Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 368/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_368/2008

Urteil vom 11. September 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
Pensionskasse M.________ AG, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Advokat Dr. Hans-Ulrich Stauffer, Rümelinsplatz 14, 4001 Basel,

gegen

B.________, Deutschland, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Procap, Schweizerischer
Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten,

Personalvorsorgestiftung N.________ AG.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom
12. März 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1968 geborene B.________ war ab Juli 1999 vollzeitlich bei der Firma
A.________ AG angestellt und bei der Personalvorsorgestiftung N.________ AG
berufsvorsorgerechtlich versichert. Ab November 1999 reduzierte sie ihr
Arbeitspensum auf 80 Prozent. Die Arbeitgeberin löste das Arbeitsverhältnis auf
Ende Mai 2001 auf. Nach einer Arbeitslosigkeit war B.________ von Oktober 2001
bis März 2002 in einem Pensum von 60 Prozent bei der Firma S.________ AG
beschäftigt und im Rahmen dieser Anstellung bei der Pensionskasse M.________ AG
versichert.

Am 22. November 2001 beantragte B.________ eine Rente der
Invalidenversicherung. Nach Abklärungen sprach die IV-Stelle für Versicherte im
Ausland B.________ bei einem Invaliditätsgrad von 75 % ab 1. Februar 2003 eine
ganze Invalidenrente zu. Sowohl die Pensionskasse M.________ AG (Schreiben vom
28. Februar 2005 und 7. August 2006) als auch die Personalvorsorgestiftung
N.________ AG (vertreten durch die Swiss Life, Schreiben vom 16. März 2005)
verneinten eine Leistungspflicht mit der Begründung, die Arbeitsunfähigkeit,
deren Ursache zur Invalidität geführt habe, sei schon vor Eintritt in die
jeweilige Vorsorgeeinrichtung eingetreten.

B.
Am 23. Januar 2007 liess B.________ Klage erheben und beantragen, die
Pensionskasse M.________ AG sei zu verurteilen, ihr ab 15. Februar 2003 eine
Invalidenrente gemäss den gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen nebst
Verzugszins von 5 % spätestens ab dem Zeitpunkt der Klageeinreichung zu
bezahlen. Die Pensionskasse M.________ AG liess die Abweisung der Klage
beantragen. Die Personalvorsorgestiftung N.________ AG wurde zum Verfahren
beigeladen. Nach Abklärungen und Durchführung eines zweifachen
Schriftenwechsels hiess das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt mit
Entscheid vom 12. März 2008 die Klage gut.

C.
Die Pensionskasse M.________ AG lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten führen und beantragen, der Entscheid vom 12. März 2008 sei
aufzuheben und die Klage gegen sie abzuweisen.

B.________ beantragt die Bestätigung des angefochtenen Entscheids; ferner lässt
sie um unentgeltliche Rechtspflege ersuchen. Die Personalvorsorgestiftung
N.________ AG schliesst sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde. Das kantonale
Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
Anspruch auf Invalidenleistungen haben Personen, die im Sinne der
Invalidenversicherung zu mindestens 50 resp. 40 Prozent invalid sind und bei
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat,
versichert waren (Art. 23 BVG in der bis 31. Dezember 2004 resp. ab 1. Januar
2005 gültigen Fassung). Der Anspruch entsteht gegenüber jener
Vorsorgeeinrichtung, welcher die Person beim Eintritt der Arbeitsunfähigkeit,
deren Ursache zur Invalidität geführt hat, angehört hatte. Ist die Invalidität
erst nach Beendigung des Vorsorgeverhältnisses eingetreten, ist ein enger
sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen Arbeitsunfähigkeit und
Invalidität erforderlich (BGE 130 V 270 E. 4.1 S. 275).

Die Arbeitsunfähigkeit ist relevant, wenn sie mindestens 20 % beträgt (Urteil
9C_772/2007 vom 26. Februar 2008 E. 3.2; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts
B 48/97 vom 7. Oktober 1998 E. 1) und sich auf das Arbeitsverhältnis sinnfällig
auswirkt oder ausgewirkt hat. Es muss arbeitsrechtlich in Erscheinung treten,
dass der Versicherte im bisherigen Beruf (BGE 134 V 20 E. 5.3 S. 27) an
Leistungsvermögen eingebüsst hat, so etwa durch einen Abfall der Leistungen mit
entsprechender Feststellung oder gar Ermahnung des Arbeitgebers oder durch
gehäufte, gesundheitlich bedingte Arbeitsausfälle. Eine erst nach Jahren
rückwirkend festgelegte medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit genügt
nicht (E. 4.2 des in SZS 2003 S. 434 zusammengefassten Urteils B 13/01 vom 5.
Februar 2003; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 86/01 vom 28. Juli 2003
E. 5.3). Vielmehr muss der Zeitpunkt des Eintritts der berufsvorsorgerechtlich
relevanten Arbeitsunfähigkeit mit dem im Sozialversicherungsrecht üblichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360 mit
Hinweisen) echtzeitlich nachgewiesen sein. Dieser Nachweis darf nicht durch
nachträgliche Annahmen und spekulative Überlegungen ersetzt werden (Urteile
9C_96/2008 vom 11. Juni 2008 E. 2.2 und B 157/06 vom 25. Oktober 2007 E. 2.2).

3.
3.1 Nach den Feststellungen der Vorinstanz ist die massgebende
Arbeitsunfähigkeit während des Vorsorgeverhältnisses mit der Beschwerdeführerin
eingetreten. Die Versicherte leide zwar seit Jahren an schweren psychischen
Störungen. Bereits 1997 sei sie deshalb während dreier Monate stationär
behandelt worden. Anschliessend habe sie ihre Tätigkeit bis Juni 1999
fortgesetzt, ohne dass eine wesentliche Arbeitsunfähigkeit bestanden habe. Zu
der Jahre später eingetretenen Invalidität fehle daher ein zeitlicher
Zusammenhang. Zwischen Juli 1999 und September 2001 sei die Versicherte
zunächst bei der Firma A.________ AG angestellt und ab Juni 2001 kurze Zeit
arbeitslos gewesen. Vom 10. Oktober bis 31. Dezember 2000 sei sie aus
krankheitsbedingten Gründen der Arbeit ferngeblieben. Danach habe sie ihre
Tätigkeit wieder aufgenommen, bis ihr per 31. Mai 2001 wegen einer
Umstrukturierung gekündigt worden sei. Damit fehle es ebenfalls an einem
zeitlichen Konnex zwischen der nicht ganz dreimonatigen Arbeitsunfähigkeit und
der späteren Invalidität. Nach Antritt der neuen Arbeitsstelle bei der Firma
S.________ im Oktober 2001 habe Dr. med. O.________ am 10. Dezember 2001 eine
gravierende Arbeitsunfähigkeit ausgewiesen. Die Psychiater Dres. med.
I.________ und H.________ hätten in den Gutachten vom 27. Juni 2003 resp. 19.
September 2006 den Beginn auf Februar resp. März 2002 festgesetzt und damit
bestätigt, dass die relevante Arbeitsunfähigkeit während des
Vorsorgeverhältnisses bei der Beschwerdeführerin eingetreten sei. Dr. med.
O.________ habe im Bericht vom 18. September 2007 angegeben, die Versicherte
habe im November 1999 auf seine Empfehlung hin ihr Arbeitspensum auf 80 %
reduziert. Dabei handle es sich um einen ärztlichen Rat, eine
Arbeitsunfähigkeit sei damit aber jedenfalls nicht attestiert worden. Es sei
nicht auszuschliessen, dass die Versicherte ihr Arbeitspensum freiwillig
reduziert habe. Im Übrigen enthielten weder die schriftlichen Angaben im
Arbeitgeberfragebogen vom 23. Januar 2002 noch die Aussagen ehemaliger
Mitarbeiter vor Gericht Hinweise darauf, dass die Versicherte bereits während
der Anstellung bei der Firma A.________ AG arbeitsunfähig war und blieb.

3.2 Die Beschwerdeführerin rügt eine offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung. Die invalidisierende Arbeitsunfähigkeit sei mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht während des Vorsorgeverhältnisses mit
der Beschwerdeführerin, sondern spätestens im Oktober 2000 eingetreten. Der
zeitliche Zusammenhang der bis 31. Dezember 2000 dauernden Arbeitsunfähigkeit
mit der späteren Invalidität sei durch die fünfmonatige Arbeitstätigkeit nicht
unterbrochen worden. Die Versicherte sei in deren Folge nie mehr vollzeitlich
tätig gewesen; sie habe ihr Arbeitspensum aus gesundheitlichen Gründen auf 80
resp. 60 % reduziert.

4.
4.1 Die Verfügung betreffend die IV-Rente wurde den beteiligten
Vorsorgeeinrichtungen nicht eröffnet. Die Vorinstanz hat daher zutreffend
dargelegt, dass keine Bindung an die Feststellungen der Organe der
Invalidenversicherung hinsichtlich des Eintritts der invalidisierenden
Arbeitsunfähigkeit besteht (BGE 130 V 270 E. 3.1 S. 273).

4.2 Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich
unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und
augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Eine offensichtlich
unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf
(Botschaft des Bundesrates vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4338; Markus Schott, Basler Kommentar, N 9 f.
zu Art. 97 BGG; Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz BGG, Bern
2007, N 14 zu Art. 97 BGG). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit
vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese
als die plausiblere erschiene (Urteil 9C_570/2007 vom 5. März 2008 E. 4.2).
Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa dann offensichtlich unrichtig, wenn das
kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich
falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang
des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den
abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat (BGE 129 I 8 E. 2.1 S.
9).

4.3 Von offensichtlicher Unrichtigkeit der vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen kann vorliegend nicht gesprochen werden. Zwar mögen
gesundheitliche Gründe ausschlaggebend für die Reduktion des Arbeitspensums ab
November 1999 gewesen sein. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, dass die
Vorinstanz mangels einer echtzeitlichen ärztlichen Bestätigung in der
Arbeitszeitreduktion noch keine Arbeitsunfähigkeit erblickt hat. Eine solche
ist vom 10. Oktober bis 31. Dezember 2000 und ab 10. Dezember 2001 hinlänglich
nachgewiesen (E. 2.1). Dazwischen liegen fast 12 Monate, während welcher die
Beschwerdegegnerin zunächst ihre bisherige teilzeitliche Arbeitstätigkeit
wieder aufnahm. Sinnfällige Auswirkungen der gesundheitlichen Beschwerden auf
das Arbeitsverhältnis sind trotz diesbezüglicher Abklärungen der IV-Stelle und
der Vorinstanz nicht aktenkundig. Nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses bezog
die Versicherte vorübergehend als "Vollarbeitsfähige" Arbeitslosengeld, was in
Bezug auf den zeitlichen Konnex ebenfalls zu berücksichtigen ist (vgl. Urteil
9C_249/2007 vom 6. Dezember 2007 E. 5.2.2 mit Hinweisen). Schliesslich fehlt
für die fragliche Zeit eine echtzeitliche ärztliche Bescheinigung einer
Arbeitsunfähigkeit. Die Vorinstanz hat daher nicht Bundesrecht verletzt oder
den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt, wenn sie den zeitlichen
Zusammenhang zwischen der 2000 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit und der
späteren Invalidität verneint hat. Dass die insbesondere darauf und auf den
Bericht des Dr. med. O.________ vom 10. Dezember 2001 gestützte Feststellung,
die massgebende Arbeitsunfähigkeit sei während des Vorsorgeverhältnisses mit
der Beschwerdeführerin eingetreten, auf einer Rechtsverletzung beruht, ist
nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht.

Letztlich stellt die Beschwerdeführerin den bestrittenen Feststellungen des
kantonalen Gerichts lediglich einen nach eigener Auffassung richtigen
Sachverhalt gegenüber, was hinsichtlich der Begründungspflicht nicht genügt
(vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG; Urteil 9C_570/2007 vom 5. März 2008 E. 4.3; Urteil
4A_28/2007 vom 30. Mai 2007 E. 1.3 [in BGE 133 III 421 nicht publiziert]). Die
Beschwerde ist unbegründet.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der obsiegenden und anwaltlich
vertretenen Beschwerdegegnerin hat sie zudem eine Parteientschädigung zu
bezahlen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Deren Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist
demzufolge gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. September 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin:

Borella Dormann