Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1060/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1060/2008

Urteil vom 26. Mai 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen, Seiler,
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
Freizügigkeitsstiftung X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Advokat Dr. Stefan Schmiedlin,

gegen

P.________, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Fritz Heeb.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
vom 21. November 2008.

Sachverhalt:

A.
Die Freizügigkeitsstiftung X.________ (nachfolgend: Freizügigkeitsstiftung)
löste am 28. Februar 2006 das seit kurzem bestehende Freizügigkeitskonto des
D.________ vorzeitig auf und zahlte die Austrittsleistung von Fr. 106'329.30
nach dessen Weisungen aus. Seine Ehefrau P.________ erhob am 3. April 2006
Klage auf Scheidung. In diesem Verfahren bestritt die Freizügigkeitsstiftung
die Existenz einer teilbaren Austrittsleistung, während die Ehefrau geltend
machte, die Saldierung des Freizügigkeitskontos sei ohne ihre Zustimmung
erfolgt. Mit Entscheid des Kreisgerichts vom 7. Dezember 2006 wurde die Ehe der
P.________ und des D.________ geschieden (Dispositiv-Ziffer 1) und u.a. der
jeweilige Anspruch der Parteien auf die Hälfte der nach Freizügigkeitsgesetz
für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten
festgestellt (Dispositiv-Ziffer 6). Am 27. Februar 2007 überwies das
Kreisgericht die Sache zur weiteren Beurteilung an das Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen. Dieses räumte P.________ Gelegenheit ein, gegen die
Freizügigkeitseinrichtung beim "zuständigen Versicherungsgericht des Kantons
Basel-Landschaft" Klage zu erheben und sistierte das bei ihm anhängig gemachte
Vorsorgeausgleichsverfahren.

B.
P.________ erhob am 27. Juni 2008 beim Kantonsgericht Basel-Landschaft Klage
gegen die Freizügigkeitsstiftung mit folgenden Rechtsbegehren:
1. Es sei festzustellen, dass die Beklagte die Freizügigkeitsleistung des
D.________ im Betrag von Fr. 106'214.95 am 20. Februar 2006 an ihn ausbezahlt
hat, ohne dass die erforderliche Zustimmung der Klägerin als Ehefrau vorlag.

2. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin auf deren Vorsorgeeinrichtung
mit Fr. 53'107.45 zuzüglich gesetzliche Zinsen vom 21. Februar 2006 bis zur
effektiven Überweisung (abzüglich ½ der eigenen Austrittsleistung gemäss Art.
122 ZGB) den ihr gemäss Scheidungsurteil zustehenden hälftigen Anspruch zu
bezahlen.
Mit Entscheid vom 21. November 2008 trat das Gericht mangels örtlicher
Zuständigkeit auf die Klage nicht ein und überwies die Angelegenheit
zuständigkeitshalber zur weiteren Behandlung an das Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen.

C.
Die Freizügigkeitsstiftung lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des Entscheids vom 21.
November 2008 sei das Kantonsgericht Basel-Landschaft zu verpflichten, auf die
Klage einzutreten.
P.________ lässt die Abweisung der Beschwerde beantragen, während das kantonale
Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Stellungnahme
verzichten.

Erwägungen:

1.
Umstritten ist einzig die örtliche Zuständigkeit des Gerichts für die
Beurteilung des Anspruchs der geschiedenen Ehefrau gegen die
Freizügigkeitsstiftung aufgrund der vor der Scheidung erfolgten Barauszahlung
eines Freizügigkeitsguthabens an den Ehemann. Die Vorinstanz verneint ihre
Zuständigkeit und hält gestützt auf Art. 25a FZG (SR 831.42) das
Vorsorgegericht des Scheidungskantons für zuständig. Die Freizügigkeitsstiftung
beruft sich hingegen auf Art. 73 Abs. 3 BVG (SR 831.40) und beharrt als
Beklagte auf dem Gerichtsstand an ihrem Sitz. Nicht bestritten ist die
sachliche Zuständigkeit eines kantonalen Berufsvorsorgegerichts im Sinne von
Art. 73 Abs. 1 lit. a BVG.

2.
2.1 Kommt über die Teilung der Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge
sowie die Art der Durchführung der Teilung keine Vereinbarung zustande, so
entscheidet das Scheidungsgericht über das Verhältnis, in welchem die
Austrittsleistungen zu teilen sind (Art. 142 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 141
Abs. 1 ZGB). Sobald der Entscheid über das Teilungsverhältnis rechtskräftig
ist, überweist das Gericht die Streitsache von Amtes wegen dem nach dem
Freizügigkeitsgesetz zuständigen Gericht (Art. 142 Abs. 2 ZGB).
Können sich die Ehegatten über die bei der Ehescheidung zu übertragende
Austrittsleistung (Art. 122, 123 ZGB) nicht einigen, so hat das am Ort der
Scheidung zuständige Berufsvorsorgegericht gestützt auf den vom
Scheidungsgericht bestimmten Teilungsschlüssel die Teilung von Amtes wegen
durchzuführen, nachdem ihm die Streitsache überwiesen worden ist (Art. 25a Abs.
1 FZG).

2.2 Nach seinem Wortlaut regelt Art. 25a FZG nur die örtliche Zuständigkeit für
die Teilung der Austrittsleistungen, nicht jedoch für die Beurteilung der
erfolgten Barauszahlung.
Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem
Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der
Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die
Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der
Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und
konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im
normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der Ratio legis
(BGE 134 V 170 E. 4.1 S. 174).

2.3 An einer (genehmigungsfähigen, vgl. Art. 141 Abs. 1 ZGB) Vereinbarung fehlt
es auch, wenn mindestens ein Ehegatte mit einer beteiligten Vorsorgeeinrichtung
über die Existenz einer teilbaren Austrittsleistung oder deren Höhe streitet
(Botschaft vom 15. November 1995 über die Änderung des ZGB, BBl 1996 I 111
Ziff. 233.46; HERMANN WALSER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 3. Aufl.
2006, N 7 zu Art. 142 ZGB; BAUMANN/LAUTERBURG, in: FamKomm Scheidung, 2005, N 2
und 4 zu Art. 142 ZGB; THOMAS GEISER, Berufliche Vorsorge im neuen
Scheidungsrecht, in: Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, 1999, S. 100 Rz.
2.120). Bei dieser Sachlage erfolgt in Bezug auf die berufliche Vorsorge eine
Zweiteilung des Verfahrens gemäss Art. 142 ZGB und Art. 25a FZG: Das
Scheidungsgericht setzt den Teilungsschlüssel fest und überweist die Sache an
das Berufsvorsorgegericht; dieses nimmt die Teilung vor, indem es die jedem der
geschiedenen Ehegatten per Saldo zustehenden Austrittsleistungen gegenüber den
beteiligten Vorsorge- und Freizügigkeitseinrichtungen betragsmässig verbindlich
festlegt (vgl. HERMANN WALSER, a.a.O., N 5 zu Art. 142 ZGB; GLOOR/UMBRICHT
LUKAS, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2007, N 6 zu Art. 142 ZGB).
Dadurch wird einerseits der u.a. in Art. 125 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 8 ZGB
festgehaltene Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils (vgl. DANIEL STECK,
in: FamKomm Scheidung, 2005, N 20 der Vorbemerkungen zu Art. 196-220 ZGB)
durchbrochen; andererseits sind neben den geschiedenen Ehegatten auch alle
beteiligten Vorsorge- und Freizügigkeitseinrichtungen in das Teilungsverfahren
einzubeziehen (Art. 142 Abs. 3 Ziff. 3 ZGB und Art. 25a Abs. 2 FZG). Dass der
Gerichtsstand für die Teilung der Austrittsleistungen ebenfalls - und
ausschliesslich - im Scheidungskanton liegt (Art. 25a Abs. 1 FZG; BBl 1996 I
112 Ziff. 233.46; THOMAS GEISER, a.a.O. S. 100 Ziff. 2.119), dient daher der
Vereinfachung des Verfahrens und, dank der umfassenden Regelung der Rechte und
Pflichten aller Beteiligten, der Rechtssicherheit.

2.4 Wegen Unzulässigkeit der Barauszahlung einer Freizügigkeitsleistung an eine
verheiratete Person kann der geschiedene Ehegatte mit gerichtlich
festgestelltem Teilungsanspruch (Art. 141 f. ZGB; vgl. auch Art. 123 Abs. 2
ZGB; SZS 2004 S. 375, B 90/01 E. 3.2) sowie die Witwe oder der Witwer (Art. 15
Abs. 1 lit. b FZV [SR 831.425] in Verbindung mit Art. 19 BVG; vgl. BGE 130 V
103) Schadenersatz geltend machen. Der (noch) verheiratete Ehepartner hingegen
kann die Unzulässigkeit der Barauszahlung feststellen lassen (BGE 128 V 41 E. 3
S. 48 f.). Der Schadenersatzanspruch des geschiedenen Ehegatten ist
grundsätzlich auf den vom Scheidungsgericht festgelegten Anteil der nach Art.
22 Abs. 2 FZG zu ermittelnden Austrittsleistung beschränkt (SZS 2007 S. 164, B
126/04 E. 3.2). Bei der Schadensermittlung sind jedoch auch die - aufgrund des
familienrechtlichen Teilungsanspruchs - gegenüber weiteren involvierten
Vorsorge- oder Freizügigkeitseinrichtungen (vgl. Art. 142 Abs. 3 Ziff. 3 ZGB
und Art. 25a Abs. 2 FZG) bestehenden Anwartschaften von Amtes wegen zu
berücksichtigen (Art. 73 Abs. 2 BVG). In dieser Situation sind die Ansprüche
auf Schadenersatz und Teilung der Austrittsleistungen untrennbar miteinander
verwoben. Daher ist das Berufsvorsorgegericht am Ort der Scheidung, nachdem ihm
das Scheidungsgericht die Sache überwiesen hat, zwingend auch für die
vorfrageweise Beurteilung der während der Ehe erfolgten Barauszahlung einer
Freizügigkeitsleistung und eines sich daraus ergebenden Schadenersatzanspruchs
zuständig. In der Folge hat es die Höhe der zu berücksichtigenden
Austrittsleistungen festzusetzen und die Teilung vorzunehmen.

2.5 Dass einer Vorsorgeeinrichtung durch den Gerichtsstand am Ort der Scheidung
insbesondere in Bezug auf die Verfahrenssprache zusätzliche Umtriebe und Kosten
entstehen können, ist hinzunehmen (vgl. THOMAS GEISER, a.a.O. S. 100 Ziff.
2.119), weil nach dem Gesagten (E. 2.3 und 2.4) die Vorteile einer
einheitlichen örtlichen Zuständigkeit überwiegen. Ebenso ändert nichts daran,
dass im konkreten Fall keine Gefahr eines Kompetenzkonfliktes bestand und ein
Wechsel der Zuständigkeit wegen des bereits durchgeführten Schriftenwechsels
nicht ökonomisch ist: Jenes wurde nur durch - zusätzlichen Aufwand
verursachende - direkte Absprachen unter den in Frage kommenden Gerichten
erreicht; dieses wird künftig - nach Klärung der Rechtslage - vermeidbar.

Für die Beurteilung der während der Ehe erfolgten Barauszahlung der
Freizügigkeitsleistung ist das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
somit zuständig; die Beschwerde ist unbegründet.

3.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Freizügigkeitsstiftung aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat der
obsiegenden Beschwerdegegnerin überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 66 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. Mai 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann