Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 380/2008
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_380/2008

Urteil vom 30. Oktober 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

Parteien
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________, Beschwerdegegner,
vertreten durch Fürsprecher Marco Büchel, Freudenbergstrasse 24, 9240 Uzwil.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 6. März 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a Mit Verfügung vom 24. Oktober 2002 sprach die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen A.________, geboren 1953, aufgrund eines Invaliditätsgrades von 63 % ab
Dezember 2001 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu. Am 3. Januar 2003
ersuchte A.________ um Erhöhung der Rente, da sich sein Gesundheitszustand
verschlechtert habe. Nachdem ein vom Ärztlichen Begutachtungsinstitut GmbH
(ABI) am 12. September erstattetes Gutachten eine Leistungseinschränkung von
höchstens 10 % ergeben hatte, stellte die IV-Stelle die Ausrichtung der Rente
mit Verfügung vom 26. Juli 2004 revisionsweise auf Ende August 2004 ein, woran
sie mit Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2004 festhielt. Das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die hiegegen eingereichte
Beschwerde mit Entscheid vom 15. September 2005 gut und hob den
Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2004 auf. Das Gericht erachtete die
Voraussetzungen, unter denen auf die rentenzusprechende Verfügung vom 24.
Oktober 2002 zurückgekommen werden dürfe, als nicht gegeben. In den Erwägungen
hielt es u.a. fest, da die Rente auf einem IV-Grad von 63 % ausgerichtet werde,
werde sich die IV-Stelle mit der Frage zu beschäftigen haben, ob nach der 4.
IV-Revision eine Dreiviertelsrente nachzuzahlen sei. Dieser Entscheid ist in
Rechtskraft erwachsen.
A.b Am 21. Februar 2006 ersuchte A.________ um Ausrichtung einer
Dreiviertelsrente ab 1. Januar 2004. Mit Verfügung vom 17. August 2006 teilte
ihm die IV-Stelle mit, dass er bei einem Invaliditätsgrad von nunmehr 58 % ab
1. September 2004 Anspruch auf eine halbe Rente habe. Auf das Erhöhungsbegehren
trat die IV-Stelle mit Verfügung vom 4. September 2006 nicht ein.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die gegen die beiden
Verfügungen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 6. März 2008 gut, hob die
Verfügungen vom 17. August und 4. September 2006 auf und sprach A.________ ab
1. Januar 2004 eine Dreiviertelsrente zu.

C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid
sei aufzuheben und ihre Verfügung vom 17. August 2006 sei zu bestätigen. Es sei
festzustellen, dass A.________ Anspruch auf eine halbe Rente habe. Eventuell
sei die IV-Rente ganz einzustellen.

A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, während das Bundesamt
für Sozialversicherungen - unter Hinweis auf die Ausführungen der IV-Stelle -
deren Gutheissung beantragt.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann nach Art. 95
lit. a BGG die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von
Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG).

2.
Streitig ist die Höhe des Rentenanspruchs ab 1. Januar 2004.

2.1 Die von der Beschwerdeführerin als erstes aufgeworfene und von der
Vorinstanz verneinte Frage, ob sie überhaupt berechtigt war, eine
Rentenrevision durchzuführen, kann offen bleiben, ergibt doch ein korrekt
durchgeführter Einkommensvergleich (siehe E. 2.2.1 - 2.2.3), dass der
angefochtene Entscheid im Ergebnis (Anspruch auf eine Dreiviertelsrente)
richtig ist. Es erübrigt sich daher, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob
innerhalb eines Jahres seit Inkrafttreten der 4. IV-Revision am 1. Januar 2004
nebst Renten von weniger als 40 % einzig bestimmte ganze Renten (so Urteil
9C_285/2008 vom 18. August 2008 E. 2.2) oder auch laufende halbe Renten mit -
wie hier - einem Invaliditätsgrad von mindestens 60 % (so SVR 2006 IV Nr. 48 [I
586/04] S. 176 E. 2.2.2; vgl. auch Kreisschreiben über Invalidität und
Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [KSHI] vom 1. Januar 2004 [KSHI],
Rz. 10.011) voraussetzungslos einer Revision zu unterziehen sind.

2.2 Zwar finden sich im angefochtenen Entscheid keine Feststellungen zur Frage,
ob am 1. Januar 2004 die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die
Ausrichtung einer halben oder einer Dreiviertelsrente gegeben waren. Eine
Rückweisung an die Vorinstanz zur Ergänzung des Sachverhaltes erübrigt sich
indessen, da sich der Invaliditätsgrad anhand der vorhandenen Akten ohne
Weiteres ermitteln lässt:
2.2.1 Es ist unbestritten, dass sich der Gesundheitszustand des
Beschwerdegegners seit der ursprünglichen Rentenverfügung nicht verändert hat.
Es ist daher von einer um 50 % eingeschränkten Arbeitsfähigkeit auszugehen.
2.2.2 Das zeitmässig auf den Verhältnissen im Januar 2002 fussende,
betragsmässig unbestrittene Valideneinkommen von Fr. 62'400.- ist indessen -
wie der Beschwerdegegner zu Recht vorbringt - der seither eingetretenen
Nominallohnentwicklung anzupassen. 2002 betrug diese 1,8 % und 2003 1,4 % (Die
Volkswirtschaft 3/2007 S. 91 Tabelle B10.2), was ein im Gesundheitsfall
erzielbares Einkommen von Fr. 64'412.50 ergibt.
2.2.3 Beim Invalideneinkommen ist vom monatlichen Bruttolohn von Männern in
einfachen und repetitiven Tätigkeiten des privaten Sektors von Fr. 4588.-
gemäss der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2004 des Bundesamtes für
Statistik auszugehen (vgl. BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475 ff.). Daraus ergibt
sich bei einer betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 41,6 Stunden (Die
Volkswirtschaft a.a.O. S. 90 Tabelle B9.2) und einem zumutbaren Arbeitspensum
von 50 % Fr. 28'629.-. Bei einem wie von der IV-Stelle gewährten Leidensabzug
von 10 % resultiert ein Betrag von Fr. 25'766.-. Soweit der Beschwerdegegner
einen Leidensabzug von 20 % verlangt, ist darauf hinzuweisen, dass die
Gewährung des leidensbedingten Abzuges (vgl. dazu BGE 126 V 75) eine typische
Ermessensfrage ist, deren Beantwortung letztinstanzlicher Korrektur nur mehr
dort zugänglich ist, wo das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt worden ist, also
Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung vorliegt (BGE 132 V
393 E. 3.3 S. 399). Ob dies hier zutrifft, kann offen bleiben, da dies am
Ergebnis ohnehin nichts ändern würde.

2.3 Aus dem Vergleich der beiden hypothetischen Einkommen resultiert eine
Erwerbseinbusse von 59,99 %, was gerundet (siehe zum Runden BGE 130 V 121)
einen Invaliditätsgrad von 60 % ergibt. Der Beschwerdegegner hat somit ab 1.
Januar 2004 Anspruch auf eine Dreiviertelsrente. Im Ergebnis ist daher der
angefochtene Entscheid bundesrechtskonform.

3.
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. Oktober 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Borella Maillard