Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 155/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_155/2008

Urteil vom 11. September 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Parteien
S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
Rechtsanwältin Rebekka Riesselmann-Saxer, Scheideggstrasse 73, 8038 Zürich,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 24. Dezember 2007.

Sachverhalt:

A.
Über die X.________ AG wurde im Juni 2005 der Konkurs eröffnet und im selben
Monat mangels Aktiven eingestellt. Mit Verfügungen vom 28. November 2005
verpflichtete die Ausgleichskasse des Kantons Zürich S.________ als Präsidenten
des Verwaltungsrates, I.________ als Mitglied des Verwaltungsrates und
P.________ als Geschäftsführer in solidarischer Haftung zur Bezahlung von
Schadenersatz für entgangene bundes- und kantonalrechtliche
Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von Fr. 68'946.45 inkl.
Verwaltungskosten, Verzugszinsen und Gebühren. Die Verfügung gegen P.________
erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Auf Einsprache hin reduzierte die
Ausgleichskasse die Forderung gegenüber I.________ auf Fr. 65'414.20
(Einspracheentscheid vom 31. Juli 2006) und gegenüber S.________ auf Fr.
67'331.70 (Einspracheentscheid vom 27. Juli 2006).

B.
I.________ und S.________ erhoben je separat Beschwerde mit dem Antrag auf
Aufhebung des Einspracheentscheides. Auf die Beschwerde des I.________ trat das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mangels Rechtzeitigkeit des
Rechtsmittels nicht ein (Beschluss vom 26. Oktober 2006). Die Beschwerde des
S.________ wies es, nach Beiladung von I.________ und P.________ zum Verfahren,
mit Entscheid vom 24. Dezember 2007 ab, soweit es darauf eintrat.

C.
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und die Sache
an die Vorinstanz zur erneuten Beschlussfassung zurückzuweisen. Eventualiter
sei der Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass er nicht
schadenersatzpflichtig sei. Ferner ersucht er um Gewährung der aufschiebenden
Wirkung.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Der zum Verfahren beigeladene I.________ beantragt, es seien die
"Sachverhaltssschilderungen und Berichtigungen für die Urteilsfindung zu
berücksichtigen" und die Schadenersatzforderung sei vollumfänglich gegenüber
P.________ sowie S.________ geltend zu machen. P.________, welcher ebenfalls
zum Verfahren beigeladen wurde, lässt sich nicht vernehmen.

D.
Mit Verfügung vom 13. Mai 2008 hat der Instruktionsrichter der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung erteilt.

Erwägungen:

1.
1.1 Die II. sozialrechtliche Abteilung ist zuständig zum Entscheid über die
streitige Schadenersatzpflicht nach Art. 52 AHVG (Art. 82 lit. a BGG sowie Art.
35 lit. a des Reglements für das Bundesgericht vom 20. November 2006 [BGerR]).
Nach Art. 34 lit. e BGerR fallen die kantonalen Sozialversicherungen
(insbesondere Familien- und Kinderzulagen) zwar in die Zuständigkeit der I.
sozialrechtlichen Abteilung. Es ist indessen aus prozessökonomischen Gründen
sinnvoll, dass die II. Abteilung auch über die Schadenersatzpflicht
entscheidet, soweit sie entgangene Sozialversicherungsbeiträge nach kantonalem
Recht betrifft (SVR 2008 FL Nr. 1 S. 1 E. 1 [nicht publ. in BGE 134 I 179],
9C_704/2007).

1.2 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Ferner darf das
Bundesgericht nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1
BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG nur so
weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass
gibt.

1.3 Die bereits rechtskräftig beurteilte Schadenersatzpflicht der Beigeladenen
steht im vorliegenden Verfahren nicht zur Diskussion. Soweit der beigeladene
I.________ mit dem Antrag, die Schadenersatzforderung sei vollumfänglich
gegenüber P.________ sowie dem Beschwerdeführer geltend zu machen, seine eigene
Schadenersatzpflicht bestreiten will, ist darauf nicht einzugehen.

2.
Im angefochtenen Entscheid werden die für die subsidiäre Haftung der Organe
eines Arbeitgebers nach Art. 52 AHVG und gemäss Rechtsprechung erforderlichen
Voraussetzungen (Organstellung, Schaden, Widerrechtlichkeit, zweistufiges
Verschulden, Kausalität, Nichtverwirkung/Nichtverjährung), soweit vorliegend
relevant, richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 In tatsächlicher Hinsicht (vgl. E. 1 hiervor zur grundsätzlichen
Verbindlichkeit der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung für das
Bundesgericht) hat die Vorinstanz zutreffend erkannt, dass die nachmals
konkursite Arbeitgeberfirma der ihr obliegenden Beitragsablieferungspflicht
(Art. 14 Abs. 1 AHVG) während längerer Zeit in widerrechtlicher und
schuldhafter Weise nicht nachgekommen ist, was sich (neben anderen) der
Beschwerdeführer als Verwaltungsratspräsident unter den gegebenen Umständen
anrechnen lassen muss. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringen lässt, ist -
soweit nicht bereits vom kantonalen Gericht entkräftet - unbehelflich.

3.2 Dies betrifft insbesondere das Vorbringen, wonach der Beschwerdeführer an
allen Verwaltungsratssitzungen teilgenommen und alles in seiner Macht Stehende
unternommen habe, um die Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge
durchzusetzen. Dass er vom Geschäftsführer, P.________, wiederholt Unterlagen
verlangt und bei demselben interveniert haben will, vermag ihn nicht zu
entlasten, weil er gehalten gewesen wäre, konkrete Massnahmen für eine
fristgerechte Bezahlung der geschuldeten Beiträge in die Wege zu leiten, wofür
angesichts des mehrmonatigen Beitragsausstandes allfällige mündliche Mahnungen
an den Geschäftsführer nicht genügten. Nichts zu seinen Gunsten abzuleiten
vermag er auch aus seiner Behauptung, der nur kollektivzeichnungsberechtigte
P.________ habe für die Firma eigenmächtig Arbeitsverträge abgeschlossen,
welche wegen Verletzung der Formvorschriften nicht rechtsgültig zustande
gekommen seien. Denn die Arbeitgebereigenschaft und damit die Beitragspflicht
hängt in der AHV ohnehin nicht vom Vorliegen eines Arbeitsvertrages oder eines
öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses ab, sondern einzig vom Umstand, dass
ein Entgelt ausgerichtet wird für eine nach ahv-rechtlichen Gesichtspunkten in
unselbstständiger Stellung geleistete Arbeit (vgl. Hanspeter Käser,
Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl. 1996, S.
243 Rz. 12.3 mit Hinweis auf ZAK 1982 S. 369, 1987 S. 31 und 1990 S. 129),
welche Voraussetzungen auch nach der Darstellung des Beschwerdeführers ohne
weiteres erfüllt sind. Zudem bedarf auch zivilrechtlich der Arbeitsvertrag
keiner besonderen Form und gilt namentlich bereits dann als abgeschlossen, wenn
der Arbeitgeber Arbeit entgegennimmt, deren Leistung nur gegen Lohn zu erwarten
ist (Art. 320 OR).
Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdeführer auch, soweit er die Herabsetzung
der Schadenersatzpflicht wegen Mitverschuldens der Ausgleichskasse verlangt.
Denn nach der Rechtsprechung ist eine solche nur zulässig, wenn eine grobe
Pflichtverletzung der Verwaltung für die Entstehung oder Verschlimmerung des
Schadens adäquat kausal gewesen ist (BGE 122 V 185 E. 3b S. 187 f.). Eine
derartige Pflichtverletzung seitens der Kasse liegt hier nicht vor und kann
insbesondere weder im Rückzug einer Betreibung noch im gewährten
Zahlungsaufschub erblickt werden.
Was sodann die vom Beschwerdeführer angerufene Bestimmung des Art. 759 OR
anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass diese dem Schädiger einzig erlaubt, die
Geringfügigkeit des Verschuldens geltend zu machen, weshalb sie auf das ein
qualifiziertes Verschulden (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) voraussetzende
Schadenersatzverfahren gemäss Art. 52 AHVG keine Anwendung findet (AHI 1996 S.
291 E. 6; vgl. auch SVR 2007 AHV Nr. 2 S. 5 E. 2.3, H 72/06).
Schliesslich beschlägt die vom kantonalen Gericht aufgrund antizipierter
Beweiswürdigung implizit gezogene Schlussfolgerung, dass die seitens des
Beschwerdeführers verlangten weiteren Beweismassnahmen (Partei- und
Zeugenbefragungen) keinen hier relevanten Erkenntnisgewinn zeitigen würden,
Fragen tatsächlicher Natur; sie ist daher für das Bundesgericht verbindlich (E.
1 hievor), zumal von einer Rechtsfehlerhaftigkeit im Sinne von Art. 105 Abs. 2
BGG nicht die Rede sein kann. Demnach bleibt auch für die in der Beschwerde
verlangten prozessualen Weiterungen kein Raum.

4.
Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten vom Beschwerdeführer
als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Beigeladenen
steht keine Parteientschädigung zu (BGE 130 III 571 E. 6 S. 576).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherungen, I.________ und P.________
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. September 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Keel Baumann