Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 141/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_141/2008

Urteil vom 5. August 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Kernen,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
Ausgleichskasse Zug, Baarerstrasse 11, 6304 Zug,
Beschwerdeführerin,

gegen

G.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Josef Flury, Hirschmattstrasse
62, 6003 Luzern.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 27.
Dezember 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1954 geborene G.________ verrichtete seit Januar 2007 Reinigungsarbeiten in
verschiedenen Privathaushalten. Mit Verfügung vom 14. Februar 2007 lehnte es
die Ausgleichskasse Zug ab, dies als selbständige Erwerbstätigkeit zu
anerkennen, was sie mit Einspracheentscheid vom 24. Juli 2007 bestätigte.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde der G.________ hiess das Verwaltungsgericht des
Kantons Zug mit Entscheid vom 27. Dezember 2007 insofern gut, als diese als
Selbständigerwerbende zu qualifizieren sei.

C.
Die Ausgleichskasse Zug führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten und beantragt, den Entscheid vom 27. Dezember 2007 aufzuheben.

G.________ und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde;
das Bundesamt für Sozialversicherungen beantragt deren Gutheissung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann
nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG).

2.
2.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die Erwerbstätigkeit von G.________
(Reinigungen und weitere Hausarbeiten, leichte Garten- und Betreuungsarbeit)
als selbständig oder unselbständig zu qualifizieren ist.

2.2 Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen zur unselbständigen (vgl.
Art. 5 Abs. 1 und 2 AHVG) und zur selbständigen Erwerbstätigkeit (Art. 9 Abs. 1
AHVG) sowie die Rechtsprechung betreffend deren Abgrenzung (BGE 122 V 281 E. 2
S. 283 f. und 123 V 161 E. 1 S. 162 f.) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen. Zu ergänzen ist, dass insbesondere Tätigkeiten im Bereich der
Dienstleistungen ihrer Natur nach nicht notwendigerweise bedeutende
Investitionen erfordern. Der arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit ist in
solchen Fällen gegenüber dem Investitionsrisiko erhöhtes Gewicht beizumessen
(Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 30/99 vom 14. August 2000 E. 6b mit
Hinweisen [AHI 2001 S. 58 ff.] und H 214/95 vom 19. August 1996 E. 4b).

3.
3.1 Nach Auffassung der Vorinstanz überwiegen die charakteristischen Merkmale
einer selbständigen Erwerbstätigkeit. Die Versicherte habe zwar keine
Investitionen für die Arbeitsgeräte einer Putzfrau getätigt. Für ihre Arbeit
benutze sie die Infrastruktur (Putzmittel und Arbeitsgeräte) vor Ort. Die
Anschaffung einer Büroeinrichtung mit Computer könne nicht als erhebliche
Investition bezeichnet werden. Die Kosten für den Roller seien ebenfalls nicht
relevant, zumal die Beschwerdegegnerin nicht geltend mache, eine Wegpauschale
zu verlangen. Für eine selbständige Erwerbstätigkeit spreche aber, dass die
Beschwerdegegnerin in eigenem Namen und auf eigene Rechnung auftrete. Sie habe
unter anderem eine Unfall- und Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen.
Weiter habe sie für verschiedene, vom Arbeitserfolg unabhängig anfallende
Kosten aufzukommen (geschäftliche Telefonate, Inserate, Internetauftritt,
Büromaterial und Arbeitskleidung). Die Entschädigung von Fr. 35.- pro Stunde
sei für ein Arbeitsverhältnis in der Reinigungsbranche unüblich hoch, was
darauf schliessen lasse, dass die erwähnten Kosten offenbar berücksichtigt
worden seien. Die Beschwerdegegnerin trage das Verlust- und Inkassorisiko.
Weder erschöpfe sich das wirtschaftliche Risiko in der alleinigen Abhängigkeit
vom persönlichen Arbeitserfolg noch trete bei Dahinfallen des
Erwerbsverhältnisses eine Situation wie beim Stellenverlust einer
Arbeitnehmerin ein. Ausserdem besitze sie Wohnungsschlüssel mehrerer
Auftraggeber und erledige ihre Arbeit während deren Abwesenheit. Im Rahmen
ihres Auftrags treffe sie die konkreten Entscheidungen, was zu tun sei. Von
einer das im Auftragsrecht Übliche übersteigenden Weisungsgebundenheit könne
unter diesen Umständen nicht die Rede sein. Sie sei gleichzeitig in eigenem
Namen für mehrere Kunden tätig, ohne jedoch von ihnen abhängig zu sein. Sie
beschaffe sich die Aufträge selber. Durch die Veröffentlichung diverser
Inserate und ihren Internetauftritt nehme sie nach aussen sichtbar am
wirtschaftlichen Verkehr teil mit dem Ziel, Dienstleistungen für geldwerte
Gegenleistungen zu erbringen. Schliesslich lasse sich den Akten weder eine
Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung noch ein Konkurrenzverbot entnehmen.

3.2 Die Beschwerde führende Ausgleichskasse bringt vor, die Höhe des
Stundenlohnes und der Abschluss von Versicherungen seien bei der Festlegung des
Status als Selbständig- oder Unselbständigerwerbende nicht zu berücksichtigen.
Ausserdem fielen keine speziellen Kosten für Arbeitskleidung, Büromaterial oder
Telefonate an. Die Beschwerdegegnerin habe nur die Folgen einer allfälligen
Zahlungsunfähigkeit oder -willigkeit der Auftraggeber zu tragen, was kein
relevantes Verlust- und Inkassorisiko darstelle. Sie benutze keine eigenen
Geschäftsräumlichkeiten, beschäftige keine Mitarbeiter und habe keine
erheblichen Investitionen getätigt. Sie habe daher kein eigentliches
Unternehmerrisiko zu tragen. Sie sei jedoch in arbeitsorganisatorischer
Hinsicht weisungsgebunden. Die jeweiligen Auftraggeber bestimmten, was, wie, in
welchem Zeitrahmen und -rhythmus zu reinigen sei. Daran ändere die Tatsache,
dass sie über mehrere Wohnungsschlüssel verfüge, nichts.

4.
4.1 Es ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht, dass die
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder
auf einer Rechtsverletzung beruhen. Sie sind daher für das Bundesgericht
verbindlich (E. 1). Sie genügen indessen nicht, den Status der Versicherten,
welche weder branchenübliche Investitionen getätigt hat noch Personal
beschäftigt, abschliessend zu beurteilen.

4.2 Bei den Tätigkeiten der Beschwerdegegnerin handelt es sich um
Dienstleistungen. Dass dabei nur geringe Investitionen - insbesondere für
Inserate und den Internetauftritt - anfallen, schliesst eine selbständige
Erwerbstätigkeit nicht aus (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 30/99 vom
14. August 2000 E. 6b [AHI 2001 S. 58 ff.]). Ob der Abschluss von
Versicherungen ein relevantes Kriterium für die Beurteilung des
Unternehmerrisikos darstellt, kann offen bleiben, da in Anbetracht des von der
Vorinstanz verbindlich festgestellten Sachverhaltes der
arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit grösseres Gewicht beizumessen ist. Auch
weitere Abgrenzungskriterien lassen im konkreten Fall keine zuverlässigen
Rückschlüsse auf die selbständige oder unselbständige Natur der Tätigkeiten zu:
Der Internet-Auftritt der Beschwerdegegnerin, wo sie sich als "seriöse und
verschwiegene Adresse" anpreist, ist zwar als Hinweis auf eine Pflicht zur
persönlichen Arbeitsleistung zu werten. Dies ist aber für Dienstleistungen,
insbesondere wenn sie in Privathaushalten erbracht werden, nicht unüblich.
Weiter sprechen die Tatsachen, dass die Beschwerdegegnerin die
Wohnungsschlüssel mehrerer Auftraggeber besitzt, ihre Arbeit während deren
Abwesenheit erledigt und die Verrichtungen innerhalb eines vorgegebenen Rahmens
frei einteilen kann, weder für noch gegen eine relevante
arbeitsorganisatorische Unabhängigkeit.

Immerhin nimmt die Beschwerdegegnerin bis zu einem gewissen Grade, wenn auch
ohne Handelsregistereintrag, nach aussen sichtbar in eigenem Namen und auf
eigene Rechnung am wirtschaftlichen Verkehr teil. In welchem Ausmass dies
tatsächlich der Fall ist resp. wie sich dies auf die Zusammensetzung des
Kundenkreises auswirkt, ist im konkreten Fall ausschlaggebend für die
Beantwortung der Frage, ob sich das wirtschaftliche Risiko in der alleinigen
Abhängigkeit vom persönlichen Arbeitserfolg erschöpft und beim Dahinfallen
eines Erwerbsverhältnisses eine Situation wie beim Stellenverlust einer
Arbeitnehmerin eintritt oder ob die Beschwerdegegnerin sich über eine
regelmässige und zielgerichtete Akquisitionstätigkeit auszuweisen vermag,
welche ihr den Aufbau einer Geschäftskundschaft ermöglicht, wie sie eine
Kleinstunternehmerin üblicherweise hat. Diesbezüglich lässt sich den Akten nur
entnehmen, dass die Versicherte im Januar 2007 während zweier Arbeitstage im
Rahmen von drei Erwerbsverhältnissen jeweils für eine Dauer von rund vier
Stunden tätig war. Die Vorinstanz wird, z.B. durch Befragung der Versicherten,
Einverlangen von Geschäftsunterlagen usw., abzuklären haben, ob die
Beschwerdegegnerin tatsächlich nur für einen solchen limitierten Kreis von
wenigen Stammkunden tätig ist (und diesfalls nicht in wesentlich anderem Licht
als das Gros der unselbständig tätigen Reinigungskräfte erscheint) oder ob sie
durch regelmässige Akquisitionstätigkeit sich eine grössere Kundschaft zugelegt
hat und Einzelaufträge für wechselnde Kunden ausführt. Trifft Letztes zu, ist
sie als selbständig Erwerbende zu anerkennen.

4.3 Die Ergänzung des Sachverhalts ist für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde ist insoweit begründet.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, vom
27. Dezember 2007 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen
wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die
Beschwerde neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 5. August 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann