Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 471/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_471/2008

Urteil vom 10. November 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

Parteien
V.________, Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes, Brunnmattstrasse 45, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 22. April 2008.

Sachverhalt:

A.
V.________ arbeitet als selbstständiger Landwirt und Treuhänder. Mit
Verfügungen vom 24. Oktober 2006, 8. März und 25. Mai 2007 setzte die
Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes die persönlichen AHV/IV/
EO-Beiträge für die Jahr 2001 bis 2003 basierend auf einem Einkommen aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit von Fr. 182'025.-(2001), Fr. 173'195.- (2002)
und Fr. 172'855.-(2003) fest, wobei sie in Übereinstimmung mit der
Steuerveranlagung und der Steuer-Selbstdeklaration verschiedene Schulden als
privat qualifizierte und daher die entsprechenden Schuldzinsen nicht zum Abzug
zuliess. Die von V.________ gegen alle drei Verfügungen erhobenen Einsprachen
wies die Kasse mit Einspracheentscheiden vom 11. Januar, 13. März und 13. Juli
2007 ab.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau vereinigte die gegen die drei
Einspracheentscheide erhobenen Beschwerden mit Instruktionsverfügung vom 5.
September 2007 und wies diese mit einem einzigen Entscheid vom 22. April 2008
ab.

C.
V.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, der angefochtene Entscheid
sei aufzuheben und die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Ausgleichskasse reicht keine Vernehmlassung ein, während das Bundesamt für
Sozialversicherungen auf eine Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE
132 V 393).

1.2 Grundsätzlich wendet das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen an (Art.
106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend
gemachten Rechtsverletzungen und Argumente noch an die Erwägungen der
Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem
angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II
257 E. 2.5 S. 262, 130 III 136 E. 1.4 S. 140).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob verschiedene Schuldpositionen auf privater oder
geschäftlicher Basis beruhen, können doch Schuldzinsen AHV-beitragsrechtlich
nur auf Geschäftsschulden als Gewinnungskosten vom rohen Einkommen aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit abgezogen werden (Art. 9 Abs. 2 lit. a AHVG).

3.
3.1 Nach Art. 23 Abs. 1 AHVV obliegt es in der Regel den Steuerbehörden, das
für die Berechnung der Beiträge Selbstständigerwerbender massgebende
Erwerbseinkommen auf Grund der rechtskräftigen Veranlagung für die direkte
Bundessteuer und das im Betrieb investierte Eigenkapital auf Grund der
entsprechenden rechtskräftigen kantonalen Veranlagung zu ermitteln. Die Angaben
der Steuerbehörden hierüber sind für die Ausgleichskassen verbindlich (Art. 23
Abs. 4 AHVV).

3.2 Die absolute Verbindlichkeit der Angaben der Steuerbehörden für die
Ausgleichskassen und die daraus abgeleitete relative Bindung des
Sozialversicherungsgerichts an die rechtskräftigen Steuertaxationen sind auf
die Bemessung des massgebenden Einkommens und des betrieblichen Eigenkapitals
beschränkt. Diese Bindung betrifft also nicht die beitragsrechtliche
Qualifikation und beschlägt daher die Frage nicht, ob überhaupt
Erwerbseinkommen und gegebenenfalls solches aus selbstständiger oder aus
unselbstständiger Tätigkeit vorliegt und ob die Person, die das Einkommen
bezogen hat, beitragspflichtig ist. Somit haben die Ausgleichskassen ohne
Bindung an die Steuermeldung auf Grund des AHV-Rechts zu beurteilen, wer für
ein von der Steuerbehörde gemeldetes Einkommen beitragspflichtig ist (BGE 121 V
80 E. 2c S. 83, 114 V 72 E. 2 S. 75, je mit Hinweisen).

4.
Vorinstanz und Beschwerdegegnerin haben die in E. 3 dargestellte Rechtslage
zwar korrekt wiedergegeben, sie aber auf den konkreten Fall nicht angewendet.
Sie haben vielmehr ohne weiteres auf die Steuermeldung abgestellt, obwohl im
Steuerverfahren eine Überprüfung der Zuordnung der verschiedenen Schulden nicht
vorgenommen worden war und auch nicht vorgenommen werden musste, weil im
Steuerrecht die Schuldzinsen sowohl auf Geschäftsschulden als auch auf
Privatschulden (mit der hier nicht zum Tragen kommenden Begrenzung) abgezogen
werden können (Art. 27 Abs. 2 lit. d und Art. 33 Abs. 1 lit. a DBG; Art. 9 Abs.
2 lit. a und Art. 10 Abs. 1 lit. e StHG). Vorliegend wurden denn auch
steuerrechtlich die gesamten Schuldzinsen zum Abzug zugelassen, so dass das
steuerbare Einkommen deutlich tiefer ist als das ahv-rechtlich veranlagte.
Demgemäss bestand für den Beschwerdeführer weder ein Rechtsschutzinteresse noch
Veranlassung, die Steuerveranlagung anzufechten, um die Qualifikation der
Schulden zu bestreiten. Deshalb kann im ahv-rechtlichen Verfahren insoweit
keine Bindungswirkung an die Steuermeldung bestehen (BGE 110 V 369 E. 3b S.
373; Urteil H 64/06 vom 11. April 2007 E. 3.4, in: SVR 2007 AHV Nr. 11 S. 29).
Auch der Selbstdeklaration im Steuerveranlagungsverfahren kann nicht
ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden, da der Beschwerdeführer im
Lichte der dargelegten Rechtslage nicht davon ausgehen musste, dass die
(steuerrechtlich im Ergebnis irrelevante) Zuordnung für die AHV
rechtsverbindlich ist. Nach dem Gesagten hätten die Ausgleichskasse im
AHV-Beitragsverfahren oder spätestens die Vorinstanz im Beschwerdeverfahren
eine selbstständige Qualifikation vornehmen müssen.

5.
Steuerrechtlich erfolgt die Abgrenzung zwischen privaten und geschäftlichen
Schuldzinsen auf Grund der von der steuerpflichtigen Person nachgewiesenen
Verwendung der fremden Mittel bzw. nach der technisch-wirtschaftlichen Funktion
des Darlehens, mangels eines solchen Nachweises nach dem Verhältnis der Aktiven
(KLÖTI/SIEGRIST/ WEBER, Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 2004, N. 59 zu §
36; RICHNER/FREI/KAUFMANN, Handkommentar zum DBG, Zürich 2003, N. 32 zu Art.
27, N. 8 zu Art. 33; ZWEIFEL/ATHANAS [Hrsg.], Kommentar zum DBG, 2. A. 2008, N.
62 zu Art. 27, N. 7a zu Art. 33; NOËL, in YERSIN/NOËL [éd.], Commentaire romand
LIFD, N. 45 zu Art. 27; Kreisschreiben Nr. 1 der Eidg. Steuerverwaltung vom 19.
Juli 2000, ASA 69 176, Ziff. 3). Auch Zinsen für Hypothekarkredite, die auf
privaten Liegenschaften aufgenommen werden, kann teilweise geschäftlicher
Charakter zukommen (ZWEIFEL/ATHANAS, N. 64 zu Art. 27). Im Lichte der
grundsätzlich anzustrebenden Parallelität von Steuer- und AHV-Beitragsrecht
(BGE 134 V 250 E. 3.3 S. 253 f., 134 V 297 E. 2.3 S. 302) besteht kein Grund,
im AHV-Recht von der steuerrechtlichen Betrachtung abzuweichen.

6.
Die Darlehen, deren Zinsen streitig sind, wurden gemäss der Darstellung des
Beschwerdeführers teilweise für den Ankauf von Landwirtschaftsland
(Geschäftsvermögen), teilweise für Baukosten der Liegenschaft X.________
(Geschäftsvermögen) aufgenommen. Die Schuldzinsen für die Darlehen S.________
und E.________ betreffen nach den Vorbringen des Beschwerdeführers
Grundpfandschulden, die auf der im Privatvermögen liegenden Liegenschaft
Y.________ lasten. Das Darlehen Z._________ betrifft gemäss den Ausführungen
des Beschwerdeführers einen "Verpfändungskredit" für die Liegenschaft
X.________. Eine geschäftliche Verwendung der Mittel ist damit zwar behauptet,
aber nicht nachgewiesen, umgekehrt indessen auch nicht ausgeschlossen, und zwar
auch nicht bezüglich derjenigen Darlehen, die gegen Verpfändung der im
Privatvermögen stehenden Liegenschaften gewährt worden sind. Die Sache ist
daher an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie im Lichte des
Dargelegten dem Beschwerdeführer Gelegenheit gibt, die behauptete geschäftliche
Verwendung der Darlehen nachzuweisen. Gestützt darauf hat sie gemäss dem in E.
5 Dargelegten die Qualifikation der umstrittenen Schuldpositionen vorzunehmen
und entsprechend neu zu verfügen.

7.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Ausgleichskasse, um deren Vermögensinteresse es geht, aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 und 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons Aargau vom 22. April 2008 und und die Einspracheentscheide der
Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes vom 11. Januar, 13. März und 13.
Juli 2007 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Ausgleichskasse des
Schweizerischen Gewerbes zurückgewiesen, damit sie über die AHV-Beiträge des
Beschwerdeführers für die Jahre 2001 bis 2003 im Sinne der Erwägungen neu
verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1400.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. November 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Maillard