Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 164/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_164/2008

Urteil vom 7. August 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Parteien
D.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Horschik,
Schmidt Eugster, Rechtsanwälte, Weinbergstrasse 29, 8006 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 3. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1968 geborene D.________ meldete sich im August 2004 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärung der medizinischen
und erwerblichen Verhältnisse und Durchführung des Vorbescheidverfahrens
verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich den Anspruch auf Leistungen der
Invalidenversicherung (Verfügung vom 5. Oktober 2006).

B.
Beschwerdeweise liess D.________ die Zusprechung der gesetzlichen Leistungen,
insbesondere einer Rente, beantragen. Mit Entscheid vom 3. Januar 2008 wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab.

C.
D.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und das Rechtsbegehren stellen, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und es
seien ihm die gesetzlichen Leistungen (insbesondere eine Rente) zuzusprechen.
Eventualiter sie die IV-Stelle zu einer Neuabklärung zu verpflichten. Die
Sachverhaltsdarstellungen der Vorinstanz seien von Amtes wegen zu berichtigen.
Des Weitern ersucht D.________ um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung,
Verbeiständung) für den letztinstanzlichen Prozess.

Mit Eingabe vom 21. April 2008 lässt D.________ beantragen, es sei eine
mündliche Parteiverhandlung durchzuführen und S.________, dipl.
Sozialarbeiterin FH als Zeugin vorzuladen.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann nach Art. 95
lit. a BGG die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Die Feststellung des
Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung
des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs.
1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Gemäss Art. 57 BGG kann der Abteilungspräsident eine mündliche
Parteiverhandlung anordnen. Eine solche findet nur ausnahmsweise statt, etwa
dann, wenn sich die Anhörung vor Bundesgericht aus Art. 29 Abs. 2 BV oder Art.
6 EMRK ergibt (vgl. Stefan Heimgartner/ Hans Wiprächtiger, in: Basler Kommentar
zum Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N. 10 zu Art. 57; Seiler/vonWerdt/
Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, N. 2 zu Art. 57).
Vorausgesetzt wird in diesen Fällen überdies ein im erstinstanzlichen Verfahren
gestellter Parteiantrag (BGE 125 V 37 E. 2 S. 38). Da es hieran fehlt, ist auf
die beantragte mündliche und öffentliche Parteiverhandlung zu verzichten. Eine
Beweisverhandlung wird schon deshalb nicht durchgeführt, weil der
rechtserhebliche Sachverhalt - wie sich aus den nachfolgenden materiellen
Erwägungen ergibt - rechtsgenüglich erstellt ist.

3.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf Leistungen
der Invalidenversicherung, wobei einzig eine Beeinträchtigung der psychischen
Gesundheit in Frage steht.

4.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Invaliditätsbegriff
(Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), namentlich die auf
einen psychischen Gesundheitsschaden zurückzuführende Erwerbsunfähigkeit (BGE
131 V 49 E. 1.2 S. 50) sowie die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen
Gesundheitsschäden mit konsekutiver Arbeitsunfähigkeit und soziokulturellen
oder psychosozialen Umständen, welche keine Invalidität im Sinne des Gesetzes
bewirken, solange keine davon psychiatrisch zu unterscheidende Befunde wie eine
Depression im fachmedizinischen Sinn oder ein damit vergleichbarer
Leidenszustand vorliegen (BGE 127 V 294 E. 5a S. 299 f.), zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, an einer schweren, chronischen
psychischen Störung zu leiden. Er stützt sich hierfür auf das von der IV-Stelle
in Auftrag gegebene Gutachten des med. pract. K.________, Fachstelle für
Psychiatrische Begutachtung, Integrierte Psychiatrie vom 26. Juni 2006, gemäss
welchem bei ihm eine Konversionsstörung gemäss ICD-10 F 44.7 besteht, und das
von ihm selbst bei PD Dr. med. C.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH
eingeholte Gutachten vom 26. Februar 2007, in welchem eine gemischte Störung
aus dem Kreis der Konversionsstörungen bzw. dissoziative Symptome
(konversionsbedingte Ataxie und dissoziative Pseudodemenz) diagnostiziert
werden.

4.2 Nach eingehender Würdigung der medizinischen Akten hielt die Vorinstanz
fest, dass die psychiatrischen Gutachter med. pract. K.________ und PD Dr. med.
C.________ die Entstehung der von ihnen beim Beschwerdeführer diagnostizierten
Krankheit weder plausibel erklären noch die Widersprüche zwischen den
aktenkundigen kognitiven Fähigkeiten und der dementiellen Symptomatik ausräumen
oder die Vortäuschung einer psychischen Krankheit differenzialdiagnostisch mit
hinreichender Sicherheit ausschliessen könnten. Gestützt auf die Stellungnahmen
des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 14. Juli 2006 sowie 21. März 2007
und in Übereinstimmung mit der IV-Stelle gelangte sie zum Ergebnis, es sei
nicht mit dem im Sozialversicherungsrecht erforderlichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt, dass die vom Beschwerdeführer
gezeigte Symptomatik Ausdruck eines gemäss Art. 4 Abs. 1 IVG invalidisierenden
Gesundheitsschadens darstelle.

4.3 Dass das kantonale Gericht die psychiatrischen Gutachten des med. pract.
K.________ vom 26. Juni 2006 und des PD Dr. med. C.________ vom 26. Februar
2007 im Rahmen seiner pflichtgemässen Beweiswürdigung als nicht beweiskräftig
betrachtete und in der Folge nicht darauf abstellte, ist unter dem Blickwinkel
der für das Bundesgericht geltenden engen Kognition (E. 1 hievor) in keiner
Weise zu beanstanden, ebenso wenig der Verzicht auf ergänzende medizinische
Abklärungen. Entgegen der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Behauptung hat das
Sozialversicherungsgericht die beiden Gutachten dabei weder willkürlich
gewürdigt noch den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt. Dem
Beschwerdeführer kann nicht gefolgt werden, soweit er der Vorinstanz vorwirft,
sich sehr weit in medizinische Bereiche vorgewagt zu haben und zu verkennen,
dass es nicht Sache des Gerichts sei, mit Informationen über die erste Ehe, den
Entzug des Schweizerischen Bürgerrechts etc. "selber psychiatrische Gutachten
zu verfassen". Denn er nimmt dabei Bezug auf die Erwägungen, in welchen das
kantonale Gericht - zu Recht - bemängelte, dass die Gutachter med. pract.
K.________ und PD Dr. med. C.________ es unterlassen haben, den psychologischen
und sozialen Hintergrund sowie die Beziehungen des Beschwerdeführers sorgfältig
zu erheben, wie dies rechtsprechungsgemäss für die von ihnen gestellte Diagnose
einer dissoziativen Störung oder einer Konversionsstörung vorausgesetzt wäre
(Urteil I 767/03 vom 9. August 2004, E. 3.2.4). Wie im angefochtenen Entscheid
überzeugend dargelegt wird, ist die Kenntnis der von der Vorinstanz sorgfältig
ermittelten und dargestellten Fakten geeignet, die Annahmen, auf welche die
psychiatrischen Gutachter ihre Beurteilungen gestützt haben, zu widerlegen oder
zumindestens stark in Frage zu stellen. Was den Beweiswert des Gutachtens des
med. pract. K.________ vom 26. Juni 2006 zusätzlich mindert, ist sodann die
Tatsache, dass der Gutachter - jedenfalls im entscheidenden Zeitpunkt der
Untersuchung - nicht über einen Facharzttitel für Psychiatrie verfügte und sein
Bericht insofern nicht auf spezialärztlichen Feststellungen beruht (vgl. Urteil
I 142/07 vom 20. November 2007, E. 3.4). Soweit der Beschwerdeführer der
Vorinstanz schliesslich vorwirft, sie sei in Willkür verfallen, wenn sie
ausgeführt habe, es liege eine Simulation oder Aggravation vor, verkennt er,
dass die Vorinstanz sich auf die Feststellung beschränkte, dass die
vorliegenden psychiatrischen Gutachten nicht in der Lage seien, "die
Vortäuschung einer psychischen Krankheit differenzialdiagnostisch mit
hinreichender Sicherheit" auszuschliessen (E. 4.6), und offen liess, ob "eine
bewusste Vortäuschung oder eine - invaliditätsfremde - Akulturationsproblematik
mit einer bewussten oder unbewussten Symptomverstärkung" vorliege (E. 5.1).
Zusammenfassend ergibt sich, dass die vorinstanzliche, im Einklang mit den
Stellungnahmen des RAD vom 14. Juli 2006 und 21. März 2007 stehende
Feststellung, wonach ein invalidisierender Gesundheitsschaden nicht mit dem
erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgewiesen ist,
weder offensichtlich unrichtig ist noch auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die
unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten;
Art. 64 Abs. 1 BGG) und Verbeiständung (Art. 64 Abs. 2 BGG) kann gewährt
werden, weil die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als
aussichtslos zu bezeichnen ist und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder
eine Rechtsanwältin geboten war. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs.
4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse
Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt Matthias Horschik, Zürich, wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. August 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin:

Borella i.V. Nussbaumer