Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 481/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_481/2008

Urteil vom 17. November 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Ettlin.

Parteien
M.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch B.________,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 30. April 2008.

Sachverhalt:

A.
Die IV-Stelle des Kantons Solothurn verneinte mit Verfügung vom 3. Februar 2003
einen Anspruch des 1962 geborenen M.________ auf eine Rente der
Invalidenversicherung (Invaliditätsgrad von 32 %). Das Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn hiess die gegen den abweisenden Einspracheentscheid vom 23.
April 2003 eingereichte Beschwerde mit Entscheid vom 3. Juni 2004 in dem Sinne
gut, als es die Verwaltung dazu verhielt, eine polydisziplinäre Begutachtung
durchzuführen. Nach erfolgter Abklärung ermittelte die IV-Stelle eine
gesundheitsbedingte Lohneinbusse von 37 % und verfügte am 24. April 2006 erneut
die Leistungsabweisung. Daran hielt sie auf erhobene Einsprache hin im Ergebnis
fest, erhöhte indes den Invaliditätsgrad auf 39 % (Einspracheentscheid vom 5.
Dezember 2006).

B.
Die von M.________ dagegen angehobene Beschwerde beschied das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn abschlägig (Entscheid vom 30. April
2008).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt M.________
beantragen, es sei, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides, eine
Invalidenrente nach Gesetz, seit wann rechtens, zuzusprechen; eventualiter sei
die Sache zur Vervollständigung des rechtserheblichen Sachverhaltes an die
Verwaltung zurückzuweisen und schliesslich wird um Gewährung der
unentgeltlichen Prozessführung ersucht.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde und das Bundesamt für
Sozialversicherungen lässt sich nicht vernehmen.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es
kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
2.1 Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) folgt u.a. die
grundsätzliche Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu begründen. Die
Begründung muss so abgefasst sein, dass der Betroffene den Entscheid
gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Sie muss kurz die wesentlichen
Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die
sich sein Entscheid stützt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich der
Entscheid mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes
einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt (BGE 133 III 439 E. 3.3 S. 445 mit
Hinweisen; Urteil 8C_276/2007 vom 20. November 2007, E. 3.2).

2.2 Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung der Begründungspflicht geltend,
weil sich der angefochtene Entscheid nicht mit dem Vorbringen befasse, zur
Erzielung eines höheren Lohnes habe er bereits vor Eintritt der
Gesundheitsschädigung Anstrengungen für einen Arbeitsplatzwechsel unternommen,
weshalb das Abstellen auf das beim letzten Arbeitgeber erzielte Einkommen als
Validenlohn nicht gerechtfertigt sei (Art. 95 lit. a BGG). Eine
Gehörsverletzung geht damit allerdings schon deshalb nicht einher, weil der
Rechtsuchende es bei der blossen Behauptung beliess, welche für sich allein
einer begründeten Auseinandersetzung nicht zugänglich ist. Darüber hinaus
führte das kantonale Gericht namentlich die Gründe an, welche den am letzten
Arbeitsplatz erzielten Lohn im Vergleich zu den Einkommenszahlen der
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (LSE) als
nur leicht unterdurchschnittlich ausweisen und es stellte fest, der Versicherte
habe diesen aus freien Stücken hingenommen. Von einer verletzten
Begründungspflicht kann nicht die Rede sein.

3.
3.1 Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf eine Invalidenrente, wobei der
Beschwerdeführer die vorinstanzlich festgestellte Höhe des Validenlohnes
beanstandet.

3.2 Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Begriff
der Invalidität erwerbstätiger Versicherter (Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung
mit Art. 8 Abs. 1 ATSG) sowie den Umfang des Rentenanspruches (Art. 28 Abs. 1
ATSG in der jeweils bis zum 31. Dezember 2003 und bis zum 31. Dezember 2007
gültigen Fassung) richtig dargelegt. Korrekt hat das Gericht angeführt, es sei
Aufgabe des Arztes, den Gesundheitszustand zu beurteilen und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person Stellung zu nehmen (BGE 125 V 256 E. 4
S. 261). Ausserdem sind dem angefochtenen Entscheid die Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten zu entnehmen (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352; 122 V
157 E. 1c S. 160). Darauf kann verwiesen werden.

3.3 Auf der nicht medizinischen beruflich-erwerblichen Stufe der
Invaliditätsbemessung charakterisieren sich als Rechtsfragen die gesetzlichen
und rechtsprechungsgemässen Regeln über die Durchführung des
Einkommensvergleichs (BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348, 128 V 29 E. 1 S. 30, 104 V
135 E. 2a und b S. 136 f.), einschliesslich derjenigen über die Anwendung der
schweizerischen Lohnstrukturerhebung/LSE (BGE 129 V E. 4.2.1 S. 475 f., 124 V
321 E. 3b/aa S. 322 f.) und der Dokumentation von Arbeitsplätzen/DAP (BGE 129 V
472 ff.). In dieser Sicht stellt sich die Feststellung der beiden
hypothetischen Vergleichseinkommen als Tatfrage dar, soweit sie auf konkreter
Beweiswürdigung beruht, hingegen als Rechtsfrage, soweit sich der Entscheid
nach der allgemeinen Lebenserfahrung richtet. Letzteres betrifft etwa die
Frage, ob Tabellenlöhne anwendbar sind, welches die massgebliche Tabelle ist
und ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Leidensabzug
vorzunehmen sei (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399).

3.4 In Bezug auf die behauptete Nebentätigkeit als Zeitungsverträger hat die
Vorinstanz erwogen, der Beschwerdeführer habe diese Arbeit mehr als zwei Jahre
nach Eintritt des Gesundheitsschadens, im Jahre 2001, nicht aus
gesundheitlichen Gründen, sondern freiwillig aufgegeben. Der Beschwerdeführer
macht grundsätzlich mit Recht geltend, dass der Einkommensvergleich auf der
Grundlage des Jahres 1999 durchzuführen sei. Indessen ist dasjenige
Valideneinkommen ausschlaggebend, das der Versicherte nach Eintritt des
Gesundheitsschadens im Gesundheitsfall erzielt hätte; das vor Eintritt des
Gesundheitsschadens erzielte Einkommen ist dafür in der Regel der massgebende
Ausgangspunkt, doch sind spätere Veränderungen zu berücksichtigen, wenn sie mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit im Gesundheitsfall erfolgt wären. Die - vom
Beschwerdeführer zwar bestrittene, aber nicht offensichtlich unrichtige und
somit für das Bundesgericht verbindliche - Feststellung der Vorinstanz ist
deshalb insofern massgeblich, als daraus zu folgern ist, dass der
Beschwerdeführer auch im Gesundheitsfall die Tätigkeit als Zeitungsverträger
aufgegeben hätte. Hinzu kommt, dass ein aus dieser behaupteten Nebentätigkeit
erzieltes Einkommen nicht belegt ist. Weder in der IV-Anmeldung noch im
späteren Verwaltungs- und Einspracheverfahren hat er auf dieses Einkommen
hingewiesen. Dieses kann daher nicht als nachgewiesen gelten, zumal die
Vorinstanz die nicht offensichtlich unrichtige Feststellung trifft, der
Arbeitsvertrag führe die Ehefrau und nicht den Beschwerdeführer als
Arbeitnehmer auf. Ferner stellte das kantonale Gericht rechtlich korrekt fest,
der Versicherte habe die Beschäftigung des Hilfsbademeisters im Jahr 1997 und
damit vor dem Unfall vom 10. Februar 1998 aufgegeben, was den Einbezug eines
diesbezüglichen Nebeneinkommens zum Validenlohn rechtsprechungsgemäss
ausschliesst (vgl. Urteil 9C_45/2008 vom 3. Juli 2008, E. 4.2). Sodann macht
der Versicherte in rein appellatorischer Weise letztinstanzlich erneut geltend,
sich schon vor der erlittenen Körperschädigung um eine besser bezahlte
Arbeitsstelle bemüht zu haben (vgl. E. 2.2 hievor). Darin ist er nicht zu hören
(Urteil 9C_569/2008 vom 1. Oktober 2008, E. 1.2).

4.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61
lit. c ATSG), indem er darauf hinweist, anlässlich der Instruktionsverhandlung
vom 12. Dezember 2007 glaubhaft eine progrediente Verschlechterung der Sehkraft
dargetan zu haben, ohne dass die Vorinstanz dies zum Anlass weitergehender
Abklärungen genommen hätte. Für die Beurteilung in zeitlicher Hinsicht ist der
Sachverhalt massgebend, wie er sich bis zum Einspracheentscheid vom 5. Dezember
2006 entwickelt hat (BGE 129 V 1 E. 1.2 S. 4). Nach den im angefochtenen
Entscheid wiedergegebenen Aussagen des Beschwerdeführers hat dieser anlässlich
der Instruktionsverhandlung auf die Frage seines Rechtsvertreters, ob zwischen
der MEDAS-Begutachtung im August 2005 und dem Einspracheentscheid im Dezember
2006 eine gesundheitliche Verschlechterung eingetreten sei, angegeben, er habe
gemerkt, dass er immer weniger sehe. Dies betrifft an sich noch den
massgebenden Beurteilungszeitraum. Indessen hat der Beschwerdeführer weder in
seiner Einsprache vom 23. Mai 2006 noch später bis zum Einspracheentscheid die
behauptete Verschlechterung geltend gemacht. Sowohl die Mitwirkungspflicht des
Versicherten (Art. 28 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 ATSG) als auch der allgemeine
Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) gebieten, dass während eines
hängigen Verwaltungs- oder Einspracheverfahrens eingetretene Verschlechterungen
innert nützlicher Frist der Behörde mitgeteilt werden. Wenn stattdessen erst
nachträglich im Rahmen der gerichtlichen Instruktionsverhandlung ein Jahr nach
dem Einspracheentscheid eine solche Verschlechterung behauptet wird, so durfte
die Vorinstanz ohne Verletzung der Untersuchungspflicht darauf verzichten, dem
weiter nachzugehen.

5.
Die auf der Basis des polydisziplinären Gutachtens vom 23. September 2005 der
MEDAS, Spital X.________, im angefochtenen Entscheid nicht offensichtlich
unrichtig festgestellte zumutbare Tätigkeit einer leichten bis mittelschweren
Arbeit, mit einer Leistungsminderung von 25 % bis 35 %, liegt nicht im Streit.
Der nach dieser Massgabe vorgenommene Einkommensvergleich - welcher einen
Invaliditätsgrad von 39 % ausweist - ist rechtlich nicht zu beanstanden, womit
ein Anspruch auf eine Invalidenrente nicht besteht.

6.
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da der Prozess
nicht aussichtslos erscheint und die Partei bedürftig ist (Art. 64 BGG; vgl.
BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372). Es wird indes ausdrücklich
auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach die Partei der Gerichtskasse Ersatz
zu leisten hat, wenn sie später dazu in der Lage ist. Im bundesgerichtlichen
Verfahren können bloss Personen als amtliche Vertreter bezeichnet werden, die
ein Anwaltspatent besitzen und die Voraussetzungen erfüllen, sich gemäss Art. 8
BGFA im Anwaltsregister eintragen zu lassen (BGE 132 V 200 E. 5.1.3 S. 204).
Der Rechtsvertreter ist Sozialversicherungsfachmann mit eidg. Fachausweis,
hingegen nicht patentierter Anwalt. Seine Einsetzung als amtlicher
Rechtsbeistand fällt daher nicht in Betracht (Art. 64 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. November 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Ettlin