Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 270/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_270/2008

Urteil vom 12. August 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.

Parteien
M.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Ulrich Seiler, Falkenhöheweg 20,
3012 Bern,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 27.
Februar 2008.

Sachverhalt:
-
- M.________ (geboren 1956), gelernter Elektromonteur, meldete sich am 26.
August 1998 nach einem ersten, rechtskräftig im März 1983 abgelehnten
Rentengesuch erneut bei der IV-Stelle Bern zum Leistungsbezug an. Gestützt auf
ein Gutachten des Dr. med. H.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, vom
25. Oktober 1999 wies die IV-Stelle das Leistungsgesuch mit der Begründung ab,
der Versicherte weise kein iv-rechtlich bedeutsames Leiden auf und es sei ihm
eine ganztägige Erwerbstätigkeit ohne nennenswerte Einschränkungen zumutbar
(Verfügung vom 14. Februar 2000). Diese Verfügung bestätigte das Eidgenössische
Versicherungsgericht letztinstanzlich mit Urteil vom 22. Januar 2001 (I 618/
00).
- Am 18. Februar 2003 gelangte M.________ wiederum an die IV zum Leistungsbezug
(Umschulung und Rente). Die IV-Stelle trat auf die Neuanmeldung mit
Einspracheentscheid vom 1. Oktober 2003 nicht ein und verneinte einen Anspruch
auf unentgeltliche Verbeiständung für das Einspracheverfahren. Die hiegegen
eingereichte Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern insoweit
gut, als es den Einspracheentscheid aufhob und die Akten zu ergänzender
medizinischer Abklärung im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurückwies.
Hinsichtlich der unentgeltlichen Verbeiständung für das Einspracheverfahren
wies es die Beschwerde ab. Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin wies das
Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil 19. April 2005 (I 83/05) die
Sache auch hinsichtlich der unentgeltlichen Verbeiständung an die IV-Stelle
zurück, damit sie über diesen Anspruch neu verfüge.
- Nach Einholen eines interdisziplinären Gutachtens der Medizinischen
Abklärungsstelle des Spitals X.________ (MEDAS) vom 19. Oktober 2006 verneinte
die IV-Stelle mit Verfügung vom 15. März 2007 wiederum einen Anspruch auf eine
Invalidenrente. Mit separater Verfügung vom 16. März 2007 gewährte sie dem
Versicherten die unentgeltliche Verbeiständung für das Verwaltungsverfahren.
-
Die gegen die Verfügung vom 15. März 2007 erhobene Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 27. Februar 2008 ab unter
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung.
-
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem sinngemässen Antrag auf Zusprechung einer Invalidenrente. Eventuell sei
ein MEDAS-Obergutachten, subeventuell ein psychiatrisches Obergutachten
einzuholen. Ferner beantragt er auch für das letztinstanzliche Verfahren die
unentgeltliche Rechtspflege.

Die IV-Stelle Bern schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:
-
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes
wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG)
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. Botschaft zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4338).
-
- Tritt die Verwaltung auf eine Neuanmeldung (Art. 87 Abs. 4 IVV) ein, so hat
sie die Sache materiell abzuklären und sich zu vergewissern, ob die vom
Versicherten glaubhaft gemachte Veränderung des Invaliditätsgrades auch
tatsächlich eingetreten ist. Nach der Rechtsprechung hat sie in analoger Weise
wie bei einem Revisionsfall (Art. 17 ATSG) vorzugehen. Stellt sie fest, dass
der Invaliditätsgrad seit Erlass der früheren rechtskräftigen Verfügung keine
Veränderung erfahren hat, so weist sie das neue Gesuch ab. Andernfalls hat sie
zunächst noch zu prüfen, ob die festgestellte Veränderung genügt, um nunmehr
eine anspruchsbegründende Invalidität zu bejahen, und hernach zu beschliessen.
Im Beschwerdefall obliegt die gleiche materielle Prüfungspflicht auch dem
Gericht (BGE 130 V 64 E. 2 S. 66, 117 V 198 E. 3a). Zur Revision darf
geschritten werden, wenn die für den Rentenanspruch erheblichen tatsächlichen
Verhältnisse gesundheitlicher und/oder erwerblicher Natur wesentlich geändert
haben (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349; SVR 2004 IV Nr. 5 S. 13 E. 2, I 574/02;
Urteil des Bundesgerichts I 865/06 vom 12. Oktober 2007, E. 3.2).
- Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Analoges
gilt auch für die Frage, ob sich eine Arbeits(un)fähigkeit in einem bestimmten
Zeitraum in einem revisionsrechtlich relevanten Sinne verändert hat (erwähntes
Urteil I 865/06, E. 4). Die konkrete Beweiswürdigung stellt eine Tatfrage dar.
Dagegen ist die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E.
3.2 und 4 S. 397 ff.: erwähntes Urteil I 865/06, E. 4 mit Hinweisen).
-
- Das kantonale Gericht hat in pflichtgemässer Würdigung der gesamten Aktenlage
- im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten der MEDAS vom 19. Oktober 2006 -
mit eingehender und nachvollziehbarer Begründung erkannt, dass sich der
Gesundheitszustand des Beschwerdeführers seit der massgebenden letzten
Rentenablehnung (hier: 14. Februar 2000; vgl. BGE 133 V 108, 130 V 71) nicht in
einem für den Anspruch auf eine Rente erheblichen Ausmass geändert hat. Diese
Schlussfolgerung ist nach der Aktenlage nicht offensichtlich unrichtig. Soweit
die Beschwerde wortwörtlich mit der im kantonalen Verfahren eingereichten
Beschwerde übereinstimmt und damit keine Auseinandersetzung mit dem
angefochtenen Gerichtsentscheid enthält, ist auf sie ohnehin nicht näher
einzugehen (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; Urteile 1C_380/2007 vom 19. Mai 2008, E.
2.3, und 8C_337/2007 vom 19. Februar 2008, E. 2.2). Die übrigen, weitgehend
appellatorischen Vorbringen in der Beschwerde vermögen am Ergebnis ebenfalls
nichts zu ändern, zumal sie sich mit der hier entscheidenden Frage, ob sich die
tatsächlichen Verhältnisse gesundheitlicher und/oder erwerblicher Natur seit
der letzten Rentenablehnung am 14. Februar 2000 wesentlich geändert haben, nur
am Rande auseinandersetzen.
- Namentlich kann der Beschwerdeführer aus dem Bericht des behandelnden
Psychiaters Dr. med. U.________, Psychiatrie/Psychotherapie FMH, vom 20.
Februar 2007 nichts zu seinen Gunsten ableiten. Das kantonale Gericht hat in
diesem Zusammenhang verbindlich festgestellt, der behandelnde Psychiater führe
ebenfalls an, dass sich die bereits 1998 festgehaltenen Diagnosen bestätigt
hätten. Damit mache er die gleichen Diagnosen und Einschränkungen geltend, wie
sie bereits anlässlich des Arztberichts vom Oktober 1998 festgehalten worden
seien. In dieser Hinsicht hätten jedoch das Verwaltungsgericht wie auch das
Eidgenössische Versicherungsgericht festgehalten, dass nicht auf den
entsprechenden Bericht des Dr. med. U.________ abgestellt werden könne, sondern
vielmehr gestützt auf das Gutachten von Dr. med. H.________ vom Fehlen eines
krankheitswertigen Leidens und damit von einer vollen Arbeitsfähigkeit
auszugehen sei. Es ergäben sich deshalb keinerlei Hinweise dafür, dass sich in
psychiatrischer Hinsicht eine Veränderung des Gesundheitszustandes zum
Vergleichszeitpunkt eingestellt habe. Auch diese Schlussfolgerung ist nach der
Aktenlage nicht offensichtlich unrichtig. So hält Dr. med. U.________ in den
Schreiben vom 20. Februar und 19. April 2007 selbst fest, die im Bericht an die
IV vom 21. Oktober 1998 festgehaltene Diagnose sei nach wie vor zutreffend und
die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sei seines Erachtens nach wir vor immer
noch die gleiche wie 1998. Damit gehen bereits im Grundsatz sämtliche
Einwendungen des Beschwerdeführers gegen den psychiatrischen Teil des
MEDAS-Gutachtens vom 19. Oktober 2006 ins Leere, insbesondere auch der Einwand,
den MEDAS-Gutachtern habe kein Verlaufsbericht des behandelnden Psychiaters
vorgelegen. Im Übrigen entspricht das Gutachten der MEDAS den Anforderungen der
Rechtsprechung (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis). Es berücksichtigt die
geklagten Leiden, stützt sich auf die Vorakten, insbesondere den Bericht des
Dr. med. U.________ vom 21. Oktober 1998, leuchtet in der Beurteilung der
medizinischen Zusammenhänge ein und enthält eine nachvollziehbare Begründung
der Schlussfolgerungen. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass namentlich
bei einem therapeutisch tätigen Psychiater - wie Dr. med. U.________ - mit
seinem besonderen Vertrauensverhältnis zum Patienten die Rechtsprechung zur
Beweiswürdigung von Berichten von Hausärzten zur Anwendung gelangt (Urteil
9C_176/2008 vom 19. Juni 2008 E. 3 und Urteil I 655/05 vom 20. März 2006 E.
5.4).
- Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf das Urteil der II.
sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 20. November 2007 (I 142/07)
die fachliche Ausbildung und Titel der am MEDAS-Gutachten beteiligten Ärzte
beanstandet oder in Zweifel zieht, ist dies unbegründet. Das Bundesgericht hat
im erwähnten Urteil vom 20. November 2007 entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers nicht zwingend eine FMH-Ausbildung für Gutachter verlangt,
sondern nur eine Fachausbildung, welche auch, wie dies auf die Gutachterin
B.________ zutrifft, im Ausland erworben werden kann. Das interdisziplinäre
Gutachten der MEDAS vom 19. Oktober 2006 wurde vom Chefarzt und einer
Fachärztin für Innere Medizin erstellt. Bei den konsiliarisch zugezogenen
Fachärzten hat u.a. Prof. Dr. med. F.________, Facharzt für Psychiatrie, das
Gutachten eingesehen und sich mit den Schlussfolgerungen einverstanden erklärt.
Damit kommt dem MEDAS-Gutachten auch hinsichtlich des psychiatrischen Teils
voller Beweiswert zu (vgl. auch BGE 123 V 175; AHI 1998 S. 125). Zusätzlich ist
festzuhalten, dass ohnehin nicht sämtliche an der Ausarbeitung eines Gutachtens
beteiligten Ärzte über eine Fachausbildung verfügen müssen. Es genügt in diesem
Zusammenhang, dass der verantwortliche Gutachter die entsprechende
Fachausbildung absolviert hat.
-
Der Beschwerdeführer hat als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese sind indessen, weil der Beschwerdeführer die
Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege (im Sinne
unentgeltlicher Prozessführung und Verbeiständung) erfüllt (Art. 64 Abs. 1 und
2 BGG; vgl. BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372, je mit Hinweisen),
einstweilen auf die Gerichtskasse zu nehmen. Es wird jedoch ausdrücklich auf
Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage
ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:
-
Die Beschwerde wird abgewiesen.
-
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
-
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.
- Fürsprecher Ulrich Seiler, Bern, wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- ausgerichtet.
-
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 12. August 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Nussbaumer