Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1003/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1003/2008

Urteil vom 6. August 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
C.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Wallis,
Avenue Pratifori 22, 1950 Sitten,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung (Beitragspflicht),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonalen Versicherungsgerichts des Wallis
vom 27. Oktober 2008.

Sachverhalt:

A.
C.________ ist als selbständigerwerbender Landwirt der Ausgleichskasse des
Kantons Wallis angeschlossen. Im Rahmen eines Expropriationsverfahrens
betreffend eine von ihm bis 2007 gepachtete Parzelle einigte er sich am 6.
Dezember 1993 mit der Gemeinde auf die Auflösung des Pachtvertrages gegen
Bezahlung von Fr. 170'000.-. Diesen Betrag berücksichtigte die kantonale
Steuerverwaltung in der Veranlagungsverfügung für die Jahre 1995/1996 vom 2.
Mai 2006 als steuerpflichtiges Einkommen. Die Verfügungen für die Jahre 1996/
1997 und 1998/1999 erliess sie am 23. November und 19. Oktober 2005. Aufgrund
der entsprechenden Meldungen der Steuerverwaltung machte die Ausgleichskasse
die persönlichen Beiträge für Alters- und Hinterlassenenversicherung,
Invalidenversicherung, Erwerbsersatz sowie Familienzulagen rückwirkend für die
Beitragsperioden 1996/1997, 1998/1999 sowie 2000 mit Verfügungen vom 23. Januar
und 19. Juli 2006 geltend. Mit Einspracheentscheiden vom 24. und 25. August
2006 setzte sie die jährlichen Beiträge neu auf Fr. 14'237.40 (für die Periode
1996/97), Fr. 5'132.40 (für die Periode 1998/99) und Fr. 3'190.80 (für das Jahr
2000) fest, wobei sie für die Periode 1996/1997 u.a. je die Hälfte der
Entschädigung für die Pachtauflösung (Fr. 85'000.-) als beitragspflichtiges
landwirtschaftliches Einkommen erfasste.

B.
Die dagegen eingereichten Beschwerden des C.________ wies das Kantonale
Versicherungsgericht des Wallis nach Vereinigung der Verfahren mit Entscheid
vom 27. Oktober 2008 ab.

C.
C.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Mit der
Begründung, der Betrag von Fr. 170'000.- stelle einen nicht beitragspflichtigen
Expropriationszins dar und die Beiträge für die Jahre 1996 bis 2000 seien
verjährt, beantragt er die Abänderung der Entscheide vom 24. und 25. August
2006.

Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen schliessen auf
Abweisung der Beschwerde, während das kantonale Gericht auf eine Stellungnahme
verzichtet.
Erwägungen:

1.
1.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter
anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

1.2 Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem
Verfassungsrecht (Art. 95 lit. c BGG) nicht von Amtes wegen, sondern nur
insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet
worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit
Hinweisen). Es obliegt daher der Beschwerde führenden Person, klar und
detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen,
welche verfassungsmässigen Rechte inwiefern durch den kantonalen Entscheid
verletzt sind (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246 mit weiteren Hinweisen).

2.
Der AHV-rechtlichen Beitragspflicht unterliegen grundsätzlich alle Einkünfte
aus einer Erwerbstätigkeit (Art. 4 Abs. 1 AHVG). In Bezug auf
Invalidenversicherungs- und Erwerbsersatzbeiträge sind für deren Bemessung und
die Verjährung der Beitragforderungen die Bestimmungen des AHVG sinngemäss
anwendbar (Art. 3 Abs. 1 und 2 IVG [SR 831.20]; Art. 27 Abs. 2 und 3 EOG [SR
834.1]). Soweit die streitigen Beiträge die auf kantonalem Recht beruhenden
Familienzulagen an selbständig erwerbstätige Landwirte betreffen, werden keine
zulässigen Rügen (E. 1.2) erhoben. Diesbezüglich ist auf die Beschwerde nicht
einzutreten.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht erstmals vor Bundesgericht die Verjährung der
Beiträge geltend. Ob damit ein nach Art. 99 Abs. 2 BGG unzulässiges neues
Rechtsbegehren (vgl. BGE 134 V 223 E. 2.2 S. 226) gestellt wird, kann indessen
offen bleiben, weil der Einwand ohnehin unbegründet ist (E. 3.3).

3.2 Beiträge, welche bei Inkrafttreten der 10. AHV-Revision am 1. Januar 1997
noch nicht verjährt waren (AHVG, Schlussbestimmung der Änderung vom 7. Oktober
1994 lit. b Abs. 1; AS 1996 2666), können bis ein Jahr nach Ablauf des
Kalenderjahres, in welchem die massgebende Steuer- oder Nachsteuerveranlagung
rechtskräftig wurde, durch Verfügung geltend gemacht werden
(Festsetzungsverjährung: Art. 16 Abs. 1 AHVG, sowohl in der bis 31. Dezember
2002 geltenden als auch in der aktuellen Fassung; ausführlich Urteil H 1/06 des
Eidg. Versicherungsgerichts vom 30. November 2006 E. 4). Die geltend gemachte
Beitragsforderung erlischt fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in
welchem sie rechtskräftig wurde (Vollstreckungsverjährung: Art. 16 Abs. 2
AHVG). Entgegen dem Wortlaut der Bestimmungen handelt es sich um grundsätzlich
von Amtes wegen zu berücksichtigende Verwirkungsfristen (BGE 119 V 89 E. 4c S.
96 f.; 117 V 208 E. 3b S. 210; UELI KIESER, Alters- und
Hinterlassenenversicherung, in: Ulrich Meyer [Hrsg.] SBVR/Soziale Sicherheit,
2. Aufl. 2007, S. 1285 Rz. 237).

3.3 Die Beitragsansprüche für die Jahre 1996 bis 2000 waren am 1. Januar 1997
noch nicht verjährt (aArt. 16 Abs. 1 AHVG, AS 1954 211; Urteil H 1/06 des Eidg.
Versicherungsgerichts vom 30. November 2006 E. 4.1). Die Steuern der
massgebenden Jahre (vgl. Art. 23 AHVV [SR 831.101]) wurden letztmals am 19.
Oktober und 23. November 2005 sowie am 2. Mai 2006 veranlagt, weshalb sie
frühestens zu diesen Zeitpunkten in Rechtskraft erwachsen konnten. Nebst den
Beitragsverfügungen ergingen selbst die Einspracheentscheide innerhalb der am
31. Dezember 2006 bzw. 2007 endenden Frist für die Festsetzungsverjährung. Weil
die Beitragsforderungen bislang noch nicht rechtskräftig sind, fällt
offensichtlich auch eine Vollstreckungsverjährung ausser Betracht.

4.
4.1 Die Vorinstanz hat den von der Ausgleichskasse für die Beitragsperiode 1996
/1997 berücksichtigten Betrag - welchen die Steuerverwaltung als "übriges
Einkommen" bezeichnete - von je Fr. 85'000.- als beitragspflichtiges
landwirtschaftliches Einkommen bestätigt.

4.2 Die Verbindlichkeit der Angaben der Steuerbehörden (Art. 23 Abs. 4 AHVV)
ist auf die Bemessung des massgebenden Einkommens und des betrieblichen
Eigenkapitals beschränkt. Sie betrifft also nicht die beitragsrechtliche
Qualifikation und beschlägt daher die Frage nicht, ob überhaupt
Erwerbseinkommen und gegebenenfalls solches aus selbstständiger oder aus
unselbstständiger Tätigkeit vorliegt und ob die Person, die das Einkommen
bezogen hat, beitragspflichtig ist. Somit haben die Ausgleichskassen ohne
Bindung an die Steuermeldung auf Grund des AHV-Rechts zu beurteilen, wer für
ein von der Steuerbehörde gemeldetes Einkommen beitragspflichtig ist (BGE 121 V
80 E. 2c S. 83, 114 V 72 E. 2 S. 75, je mit Hinweisen; Urteil 9C_471/2008 vom
10. November 2008 E. 3.2).

4.3 Nach nicht offensichtlich unrichtiger vorinstanzlicher Feststellung (E.
1.1) bewirtschaftete der Beschwerdeführer im Rahmen seines landwirtschaftlichen
Betriebes die von ihm gepachtete Parzelle als Weinberg. Im Sinne eines
Ertragsausfalls sei dem ehemaligen Pächter kein Grundstück, sondern ein
Nutzungsrecht entschädigt worden. Folglich hat das kantonale Gericht die
Zahlung für die Auflösung des Pachtvertrages zu Recht als Erwerbseinkommen
qualifiziert (Art. 20 Abs. 1 AHVV; BGE 125 V 383 E. 2c S. 388; vgl. auch ZAK
1969 S. 61 f.). Zwar sind Schadenersatzzahlungen und Enteignungsentschädigungen
nicht steuerbares oder ahv-beitragspflichtiges Einkommen, soweit sie bloss
einen Kapitalverlust bzw. Vermögensschaden ausgleichen (BGE 132 II 128 E. 3.1),
wohl aber dann, wenn sie dazu bestimmt sind, den Wegfall eines künftigen
Erwerbseinkommens oder den Verzicht auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu
ersetzen (BGE 125 V 383 E. 2c und d; Urteil 2A.535/1999 vom 29. Februar 2000,
E. 2c, in: RDAT 2000 II Nr. 19t; Urteil A.50/1984 vom 15. November 1985, E. 3c,
in: ASA 55 S. 431). Denn mit einer solchen Entschädigung wird ein Einkommen
ersetzt, das - wenn es weiterhin erzielt worden wäre - ebenfalls der
Beitragspflicht unterstanden hätte. Das trifft auch für die hier streitige
Entschädigung im Sinne von Art. 23 EntG zu: Damit wird der Schaden
ausgeglichen, der dem Pächter dadurch entsteht, dass er das Pachtgrundstück
nicht mehr benützen und daraus kein Erwerbseinkommen mehr erzielen kann; dieses
Einkommen wäre beitragspflichtig gewesen, weshalb dasselbe auch für die
entsprechende Entschädigung gelten muss. Daran ändert nichts, dass die Gemeinde
laut Vertrag vom 6. Dezember 1993 den Ablösungsbetrag "als Pacht" bezahlt haben
soll: Aus dieser Formulierung kann - auch wenn der unterzeichnende
Gemeindepräsident Jurist ist - nach Treu und Glauben (Art. 9 BV; BGE 131 II 627
E. 6.1 S. 636 f.; 129 I 161 E. 4.1 S. 170; RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223, K 23/98
E. 2) nicht auf die sozialversicherungsrechtliche Qualifikation der Abgeltung
geschlossen werden. Das Bundesgericht hielt im Übrigen bereits im Urteil
betreffend die direkten Bundessteuern 1995/1996 fest, dass es sich beim
Verzicht auf die Nutzung der Parzelle aufgrund der bisherigen Bewirtschaftung
nicht um eine Veräusserung von Privatvermögen (im Sinne von Art. 16 Abs. 3 DBG
[SR 642.11]) handle (Urteil 2A.323/2003 vom 30. Januar 2004 E. 2). Auch dass
die Entschädigung zur Bestimmung des jeweiligen Steuersatzes auf die Laufzeit
des Pachtvertrages verteilt wird, bleibt ohne Auswirkungen auf die
Berücksichtigung des gesamten Betrages als (Erwerbs-)Einkommen der
Steuerperiode 1995/1996 und somit der Beitragsperiode 1996/1997. Schliesslich
ist die Verwendung des Ablösungsbetrages bedeutungslos für die Frage, ob er aus
Erwerbstätigkeit stammt (Art. 4 Abs. 1 AHVG), zumal die Kosten für eine
allfällige Beschaffung von Ersatzgrundstücken bei Pacht als Gewinnungskosten
(Art. 9 Abs. 2 lit. a AHVG) und bei Kauf als Zins vom im Betrieb eingesetzten
Eigenkapital (Art. 9 Abs. 2 lit. f AHVG) einzubeziehen sind. Die Beschwerde ist
unbegründet.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'700.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonalen Versicherungsgericht des Wallis
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. August 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin:

Borella Dormann