Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 16/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_16/2008

Urteil vom 2. September 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Traub.

Parteien
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Marco Biaggi, St.
Jakobs-Strasse 11, 4002 Basel,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom
19. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1962 geborene M.________, als Eisenleger/Schaler erwerbstätig gewesen,
leidet nach einem im Februar 2003 erlittenen Arbeitsunfall an einer
posttraumatischen Periarthropathia humeroscapularis der linken Schulter
("frozen shoulder"). Die Gebrauchsfähigkeit des linken Arms ist dadurch
erheblich eingeschränkt (vgl. auch das bundesgerichtliche Urteil U 245/06 vom
14. Februar 2007 betreffend obligatorischer Unfallversicherung). Ab dem 25.
Juli 2006 stellte die IV-Stelle des Kantons Basel-Stadt die seit Anfang 2006
gewährte (Mitteilung vom 21. Dezember 2005) Beratung und Unterstützung bei der
Stellensuche (Arbeitsvermittlung) ein (Verfügung vom 29. März 2007).

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt wies die gegen die
Verfügung vom 29. März 2007 erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 19. November
2007).

C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, es sei die Beschwerdegegnerin, nach Aufhebung von
vorinstanzlichem Entscheid und Verwaltungsverfügung, zu verpflichten, die
Arbeitsvermittlung fortzusetzen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG (in der hier anwendbaren Fassung gemäss 4.
IVG-Revision, in Kraft von 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2007) haben
eingliederungsfähige invalide Versicherte Anspruch auf aktive Unterstützung bei
der Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes sowie auf begleitende Beratung im
Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines bestehenden Arbeitsplatzes. Die
leistungsspezifische Invalidität ist im Rahmen dieser Bestimmung schon wegen
relativ geringen gesundheitlich bedingten Schwierigkeiten bei der Suche nach
einer Arbeitsstelle erfüllt (BGE 116 V 80 E. 6a S. 81 mit Hinweis; AHI 2000 S.
69, E. 2b und S. 70, E. 1a; vgl. aber auch SVR 2006 IV Nr. 45, S. 162 [I 427/
05]). Zwischen dem Gesundheitsschaden und der Notwendigkeit einer
Arbeitsvermittlung muss ein Kausalzusammenhang bestehen (vgl. Art. 4 Abs. 1
IVG; AHI 2003 S. 269, E. 2c [I 421/01]). Wo die fehlende berufliche
Eingliederung im Sinne der Verwertung der bestehenden Arbeitsfähigkeit nicht
auf gesundheitlich bedingte Schwierigkeiten bei der Stellensuche zurückzuführen
ist, fällt die Arbeitsvermittlung nicht in die Zuständigkeit der
Invalidenversicherung, sondern allenfalls der Organe der
Arbeitslosenversicherung (BGE 116 V 80; AHI 2000 S. 69, E. 2b; vgl. SVR 2003 IV
Nr. 11 S. 34, E. 4.4). Da kein Rechtsanspruch auf Vermittlung in der
Arbeitslosenversicherung besteht, ist die Invalidenversicherung vorrangig
zuständig (AHI 2000 S. 228 [I 404/99]).

2.
Die IV-Stelle nimmt vernehmlassungsweise den Standpunkt ein, für die
invaliditätsfremden Beeinträchtigungen - der Versicherte spreche praktisch kein
Deutsch - habe "ein für allemal nicht die Invalidenversicherung einzustehen".

Die Auffassung der IV-Stelle ist insofern begründet, als invaliditätsfremde
Probleme bei der Stellensuche, wie etwa fehlende Kenntnis der Landessprache,
bei der Frage der Anspruchsberechtigung nicht zu berücksichtigen sind (AHI 2003
S. 270, E. 2c [I 421/01]; SVR 2006 IV Nr. 45 S. 164, E. 4.1.1 [I 427/05]).
Umgekehrt schliessen aber Sprachprobleme den Anspruch auf Arbeitsvermittlung
auch nicht aus, sofern ein solcher aufgrund gesundheitlicher Probleme besteht.
Dies gilt auch dann, wenn sich die invaliditätsfremden Faktoren in Verbindung
mit dem invalidisierenden Gesundheitsschaden erschwerend bei der Suche nach
Arbeit auswirken. Nicht zur Diskussion steht sodann eine Anwendung der
Rechtsprechung, wonach bei Versicherten, die in einer leidensangepassten
Tätigkeit voll arbeitsfähig sind, ein Anspruch auf Arbeitsvermittlung durch die
Invalidenversicherung nur gegeben ist, wenn aus invaliditätsbedingten Gründen
spezielle Anforderungen an den Arbeitsplatz bestehen (SVR 2006 IV Nr. 45 S.
164, E. 4.2): Denn die Beschwerdegegnerin hat mit Verfügung vom 21. Dezember
2005 den Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitsvermittlung anerkannt; eine
Wiedererwägung dieser Verfügung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) ist nicht vorgenommen
worden und drängt sich aufgrund der Akten auch nicht auf. Es ist somit davon
auszugehen, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich Anspruch auf
Arbeitsvermittlung hat, und es stellt sich bloss noch die Frage, ob die
Vermittlung eingestellt werden darf.

3.
Das kantonale Gericht erkannte, die Einstellung der Arbeitsvermittlung sei
verhältnismässig, da "die zugesicherten Dienstleistungen erbracht" worden
seien.

3.1 Solange die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist der Anspruch auf
Arbeitsvermittlung grundsätzlich in zeitlicher Hinsicht nicht begrenzt, sondern
besteht bis zur erfolgreichen Eingliederung. Indessen wird der Anspruch auf
Arbeitsvermittlung nach Massgabe des Verhältnismässigkeitsprinzips (vgl. BGE
119 V 250 E. 3a S. 254 mit Hinweisen) begrenzt. Die Arbeitsvermittlung ist
demnach nur solange zu erbringen, als der dafür notwendige Aufwand nicht
unverhältnismässig ist. Der Gesichtspunkt, dass die Arbeitsvermittlung keine
besonders kostspielige Eingliederungsmassnahme darstellt, weshalb zur
Anspruchsbegründung bereits ein relativ geringes Mass an gesundheitlich
bedingten Schwierigkeiten bei der Suche einer neuen Arbeitsstelle genügt (oben
E. 1), ist auch im Hinblick auf die Dauer des Anspruches zu berücksichtigen.
Die Gewährung der Arbeitsvermittlung wird allerdings dann unverhältnismässig,
wenn von weiteren Bemühungen der Verwaltung keinerlei Erfolg mehr erwartet
werden kann, obwohl sich die IV-Stelle vorher intensiv bemüht hat (Urteile I
776/04 vom 29. März 2005, E. 3.2, und I 412/04 vom 22. Dezember 2004, E. 2.4).

3.2 Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG gemäss 4. IVG-Revision haben
eingliederungsfähige invalide Versicherte unter anderem Anspruch auf aktive
Unterstützung bei der Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes. Vor Inkrafttreten
dieser Gesetzesnovelle musste eingliederungsfähigen invaliden Versicherten
(lediglich) "nach Möglichkeit geeignete Arbeit vermittelt" werden. Der
Grundgedanke der Neuformulierung, welche durch die vorberatende Kommission des
Nationalrates eingefügt worden ist, besteht darin, die Unterstützung von Amtes
wegen bei der Eingliederung zu verstärken. Es gehe darum, die IV-Stellen zu
verpflichten, in dieser Hinsicht deutlich mehr zu unternehmen. Der
Kommissionssprecher hielt im Plenum des Nationalrates fest, die Kommission habe
einstimmig beschlossen, die Rechte der Versicherten auf aktive Beratung und
Unterstützung bei der Arbeitssuche zu verstärken (Amtliches Bulletin
Nationalrat 2001 S. 1934). Die neue Fassung wurde im Nationalrat - nach dem
Rückzug eines weitergehenden Antrags - diskussionslos angenommen (a.a.O., S.
1935). Im Plenum des Ständerates führte die Kommissionssprecherin zur
Begründung des Antrages, dem Beschluss des Nationalrates sei zuzustimmen -
welchem der Rat ohne weitere Diskussion folgte -, unter anderem aus, mit dieser
Bestimmung werde eine verbindliche Grundlage für die
Arbeitsvermittlungstätigkeit der IV-Stellen eingeführt (Amtliches Bulletin
Ständerat 2002 S. 756; bereits erwähntes Urteil I 776/04, E. 3.3).
3.3
3.3.1 Nach den das Bundesgericht grundsätzlich bindenden (Art. 105 Abs. 1 BGG)
Feststellungen der Vorinstanz umfassen die erfolgten Eingliederungsbemühungen
der IV-Stelle das Folgende (vgl. auch das Verlaufsprotokoll in den Akten der
IV-Stelle): Nach einem Erstgespräch vom 20. März 2006 hat eine Berufsberaterin
den Beschwerdeführer am 10. und 20. April 2006 zu einem möglichen Arbeitgeber
(Inhaber eines Cafés und Lebensmittelladens) begleitet; aus wirtschaftlichen
Gründen kam dort allerdings keine Vermittlung in Frage. Am 23. Mai 2006
erfolgte wiederum der Besuch eines Lebensmittelladens; eine Beschäftigung fällt
hier wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht in Betracht. Ein weiteres
Beratungsgespräch fand am 31. Mai 2006 statt, bei welchem die vom Versicherten
aufgesetzten Bewerbungsschreiben korrigiert und ihm mit Hilfe der "Gelben
Seiten" weitere Arbeitsmöglichkeiten aufgezeigt wurden.
3.3.2 Die effektiven Vermittlungsbemühungen fanden im Zeitraum zwischen dem 20.
März 2006 (Erstgespräch) und dem 31. Mai 2006 statt. Die Leistungsdauer von nur
gerade etwas mehr als zwei Monaten liesse eine weitere Gewährung von
Arbeitsvermittlung nur unverhältnismässig erscheinen, wenn diese als klar
aussichtslos erschiene. Davon kann indessen keine Rede sein: In keinem der
gemäss Mitteilung der IV-Stelle an den Versicherten vom 27. Juli 2006 in
Betracht fallenden Berufe und Berufszweige (Chauffeur, Betriebsarbeiter,
Verpackung und Versand, industrielle Montage), in welchen die mangelnden
Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers weit weniger ins Gewicht fallen als im
Bereich Gastwirtschaft und Lebensmittelverkauf (vgl. oben E. 3.3.1), wurden
Vermittlungsbemühungen unternommen.

Das kantonale Gericht hielt fest, bei einem Vergleich der Einträge im
Verlaufsprotokoll mit den Zielsetzungen in der Mitteilung vom 21. Dezember 2005
werde erkennbar, dass die Verwaltung die zugesprochenen Hilfeleistungen
erbracht habe. Die Verhältnismässigkeit einer Fortführung der
Arbeitsvermittlung beurteilt sich indessen, anders als die Vorinstanz
anzunehmen scheint, nicht anhand der Erledigung von vorgängig festgelegten
abstrakten Vorgaben. Es besteht Anspruch auf das situativ Notwendige. Der
entsprechende Aufwand lässt sich offenkundig nicht abschliessend im Voraus
festlegen.
3.3.3 Die Schlussfolgerung, weitere Aktivitäten seien praktisch aussichtslos,
ist unter diesen Umständen unzulässig. Entscheidend ist, ob im Zeitpunkt der
(fraglichen) Leistungseinstellung aufgrund einer prognostischen Beurteilung von
weiterer aktiver Unterstützung bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz
noch ein Erfolg erwartet werden kann (Urteil I 665/06 vom 4. Dezember 2006, E.
5.2). Eine Weiterführung (und - vorerst - Verstärkung) der
Vermittlungsbemühungen erscheint im Lichte der Zielsetzung des Art. 18 Abs. 1
Satz 1 IVG (oben E. 3.2) geboten. Die IV-Stelle hat somit weiterhin
Arbeitsvermittlung zu gewähren.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
Basel-Stadt vom 19. November 2007 und die Verfügung der IV-Stelle Basel-Stadt
vom 29. März 2007 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der
Beschwerdeführer weiterhin Anspruch auf Arbeitsvermittlung hat.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt,
der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. September 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub