Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 410/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_410/2008

Urteil vom 8. September 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

Parteien
S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Zollinger,
Rämistrasse 5, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 25. März 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a S.________, geboren 1955, bezieht seit 1. März 2003 basierend auf einem
Invaliditätsgrad von 62 % eine halbe und mit Inkrafttreten der 4. IV-Revision
ab 1. Januar 2004 eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung. Auf ein
erstes Revisionsbegehren trat die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung
vom 26. Juli 2004 nicht ein. Mit Entscheid vom 29. April 2005 wurde die
Einsprache abgewiesen, inhaltlich aber eine materielle Prüfung vorgenommen und
das Revisionsbegehren abgelehnt, was letztinstanzlich vom Eidgenössischen
Versicherungsgericht (heute Bundesgericht) mit Urteil vom 22. März 2006
bestätigt wurde.
A.b Am 11. Mai 2006 ersuchte S.________ unter Hinweis auf eine Verschlechterung
seines Gesundheitszustandes erneut um Rentenrevision, was die IV-Stelle mit
Verfügung vom 20. Dezember 2006 ablehnte.

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die hiegegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 25. März 2008 ab.

C.
S.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, der angefochtene Entscheid
sei aufzuheben und ihm sei eine ganze Rente zuzusprechen; eventuell sei das
Verfahren zu weiteren Abklärungen zurückzuweisen. Zudem ersucht er um
unentgeltlichen Rechtspflege.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für
Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.

D.
Mit Verfügung vom 27. Juni 2008 wies das Bundesgericht das Gesuch von
S.________ um unentgeltliche Rechtspflege mangels Bedürftigkeit ab.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann nach Art. 95
lit. a BGG die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von
Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG).

2.
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf eine ganze statt der seit 1.
Januar 2004 ausgerichteten Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung hat. Das
kantonale Gericht hat die zur Beurteilung dieses Anspruchs einschlägigen
Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig ist
insbesondere, dass bei der Rentenrevision (auf Gesuch hin oder von Amtes wegen)
zeitlicher Ausgangspunkt für die Beurteilung einer anspruchserheblichen
Änderung des Invaliditätsgrades nicht mehr die ursprüngliche Rentenverfügung,
sondern die letzte rechtskräftige Verfügung ist, welche auf einer materiellen
Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung,
Beweiswürdigung und Durchführung eines Einkommensvergleichs beruht (BGE 133 V
108 E. 5 S. 110 f.; hier: Einspracheentscheid vom 29. April 2005). Zu ergänzen
ist, dass nach ständiger Rechtsprechung das Sozialversicherungsgericht bei der
Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses
der streitigen Verfügung (hier: 20. Dezember 2006) eingetretenen Sachverhalt
abstellt (BGE 131 V 242 E. 2.1 S. 243 mit Hinweisen).

3.
Es stellt sich zunächst die Frage, ob sich der Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers und das damit verbundene Ausmass der ihm trotz
gesundheitlichen Beschwerden verbliebenen Arbeitsfähigkeit in der Zeit vom 29.
April 2005 bis 20. Dezember 2006 (siehe E. 2) verschlechtert hat oder nicht.

3.1 Das kantonale Gericht hat in einlässlicher Würdigung der medizinischen
Akten als erstes festgestellt, dass in somatischer Hinsicht keine wesentliche
Verschlechterung des Gesundheitszustandes ausgewiesen ist. Zwar deuten
sämtliche Arztberichte seit Jahren darauf hin, dass die gesundheitlichen
Folgeerscheinungen der Zuckerkrankheit zugenommen hätten und sich damit der
Gesundheitszustand verschlechtert habe. Die vorinstanzlichen
Tatsachenfeststellungen zum Gesundheitszustand aus somatischer Sicht werden vom
Beschwerdeführer indessen nicht in Frage gestellt, sodass sich dazu Weiterungen
erübrigen, zumal die Sache ohnehin zur Einholung einer interdisziplinären
Expertise an die Verwaltung zurückgewiesen wird (siehe E. 3.4).

3.2 Hingegen bringt der Versicherte im Wesentlichen gestützt auf den Bericht
des Medizinischen Zentrums Y.________ vom 15. Januar 2007 vor, der
Gesundheitszustand habe sich insofern verschlechtert, als sich zu den
leistungsmindernden ausgewiesenen Folgeerscheinungen der Zuckerkrankheit
(schwere sensomotorische Polyneuropathie mit Angiopathie, diabetische
Retinopathie) und der degenerativen Wirbelsäulenveränderung neu psychische
Beschwerden gesellt hätten. Bereits Dr. med. C.________, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie, hat in seinem Bericht vom 16. Januar 2005 auf
subjektiv wahrgenommene Beschwerden wie gestörter Schlaf, Unsicherheit,
Schmerzen, Mühe sich zu konzentrieren sowie Gereiztheit hingewiesen. Ohne eine
eigentliche Diagnose zu stellen, bezeichnet er eine nichtorganische Insomnie
(ICD-10: F51.0) und und eine Anspassungsstörung (ICD-10: F43.23) als im
Vordergrund stehend. Im Bericht des Medizinischen Zentrums Y.________ vom 15.
Januar 2007 wird nun neu und erstmals die Diagnose einer schweren depressiven
Episode (ICD-10: F32.1 [recte F32.2]) gestellt. Zwar datiert der Bericht nach
Verfügungserlass (20. Dezember 2006); er beruht indessen auf einer
tagesklinischen Behandlung vom 13. November 2006 bis 15. Januar 2007, weshalb
er ohne Weiteres Rückschlüsse auf die am 20. Dezember 2006 bestehende Situation
erlaubt und daher in die Beurteilung miteinzubeziehen ist (vgl. BGE 121 V 362
E. 1b in fine S. 366).

3.3 Trotz der in E. 3.2 dargelegten neu hinzu getretenen, einer anderen
psychiatrischen Diagnose zugeordneten psychischen Beschwerden verneint das
kantonale Gericht eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes auch in
psychischer Hinsicht. Es erachtet die von den Ärzten des Medizinischen Zentrums
Y.________ gestellte Diagnose einer schweren depressiven Episode aufgrund des
im Bericht erhobenen Tagesablaufes des Beschwerdeführers als nur schwerlich
nachvollziehbar. Zudem habe die Depression während des Aufenthaltes im
Medizinischen Zentrum Y.________ reduziert werden können, sodass von einer
anhaltenden, invalidenversicherungsrechtlich relevanten psychischen
Beeinträchtigung nicht auszugehen sei. Diese Begründung hält einer Überprüfung
unter dem in E. 1 genannten Blickwinkel nicht stand:
3.3.1 Die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln
nach Art. 61 lit. c ATSG ist Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397
ff.; Urteil 8C_18/2007 vom 1. Februar 2008, E. 1.2.3). Die konkrete
Beweiswürdigung wie auch die antizipierte Beweiswürdigung (als Teil derselben;
in BGE 133 III 638 nicht publizierte E. 3 des Urteils 5A_453/2007 vom 3.
Oktober 2007) betreffen Tatfragen, die das Bundesgericht lediglich auf
offensichtliche Unrichtigkeit und Rechtsfehlerhaftigkeit hin zu überprüfen
befugt ist (Art. 105 Abs. 2 BGG). Unter diesem Blickwinkel hält ein Verzicht
der Vorinstanz auf weitere Beweisvorkehren aufgrund antizipierter
Beweiswürdigung etwa dann nicht stand, wenn die Sachverhaltsfeststellung
unauflösbare Widersprüche enthält (vgl. BGE 124 II 103 E. 1a S. 105; in BGE 126
III 431 nicht publ. E. 4c/bb des Urteils 5P.119/2000 vom 24. Juli 2000) oder
wenn eine entscheidwesentliche Tatsache auf unvollständiger Beweisgrundlage -
beispielsweise ohne Beizug des notwendigen Fachwissens unabhängiger Experten/
Expertinnen, obwohl im Einzelfall unabdingbar - beantwortet wird (vgl. etwa BGE
132 III 83 E. 3.5 S. 88; SVR 2007 IV Nr. 39 S. 132 E. 3.3 f., I 1051/06).
3.3.2 Die Diagnose einer schweren depressiven Episode wurde von Fachärzten
gestellt. Bei den Akten findet sich weder eine davon abweichende (fach-)
ärztliche Stellungnahme noch eine solche des RAD. Die Vorinstanz kann ihre
Schlussfolgerungen mithin nicht auf ärztliches Fachwissen stützen, sondern
leitet sie aus den in E 3.3 dargelegten Überlegungen ab. Allein mit dem Hinweis
auf den Tagesablauf lässt sich indessen eine fachärztlich gestellte Diagnose
nicht entkräften. Dazu bedarf es zumindest einer begründet davon abweichenden -
ebenfalls fachärztlichen - Beurteilung. Der Beizug des notwendigen Fachwissens
ist in der hier zu beurteilenden Konstellation mithin unabdingbar (E. 3.3.1).
Aus dem im Bericht enthaltenen Hinweis, der Beschwerdeführer habe am 15. Januar
2007 gebessert aus der Behandlung entlassen werden können, kann nicht
geschlossen werden, die Depression sei verschwunden. Gegenteils weisen die
Ärzte ausdrücklich darauf hin, dass aufgrund der Schwere der Problematik eine
Weiterbehandlung indiziert sei. Wie weit die schwere depressive Episode während
des Klinikaufenthaltes reduziert werden konnte, ist im Übrigen ohne Belang,
lässt doch eine psychiatrische Diagnose für sich allein genommen ohnehin keinen
Schluss auf eine gesundheitlich bedingte Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit
zu (vgl. BGE 132 V 65 E. 3.4 S. 69). Bei einer depressiven Episode, sei sie nun
schwer oder mittelschwer, kann eine invalidisierende Wirkung entgegen der
Auffassung der Vorinstanz auch nicht a priori von der Hand gewiesen werden.
Nach ständiger Rechtsprechung ist in aller Regel zur Abklärung der
invalidisierenden Wirkung, insbesondere hinsichtlich der hier im Raum stehenden
psychischen Komorbidität (medikamentös behandelte Depressivität), eine
fachärztliche psychiatrische Expertisierung angezeigt (siehe dazu BGE 130 V 352
E. 2.2 S. 353 f.).

3.4 Die Feststellung der Vorinstanz, in psychischer Hinsicht liege keine
Verschlechterung des Gesundheitsschadens vor, verletzt nach dem Gesagten
Bundesrecht, weshalb das Bundesgericht nicht daran gebunden ist. Da sich der
Bericht des Medizinischen Zentrums Y.________ im Übrigen weder zur
invalidisierenden Wirkung der psychischen Beschwerden noch zu deren
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht äussert, fällt
eine abschliessende Beurteilung ausser Betracht. Über das Revisionsgesuch lässt
sich - entgegen dem Antrag des Beschwerdeführers - mithin nicht materiell
urteilen, weshalb die Sache zur Einholung eines (in erster Linie
psychiatrischen) Gutachtens an die Verwaltung zurückzuweisen ist. Wirken - wie
hier - physische und psychische Beschwerden zusammen, ist die Expertise
interdisziplinär anzulegen (vgl. Urteil 8C_168/2008 vom 11. August 2008 E.
6.2.2 mit Hinweisen).

4.
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. März 2008 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 20. Dezember 2006 werden
aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen,
damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über das
Rentenrevisionsgesuch neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. September 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Maillard