Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 455/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_455/2008

Urteil vom 5. November 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

Parteien
S.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Beat Rüedi, Hauptstrasse 39, 8280 Kreuzlingen,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 18. April 2008.

Sachverhalt:

A.
Mit Nachtragsverfügungen vom 10. Mai 2007 setzte die Ausgleichskasse des
Kantons Graubünden das beitragspflichtige Einkommen des im Kanton X.________
wohnhaften S.________ aus selbstständiger Erwerbstätigkeit für die Jahre 2002
und 2003 auf Fr. 478'000.- und Fr. 1'033'600.- fest. Dieses Einkommen
resultierte aus dem Verkauf zweier im Kanton Graubünden gelegenen
Liegenschaften, woran S.________ als Mitglied einer einfachen Gesellschaft
zusammen mit einer weiteren Person Gesamteigentum hatte. Die Ausgleichskasse
hiess die dagegen erhobene Einsprache mit Entscheid vom 13. Dezember 2007
teilweise gut und reduzierte das Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit
um die ausgewiesenen Schuldzinsen von Fr. 54'790.- (2002) und Fr. 15'786.-
(2003) sowie um die Zinsen auf dem investierten Eigenkapital von Fr. 174'930.-
(2002) und Fr. 69'475.- (2003).

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies die hiegegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 18. April 2008 ab.

C.
S.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, der angefochtene Entscheid
und der Einspracheentscheid (einschliesslich der Beitragsverfügungen) vom 13.
Dezember 2007 seien aufzuheben und es sei für die Jahre 2002 und 2003 kein
AHV-pflichtiges Einkommen für Selbstständigerwerbende festzusetzen. Eventuell
sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE
132 V 393).

1.2 Grundsätzlich wendet das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen an (Art.
106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend
gemachten Rechtsverletzungen und Argumente noch an die Erwägungen der
Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem
angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II
257 E. 2.5 S. 262, 130 III 136 E. 1.4 S. 140).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die aus dem Verkauf der im Kanton Graubünden
gelegenen Liegenschaften erzielten Erlöse Einkommen aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit oder aus privater Vermögensverwaltung darstellen. Hiebei
handelt es sich um eine Rechtsfrage, welche das Bundesgericht mit
uneingeschränkter Kognition prüft (Art. 95 BGG).

3.
3.1 Gemäss Art. 4 Abs. 1 AHVG schulden die erwerbstätigen Versicherten Beiträge
auf dem aus einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit
fliessenden Einkommen. Nach Art. 9 Abs. 1 AHVG ist Einkommen aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit jedes Erwerbseinkommen, das nicht Entgelt für
in unselbstständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt. Als selbstständiges
Einkommen gelten nach Art. 17 AHVV alle in selbstständiger Stellung erzielten
Einkünfte aus einem Handels-, Industrie-, Gewerbe-, Land- und
Forstwirtschaftsbetrieb, aus einem freien Beruf, sowie aus jeder anderen
selbstständigen Erwerbstätigkeit, einschliesslich der Kapital- und
Überführungsgewinne nach Art. 18 Abs. 2 DBG und der Gewinne aus der
Veräusserung von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken nach Art. 18 Abs.
4 DBG, mit Ausnahme der Einkünfte aus zu Geschäftsvermögen erklärten
Beteiligungen nach Art. 18 Abs. 2 DBG. Nicht unter den Begriff der
selbstständigen Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 AHVG und Art. 17
AHVV fällt die blosse Verwaltung des eigenen Vermögens; der daraus
resultierende reine Kapitalertrag unterliegt daher nicht der Beitragspflicht.
Gleiches gilt in Bezug auf Gewinne aus privatem Vermögen, welche in Ausnützung
einer zufällig sich bietenden Gelegenheit erzielt worden sind. Anderseits
stellen Kapitalgewinne aus der Veräusserung oder Verwertung von Gegenständen
des Privatvermögens, wie Wertschriften oder Liegenschaften, auch bei nicht
buchführungspflichtigen (Einzel)Betrieben, Einkommen aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit dar, wenn und soweit sie auf gewerbsmässigem Handel beruhen
(BGE 125 V 383 E. 2a S. 385 mit Hinweisen).

3.2 Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil H 174/04 vom 2.
Dezember 2004, E. 4.2 (SVR 2005 AHV Nr. 16 S. 53), erwogen hat, nimmt Art. 17
AHVV (in der bis 31. Dezember 2000 gültig gewesenen Fassung) die in Art. 18
Abs. 1 DBG verwendeten Begriffe wieder auf und verweist überdies bezüglich der
Kapital- und Überführungsgewinne auf Art. 18 Abs. 2 DBG sowie hinsichtlich der
Gewinne aus der Veräusserung von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken
auf Art. 18 Abs. 4 DBG. Die Bestimmung führt somit bei der Umschreibung des
Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit zu einer Harmonisierung
zwischen dem Beitragsrecht der AHV und dem Steuerrecht. Soweit das AHVG und die
AHVV keine abweichende Regelung enthalten, unterliegen grundsätzlich alle
steuerbaren Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit auch der
Beitragspflicht (Urteil H 17/05 vom 6. Juli 2005, E. 3.2 [SVR 2006 AHV Nr. 4 S.
12]; HANSPETER KÄSER, Die Auswirkungen des DBG, in: RENÉ SCHAFFHAUSER/UELI
KIESER [Hrsg.], Aktuelle Fragen aus dem Beitragsrecht der AHV, St. Gallen 1998,
S. 49 ff., 57).

3.3 Die Ausgleichskassen haben ohne Bindung an die Steuermeldung aufgrund des
AHV-Rechts zu beurteilen, wer für ein von der Steuerbehörde gemeldetes
Einkommen beitragspflichtig ist. Allerdings sollen sich die Ausgleichskassen
bei der Qualifikation gemeldeter Einkünfte in der Regel auf die Steuermeldungen
verlassen und eigene nähere Abklärungen nur dann vornehmen, wenn sich
ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Steuermeldung ergeben (BGE 134 V 250
E. 3.3 S. 253 f.).

4.
Zur Abgrenzung zwischen privater Vermögensverwaltung und (selbstständiger)
Erwerbstätigkeit haben Lehre und Rechtsprechung noch unter der Herrschaft des
BdBSt verschiedene Kriterien entwickelt. Ob eine Erwerbstätigkeit vorliegt, ist
immer nach der Gesamtheit der Umstände zu beurteilen (BGE 112 Ib 79 E. 2a S.
81; 122 II 446 E. 3a S. 449). Als Indizien für eine über die blosse
Vermögensverwaltung hinausreichende Erwerbstätigkeit fallen bei
Liegenschaftsgewinnen etwa die (systematische oder planmässige) Art und Weise
des Vorgehens, die Häufigkeit von Liegenschaftsgeschäften, der enge
Zusammenhang eines Geschäftes mit der beruflichen Tätigkeit des
Steuerpflichtigen, spezielle Fachkenntnisse, die Besitzesdauer, der Einsatz
erheblicher fremder Mittel zur Finanzierung der Geschäfte oder die Verwendung
des erzielten Gewinns bzw. die Wiederanlage in Liegenschaften in Betracht.
Jedes dieser Indizien kann zusammen mit andern, im Einzelfalle jedoch unter
Umständen auch bereits allein zur Annahme einer selbstständigen
Erwerbstätigkeit ausreichen. So ist eine Erwerbstätigkeit anzunehmen, wenn eine
steuerpflichtige Person ein Vermögensobjekt nicht bloss zum Zwecke der privaten
Vermögensanlage oder in Ausnützung einer zufällig sich bietenden Gelegenheit,
sondern in der offenkundigen Absicht erwirbt, es möglichst rasch mit Gewinn
weiterzuveräussern, oder wenn sie sich bemüht, wie ein haupt- oder
nebenberuflich selbstständig Erwerbstätiger die Entwicklung eines Marktes zur
Gewinnerzielung auszunützen (vgl. BGE 122 II 446 E. 3b S. 450). Nach der
Rechtsprechung weist auf eine Erwerbstätigkeit auch hin, dass sich die
pflichtige Person für ein bestimmtes Grundstücksgeschäft in einer einfachen
Gesellschaft (Baukonsortium) mit einer Person verbindet, die sich in Ausübung
ihres Berufes beteiligt und die Geschäftsführung für gemeinsame Rechnung im
Einvernehmen mit ihr besorgt. In einem solchen Fall muss sich die pflichtige
Person, die zur Erreichung des gemeinsamen Erwerbszwecks nur mit einer Einlage
beigetragen hat, die vom geschäftsführenden Fachmann für Rechnung aller
Teilhaber unternommenen Bemühungen wie eine eigene Erwerbstätigkeit anrechnen
lassen (BGE 125 II 113 E. 3c S. 118 f. mit Hinweisen). Diese noch unter der
Herrschaft des BdBSt entwickelte Praxis wurde auch unter dem DBG beibehalten:
Veräusserungsgewinne sind daher steuerbar, wenn sie in einer über die schlichte
Vermögensverwaltung hinausgehenden Tätigkeit erzielt werden, auch wenn keine in
einem eigentlichen Unternehmen organisierte Aktivität vorliegt (BGE 125 II 113
E. 5e S. 123).

5.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin, welche sich
im Wesentlichen auf Rz. 1021 (in der 2003 gültig gewesenen Fassung; seit 1.
Januar 2008: Rz. 1022) der Wegleitung des BSV über die Beiträge der
Selbstständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen [WSN;] in der AHV, IV und EO,
stützt, ist nicht jedes aus einfacher Gesellschaft erzielte Einkommen
automatisch Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. Vorausgesetzt ist
vielmehr, dass die einfache Gesellschaft eine Erwerbstätigkeit ausübt (Art. 20
Abs. 3 AHVV; BGE 114 V 72 E. 4b S. 76); beschränkt sich die einfache
Gesellschaft jedoch auf die gemeinsame Verwaltung privater Vermögen, sind die
Gewinne aus der Veräusserung von Liegenschaften nicht beitragspflichtiges
Einkommen (ZAK 1984 S. 223 E. 2b; 1980 S. 343 E. 3b und c; vgl. zum Steuerrecht
BGE 96 I 655 E. 2 S. 659). Es gibt - anders als bei einer Kollektivgesellschaft
(dazu BGE 121 V 80 E. 2b S. 82) oder einer Kommanditgesellschaft (ZAK 1985 S.
316 E. 2), die gesetzlich auf den Betrieb eines Gewerbes ausgerichtet sind
(Art. 552 und 594 OR) - auch keine Vermutung, wonach eine einfache Gesellschaft
einen Erwerbszweck verfolge (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
vom 6. Juni 1994 H 23/92 E. 4b/bb), kann sie doch für beliebige, auch nicht
erwerbliche, Zwecke errichtet werden (Art. 530 OR).

6.
Das kantonale Gericht hat einzig aus der - nicht bestrittenen - Tatsache, dass
der streitige Ertrag aus dem Verkauf von Liegenschaften herrührt, die der
Beschwerdeführer zusammen mit einer anderen Person im Gesamteigentum gehalten
hat, auf das Vorliegen eines beitragspflichtigen Einkommens geschlossen. Es hat
jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine einfache Gesellschaft mit
Erwerbstätigkeit bestand. Der rechtserhebliche Sachverhalt ist daher
unvollständig festgestellt (E. 1.1). Aus den Akten geht zwar hervor, dass die
streitigen Liegenschaften steuerrechtlich offenbar als Privatvermögen
betrachtet wurden. Dies ist indessen nur ein Indiz, welches aber nicht
ausschlaggebend ist. Aufgrund der Akten lässt sich die Frage, ob eine einfache
Gesellschaft mit Erwerbstätigkeit vorlag, nicht schlüssig beantworten, weshalb
die Sache zur entsprechenden Abklärung an das kantonale Gericht zurückzuweisen
ist.

7.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Ausgleichskasse, um deren Vermögensinteresse es geht, aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 und 4 BGG). Diese hat dem obsiegenden Beschwerdeführer überdies eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 18. April 2008 aufgehoben. Die
Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Beschwerde neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. November 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Maillard