Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 44/2008
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_44/2008

Urteil vom 15. April 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.

Parteien
R.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Ulrich Seiler, Falkenhöheweg 20, 3012 Bern,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 6. Dezember 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene R.________ ersuchte im September 2002 die
Invalidenversicherung um eine Rente. Nach Abklärungen, unter anderem des
Gesundheitszustandes und der zumutbaren Arbeitsfähigkeit durch die Medizinische
Abklärungsstation (MEDAS) am Spital X.________ (Gutachten vom 17. August 2004
mit psychiatrischen und rheumatologischen Teilgutachten), lehnte die IV-Stelle
Bern mit Verfügung vom 28. Januar 2005 und Einspracheentscheid vom 14. April
2005 das Leistungsbegehren ab.
Im Februar 2007 ersuchte R.________ die Invalidenversicherung erneut um eine
Rente. Gestützt auf zwei ärztliche Berichte sowie eine Stellungnahme ihres
Regionalen Ärztlichen Dienstes und nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens
verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 24. August 2007 den Anspruch auf eine
Invalidenrente erneut.

B.
Die Beschwerde des R.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, mit Entscheid vom 6. Dezember 2007 ab.

C.
R.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des Entscheids vom 6. Dezember 2007 und
der Verfügung vom 24. August 2007 sei die IV-Stelle anzuweisen, auf die
Neuanmeldung einzutreten und eine polymedizinische Begutachtung durchzuführen.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes
wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2
BGG). Die Behebung des Mangels muss für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG).

2.
Streitgegenstand bildet der Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung
nach rechtskräftiger Leistungsverweigerung wegen eines zu geringen
Invaliditätsgrades (Art. 87 Abs. 4 IVV).

3.
Das kantonale Gericht hat festgestellt, der Gesundheitszustand habe sich weder
in somatischer noch psychischer Hinsicht seit dem MEDAS-Gutachten vom 17.
August 2004 verschlechtert. Insbesondere beurteile der behandelnde Psychiater
und Psychotherapeut Dr. med. S.________ in seinem Bericht vom 12. Oktober 2007
lediglich einen gleich gebliebenen Zustand anders. Darauf könne in Anbetracht
der «Qualität» des MEDAS-Gutachtens nicht abgestellt werden. Gestützt darauf
hat die Vorinstanz durch Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG und BGE 128 V 29 E.
1 S. 30) einen Invaliditätsgrad von deutlich unter 40 % ermittelt, was keinen
Anspruch auf eine Rente gibt (Art. 28 Abs. 1 IVG).

4.
4.1 Die vorinstanzliche Feststellung eines seit dem MEDAS-Gutachten vom 17.
August 2004 nicht verschlechterten Gesundheitszustandes ist, was die somatische
Seite anbelangt, aktenwidrig: Der behandelnde Hausarzt Dr. med. M.________,
Facharzt FMH für Allgemeinmedizin, hatte schon in seinem Bericht vom 9.
September 2005 als «zusätzliche Diagnose» angegeben: «- Trikompartimentäre
Gonarthrose mit partieller medialer Meniskusläsion und mehreren Knorpeldefekten
im medialen Gelenkkompartiment - partielle Insertionstendinose der
Popliteussehne linkes Knie», dies gestützt auf eine ambulante Untersuchung,
welche Dr. med. I.________, Spezialarzt für orthopädische Chirurgie FMH, am 11.
August 2005 durchgeführt hatte (vgl. Berichte dieses Arztes vom 20. Juni und
12. August 2005). In der Tat finden sich im MEDAS-Gutachten vom 17. August 2004
keine solchen Befunde, indem dort nur eine beginnende Gonarthrose links bei
normalen Gelenksfunktionen am linken Knie erwähnt worden war. Wenn die
Vorinstanz erwägt, Dr. med. M.________ habe im Bericht vom 9. September 2005
einen stationären Gesundheitszustand und im späteren Attest vom 4. April 2007
«in objektiver Hinsicht ausdrücklich keine wesentliche Aenderung» attestiert,
so ändert das nichts am effektiven Vorhandensein dieser neuen Befunde. Bei der
gegebenen Sachlage konnten sich die erwähnten Bemerkungen des Dr. med.
M.________ offensichtlich nur auf den Allgemeinzustand beziehen, und nicht auf
den neu erhobenen Lokalbefund am rechten Knie, den der Hausarzt am 9. September
2005 ja ausdrücklich als zusätzliche Diagnose bezeichnet hatte und im Bericht
vom 4. April 2007 als solche bestätigte («- Die alten Diagnosen darf ich als
bekannt voraussetzen - Aktuell trikompartimentäre Gonarthrose ...»); seine
Bemerkung, es seien «keine neuen rentenrelevanten Diagnosen dazu gekommen»,
lässt sich nur damit erklären, dass der Hausarzt diese Diagnose schon im
Bericht vom 9. September 2005 gestellt hatte.

4.2 Eine im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG mangelhafte Sachverhaltsfeststellung
kann nur mit Erfolg gerügt werden, wenn die Behebung des Mangels für den
Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 in fine BGG). Das
trifft hier zu: Entgegen der ebenfalls aktenwidrigen Interpretation der
medizinischen Berichte in der Anfrage der IV-Stelle vom 20. April 2007 (wonach
Dr. med. M.________ u.a. die trikompartimentäre Gonarthrose als nicht
rentenrelevant bezeichnet hätte) und in der Antwort des Regionalen Ärztlichen
Dienstes vom 29. Mai 2007, worin Dr. med. L.________ nur von unveränderter
fehlender Motivation, subjektiven Klagen und Diskrepanzen spricht, die neuen
Befunde am linken Knie aber nicht diskutiert, hatte Dr. med. M.________ der
fortgeschrittenen Gonarthrose links ausdrücklich einen Einfluss auf die
Arbeitsfähigkeit zuerkannt (Bericht vom 9. September 2005). Wird
berücksichtigt, dass die Vorinstanz mit der IV-Stelle «im Lichte der
medizinischen Lage» dem Beschwerdeführer die Leistung von Hilfsarbeit während
sieben Stunden am Tag zumutet und unter Bestätigung eines 15%igen Abzuges ein
Invalideneinkommen von Fr. 40'946.- ermittelt, was im Vergleich zum
Valideneinkommen von Fr. 60'411.- eine Erwerbseinbusse von 32 % ergibt, ist ein
rentenbegründender Invaliditätsgrad von mindestens 40 % (Art. 28 Abs. 1 IVG)
nicht von vornherein auszuschliessen, namentlich wenn sich zeigen sollte, dass
der Beschwerdeführer wegen des Knieleidens in seiner Geh- und Stehfähigkeit
beeinträchtigt und auf sitzend zu verrichtende Arbeiten verwiesen sein sollte.
Die Sache ist damit an die IV-Stelle zu ergänzender medizinischer Abklärung und
neuer Verfügung über den Rentenanspruch zurückzuweisen. Es liegt im
pflichtgemässen Ermessen der Verwaltung, die psychischen Aspekte in die
Aktenergänzung einzubeziehen, dies mit Blick auf die bei Dr. med. S.________,
Facharzt FMH Psychiatrie und Psychotherapie, seit 12. Februar 2007
stattfindende Behandlung (vgl. Berichte vom 8. Mai und 12. Oktober 2007). Bis
zum Verfügungserlass am 24. August 2007 hält die Verneinung einer erheblichen
Änderung in psychischer Hinsicht vor Bundesrecht stand.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat dem
Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern vom 6. Dezember 2007 und die Verfügung vom 24. August 2007
aufgehoben und die Sache wird an die IV-Stelle Bern zurückgewiesen, damit sie
im Sinne der Erwägungen verfahre.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle Bern auferlegt.

3.
Die IV-Stelle Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung für das
vorangegangene Verfahren an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 15. April 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Fessler