Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 330/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_330/2008

Urteil vom 4. September 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt G.________,

gegen

Winterthur-Columna Sammelstiftung BVG Bern, Paulstrasse 9, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 18. März 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1954 geborene M.________ war über seine damalige Arbeitgeberin bei der
Winterthur-Columna Sammelstiftung BVG Bern (nachfolgend: Winterthur-Columna)
berufsvorsorgerechtlich versichert, als er am 24. Juni 2001 bei einen
Motorradunfall u.a. eine Thoraxkontusion und Rippenbrüche erlitt. In der Folge
blieb er im Umfang von 100 resp. 50 Prozent arbeitsunfähig. Die Arbeitgeberin
löste das Arbeitsverhältnis auf den 28. Februar 2002 auf.

Nach erfolgter Anmeldung zum Leistungsbezug und Abklärungen sprach die
IV-Stelle des Kantons Solothurn M.________ bei einem Invaliditätsgrad von 63 %
ab 1. Juni 2002 eine halbe Invalidenrente und ab 1. Januar 2004 eine
Dreiviertelsrente zu. Die Winterthur-Columna verneinte mit Schreiben vom 6.
September 2006 eine Leistungspflicht mit der Begründung, die Arbeitsfähigkeit
aus Sicht der Unfallfolgen sei als 100 % taxiert worden und aus der
Rentenverfügung der IV-Stelle sei ersichtlich, dass seit 24. Juni 2002 zudem
unfallfremde Leiden vorlägen.

B.
Am 6. November 2006 liess M.________ beim Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn Klage erheben und beantragen, die Winterthur-Columna sei zur Leistung
einer halben Invaliditätsrente ab 24. Juni 2001 und einer Dreiviertelsrente ab
1. Januar 2004 an ihn zu verpflichten, vorbehältlich allfälliger
Koordinationsbestimmungen gemäss Gesetz und einschlägigem Reglement. Die
Winterthur-Columna beantragte die vollumfängliche Abweisung der Klage. Nach
Abklärungen und Durchführung eines zweifachen Schriftenwechsels wies das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 18. März 2008 die
Klage ab.

C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, der Entscheid vom 18. März 2008 sei aufzuheben und die
Winterthur-Columna sei zu verpflichten, ihm eine halbe Invaliditätsrente ab 24.
Juni 2001 und eine Dreiviertelsrente ab 1. Januar 2004 zu bezahlen. Ferner
lässt er um unentgeltliche Rechtspflege ersuchen.
Die Winterthur-Columna und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der
Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann
nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG).

2.
Anspruch auf Invalidenleistungen aus beruflicher Vorsorge haben Personen, die
im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens 50 resp. 40 Prozent invalid
sind und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität
geführt hat, versichert waren (Art. 23 BVG in der bis 31. Dezember 2004 gültig
gewesenen resp. Art. 23 lit. a in der ab 1. Januar 2005 gültigen Fassung).

Der Leistungsanspruch gegenüber einer Vorsorgeeinrichtung, der ein Arbeitnehmer
beim Eintritt der Arbeitsunfähigkeit angeschlossen war, für das erst nach
Beendigung des Vorsorgeverhältnisses eingetretene Invaliditätsrisiko setzt
voraus, dass zwischen Arbeitsunfähigkeit (zum Begriff vgl. SZS 2003 S. 521) und
Invalidität ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Die - im
hier zu beurteilenden Fall allein strittige - hinreichende sachliche Konnexität
ist zu bejahen, wenn der Gesundheitsschaden, wie er der Invalidität zugrunde
liegt, im Wesentlichen bereits Ursache der früheren Arbeitsunfähigkeit war (BGE
123 V 262 E. 1c S. 265, 120 V 112 E. 2c/aa und bb S. 117 f.).

3.
Nach Auffassung des kantonalen Gerichts fehlt es am sachlichen Zusammenhang
zwischen der ursprünglichen Arbeitsunfähigkeit und der heutigen
rentenbegründenden Invalidität. Wohl sei der Versicherte arbeitsunfähig
gewesen, als er noch der Winterthur-Columna angehört habe, dies sei jedoch
allein auf die Rippenfrakturen zurückzuführen gewesen. Gemäss Gutachten des
Spitals Y.________ vom 24. Oktober 2002 seien die Frakturen verheilt und hätten
keinen Einfluss mehr auf die Arbeitsfähigkeit, ausserdem könnten auch die
degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule die Beschwerden nicht erklären,
weshalb nunmehr vom Vorliegen einer Schmerzfehlverarbeitung auszugehen sei.
Gegenwärtig werde der Versicherte einzig dadurch limitiert. Die Schmerzstörung
sei erstmals anlässlich der Begutachtung und damit Monate nach Beendigung des
Vorsorgeverhältnisses diagnostiziert worden. Sollte die Schmerzstörung schon
früher bestanden haben, so habe sie jedenfalls bis Ende März 2002 keine
Arbeitsunfähigkeit verursacht. Auch eine massgebliche Bedeutung der
Rippenfrakturen für die Genese der Schmerzstörung ändere nichts daran, dass -
was ausschlaggebend sei - der (sekundäre) psychische Gesundheitsschaden nicht
identisch sei mit dem ursprünglichen organischen Leiden.

4.
4.1 Da die Rentenverfügung der Invalidenversicherung der Vorsorgeeinrichtung
nicht eröffnet wurde, stellt sich vorliegend die Frage nach einer allfälligen
Bindungswirkung nicht (vgl. BGE 132 V 1 E. 3.3.2 S. 5).

4.2 Nach nicht offensichtlich unrichtiger und unbestrittener Feststellung der
Vorinstanz liegt der Invalidität nunmehr ausschliesslich eine Schmerzstörung
zugrunde. Diese gesundheitliche Beeinträchtigung ist ein eigenständiges Leiden
und klar zu unterscheiden von den insbesondere auf Rippenbrüchen beruhenden
somatischen Beschwerden (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 9/06 vom
21. November 2006 E. 4.2 in fine), welche in den ersten Monaten nach dem Unfall
im Vordergrund standen und nach ebenfalls unbestrittener vorinstanzlicher
Feststellung (spätestens) seit dem 24. Oktober 2002 keinen Einfluss mehr auf
die Arbeitsfähigkeit haben. Zwar mag der Unfall vom 24. Juni 2001 als Auslöser
aller gesundheitlicher Probleme des Beschwerdeführers gelten; ausschlaggebend
ist jedoch einzig, ob der aktuelle, invalidisierende psychische
Gesundheitsschaden auch Ursache einer Arbeitsunfähigkeit während des
Vorsorgeverhältnisses war (E. 2). Dieses dauerte - unter Berücksichtigung der
Nachdeckungsfrist von Art. 10 Abs. 3 BVG - bis 31. März 2002.

4.3 Weiter ist die vorinstanzliche Feststellung, wonach die Schmerzstörung
jedenfalls bis Ende März 2002, sollte sie damals schon bestanden haben, keine
Arbeitsunfähigkeit verursacht habe, weder offensichtlich unrichtig, noch beruht
sie auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG. Zwar hat der
SUVA-Kreisarzt anlässlich der Untersuchung vom 19. Februar 2002 festgestellt,
dass die Rippenbrüche durch Kallus bereits weitgehend konsolidiert seien. Es
seien jetzt deutliche Symptomausweitungen mit Schmerzhaftigkeit des ganzen
Schultergürtels und Nackens, aber auch Ausstrahlungen gegen die Beine zu
beklagen. Das im Rahmen eines stationären Aufenthaltes in der Rehaklinik
X.________ am 15. März 2002 zwecks Abklärung des Verdachts einer depressiven
Entwicklung durchgeführte psychiatrische Konsilium hat jedoch zum Ergebnis
geführt, eine psychische Störung liege nach den bisherigen Erkenntnissen nicht
vor. Gemäss Austrittsbericht vom 16. Mai 2002 blieben die subjektiven Angaben
und objektiven Befunde bis zur Beendigung des Rehabilitationsaufenthalts am 24.
April 2002 im Wesentlichen unverändert. Ist aber den ersten Symptomen der
späteren Schmerzstörung aufgrund einer fachärztlichen Abklärung (noch) kein
Krankheitswert beizumessen, ist eine darauf gründende Arbeitsunfähigkeit zu
diesem Zeitpunkt erst recht auszuschliessen. Das kantonale Gericht hat einen
sachlichen Zusammenhang zwischen der heutigen rentenbegründenden Invalidität
und der während des Vorsorgeverhältnisses bestehenden Arbeitsunfähigkeit zu
Recht verneint.

4.4 Dass der Beschwerdeführer aufgrund anderer gesundheitlicher
Beeinträchtigungen, insbesondere somatischer Beschwerden infolge der
Rippenfrakturen, Anspruch auf Leistungen der Vorsorgeeinrichtung hat, ist nicht
ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Der angefochtene Entscheid
verletzt Bundesrecht nicht.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die
Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66
Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der
vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen
Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist,
die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung durch
einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte
Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im
Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt G.________ wird als unentgeltlicher Anwalt des Beschwerdeführers
bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'500.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. September 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann