Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 491/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_491/2008

Urteil vom 21. April 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Parteien
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Eberle.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 22. April 2008.

Sachverhalt:

A.
A.________, geboren 1973, erlitt am 10. Februar 1995 einen Verkehrsunfall. Am
11. November 1996 (Eingang) meldete sie sich zum Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle St. Gallen sprach ihr mit Verfügungen
vom 6. Juli 2001 eine ganze Rente ab 1. Februar 1996 und ab 1. Juni 1999 eine
Viertelsrente zu (mit entsprechender Kinderrente ab 1. Juli 1999). Die von der
Versicherten erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen mit Entscheid vom 28. November 2002 teilweise gut; es hob die
Verfügungen auf und wies die Sache zu weiteren Abklärungen und zu neuem
Entscheid an die IV-Stelle zurück. Diese holte ein Gutachten der Medizinischen
Abklärungsstelle (MEDAS) (vom 25. November 2004) und einen Abklärungsbericht
Haushalt (vom 20. September 2005) der IV-Stelle Schwyz (in welchem Kanton die
Versicherte nun wohnte) ein. Mit Verfügungen vom 25. Oktober/ 19. Dezember 2006
bestätigte die IV-Stelle St. Gallen den Anspruch auf eine ganze Rente ab 1.
Februar 1996, stellte aber die Rentenleistungen wegen eines unter 40 %
liegenden Invaliditätsgrades auf den 31. August 1999 ein; die laufende
Viertelsrente hob sie auf das Ende des der Zustellung der Verfügung folgenden
Monats auf.

B.
Gegen diese Verfügung reichte A.________ beim Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen Beschwerde ein. Sie beantragte, die Einstellungsverfügung sei
aufzuheben und es sei festzustellen, dass der Anspruch auf Invalidenrente über
den 1. Juni 1999 hinaus bis auf Weiteres bestehe. Mit Entscheid vom 22. April
2008 hiess das Versicherungsgericht die Beschwerde gut und hob die Verfügung
auf; es sprach der Versicherten für die Periode vom 1. Februar 1996 bis 31.
Oktober 1999 eine ganze und für die Zeit ab 1. August 2005 eine halbe
Invalidenrente zu. Für die Periode vom 1. November 1999 bis 31. Juli 2005 wies
es die Sache an die IV-Stelle zurück, zu weiteren Abklärungen und zu neuer
Verfügung über das Rentengesuch im Sinne der Erwägungen.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
IV-Stelle St. Gallen die Aufhebung des kantonalen Entscheides und die
Bestätigung der Verfügungen vom 25. Oktober/19. Dezember 2006.
A.________ verzichtet auf Vernehmlassung; die Vorinstanz beantragt Abweisung,
das Bundesamt für Sozialversicherungen Gutheissung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid legt für zwei Phasen des streitigen Zeitraums
(d.h. bis Oktober 1999 und wieder ab August 2005) die Rente verbindlich fest;
für die dazwischen liegende Periode (November 1999 bis Juli 2005) weist er die
Sache zur näheren Abklärung der Arbeitsfähigkeit und der Behinderung im
Aufgabenbereich an die Verwaltung zurück.

1.2 Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zulässig gegen Endentscheide, das
heisst gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG), und
gegen Teilentscheide, die nur einen Teil der gestellten Begehren behandeln,
wenn diese unabhängig von den anderen beurteilt werden können, oder die das
Verfahren nur für einen Teil der Streitgenossen und Streitgenossinnen
abschliessen (Art. 91 BGG). Gegen selbstständig eröffnete Vor- und
Zwischenentscheide ist hingegen die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die
Zuständigkeit oder den Ausstand betreffen (Art. 92 BGG), einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn
die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit
einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG).
Rückweisungsentscheide, mit denen eine Sache zur neuen Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen wird, sind Zwischenentscheide, die nur unter den
genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden können (BGE 133
V 477 E. 4.2 S. 481 f.). Anders verhält es sich nur dann, wenn der unteren
Instanz, an welche zurückgewiesen wird, kein Entscheidungsspielraum mehr
verbleibt und die Rückweisung nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich
Angeordneten dient (SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131, 9C_684/2007 E. 1.1). Ein nicht
wieder gutmachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG liegt für
die Verwaltung dann vor, wenn der Rückweisungsentscheid materielle Vorgaben
enthält, welche die Verwaltung zwingen würden, eine ihres Erachtens
rechtswidrige neue Verfügung zu erlassen (BGE 133 V 477 E. 5.2.4).

1.3 Das Bundesgericht hat mit Urteil BGE 9C_728/2008 vom 6. April 2009 E. 2
befunden, dass in den Fällen der Zusprechung einer abgestuften und/oder
befristeten Rente ein Entscheid, mit welchem eine Vorinstanz eine bestimmte,
vorangehende Teilperiode des Rentenanspruchs materiell abschliessend beurteilt
und für eine darauf folgende Teilperiode die Sache zu neuer Beurteilung an die
Verwaltung zurückweist, in Bezug auf die materiell abschliessend beurteilte
Phase ein Teilentscheid (Art. 91 BGG) ist, der selbstständig anfechtbar ist und
bei Nichtanfechtung selbstständig rechtskräftig wird und später nicht mehr
angefochten werden kann (E. 1.4.4-1.4.6). Demgegenüber ist ein Urteil, mit
welchem für einen vorangehenden Zeitraum die Sache an die Verwaltung
zurückgewiesen und für einen nachfolgenden Zeitraum materiell beurteilt wird,
insgesamt ein Zwischenentscheid; denn im Hinblick auf die Voraussetzungen einer
Revision (Art. 17 ATSG) kann ein Folgezeitraum nicht abschliessend beurteilt
werden, solange der vorangehende Zeitraum nicht beurteilt ist (Urteil BGE
9C_876/2008 vom 14. April 2009). Demzufolge ist der angefochtene Entscheid in
Bezug auf den Rentenanspruch für den Zeitraum bis 31. Oktober 1999 ein
Teil-Endentscheid, gegen den die Beschwerde uneingeschränkt zulässig ist, für
den darauf folgenden Zeitraum aber ein Zwischenentscheid; auf die dagegen
gerichtete Beschwerde ist nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit.
a oder b BGG einzutreten, also nur, wenn er alternativ einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann oder wenn die Gutheissung der Beschwerde
sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an
Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde.

2.
Für die Teilperiode bis Oktober 1999 ist der Sachverhalt unbestritten. Die
Beschwerdeführerin rügt indes eine falsche Rechtsanwendung der Vorinstanz
hinsichtlich der Festsetzung des Zeitpunkts der Rentenanpassung. Dieser sei
nicht auf den 1. November 1999 zu legen, sondern wie verfügt auf den 1. Juni
1999, da der Zeitpunkt der effektiven Erwerbsaufgabe im Mai 1999 massgebend sei
und schon damals habe angenommen werden können, dass die Veränderung
voraussichtlich längere Zeit dauern werde. Deshalb habe die Anpassung
unverzüglich zu erfolgen und sei in der Verfügung korrekt auf den 1. Juni 1999
festgesetzt worden. Die Vorinstanz hat die ganze Rente in Anwendung von Art.
88a Abs. 1 IVV drei Monate über die Änderung des Sachverhaltes hinaus
zugestanden. Der Wortlaut von Art. 88a Abs. 1 erster Satz IVV würde zwar auch
die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin stützen, aber das Bundesgericht
wendet in der Regel in solchen Fällen ebenfalls die Vorschrift in Abs. 1
zweiter Satz an und gewährt oder bestätigt eine höhere Rente für zusätzlich
drei Monate (so z.B. Urteil 8C_871/2008 vom 24. März 2009 E. 3.1 und 9C_389/
2008 vom 21. Januar 2009 E. 3.1). Der vorinstanzliche Entscheid ist in diesem
Punkt nicht rechtsfehlerhaft.

3.
Was die mittlere Zeitspanne von November 1999 bis Juli 2005 betrifft, handelt
es sich beim angefochtenen Entscheid um einen Rückweisungs-, also einen
Zwischenentscheid. Die Rückweisung zu neuer Abklärung wegen angeblich
ungenügend abgeklärtem Sachverhalt stellt keinen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil dar (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 133 V 477 E. 5.2.2); auch führt
die vorinstanzlich angeordnete Abklärung nicht zu einem bedeutenden Aufwand im
Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG, zumal dies in der Beschwerde nicht
dargetan wird (Urteil 9C_301/2007 vom 28. September 2007, E 2.2, 9C_234/2007
vom 3. Oktober 2007). Auf die Beschwerde ist somit nur einzutreten, soweit die
Vorinstanz der Verwaltung im Rückweisungsentscheid materielle Vorgaben gemacht
hat (oben E. 1.1). Das ist hier einzig gegeben in Bezug auf die Anordnung,
keine Schadenminderungspflicht des Ehemannes zu berücksichtigen. Insoweit ist
die Beschwerde begründet; denn nach der Rechtsprechung ist vom Grundsatz
auszugehen, dass einem Leistungsansprecher im Rahmen der
Schadenminderungspflicht Massnahmen zuzumuten sind, die ein vernünftiger Mensch
in der gleichen Lage ergreifen würde, wenn er keinerlei Entschädigung zu
erwarten hätte. Die im Haushalt tätigen Versicherten haben sich so
einzurichten, dass die Auswirkungen der Behinderung im hauswirtschaftlichen
Bereich abnehmen und ihnen eine möglichst vollständige und unabhängige
Erledigung der Haushaltarbeiten ermöglicht wird. Kann die versicherte Person
wegen ihrer Behinderung gewisse Haushaltarbeiten nur noch mühsam und mit viel
höherem Zeitaufwand erledigen, so muss sie in erster Linie ihre Arbeit
einteilen und in üblichem Umfang die Mithilfe von Familienangehörigen in
Anspruch nehmen. Ein invaliditätsbedingter Ausfall darf bei im Haushalt tätigen
Personen nur insoweit angenommen werden, als die Aufgaben, welche nicht mehr
erfüllt werden können, durch Drittpersonen gegen Entlöhnung oder durch
Angehörige verrichtet werden, denen dadurch nachgewiesenermassen eine
Erwerbseinbusse oder doch eine unverhältnismässige Belastung entsteht. Die im
Rahmen der Invaliditätsbemessung bei einer Hausfrau zu berücksichtigende
Mithilfe von Familienangehörigen geht daher weiter als die ohne
Gesundheitsschädigung üblicherweise zu erwartende Unterstützung (siehe BGE 133
V 504 E. 4.2 mit zahlreichen Hinweisen). Die Vorinstanz hat darum zu Unrecht
angeordnet, dass bei der Ermittlung der behinderungsbedingten Einschränkung der
Versicherten im Haushalt keine Mitwirkung des Ehemannes zu berücksichtigen ist.

4.
Hinsichtlich der letzten Periode ab August 2005 ist ebenfalls nur unter den
Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG auf die Beschwerde einzutreten, da
entgegen der vorinstanzlichen Vorgehensweise der Invaliditätsgrad für den
nachfolgenden Zeitraum nicht abschliessend festgelegt werden kann, solange
derjenige für die vorangehende Periode nicht feststeht (vorne E. 1.3). Der
angefochtene Entscheid ist daher ebenfalls als Rückweisungsentscheid zu
betrachten, der indessen die Elemente der Invaliditätsbemessung als materielle
Vorgaben enthält und insoweit durch die Beschwerdeführerin anfechtbar ist. Sie
beanstandet, sie habe nach dem kantonalen Entscheid die Invalidität ab dem
genannten Zeitpunkt nicht nach der gemischten Methode zu bemessen, sondern
mittels Einkommensvergleich. Die vorinstanzliche Annahme einer hypothetisch
100-prozentigen Erwerbstätigkeit ab Mai 2005 ist indessen als
Sachverhaltswürdigung nicht offensichtlich unrichtig. Sie ist nicht (nur) in
Anwendung der mehrmals verworfenen St. Galler Zumutbarkeitspraxis (Urteil 9C_49
/2008 vom 28. Juli 2008 E. 3) getroffen worden, sondern ebenso in
Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach unter
eherechtlichen Gesichtspunkten auf Grund einer Gesamtwürdigung der
persönlichen, beruflichen, sozialen und ökonomischen Umstände des konkreten
Falles zu beurteilen ist, ob eine versicherte Person ohne Gesundheitsschaden
ganz oder teilweise erwerbstätig wäre oder den Haushalt besorgen würde, und
keinem dieser Kriterien zum Vornherein vorrangige Bedeutung zukommt (BGE 117 V
197 in fine; AHI 1997 S. 290 E. 2b, 1996 S. 198 E. 1c). Auch die Rüge ist
unbegründet, die Vorinstanz habe sich bei der Sachverhaltswürdigung nicht an
einen bundesrechtskonformen Beweisgrad gehalten: Wenn es zwei Hypothesen zu
gewichten gibt, ist auf diejenige abzustellen, welche bei rechtskonformer
Würdigung des Sachverhaltes die wahrscheinlichere und damit zwangsläufig die
überwiegend wahrscheinliche ist; auf dieser Grundlage ist die Annahme einer im
Gesundheitsfall vollzeitlichen Erwerbstätigkeit ab Mai 2005 nicht zu
beanstanden.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die mehrheitlich unterliegende
Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird festgestellt, dass bei der
vorzunehmenden Ermittlung der behinderungsbedingten Einschränkung der
Beschwerdegegnerin im Haushalt eine Mitwirkung des Ehemannes zu berücksichtigen
ist. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, der Ausgleichskasse der Schweizer Maschinenindustrie und dem Bundesamt
für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. April 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz