Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 355/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}9C_355/2008

Urteil vom 23. September 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
B.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch lic. iur. M.________,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 3. März 2008.

Sachverhalt:

A.
Gemäss Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 13. Juni 2001 bezog
der 1956 geborene B.________ seit 1. April 1996 eine halbe Invalidenrente.
Gestützt auf eine Expertise des Begutachtungsinstituts X.________ vom 10. Juli
2002 hob die IV-Stelle des Kantons Zürich die halbe Rente mit Verfügung vom 30.
Oktober 2003 auf Ende November 2003 auf. Mit Schreiben vom 10. November 2005
meldete sich der Versicherte unter Hinweis auf die Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes erneut zum Bezug einer Invalidenrente an. Nach Einholung
verschiedener Arztberichte lehnte die IV-Stelle nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens das Rentengesuch ab, weil seit der Aufhebung der
Invalidenrente keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten sei
(Verfügung vom 20. September 2006).

B.
Die von B.________ hiegegen eingereichte Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 3. März 2008
ab.

C.
B.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit den Anträgen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die
Sache zu ergänzenden Abklärungen und neuer Entscheidung an das kantonale
Gericht oder die Verwaltung zurückzuweisen; eventuell sei ihm ab November 2005
eine Viertelsrente der Invalidenversicherung zuzusprechen. Ferner ersucht er um
die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Der Beschwerdeführer behauptet, die Rentenaufhebungsverfügung vom 30. Oktober
2003 nie erhalten zu haben, leitet aus diesem Umstand jedoch nichts zu seinen
Gunsten ab. Vielmehr hat er in der Beschwerde an die Vorinstanz ausdrücklich
die Richtigkeit des von der IV-Stelle in der erwähnten Verfügung für das Jahr
2003 ermittelten Invaliditätsgrades von 38 % anerkannt. Wie es sich mit der
Zustellung der Verfügung vom 30. Oktober 2003 tatsächlich verhalten hat,
braucht daher im vorliegenden Verfahren nicht geprüft zu werden.

3.
Streitig ist, ob die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der IV-Stelle zu Recht
den vom Versicherten am 10. November 2005 im Rahmen einer Neuanmeldung geltend
gemachten Anspruch auf eine Invalidenrente abgewiesen hat.

3.1 Das kantonale Gericht hat gemäss Art. 87 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 87
Abs. 3 IVV, der hiezu ergangenen Rechtsprechung (BGE 130 V 71) sowie aufgrund
der nach der Neuanmeldung eingeholten Arztberichte (u.a. des Hausarztes Dr.
med. K.________ vom 22. November und 6. Dezember 2005 sowie die des Dr. med.
S.________, Klinik Y.________, vom 29. März 2006) einen Rentenanspruch
verneint, weil sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers seit der
Rentenaufhebung im Oktober 2003 nicht verschlimmert habe und ihm in einer
angepassten Tätigkeit unverändert eine volle Arbeitsfähigkeit zumutbar wäre.
Der Versicherte wendet ein, die Vorinstanz habe den von ihm im kantonalen
Verfahren eingereichten Untersuchungsbericht des Psychiaters Dr. med.
W.________ vom 24. April 2007 mit keinem Wort erwähnt. Dieser Arzt habe
festgestellt, dass sich im Verlaufe der letzten Jahre zunehmend eine depressive
Symptomatik entwickelt habe und zur Zeit eine schwere Depression vorliege.

3.2 Der Bericht des Psychiaters Dr. med. W.________ datiert vom 24. April 2007
und basiert auf Untersuchungen vom 29. März und 24. April 2007. Obwohl der
Bericht nach Erlass der Ablehnungsverfügung (vom 20. September 2006) erstattet
wurde, welche die zeitliche Grenze für die richterliche Beurteilung bildet (BGE
130 V 138 E. 2.1 S. 140 mit Hinweisen), ist die psychiatrische Beurteilung im
vorliegenden Fall in die Würdigung miteinzubeziehen. Denn Tatsachen, die sich
erst später verwirklichen, sind insoweit zu berücksichtigen, als sie geeignet
sind, die Beurteilung im Zeitpunkt des Verfügungserlasses zu beeinflussen (BGE
99 V 102 mit Hinweisen). Dies trifft auf die fachärztlichen Angaben des Dr.
med. W.________ zu, bezieht sich dieser doch nicht nur auf die Daten der
Untersuchungen, sondern einen längeren, zehn Jahre umfassenden Zeitraum und die
in dessen Verlauf aufgetretenen schweren Schmerzzustände.

3.3 Die Vorinstanz hat den Bericht des Dr. med. W.________ vom 24. April 2007,
welcher sich einlässlich zum psychischen Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers äussert, mit keinem Wort erwähnt und sich stattdessen
lediglich mit den Arztberichten auseinandergesetzt, die zur somatischen Seite
des Gesundheitsschadens Stellung nehmen. Damit hat sie den Anspruch des
Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt, dessen Bestandteil auch die
Begründungspflicht bildet (BGE 124 V 180 E. 1a S. 181 mit Hinweisen). Zwar
trifft es zu, dass der Hausarzt Dr. med. K.________ nicht selber eine
psychiatrische Diagnose mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit gestellt hat
(wozu er als Nicht-Psychiater auch nicht berufen wäre), doch hat er immerhin
den Beschwerdeführer an einen Psychiater überwiesen. Indem das
Sozialversicherungsgericht sich mit dem neu aufgelegten, einen wesentlichen
Aspekt des Gesundheitsschadens beleuchtenden Beweismittel in keiner Weise
befasst und damit zum psychiatrischen Befund keine Aussage gemacht hat, hat es
überdies den rechtserheblichen Sachverhalt unvollständig festgestellt und
dadurch eine Rechtsverletzung nach Art. 95 lit. a BGG begangen, weshalb das
Bundesgericht nicht an die vorinstanzlichen Ausführungen tatsächlicher Natur
gebunden ist. Da die Angaben des Psychiaters Dr. med. W.________ keine
abschliessende Beurteilung der Entwicklung des Gesundheitszustandes und des
Grades der Arbeitsunfähigkeit erlauben, vielmehr weitere medizinische
Abklärungen angezeigt sind, ist die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Diese wird die erforderlichen Sachverhaltsergänzungen vornehmen und gestützt
auf deren Ergebnisse über den Rentenanspruch neu verfügen.

4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche
Prozessfügung ist damit gegenstandlos. Die Beschwerdegegnerin hat dem
obsiegenden Beschwerdeführer überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. März 2008 und die
Verwaltungsverfügung vom 20. September 2006 aufgehoben. Die Sache wird an die
IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit diese, nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons Zürich
auferlegt.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2000.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. September 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer