Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1021/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1021/2008

Urteil vom 28. Januar 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Traub.

Parteien
G.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Beratungsstelle für Ausländer, Schützengasse 7, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 15. Oktober 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1956 geborene G.________ war seit 1988 als Rangierangestellter, ab März
2003 im Hausdienst beim Unternehmen C.________ erwerbstätig. Am 1. April 2004
meldete sich G.________ unter Hinweis u.a. auf Rückenbeschwerden zum Bezug von
Leistungen der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau
lehnte den Anspruch auf berufliche Massnahmen und Invalidenrente mit Verfügung
vom 13. Oktober 2004 ab; dabei ging sie von einem Invaliditätsgrad von 33
Prozent aus.
Am 11. Mai 2007 machte G.________ gegenüber der IV-Stelle unter Beilage
verschiedener Arzt- und Klinikberichte eine Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes geltend und ersuchte um Prüfung der Rentenfrage. Die
Verwaltung trat auf das Gesuch ein und veranlasste weitere medizinische
Abklärungen (Gutachten des Rheumatologen Dr. J.________ vom 16. Januar 2008
sowie des Psychiaters Dr. S.________ vom 20. März 2008). Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens erkannte die IV-Stelle, seit der Rentenablehnung im Jahr
2004 sei keine Verschlechterung des Gesundheitszustands eingetreten; bei einem
Invaliditätsgrad von nunmehr 32 Prozent bestehe nach wie vor kein Anspruch auf
eine Invalidenrente (Verfügung vom 5. Juni 2008).

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene
Beschwerde ab (Entscheid vom 15. Oktober 2008).

C.
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit den Rechtsbegehren, es sei ihm, nach Aufhebung des angefochtenen Entscheids
und der strittigen Verfügung, eine Dreiviertelsrente zuzusprechen. Eventuell
sei die Sache zur weiteren Abklärung an die Verwaltung zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
1.1 Dieses Verfahren betrifft eine Neuanmeldung nach vorausgegangener
rechtskräftiger Rentenverweigerung (Verfügung vom 13. Oktober 2004; Art. 87
Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 IVV; vgl. BGE 130 V 71). Streitig ist, ob der
Beschwerdeführer aufgrund einer bis zum Abschluss des neuen
Verwaltungsverfahrens (Verfügung vom 5. Juni 2008; BGE 131 V 242 E. 2.1 S. 243)
eingetretenen Verschlechterung seines Gesundheitszustands Anspruch auf eine
Rente der Invalidenversicherung erworben hat. Das kantonale Gericht hat die zur
Beurteilung des Leistungsanspruchs einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

1.2 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 BGG erhoben werden.
1.2.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).
1.2.2 Die aufgrund von medizinischen Untersuchungen gerichtlich festgestellte
Arbeitsfähigkeit ist Entscheidung über eine Tatfrage. Dazu gehört auch die
Frage, in welchem Umfang eine versicherte Person vom funktionellen
Leistungsvermögen und vom Vorhandensein bzw. von der Verfügbarkeit psychischer
Ressourcen her eine (Rest-) Arbeitsfähigkeit aufweist und ihr die Ausübung
entsprechend profilierter Tätigkeiten zumutbar ist, es sei denn, andere als
medizinische Gründe stünden der Bejahung der Zumutbarkeit im Einzelfall in
invalidenversicherungsrechtlich erheblicher Weise entgegen. Soweit hingegen die
Beurteilung der Zumutbarkeit von Arbeitsleistungen auf die allgemeine
Lebenserfahrung gestützt wird, geht es um eine Rechtsfrage (vgl. dazu den auch
unter der Herrschaft des BGG massgebenden BGE 132 V 393). Tatfrage ist
wiederum, ob sich eine Arbeitsfähigkeit in einem bestimmten Zeitraum
rentenrevisionsrechtlich relevant (vgl. Art. 17 ATSG; Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV)
verändert hat. Rechtlicher Natur sind demgegenüber die - hier nicht
interessierenden - Fragen, welche Vergleichszeitpunkte im Rahmen einer
Neuanmeldung heranzuziehen und wie hohe Anforderungen an das Glaubhaftmachen im
Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV zu stellen sind (Urteil I 692/06 vom 19. Dezember
2006 E. 3.1).

2.
2.1 Das kantonale Gericht gelangte nach einer ausführlichen Würdigung des
medizinischen Dossiers - wie bereits die Verwaltung - zum Schluss, im Vergleich
mit den medizinischen Unterlagen, welche für die Ablehnung des Rentenanspruchs
im Oktober 2004 massgebend gewesen seien (Berichte der Rheumaklinik am Spital
A.________ vom 14. Juni 2004 sowie des Psychiaters Dr. H.________ vom 7. August
2004), habe sich bis zum Abschluss des Neuanmeldungsverfahrens vor der
IV-Stelle im Juni 2008 keine wesentliche Veränderung des Gesundheitszustands
ergeben; es bestehe sowohl mit Bezug auf die körperlichen als auch auf die
psychischen Befunde eine volle Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten
Tätigkeit. Für diese Festlegung stützt es sich vor allem auf die
Administrativgutachten des Rheumatologen Dr. J.________ vom 16. Januar 2008
sowie des Psychiaters Dr. S.________ vom 20. März 2008. Beide Sachverständigen
kommen aus Sicht ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs zum Schluss, es
bestehe kein Gesundheitsschaden, der die Leistungsfähigkeit des Versicherten
auch mit Bezug auf Arbeiten vermindern würde, welche der verminderten
Belastbarkeit infolge des rheumatologischen Befundes ("nicht näher
spezifizierbares chronifiziertes Schmerzsyndrom im Bereiche der rechten
Körperhälfte") Rechnung tragen. Der Beschwerdeführer beruft sich im
Wesentlichen auf verschiedene andere Arztberichte, die seiner Auffassung nach
eine Zunahme des Gesundheitsschadens belegen.

2.2 Vorauszuschicken ist, dass mit Blick auf das Erfordernis einer erheblichen
Änderung tatsächlicher Natur die bloss andere Beurteilung eines im Wesentlichen
unverändert gebliebenen Sachverhalts revisionsrechtlich bedeutungslos ist (BGE
115 V 308 E. 4a/bb S. 313; SVR 1996 IV Nr. 70 S. 204 E. 3a, I 124/94). Anders
verhält es sich in Fällen, in denen sich ein Leiden - bei gleicher Diagnose -
in seiner Intensität und in seinen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit
verändert hat (Urteil I 212/03 vom 28. August 2003 E. 2.2.3), wie es etwa bei
der Chronifizierung psychischer Störungen zutreffen kann (ZAK 1989 S. 265, I
345/88).

Der Versicherte beanstandet zunächst, dass das kantonale Gericht die
Schlussfolgerung des Gutachters Dr. S.________, es bestehe kein
invalidisierendes psychisches Leiden, derjenigen der Klinik B.________
vorgezogen habe; hier wurde eine Arbeitsunfähigkeit von 50 Prozent wegen einer
mittelgradigen depressiven Episode mit somatischen Symptomen und einer
undifferenzierten Somatisierungsstörung attestiert (Austrittsbericht vom 11.
Mai 2005). Das kantonale Gericht hat sich mit dieser Diskrepanz einlässlich
auseinandergesetzt und festgehalten, das gutachtliche Abweichen von den
Befunden der Klinik B.________ sei nachvollziehbar begründet. Dem ist ohne
weiteres beizupflichten. Anzufügen ist, dass im Bericht der Klinik B.________ -
der therapeutischen Zielsetzung des Klinikaufenthalts entsprechend - weitgehend
auf der Grundlage der subjektiven Angaben des Versicherten argumentiert wird.
Dementsprechend kann, anders als der Beschwerdeführer meint, aus dem
Unterschied zwischen einer anderthalbstündigen gutachtlichen Untersuchung und
einem dreiwöchigen Klinikaufenthalt für dessen Rechtsstandpunkt nichts
hergeleitet werden, zumal ein weiterer Psychiater, welcher den
Gesundheitszustand des Versicherten über längere Zeit hinweg verfolgen konnte,
den Befund einer reaktiven Depression nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit
verbindet (Bericht des Dr. H.________ vom 8. September 2007). Weitere
Vorbringen, wonach - sinngemäss - die vorinstanzliche Würdigung der
medizinischen Entscheidungsgrundlagen beweisrechtlich unhaltbar sei, sind weder
in sich noch mit Blick auf die einschlägigen vorinstanzlichen Ausführungen, auf
welche an dieser Stelle wiederum verwiesen werden kann, hinreichend begründet;
es ist deshalb nicht näher darauf einzugehen (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 134
II 244).
Insgesamt ergibt sich, dass die Vorinstanz den rechtserheblichen Sachverhalt
jedenfalls nicht offensichtlich unrichtig festgestellt hat. Ebenso wenig beruht
die - für die Belange der Streitfrage vollständige - Sachverhaltsfeststellung
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (vgl. oben E. 1). Daher
besteht kein Grund für die im Eventualbegehren beantragte nähere Abklärung des
medizinischen Status. Ohnehin lässt es die unterschiedliche Natur von
Behandlungsauftrag des therapeutisch tätigen (Fach-)Arztes einerseits und
Begutachtungsauftrag des amtlich bestellten fachmedizinischen Experten
anderseits (BGE 124 I 170 E. 4 S. 175) nicht zu, ein Administrativ- oder
Gerichtsgutachten stets in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen
zu nehmen, wenn behandelnde Ärzte zu anderslautenden Einschätzungen gelangen.
Vorbehalten bleiben Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung
aufdrängt, weil die behandelnden Ärzte wichtige - und nicht rein subjektiver
ärztlicher Interpretation entspringende - Aspekte benennen, die im Rahmen der
Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (SVR 2008 IV Nr. 15 S.
44 E. 2.2.1 mit Hinweisen, I 514/06). Dies ist hier aber nicht der Fall.

3.
Das Vorbringen, die Verwaltung habe das auf statistische Daten gemäss
Schweizerischer Lohnstrukturerhebung abgestützte Invalideneinkommen ohne Abzug
(im Sinne von BGE 129 V 472 E. 4.2.3 S. 481 und 126 V 75; zur Abgrenzung von
Rechts- und Ermessensfragen: Urteil 9C_382/2007 vom 13. November 2007 E. 4.1)
ermittelt, ist aktenwidrig. Aus der Verfügung vom 5. Juni 2008 ist ersichtlich,
dass das angerechnete Invalideneinkommen um 10 Prozent herabgesetzt worden ist.

4.
Die vorinstanzliche Schlussfolgerung, wonach die seitens der IV-Stelle verfügte
Ablehnung des Anspruchs auf eine Invalidenrente nicht zu beanstanden sei, ist
somit bundesrechtskonform; ein Invaliditätsgrad von unter 40 Prozent ist nicht
rentenbegründend (Art. 28 Abs. 1 [in der bis 2007 geltenden Fassung] resp. Art.
28 Abs. 2 [in der seit 2008 geltenden Fassung] IVG).

5.
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. Januar 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub