Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 231/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_231/2008

Urteil vom 8. Juni 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Lustenberger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
F.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Martina Fausch, Bahnhofstrasse 26, 8304
Wallisellen,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 12. Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 5. März 2007 lehnte die IV-Stelle des Kantons Solothurn den
Anspruch des 1953 geborenen F.________ auf eine Invalidenrente und berufliche
Eingliederungsmassnahmen ab, weil der Invaliditätsgrad nur 10 % betrage.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher F.________ die Zusprechung
einer Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung beantragt hatte, wies das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn gestützt auf einen Invaliditätsgrad
von 39,46 % ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt F.________ das
vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern. Ferner ersucht er um die
Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Während die IV-Stelle und das kantonale Gericht auf Abweisung der Beschwerde
schliessen, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Schliesslich darf das
Bundesgericht nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1
BGG).

2.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Voraussetzungen und
den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG), die Bemessung des
Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG), die Bedeutung ärztlicher Auskünfte
für die Belange der Invaliditätsschätzung (BGE 115 V 133 f. E. 2, 105 V 156 E.
1 S. 158) zutreffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden.

3.
3.1 Nach den verbindlichen Feststellungen des Versicherungsgerichts ist
gestützt auf das Gutachten des Dr. med. L.________, Innere Medizin und
Rheumaerkrankungen, vom 14. September 2006 von einer Einschränkung in der
Arbeitsfähigkeit für leichte, wechselbelastende Tätigkeiten von 20 Prozent
auszugehen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er wäre im Gesundheitsfall
nur teilzeitlich tätig gewesen, ist ein unzulässiges Novum (Art. 99 BGE). Mit
Recht hat die Vorinstanz den Invaliditätsgrad anhand eines Einkommensvergleichs
ermittelt.

3.2 In erwerblicher Hinsicht stellte die Vorinstanz hinsichtlich des
hypothetischen Einkommens ohne Invalidität (Valideneinkommen) auf den Lohn ab,
den der Beschwerdeführer bei der C.________ SA, bei welcher er seit 1996
zunächst vollzeitlich gearbeitet hat und seit 2002 noch in einem Teilzeitpensum
von 40 % tätig ist, im Jahr 2005 in einem vollen Pensum hätte verdienen können.
Diese Einkünfte von Fr. 88'380.- im Jahr passte sie an die
Nominallohnentwicklung per 2006 an, womit sich ein Valideneinkommen von Fr.
89'352.- ergab. Diesem stellte sie zunächst ein Einkommen von Fr. 75'129.-
gegenüber, das sich aus den Salärempfehlungen 2006 des kaufmännischen Verbandes
ergab, reduzierte diesen Betrag um 20 % zufolge eingeschränkter
Leistungsfähigkeit und nahm zudem einen leidensbedingten Abzug von 10 % vor,
sodass ein Invalideneinkommen von Fr. 54'093.- resultierte. Aus dem Vergleich
der beiden hypothetischen Einkommen ermittelte das kantonale Gericht eine
Einkommenseinbusse von Fr. 35'259.-, entsprechend einem Invaliditätsgrad von
39,46 %.

3.3 Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil I 708/06 vom 23.
November 2006 in Bestätigung früherer Urteile dargelegt hat, ist für die
Ermittlung des Invalideneinkommens bei Fehlen eines tatsächlich erzielten
Erwerbseinkommens grundsätzlich nicht auf die unverbindlichen Empfehlungen des
Kaufmännischen Verbandes abzustellen, sondern auf die (auf tatsächlich
erzielten Gehältern beruhenden) Tabellenlöhne gemäss Lohnstrukturerhebung des
Bundesamtes für Statistik (LSE). Die gegenteilige Vorgehensweise der Vorinstanz
hatte das Gericht als rechtsfehlerhaft bezeichnet. Die Salärempfehlungen des
Kaufmännischen Verbandes hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur in
Ausnahmefällen beigezogen, namentlich wenn diese (ausnahmsweise) bereits
Grundlage für die Ermittlung des Valideneinkommens bildeten. Da es sich bei den
nach Gesetz und Rechtsprechung geltenden Regeln über die Durchführung des
Einkommensvergleichs, einschliesslich derjenigen über die Anwendung der LSE und
der Dokumentation von Arbeitsplätzen, um Rechtsfragen handelt (BGE 132 V 393 E.
3.3 S. 399), ist das Bundesgericht in diesem Punkt nicht an die Feststellungen
der Vorinstanz gebunden.

3.4 Gemäss der Tabelle TA 1 der LSE 2004, Sektor Dienstleistungen, betrug der
Durchschnittslohn von Männern im Anforderungsniveau 3 (Berufs- und
Fachkenntnisse vorausgesetzt) im Jahr 2004 bei 40 Arbeitsstunden in der Woche
Fr. 5496.- im Monat (Fr. 65'952.-). Da dieser standardisierte Lohn auf einer
40-Stunden-Woche basiert, müsste er der durchschnittlichen Arbeitszeit von 41,7
Stunden angepasst werden (Die Volkswirtschaft 4/2008, Tabelle B 9.2, S. 90),
womit sich ein Betrag von rund Fr. 68'755.- (Fr. 65'952.- / 40 x 41,7) ergäbe.
Dieser wäre alsdann noch der Nominallohnentwicklung 2004 - 2006 anzugleichen,
die gemäss Bundesamt für Statistik in diesem Zeitraum 2 % betrug, sodass sich
ein Einkommen von Fr. 70'130.- ergibt. Hievon ist zunächst die Reduktion von 20
% für die Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit vorzunehmen. Vom Resultat von
Fr. 56'104.- (80 % x Fr. 70'130.-) ist schliesslich der leidensbedingte Abzug
von 10 % vorzunehmen, dessen Festlegung als Ermessenfrage einer Korrektur durch
das Bundesgericht nur mehr dort zugänglich ist, wo das kantonale Gericht das
Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also Ermessensüberschreitung,
-missbrauch oder -unterschreitung vorliegt (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399),
was hier nicht zutrifft. Es resultiert demnach ein Invalideneinkommen von
höchstens Fr. 50'494.-. Verglichen mit dem unbestritten gebliebenen
Valideneinkommen von Fr. 89'352.- beläuft sich die Erwerbseinbusse auf Fr.
38'858.-. Der Invaliditätsgrad beträgt somit 43,48 % (Fr. 38'858.- x 100 / Fr.
89'352.-). Der Versicherte hat demzufolge Anspruch auf eine Viertelsrente der
Invalidenversicherung. Nachdem die Arbeitsunfähigkeit von mindestens 40 % im
Zeitpunkt der Anmeldung bei der Invalidenversicherung (am 4. Februar 2005)
gemäss den medizinischen Unterlagen im Sinne von Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG
schon seit über einem Jahr bestanden hatte, und dannzumal eine Invalidität von
über 40 Prozent vorlag, ist der Rentenbeginn antragsgemäss auf den 1. Februar
2005 festzusetzen; eine Prüfung der Frage, ob der Rentenanspruch allenfalls
bereits in einem früheren Zeitpunkt entstanden ist, entfällt mit Blick auf Art.
107 Abs. 1 BGG.

4.
Der Beschwerdeführer obsiegt teilweise, indem ihm anstelle der beantragten
Dreiviertelsrente eine Viertelsrente zugesprochen wird. Diesem
Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den Parteien je zur
Hälfte aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Überdies hat der Versicherte Anspruch
auf eine reduzierte Parteientschädigung zu Lasten der IV-Stelle (Art. 68 Abs. 2
BGG). Soweit er nicht obsiegt, ist ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren, da die Beschwerde nicht als aussichtslos erscheint, die Bedürftigkeit
aktenkundig ist und die anwaltliche Vertretung geboten war (Art. 64 Abs. 1 und
2 BGG). Der Beschwerdeführer hat der Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn er
später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 12. Februar 2008 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 5. März 2007 werden insoweit
abgeändert, als dem Beschwerdeführer ab 1. Februar 2005 eine Viertelsrente der
Invalidenversicherung zugesprochen wird. Im Übrigen wird die Beschwerde
abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Von den Gerichtskosten von Fr. 700.- werden Fr. 350.- dem Beschwerdeführer und
Fr. 350.- der Beschwerdegegnerin auferlegt. Der Anteil des Beschwerdeführers
wird vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1300.- zu entschädigen.

5.
Rechtsanwältin Martina Fausch, Wallisellen, wird als unentgeltliche Anwältin
des Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihr für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1300.- ausgerichtet.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, dem AHV-Ausgleichskasse FER-CIFA und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 8. Juni 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Lustenberger Widmer