlussbestimmung lit. d Abs. 2 Bst. d. Die
Beschwerdegegnerin wird abzuklären haben, ob die Viertelsrente und die
jährliche Ergänzungsleistung zusammen niedriger als die halbe Rente sind. Je
nach Ergebnis wird über den Anspruch auf eine halbe oder Viertelsinvalidenrente
ab dem 1. Januar 2004 neu zu verfügen sein.

6.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdegegnerin als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG), die zudem dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung auszurichten hat (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons St. Gallen vom 22. April 2008 und die Verfügungen der IV-Stelle des
Kantons St. Gallen vom 23. November 2006 und 25. Januar 2007 werden aufgehoben,
soweit sie den Anspruch auf Invalidenrente ab dem 1. Januar 2004 betreffen. Die
Sache wird an die IV-Stelle des Kantons St. Gallen zurückgewiesen, damit sie
nach ergänzenden Abklärungen im Sinne der Erwägungen über diesen Anspruch neu
verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. November 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz