Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1011/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1011/2008

Urteil vom 9. März 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Parteien
J.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter P. Theiler,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 29. Oktober 2008.

Sachverhalt:

A.
Die seit Februar 2006 im Handelsregister eingetragene Gesellschaft V.________
AG war bereits seit 1995 unter verschiedenen Namen (u.a. X.________ AG) tätig
und rechnete die paritätischen Beiträge mit der Ausgleichskasse des Kantons
Zürich ab. Mit einer Vereinbarung vom 4. Januar 1999 hatte die Y.________/USA,
als Muttergesellschaft der X.________ AG verschiedenen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern per 1. April 1999 Optionen zugeteilt, die auf einem 1997
errichteten "Stock Option Plan" basierten. Das Bezugsrecht war in dem Sinne
aufgeschoben und beschränkt, dass ein erstes Drittel der Optionen ab dem 1.
Januar 2000, ein weiteres Drittel ab dem 1. Januar 2001 und das restliche
Drittel ab dem 1. Januar 2002 ausgeübt werden konnten, wobei die generell bis
1. März 2009 befristete Ausübung von einem fortbestehenden
Anstellungsverhältnis abhängig war. 14'700 Optionen erhielt der bei der
X.________ AG angestellte J.________. Gestützt auf die Deklarationen in der
Jahresabrechnung 1999, in der Nachtragsabrechnung 1999 sowie die veranlassten
Bewertungen der ausgegebenen Optionen per Zuteilungsdatum stellte die
Ausgleichskasse der X.________ AG am 6. April 2000 paritätische Beiträge von
insgesamt Fr. 3'335'367.30 in Rechnung. Auf Ende 2000 kündigte J.________ das
Arbeitsverhältnis mit der X.________ AG. Mit Schreiben vom 8. Mai 2003 gelangte
er an die Ausgleichskasse, berief sich darauf, dass das Steueramt sein
Einkommen für die Steuerperiode 1999/2000 neu eingeschätzt habe, und ersuchte
gestützt darauf um Neufestsetzung der AHV-Beiträge und Überweisung eines
allfälligen Überschusses der Arbeitnehmerbeiträge auf sein Bankkonto. In der
Folge verwies ihn die Ausgleichskasse an seine ehemalige Arbeitgeberin. Nachdem
ein entsprechender Schritt fruchtlos geblieben war, wandte sich J.________ am
1. September 2003 erneut an die Ausgleichskasse. Diese teilte ihm gestützt auf
eine Arbeitgeberkontrolle mit, sie erachte die Beitragsfestsetzung als korrekt,
woran sie mit Schreiben vom 16. Dezember 2004 festhielt.
Am 24. Dezember 2004 verlangte J.________ von der Ausgleichskasse hinsichtlich
des Anspruchs auf Rückerstattung den Erlass einer Verfügung. Die Kasse
behandelte das Begehren als Wiedererwägungsgesuch, welches sie am 15. März 2005
mittels Nichteintreten erledigte.

Auf Rechtsverweigerungsbeschwerde von J.________ hin verpflichtete das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Ausgleichskasse mit Entscheid
vom 23. September 2005, das Gesuch vom 24. Dezember 2004 unter dem Blickwinkel
der prozessualen Revision zu prüfen. Mit Verfügung vom 4. Juli 2006 lehnte die
Kasse das Revisionsgesuch ab, woran sie mit Einspracheentscheid vom 19. Januar
2007 festhielt.

B.
J.________ liess Beschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung des
Einspracheentscheides seien die für 1999 auf Mitarbeiteroptionen festgesetzten
Beiträge aufzuheben und die Ausgleichskasse sei zu verpflichten, ihm die zu
viel bezahlten Arbeitnehmerbeiträge, zuzüglich Zins zu 5 % seit 1. Januar 2001,
zurückzuerstatten; eventuell sei die Sache zu neuer Beurteilung an die
Ausgleichskasse zurückzuweisen. Mit Entscheid vom 29. Oktober 2008 wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt J.________ den
vorinstanzlich gestellten Hauptantrag erneuern; eventuell sei die Sache zu
neuer Beurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über die Rückforderung zu viel bezahlter
oder nicht geschuldeter Beiträge (Art. 25 Abs. 3 ATSG [SR 830.1]; Art. 41 AHVV
[SR 831.101]) sowie die Revision und Wiedererwägung formell rechtskräftiger
Verfügungen und Einspracheentscheide (Art. 53 Abs. 1 und 2 ATSG) zutreffend
wiedergegeben. Diese Grundsätze gelten auch, wenn nicht die Revision oder
Wiedererwägung einer Verfügung im formellen, sondern einer Verfügung im
materiellen Sinn (vgl. dazu BGE 117 V 97 E. 2b S. 102) in Frage steht, wie im
vorliegenden Fall, welchem eine Rechnung der Ausgleichskasse über paritätische
Beiträge vom 6. April 2000 zugrunde liegt. Fehlt eine fristgerechte
Intervention der beitragspflichtigen Person, entfaltet der im formlosen
Verfahren ergangene Entscheid in gleicher Weise Rechtswirkungen, wie wenn er im
durch Art. 51 Abs. 1 ATSG umschriebenen Rahmen erlassen worden wäre, wobei die
Frist, innert welcher formlose Mitteilungen anzufechten sind, auf ein Jahr
festgesetzt wurde (BGE 134 V 145 E. 5 S. 149 ff.).
Ergänzend ist Folgendes zu beachten: Art. 55 Abs. 1 ATSG sieht vor, dass in den
Art. 27-54 oder in den Einzelgesetzen nicht abschliessend geregelte
Verfahrensbereiche sich nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember
1968 (VwVG; SR 172.021) bestimmen. Weil das ATSG keine Vorschrift zur Frist
enthält, innert welcher ein Revisionsgesuch bei der Verwaltung einzureichen
ist, sind gestützt auf Art. 55 Abs. 1 ATSG die Bestimmungen des VwVG anwendbar
(KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl., Zürich 2009, Rz. 23 zu Art. 53).
Gemäss Art. 67 Abs. 1 VwVG ist das Revisionsbegehren der Beschwerdeinstanz
innert 90 Tagen nach Entdeckung des Revisionsgrundes, spätestens aber innert 10
Jahren nach Eröffnung des Beschwerdeentscheides, schriftlich einzureichen. Dass
die prozessuale Revision von Verwaltungsverfügungen nur innerhalb der für die
Revision von Beschwerdeentscheiden massgebenden Fristen zulässig ist, hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht im Übrigen bereits vor Inkrafttreten des
ATSG erkannt, als dieses Institut erst in einzelnen Sozialversicherungszweigen
gesetzlich geregelt war (RKUV 1994 Nr. U 191 E. 3 S. 145f. mit Hinweis).
Zusätzlich hat das Gericht im nämlichen Urteil festgehalten, dass die Fristen
des Art. 67 VwVG im Sinne eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes zu beachten sind,
wenn die prozessuale Revision von Verfügungen in Frage steht, die von
Verwaltungsbehörden erlassen wurden, für welche das VwVG nicht gilt.

2.
Im Entscheid vom 23. September 2005 hat die Vorinstanz erkannt, dass die
Beitragsfestsetzung auf den 1999 zugeteilten Optionen in formelle Rechtskraft
erwachsen sei. Weil die Eingabe des Beschwerdeführers vom 24. Dezember 2004
nicht als Wiedererwägungsgesuch, sondern als Gesuch um Durchführung einer
prozessualen Revision zu verstehen sei, hat das Gericht die Ausgleichskasse
verpflichtet, über dieses Revisionsgesuch zu verfügen. Diese hat sich deshalb
darauf beschränkt, das Rückerstattungsbegehren unter dem Aspekt der Revision zu
prüfen. Gegenstand des kantonalen Beschwerdeverfahrens bildete dementsprechend
ebenfalls nur diese Frage, und auch letztinstanzlich ist der Antrag des
Beschwerdeführers nur unter dem Titel der prozessualen Revision zu prüfen.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer gelangte mit Schreiben vom 8. Mai 2003 an die
Ausgleichskasse. Unter Beilage der Neueinschätzung seines Einkommens für die
Jahre 1999/2000 durch das Steueramt ersuchte er um Berichtigung der erhobenen
AHV-Beiträge sowie darum, allfällige Überschüsse des Arbeitnehmeranteils auf
sein Bankkonto zu überweisen. Einen Revisionsgrund behauptete er in jenem
Schreiben nicht, und die korrigierte Steuereinschätzung ersetzt das fehlende
Revisionsgesuch nicht, zumal sie keinerlei Hinweise auf die Bilanzfälschungen
und den damit zusammenhängenden Revisionsgrund enthält. Ein formgültiges,
ausreichend begründetes Revisionsgesuch kann mit der Vorinstanz erst in der
Eingabe des Beschwerdeführers vom 24. Dezember 2004 an die Ausgleichskasse
erblickt werden, worin er auf die als Folge der Bilanzfälschungen der
Muttergesellschaft Y.________/USA unrichtige Bewertung der von der
Ausgleichskasse als massgebenden Lohn erfassten Mitarbeiteroptionen hinwies.

3.2 Dieses Revisionsgesuch war klar verspätet. Bereits einem Schreiben der
Vertreterin des Beschwerdeführers an das kantonale Steueramt vom 11. Februar
2003 lässt sich entnehmen, dass diesem die Bilanzfälschungen und weitere
strafbare Handlungen der Y.________/USA mit Auswirkungen auf den Wert der
Optionen bis ins Jahr 1999 zurück bekannt waren. Nachdem diese kriminellen
Handlungen der Organe der Muttergesellschaft seiner früheren Arbeitgeberin nach
Ansicht des Beschwerdeführers einen Revisionsgrund darstellen, indem die
Mitarbeiteroptionen von Anfang an wertlos waren, was indessen erst nachträglich
festgestellt werden konnte, hätte er innert 90 Tagen nach Entdeckung des
behaupteten Revisionsgrundes das Revisionsbegehren gemäss Art. 67 Abs. 1 VwVG
schriftlich bei der Ausgleichskasse einreichen müssen. Dies hat er unterlassen
und stattdessen innert Frist lediglich am 8. Mai 2003 der Ausgleichskasse die
Neueinschätzung seines Einkommens für die Jahre 1999/2000 durch das Steueramt
zugestellt, ohne einen Revisionsgrund wenigstens zu behaupten.
Da das Revisionsgesuch vom 24. Dezember 2004 erst mehr als 1 1/2 Jahre nach
Ablauf der 90tägigen Revisionsfrist eingereicht wurde, hätte die
Ausgleichskasse dieses mittels Nichteintretens erledigen müssen. Die
Stichhaltigkeit des geltend gemachten Revisionsgrundes braucht zufolge
Fristversäumnisses nicht geprüft zu werden.

4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1600.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der V.________ AG
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. März 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer