Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 114/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_114/2008

Urteil vom 30. April 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Parteien
M.________,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Schaffhausen, Oberstadt 9, 8200 Schaffhausen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom
21. Dezember 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 7. Dezember 1997 sprach die IV-Stelle Schaffhausen dem
zuletzt als Maurer tätig gewesenen M.________, geboren 1964, ab 1. August 1996
eine Viertelsrente nebst Zusatzrente für die Ehefrau und Kinderrenten zu. Das
Obergericht des Kantons Schaffhausen hob die Verfügung mit Entscheid vom 16.
April 1999 auf und erkannte dem Versicherten ab 1. August 1996 eine halbe
Invalidenrente zu. Anlässlich einer Rentenrevision erhöhte die IV-Stelle den
Anspruch mit Wirkung ab dem 1. Januar 2003 auf eine ganze Rente (Verfügung vom
30. April 2004).
Gestützt auf einen neuen Einkommensvergleich reduzierte die IV-Stelle im Rahmen
eines am 20. Dezember 2006 eingeleiteten Revisionsverfahrens den Anspruch ab
dem 1. November 2007 wieder auf eine halbe Rente (Vorbescheid vom 12. Juli 2007
und Verfügung vom 26. September 2007).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen
mit Entscheid vom 21. Dezember 2007 ab.

C.
M.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, es sei ihm weiterhin eine ganze Rente zuzusprechen; eventualiter sei
die Sache zur Einholung eines MEDAS-Gutachtens an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393 zur auch unter der Herrschaft des BGG gültigen
Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen im Bereich der Invaliditätsbemessung [Art.
16 ATSG] für die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach Art. 28 Abs. 1 IVG).

2.
Streitig ist die Herabsetzung der seit Januar 2003 ausgerichteten ganzen
Invalidenrente. Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen vorab mit dem Einwand,
der Gesundheitszustand habe sich nicht verbessert, sondern im Gegenteil
verschlechtert; so habe er im Juli 2006 einen Herzinfarkt erlitten und nun
einen Bypass implantiert.

2.1 Die Vorinstanz hat zum Prozessthema der Rentenversion nach Art. 17 ATSG
einzig erwogen, die IV-Stelle begründe diese nicht mit einer Veränderung des
Gesundheitszustandes. Sie gehe vielmehr "nach wie vor" davon aus, dass der
Beschwerdeführer für körperlich schwere Arbeiten zu 100 % eingeschränkt sei,
wogegen ihm körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten zu 50 % zumutbar
seien. Dem Beschwerdeführer gehe es seinen Angaben zufolge zwar immer
schlechter; doch mache er nicht ausdrücklich eine wesentliche Änderung seines
Gesundheitszustandes geltend. Es bestehe daher kein Anlass, von der genannten
Einschätzung der IV-Stelle abzuweichen (vorinstanzlicher Entscheid, S. 4).

Diese Beurteilung verletzt in zweifacher Hinsicht Bundesrecht: Einerseits
verkennt das kantonale Gericht, dass die revisionsweise Anpassung der
Invalidenrente nach Art. 17 ATSG Tatsachenänderungen (des Gesundheitszustandes,
der Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit usw.) im massgeblichen Vergleichszeitraum
(BGE 133 V 108) voraussetzt. Andererseits hat die Vorinstanz dazu keinerlei
Feststellungen getroffen, die für das Bundesgericht verbindlich wären (E. 1).
Das kantonale Gericht hat auch - weder in tatsächlicher noch rechtlicher
Hinsicht - geprüft, ob die streitige Herabsetzung der revisionsweise am 30.
März 2004 mit Wirkung ab 1. Januar 2003 zugesprochenen ganzen Invalidenrente
auf eine halbe Rente mit der substituierten Begründung der Wiedererwägung (BGE
125 V 368) bestätigt werden könnte. Der angefochtene Entscheid enthält eine
voraussetzungslose Neubeurteilung der invaliditätsmässigen Voraussetzungen, was
indessen nach ständiger Rechtsprechung weder für eine revisions- (Art. 17 Abs.
1 ATSG) noch wiedererwägungsweise (Art. 53 Abs. 2 ATSG) Herabsetzung der
Invalidenrente genügt (vgl. zur Rentenrevision Urteil 9C_552/2007 vom 17.
Januar 2008 E. 3.1.2 und zur Wiedererwägung Urteil 9C_575/2007 vom 18. Oktober
2007 E. 2.2, je mit Hinweisen).

2.2 Für den revisionsrechtlich relevanten Zeitraum zwischen 2004 und 2007
findet sich nur der Austrittsbericht der medizinischen Überwachungsstation
Kardiologie des Spitals X.________ vom 20. September 2006, der sich zu den dem
Beschwerdeführer verbliebenen Betätigungsmöglichkeiten nicht äussert. Dem
Bericht des behandelnden Arztes Dr. med. E.________, Facharzt FMH für
Allgemeine Medizin, vom 8. März 2007 lässt sich lediglich entnehmen, dass dem
Beschwerdeführer nur eine leichte, körperlich wenig belastende Tätigkeit
zumutbar sei. Die Frage zum zeitlichen Rahmen und zum Ausmass einer allenfalls
verminderten Leistungsfähigkeit in einer solchen Beschäftigung bleibt
unbeantwortet. Zur Problematik, ob sich der Gesundheitszustand seit dem letzten
Bericht geändert habe, und zur Prognose bezüglich der Arbeitsfähigkeit, weist
Dr. med. E.________ auf den neu aufgetretenen Herzinfarkt und die dadurch
verminderte Leistungsfähigkeit hin; er stellte eine ungünstige Prognose.

2.3 Die geschilderten Sachverhaltsmängel waren der IV-Stelle bewusst: Wie aus
der Aktennotiz "Anfrage an den IV-Arzt" vom 4. April 2007 hervor geht, sprach
sich der zuerst kontaktierte Dr. med. L.________ für eine MEDAS-Begutachtung
aus; er reichte den Fall an Dr. med. F.________ vom Regionalen Ärztlichen
Dienst (RAD) weiter, der laut Aktenprotokoll am 9. Mai 2007 auf Grund des
Aktenstudiums von einer nur unwesentlichen Verschlechterung infolge des
Herzinfarktes ausging und befand, es brauche keine weiteren Abklärungen; die
Arbeitsfähigkeit bleibe "für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten
weiterhin zu 50 % eingeschränkt, wobei vorwiegend psychische Faktoren
ausschlaggebend" seien. Inwiefern sich dies für den damaligen Zeitpunkt
feststellen liess, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Die letzten
diesbezüglichen Angaben finden sich im Bericht des Dr. med. G.________,
Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 18. Mai 2004; dieser
schätzte die Arbeitsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht zu mindestens 50 %
eingeschränkt.

2.4 Angesichts der rudimentären und widersprüchlichen medizinischen Aktenlage
können die fehlenden vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen vom
Bundesgericht nicht ergänzt werden (E. 1), weshalb die Sache zu den nötigen
Abklärungen und zum Neuentscheid an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen ist.

3.
In rechtlicher Hinsicht wird die Verwaltung dabei Folgendes zu berücksichtigen
haben:

3.1 Zwar ist die Änderung der Bemessungsfaktoren (Tabellenlohn für die Branche
"Verlag, Druck, Vervielfältigung" anstatt "Total Privater Sektor") nicht auf
Grund des Rechtskraftprinzips ausgeschlossen; denn formell rechtskräftig
beurteilt werden nicht die einzelnen Teilaspekte der Rentenberechnung, sondern
es wird über die Anspruchsberechtigung an sich entschieden; im
Rechtsmittelverfahren wie auch bei einer Revision können daher die einzelnen
Teilaspekte überprüft werden (BGE 125 V 413 E. 2d S. 417). Es bleibt aber vom
Bundesgericht zu untersuchen, ob die von den Vorinstanzen getroffene Wahl des
Tabellenwerts richtig ist. Dies ist eine frei zu beurteilende Rechtsfrage,
soweit sie nicht auf konkreter Beweiswürdigung beruht (BGE 132 V 393 E. 3.3 S.
399).
Bei der letzten rechtskräftigen Rentenzusprechung vom 20. März 2004 ermittelte
die IV-Stelle die hypothetischen Vergleichseinkommen auf Grund der im ersten
Entscheid des kantonalen Gerichts vom 16. April 1999 verwendeten und an die
Nominallohnentwicklung angepassten Werte. Dort bestimmte die Vorinstanz das
Invalideneinkommen anhand der Tabellenlöhne der Lohnstrukturerhebung (LSE) des
Bundesamtes für Statistik (LSE 1996, Tabelle TA1). Sie berücksichtigte dabei
das durchschnittliche Monatssalär für männliche Arbeitnehmer in allen
Wirtschaftszweigen des privaten Sektors, welche einfache und repetitive
Tätigkeiten verrichten (Obergerichtsentscheid Nr. 63/1998/13 vom 16. April
1999, E. 3c). In der neuen Verfügung vom 27. September 2007 legte die IV-Stelle
den Invalidenlohn anhand eines anderen Bemessungsfaktors fest: Sie ging davon
aus, dem Beschwerdeführer seien Tätigkeiten wie Unterhaltsarbeiter,
Speditionsarbeiter oder Lagermitarbeiter in einer Druckerei möglich, und
verwendete neu den LSE-Tabellenlohn TA1, 2004, privater Sektor, Niveau 4,
Männer, Zeile 22 ("Verlag, Druck, Vervielfältigung").
Die Richtigkeit der durch die Vorinstanzen getroffenen Wahl des neuen
spezifischen Tabellenwerts ist schon deshalb zu verneinen, weil der berufliche
Werdegang des Beschwerdeführers vor und seit Eintritt der Invalidität keinerlei
Anknüpfungspunkte dafür bietet. Nach der Praxis wird in solchen Fällen in der
Regel mit dem durchschnittlichen Lohn in allen Wirtschaftszweigen verglichen.
Was die von den Vorinstanz getroffene Wahl zusätzlich problematisch macht, ist,
dass der beigezogene Tabellenwert von Fr. 5236.- erheblich über dem genannten
Durchschnittswert liegt (Zeile 01: Fr. 4588.-), und sogar höher als in dem
angestammten Beschäftigungsbereich des Baugewerbes (Zeile 45: Fr. 4829.-). Die
einzige in den Akten beweiskräftig dokumentierte Beschäftigung des
Beschwerdeführers nach Eintritt des Versicherungsfalls ist jedoch eine
Büro-Putzstelle mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 1 ½ Stunden. Der am
ehesten entsprechende Wert (Zeilen 90-93: Sonstige öffentliche und persönliche
Dienstleistungen) liegt mit Fr. 4181.- rund Fr. 400.- unter dem Durchschnitt
sämtlicher Wirtschaftszweige und sogar über Fr. 1000.- unter dem von den
Vorinstanzen berücksichtigten Wert. Der für den neuen Einkommensvergleich
gewählte Tabellenwert ist somit zu hoch. Bei den rudimentären medizinischen
Akten kann jedoch vorerst nicht entschieden werden, ob allenfalls ein tieferer
als der Durchschnittswert der gesamten Wirtschaft einzubeziehen ist.

3.2 Die Frage, ob ein leidensbedingter Abzug nach Massgabe der Grundsätze von
BGE 126 V 75 vorzunehmen sei, ist rechtlicher Natur, die Bestimmung eines
solchen Abzuges dagegen Ermessensfrage, die vom Bundesgericht nicht zu prüfen
ist (Art. 95 und 97 BGG). Gerügt werden kann nur die Höhe des Abzuges im
Hinblick auf Ermessensüberschreitung oder -missbrauch als Formen
rechtsfehlerhafter (Art. 95 lit. a BGG) Ermessensbetätigung (BGE 132 V 393 E.
3.3 S. 399). Der Abzug hat nicht automatisch, sondern dann zu erfolgen, wenn im
Einzelfall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die versicherte Person wegen
eines oder mehrerer dieser Merkmale ihre gesundheitlich bedingte (Rest-)
Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur mit
unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann.

Nachdem die Vorinstanz in ihrem Entscheid vom 16. April 1999 zunächst erwogen
hatte, es rechtfertige sich beim Beschwerdeführer ein leidensbedingter Abzug
von 25 %, da er früher als Maurer schwere körperliche Arbeiten verrichtet habe,
und nun anerkanntermassen nur noch leichte bis mittelschwere körperliche
Arbeiten ausführen könne (E. 3d, zweiter Absatz), kommt sie im angefochtenen
Entscheid (E. 2c, S. 5 oben) zum Schluss, es sei der IV-Stelle insbesondere
auch darin zuzustimmen, dass sie dem Versicherten keinen behinderungsbedingten
Abzug gewährt habe, weil aus den konkreten und anderen in diesem Zusammenhang
relevanten Umständen nicht geschlossen werden könne, dass eine Herabsetzung des
Tabellenlohnes angebracht sei.
Auch dies kann bei der gegenwärtigen Aktenlage nicht definitiv beurteilt
werden. Wie oben angeführt, ist aber die Frage, ob ein Abzug vorzunehmen sei,
rechtlicher Natur. Soweit es hier um den Anspruch als solchen geht, ist er beim
angestammten Tätigkeitsbereich als Maurer nach der Verwaltungs- und
Gerichtspraxis in einem Sachverhalt, wie er sich nach den gegenwärtigen Akten
präsentiert, nicht zu verweigern, soweit einer unterdurchschnittlichen
Verwertbarkeit der verbleibenden Arbeitsfähigkeit nicht bereits mit der Wahl
eines entsprechend tieferen Tabellenwertes (vorne E. 3.1 am Ende) Rechnung
getragen wird. Fraglich und zu klären ist nur dessen Höhe, die von der
Verwaltung in pflichtgemässer Ermessensausübung zu bestimmen sein wird.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons
Schaffhausen vom 21. Dezember 2007 und die Verfügung der IV-Stelle Schaffhausen
vom 26. September 2007 werden aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle
Schaffhausen zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Obergericht des Kantons Schaffhausen zurückgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen, der
Ausgleichskasse des Kantons Schaffhausen und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 30. April 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

i.V. Lustenberger Schmutz