Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1035/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1035/2008

Urteil vom 18. März 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Amstutz.

Parteien
Pensionskasse SBB, Zieglerstrasse 29,
3007 Bern, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprecher Sven Marguth,

gegen

S.________, Beschwerdegegner,
vertreten durch Procap, Schweizerischer Invaliden-Verband.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge [085.50],

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 3. November 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1969 geborene S.________ arbeitete nach gescheiterter Berufslehre ab 1.
Oktober 1990 bis 31. Dezember 2000 als Hilfsarbeiter bei den Schweizerischen
Bundesbahnen (SBB) und war im Rahmen dieser Anstellung bei der Pensionskasse
SBB berufsvorsorgeversichert. Nachdem die Invalidenversicherung aufgrund der
fachärztlich diagnostizierten Intelligenzminderung unklaren Ausmasses, jedoch
zumindest leicht, mit deutlicher Verhaltensstörung (ICD-10: F70.1, bestehend
seit Geburt) und rezidivierenden depressiven Störung (ICD-10: F33.4, bestehend
seit jungem Erwachsenenalter) ab 1. Januar 2002 (Ablauf Wartejahr gemäss Art.
29 Abs. 1 lit. b IVG, in Kraft gestanden bis Ende 2007) einen Invaliditätsgrad
von 100 % anerkannt und mit Verfügung vom 23. Februar 2005 sowie
Einspracheentscheid vom 13. Oktober 2005 rückwirkend ab 1. Juli 2002
(verspätete Anmeldung) eine ganze Invalidenrente zugesprochen hatte, liess
S.________ die Pensionskasse im Juli 2006 durch seine Beiständin um
Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge ersuchen. Mit Schreiben vom 27.
Juli 2006 lehnte die Pensionskasse das Rentenbegehren mit der Begründung ab,
zwischen der während des Vorsorgeverhältnisses eingetretenen Arbeitsunfähigkeit
und der späteren Invalidität aus psychischen Gründen bestehe kein sachlicher
Zusammenhang.

B.
In Gutheissung der dagegen erhobenen Klage sprach das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern S.________ mit Wirkung ab 1. Januar 2002 eine ganze Invalidenrente
nach BVG zu (Entscheid vom 3. November 2008).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
Pensionskasse SBB die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und
Klageabweisung.
S.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Dabei legt das
Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann eine - für den Ausgang des
Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG
beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; Ausnahme: Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG
[Art. 105 Abs. 3 BGG]).

2.
Die Vorinstanz hat die Rechtsgrundlagen des Anspruchs auf Invalidenleistungen
der - letztinstanzlich einzig zur Diskussion stehenden - obligatorischen
beruflichen Vorsorge (Art. 23 BVG [in der bis Ende 2004 gültig gewesenen
Fassung]; seit 1. Januar 2005: Art. 23 lit. a BVG in Kraft stehenden Fassung]),
insbesondere das Erfordernis einer während des Vorsorgeverhältnisses
eingetretenen, mit der späteren Invalidität in engem zeitlichen und sachlichen
Zusammenhang stehenden Arbeitsunfähigkeit (Versicherungsprinzip; BGE 135 V 13
E. 2.6, 134 V 20 E. 3 S. 21 ff., 130 V 270 E. 4.1 S. 275, 123 V 262 E. 1c S.
264) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Ausser Frage steht letztinstanzlich, dass der Beschwerdegegner bis 31. Januar
2001 (einschliesslich Nachdeckungsfrist; Art. 10 Abs. 3 BVG) bei der
Beschwerdeführerin obligatorisch berufsvorsorgeversichert gewesen war, er seit
1. Januar 2001 zu 100 % arbeitsunfähig ist und seit 1. Januar 2002 Anspruch auf
eine ganze Invalidenrente der Invalidenversicherung hat (Invaliditätsgrad: 100
%). Streitpunkt ist, ob zwischen der während des Vorsorgeverhältnisses
eingetretenen Arbeitsunfähigkeit und der anerkannten Invalidität ein enger
sachlicher Zusammenhang besteht, was bejahendenfalls - bei unbestritten
gegebenem zeitlichen Zusammenhang (E. 2 hievor) - den Anspruch auf eine
Invalidenrente nach BVG begründete.

3.1 Ursache der seit 1. Januar 2002 bestehenden (100%igen) Invalidität ist
gemäss unbestrittener Feststellung der Vorinstanz die psychische Krankheit des
Versicherten (vgl. vorne, lit. A; Bericht des Dr. med. H.________, Oberarzt,
Facharzt FMH für Psychiatrie, und des Dr. med. T.________, Assistenzarzt, beide
Externe Psychiatrische Dienste [EPD], vom 31. Oktober 2003). Den hier
umstrittenen sachlichen Zusammenhang zwischen der psychisch bedingten
Invalidität und der anerkanntermassen am 1. Januar 2001 eingetretenen
Arbeitsunfähigkeit bejahte das kantonale Gericht im Wesentlichen gestützt auf
den Bericht des Dr. med. B.________, FMH für Allgemeine Medizin, vom 22.
Dezember 2005: Daraus gehe hervor, dass sich die psychische Krankheit bereits
im Jahr 2000 bemerkbar machte, der Versicherte sie jedoch offenbar vor dem
Arbeitgeber noch verbergen konnte; nach Wegfall der stabilisierenden Wirkung
der Arbeit, während der Nachdeckungsfrist im Januar 2001, sei sie dann voll zum
Tragen gekommen und habe sie eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bewirkt. Für
letztere von untergeordneter Bedeutung gewesen sei die hausärztlich
diagnostizierte Hypertonie, welche bereits seit Juli 1999 in der auch Ende 2000
festgestellten Schwere bestanden habe und allein - ohne die entsprechende
Symptomatik wie Herz- oder Hirninfarkt - keine (100%ige) Arbeitsunfähigkeit zu
begründen vermöchte.

3.2 Was die Beschwerdeführerin gegen die vorinstanzliche Feststellung einer ab
Januar 2001 psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeit einwendet, rechtfertigt
unter dem Blickwinkel von Art. 105 Abs. 2 BGG keine letztinstanzliche
Korrektur: Unbegründet ist namentlich die Rüge, die Vorinstanz habe die
Aussagen im Bericht des Dr. med. B.________ vom 22. Dezember 2005 aktenwidrig
wiedergegeben und in unhaltbarer Weise gewürdigt: Der erwähnte Bericht wird in
E. 5.1.4 des kantonalen Entscheids umfassend und wortgetreu, mithin weder
unvollständig noch offensichtlich unrichtig, wiedergegeben. Was die
vorinstanzliche Würdigung seines Inhalts betrifft, ist dem Beschwerdeführer
beizupflichten, dass der Hausarzt (kompetenzgemäss; BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 50)
keine eigentliche psychiatrische Diagnose im Rahmen eines anerkannten
Klassifikationssystems stellt; wenn er aber "als Begründung meiner
Einschätzung" der Arbeitsunfähigkeit das bereits seit 2000 bemerkbar gewesene -
gemäss Fachärzten seit Geburt (Intelligenzminderung mit deutlicher
Verhaltensstörung) und jungem Erwachsenenalter (rezidivierende depressive
Störung) bestehende - "psychische Krankheitsbild" ("allzu positive
Selbsteinschätzungen", "manische Züge", "verminderte Intelligenz") und die
beobachtete "Veränderung im Wesen und der Psyche" angibt (Bericht vom 22.
Dezember 2005, S. 2), durfte die Vorinstanz daraus willkürfrei schliessen, dass
es ausschliesslich oder zumindest "vor allem psychische Gründe"
(vorinstanzlicher Entscheid, S. 13) waren, die zur Annahme einer 100%igen
Arbeitsunfähigkeit ab 1. Januar 2001 führten. Ein offenkundiger, nach weiteren
Abklärungen (Art. 61 lit. c ATSG) rufender Widerspruch zum fachärztlichen
Bericht der Dres. med. H.________ und T.________, EPD, vom 31. Oktober 2003 -
deren Diagnosen in völligem Einklang mit dem Krankheitsbeschrieb des Dr. med.
B.________ stehen - liegt nicht vor: Die dortige Datierung des Eintritts der
psychisch bedingt vollen Arbeitsunfähigkeit ("Aufhebung des Leistungsbildes")
auf "Frühjahr 2001" ist nach den weder offensichtlich unrichtigen noch
rechtsfehlerhaft getroffenen Feststellungen der Vorinstanz erst nachträglich
(erste Behandlung: 2. Juli bis 21. Oktober 2003) erfolgt und mangels eigener
echtzeitlicher Erkenntnisgrundlagen vage. Als bloss offener Richtwert ist sie
nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an den Angaben des Dr. med. B.________ zu
begründen, was umso mehr gilt, als das im Bericht des EPD erwähnte "Frühjahr"
(nicht: "Frühling") den ersten Jahresmonat durchaus miteinschliessen kann.

3.3 Selbst wenn aber im Sinne der Beschwerdeführerin davon auszugehen wäre,
dass die während der Versicherungsdeckung eingetretene 100%ige
Arbeitsunfähigkeit kurzfristig noch ausschliesslich durch die schwere
Hypertonie bedingt war, wäre der sachliche Zusammenhang hier zu bejahen, zumal
das erstelltermassen seit langem vorhandene und ab 1. Januar 2002
invalidisierende psychische Leiden sich - wie nicht nur aus der Stellungnahme
des Hausarztes, sondern auch aus dem Bericht der EPD vom 21. Oktober 2003
hervorgeht - bereits während der Versicherungsdeckung manifestierte und das
Krankheitsgeschehen erkennbar mitprägte (vgl. dazu Urteile des Bundesgerichts
9C_772/2007 vom 26. Februar 2008, E. 3.2 und B 46/06 vom 29. Januar 2007, E.
3.3; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 37/06 vom 22. September 2006, E.
3.3 mit Hinweis). Das psychische Leiden hat sich in der Tat konkret auf das
Arbeitsverhältnis ausgewirkt, indem der Beschwerdeführer, anfänglich im
Rangierdienst beschäftigt, "auf Grund seiner Neigung, sich selbst durch
Unachtsamkeit zu gefährden" (Bericht der EPD vom 31. Oktober 2003, S. 2), in
den Reinigungsdienst (Zugwagen) versetzt werden musste, worauf er u.a. mit
"Stimmungseinbrüchen" (a.a.O.) reagierte.

3.4 Nach dem Gesagten hält die vorinstanzliche Bejahung des sachlichen
Zusammenhangs im Sinne von Art. 23 BVG in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht stand und ist die Leistungspflicht der Vorsorgeeinrichtung gemäss
kantonalem Entscheid zu bestätigen.

4.
Die zu erhebenden Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) gehen
ausgangsgemäss zu Lasten der Beschwerdeführerin (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der
Beschwerdegegner hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 300.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. März 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Amstutz