Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 218/2008
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_218/2008

Urteil vom 4. März 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Parteien
G.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Advokat Lukas Denger,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 6. Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1962 geborene G.________ arbeitete vom 16. Mai 1994 bis 30. November 2005
hauptberuflich bei der Firma E.________ AG. Am 17. Juli 2004 erlitt sie einen
Autounfall, für dessen Folgen die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) aufkam und Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld) erbrachte, bevor sie
dieselben mit Wirkung auf Ende Januar 2006 einstellte.
Im März 2006 meldete sich die Versicherte zum Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung (berufliche Massnahmen; Rente) an unter Hinweis auf
verschiedene körperliche Beeinträchtigungen (seit dem Unfall eingeschränkte
Bewegungsmöglichkeit von Kopf und Hals, Schwindel bei schnellen Bewegungen,
starke Kopfschmerzen, Schleudertrauma sowie Einschlafen der rechten Kopfseite).
Nach Abklärung der gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse, namentlich
Einholung eines interdisziplinären Gutachtens vom 11. Dezember 2006 bei der
Medizinischen Abklärungsstelle der Invalidenversicherung (MEDAS) und
Durchführung des Vorbescheidverfahrens, lehnte die IV-Stelle Bern das
Leistungsbegehren ab (Verfügung vom 16. Juli 2007).

B.
Beschwerdeweise liess G.________ beantragen, die Verfügung sei aufzuheben und
es sei ihr rückwirkend ab 1. Juli 2005 eine Invalidenrente (samt Kinderrenten
und zuzüglich Verzugszins) auszurichten. Eventualiter sei eine unabhängige
interdisziplinäre Begutachtung und eine Evaluation des funktionellen
Leistungsvermögens zu veranlassen. Mit Entscheid vom 6. Februar 2008 wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde ab.

C.
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und das im kantonalen Verfahren gestellte Rechtsbegehren erneuern.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Ferner darf das
Bundesgericht nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1
BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG nur so
weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass
gibt.

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine
Invalidenrente.

3.
Im angefochtenen Entscheid werden die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze
zum Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 ATSG) und
zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis 31.
Dezember 2007 geltenden Fassung) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die
Ausführungen über den Beweiswert und die Beweiswürdigung medizinischer Berichte
und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweisen). Darauf wird
verwiesen.

4.
4.1 Nach Würdigung der medizinischen Aktenlage gelangte die Vorinstanz - im
Wesentlichen gestützt auf das Gutachten der MEDAS vom 11. Dezember 2006 - zum
Ergebnis, dass bei der Beschwerdeführerin als einzige gesundheitliche
Beeinträchtigung Kopfschmerzen bestünden und ihr die Ausübung einer ihrem
Leiden angepassten bzw. der bisherigen Tätigkeit während 8 bis 9 Stunden
täglich an fünf Tagen pro Woche zumutbar sei, ohne dass von einer Verminderung
der Leistungsfähigkeit ausgegangen werden müsse.

4.2 Zu Unrecht macht die Versicherte geltend, die Vorinstanz habe den
Sachverhalt im Sinne von Art. 97 BGG offensichtlich unrichtig festgestellt und
dabei Bundesrecht im Sinne von Art. 95 BGG verletzt. Soweit sie die
Beweistauglichkeit des MEDAS-Gutachtens vom 11. Dezember 2006 anzweifelt mit
der Begründung, mehrere der beteiligten Gutachter seien nicht Träger eines
Schweizerischen FMH-Facharzttitels, sei darauf hingewiesen, dass ein Gutachter
nach der Rechtsprechung über eine Fachausbildung, nicht jedoch über eine
FMH-Ausbildung verfügen muss und es bei Beteiligung mehrerer Ärzte an einem
Gutachten (z.B. bei einer Begutachtung durch eine MEDAS) genügt, wenn der
verantwortliche Gutachter die entsprechende Fachausbildung absolviert hat
(Urteil 9C_270/2008 vom 12. August 2008 E. 3.3). Diese Voraussetzung ist beim
MEDAS-Gutachten, für welches Dr. med. B.________, Neurologie und Psychiatrie,
Dr. phil. S.________, Neuropsychologie FSP, Dr. med. T.________, Psychiatrie
und Psychotherapie FMH, und Dr. med. P.________, Chirurgische Orthopädie FMH,
verantwortlich zeichneten, erfüllt, weshalb auch der Umstand, dass die
Basisbefragung durch eine Person ohne abgeschlossene Ausbildung erfolgte, das
Gutachten nicht unbrauchbar macht. Des Weitern trifft es zwar zu, dass - wie
die Beschwerdeführerin vorbringt - im MEDAS-Gutachten vom 11. Dezember 2006 die
Auseinandersetzung mit den abweichenden Stellungnahmen der anderen beteiligten
Ärzte, deren Diagnosen und Arbeitsfähigkeitsschätzungen teilweise etwas kurz
ausgefallen ist. In den wesentlichen Punkten fand sie indessen statt und kann
auch nachvollzogen werden. Namentlich setzten sich die Gutachter einlässlich
mit der unter anderem von Dr. med. G.________, Psychiatrie und Psychotherapie
FMH, gestellten Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung auseinander; sie
begründeten, weshalb sie dessen Einschätzung nicht teilten und gestützt auf die
Hinweise bei der körperlichen Untersuchung und die neuropsychologischen Tests
bei der Versicherten vielmehr auf Simulation schlossen.
Die Einwendungen der Beschwerdeführerin lassen die vorinstanzliche Feststellung
des medizinischen Sachverhalts mithin weder als offensichtlich unrichtig noch
als unvollständig oder sonst wie rechtsfehlerhaft erscheinen. Daran ändern auch
die nach dem MEDAS-Gutachten erstellten Berichte des Spitals X.________ vom 15.
Februar und 29. März 2007 nichts, in welchen ein chronifiziertes,
zervikozephales neuropathisch-zentralnervöses Schmerzsyndrom (ICD-10: G54.8,
M53.0, F54) bei Status nach HWS-Distorsionstrauma und Schädelkontusion rechts
am 17. Juli 2004 diagnostiziert und eine (mittelfristige) Arbeitsfähigkeit von
höchstens 50 % attestiert worden war. Denn die Einschätzung der Ärzte des
Spitals X.________ vermag nicht zu überzeugen mit Blick darauf, dass zentrale
neuropathische Schmerzsyndrome nach einer Schädigung schmerzleitender oder
schmerzverarbeitender Systeme im zentralen Nervensystem entstehen und eine
Läsion des Zentralnervensystems mittels neurologischer Untersuchung,
bildgebender Diagnostik, Liquordiagnostik oder neurophysiologischer Methoden
nachgewiesen werden muss (vgl. von der Kommission "Leitlinien der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie" herausgegebene Leitlinien für Diagnostik und
Therapie in der Neurologie, 3. Aufl., Stuttgart 2005, S. 532 und 535). Diesen
Anforderungen vermag die von den Ärzten des Spitals X.________ gestellte
Diagnose nicht zu genügen, umso weniger als die vorangegangenen Untersuchungen
namentlich neurologischer Art - wie die Ärzte im Bericht vom 29. März 2007
selber festhielten - kein nachweisbares strukturelles Korrelat gezeigt hatten
und sich die Diagnose im Wesentlichen auf die subjektiven Angaben der
Versicherten stützt. Damit kann auch offen bleiben, ob die vorinstanzliche
Rechtsauffassung zutrifft, gemäss welcher die Auswirkungen eines
zervikozephalen, neuropathisch-zentralnervösen Schmerzsyndroms auf die
Arbeitsfähigkeit wie diejenigen einer somatoformen Schmerzstörung zu beurteilen
wären.

4.3 Die im angefochtenen Entscheid vorgenommene antizipierte Beweiswürdigung,
gemäss welcher keine weiteren medizinischen Abklärungen erforderlich sind,
beschlägt Fragen tatsächlicher Natur und ist daher für das Bundesgericht
verbindlich (E. 1 hievor), da von einer Rechtsfehlerhaftigkeit im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 BGG nicht die Rede sein kann. Nach dem Gesagten bleibt auch für
die von der Beschwerdeführerin mit Eventualbegehren verlangte Rückweisung an
die IV-Stelle zur ergänzenden Abklärung kein Raum.

5.
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. März 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Keel Baumann